Deutsch: Mehr Tierwohl durch bessere Anatomie

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Ein Vögelchen zwitscherte mir unlängst, dass eine deutsche Übersetzung meines englischen Artikels zur Geflügel-Forschung eine prima Idee wäre (1). Es geht dabei um die Frage, wie sich die Geflügel-Haltung tierwohl-orientierter gestalten ließe. Über einige Anstrengungen in diese Richtung berichtete ich schon ausgiebig. John R. Hutchinson verfolgt allerdings einen ganz anderen – aber nicht minder spannenden – Ansatz.

Die letzten Jahrzehnte emsiger Leistungszucht waren gewissermaßen sehr erfolgreich. Die Tiere wuchsen immer schneller, setzten das Futter im Körper sehr effizient um und verfügten über sich prächtig entwickelnde Muskeln – wenn da nicht die Nachteile wären. Das Skelett kann oftmals mit der rasanten Gewichts-Zunahme nicht mithalten. Lahme Tiere sind die Folge. Aber auch der Kreislauf ist bisweilen überfordert, Herzprobleme können auftreten und münden schlimmstenfalls in einem Infarkt. Lungen- und Atem-Probleme können ebenfalls auftreten.

Genau diesen ganzen anatomischen Komplex aus Muskel- und Skelett-Wachstum sowie dabei ablaufende Stoffwechsel-Prozesse mit den einhergehenden Problemen wollen Hutchinson und seine Kollegen jetzt analysieren. Interessant dabei: sie brauchen dafür keine Hühner oder müssen diese aufwendig sezieren, obwohl diese schließlich die Hauptrolle spielen. Diese werden lediglich fotografiert, um mithilfe der gewonnenen Daten am Computer 3-dimensionale Modelle zu erstellen.

Sollten die Wissenschaftler mit ihrer Forschung Erfolg haben und tatsächlich Zusammenhänge und anatomische Merkmale wie auch physiologische Prozesse entdecken, die dann durch Selektionszucht verbessert und den Rassen zugute kämen, wäre bzgl. Tierschutz wie auch Tierwohl viel erreicht (2) – wobei das natürlich auch ökonomisch interessant sein sollte, denn nur gesunde Tiere bringen dem Landwirt letztlich auch Geld.

Langsam wachsende Rassen, geringere Besatzdichten und etwas verspielter ausgestattete Ställe – Ihr kennt das bisherige Rezept für mehr Tierwohl bei Wiesenhof, in Holland oder auch durch das RSPCA-Label in England. Die Unterschiede sind marginal – ebenso wie die Marktanteile gegenüber konventionell produzierten Produkten, woran sich auch so schnell nichts ändern wird.

Am Ende meines englischen Artikels erwähnte ich Indien als Beispiel für ein Land, dessen wachsende Population auch eine steigende Nachfrage nach großen Mengen günstigen Fleisches mit sich bringen wird. Von Tierwohl-Aspekten wie mehr Platz und Spielzeug will man dort vorerst sicher nichts wissen. In den Global Poultry Trends 2013 wird Indien in einem Zeitraum von diesem Jahr bis 2020 ein Populations-Wachstum von 1,2% prognostiziert – weiterhin habe Indien 2023 bzgl. der Populationsgröße sogar China überholt.

However, China’s population growth rate is forecast to fall from the one per cent a year achieved in the period 1991–2000 to only 0.3 per cent a year over the period 2013 to 2020. As a result, China’s share of the global total will actually decline from 19.5 per cent to 18.5 per cent.

Dem Trend-Report zufolge gibt es neben einer wachsenden Bevölkerung und trotz einer aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation Indiens für den steigenden Bedarf und Konsum beim Geflügelfleisch drei Gründe:

  • steigende Kaufkraft
  • sich verändernde Ernährungsgewohnheiten
  • Städte haben größeren Zulauf

Insgesamt betrachtet werden explizite Tierwohl-Produkte also noch über lange Sicht einen schweren Stand haben. Gerade weil so etwas wie das Wiesenhof’sche Privathof-Geflügel als weltweiter Standard noch reine Utopie ist, hoffe ich, dass Hutchinson und seine Kollegen bald fündig werden und so ein Huhn für die Zukunft entwickeln können – für gesündere Tiere auch im konventionellen Stall.

Anmerkungen

  1. Das mysteriöse Vögelchen war meine Blogstatistik.
  2. Eine nteressante Frage dabei: wie funktioniert das Knochengerüst? Lässt sich seine Konstruktion so verbessern, dass die Tiere ihr Gewicht besser tragen können?

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

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