Das jüdische Rückkehrgesetz: eine deutsche Übersetzung

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Da ich immer wieder danach gefragt werde, aber im Internet keine deutsche Übersetzung des jüdischen Rückkehrgesetzes finden konnte, habe ich erst mal selber eine angefertigt.
 
Eine Vorbemerkung: Dies ist eine sinngemäße, d.h. keine wörtliche Übersetzung, zumal die hebräische Begrifflichkeit sich teilweise kaum übersetzen lässt. So spricht das Gesetz etwa vom »Aufsteiger«; gemeint ist eine Person, die als Jude nach Israel einwandert, was in geistig-moralischer Hinsicht sehr positiv bewertet und darum als »Aufstieg« bezeichnet wird. Das »Aufstiegsvisum« habe ich also mit dem neutralen Begriff »Jüdisches Einwanderungsvisum«, die »Aufsteigerbescheinigung« als »Jüdische Einwanderungsbescheinigung« oder etwa den "Aufstieg ins Land" einfach als "Einwanderung" übersetzt. Die Bezeichnung für den Parlament, die »Knesset«, habe ich so belassen, auch wenn es ein theologischer Terminus ist.

Das Gesetz wurde 1950 erstmals erlassen, 1954 leicht und 1970 wesentlich überarbeitet. Es folgt der heutige Wortlaut, in eckigen Klammern habe ich die wichtigen Zusätze notiert:
 

Jüdisches Einwanderungsrecht
1. Jeder Jude hat das Recht, ins Land einzuwandern.
 
Jüdisches Einwanderungsvisum
2 a. Die Einwanderung erfolgt gemäß eines jüdischen Einwanderungsvisums.
   b. Ein jüdisches Einwanderungsvisum wird jedem Juden erteilt, der seinen Willen, sich in Israel niederzulassen, bekundet hat, es sei denn, der Innenminister ist davon überzeugt, dass der Antragsteller:
      I. gegen das jüdische Volk agiert;
      II. die Gesundheit der Bevölkerung oder die Sicherheit des Staates gefährden könnte; oder
      III. [1954] sich strafrechtlich insofern schuldig gemacht hat, als das Allgemeinwohl dadurch gefährdet werden könnte.
 
Jüdische Einwanderungsbescheinigung
3. a. Einem Juden, der nach Israel gekommen ist und erst danach seinen Willen bekundet hat, sich in Israel niederzulassen, darf während seines Aufenthaltes in Israel eine jüdische Einwanderungsbescheinigung erteilt werden.
    b. die in § 2. b. aufgeführten Vorbehalte gelten auch für die Erteilung einer jüdischen Einwanderungsbescheinigung; es gilt jedoch keiner als Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung, wenn der Grund für eine solche Einstufung eine Krankheit wäre, von der er erst nach seiner Einreise befallen worden ist.
 
Bewohner und Eingeborene
4. Jeder Jude, der vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ins Land gekommen ist, sowie jeder Jude, der im Lande – ob nach oder vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes – geboren worden ist, gilt als einer, der nach diesem Gesetz eingewandert ist.
 
Rechte von Familienangehörigen [1970]
4. a. I. Die einem Juden nach diesem Gesetz gewährten Rechte sowie die Rechte, die einem jüdischen Zuwanderer nach dem Einbürgerungsgesetz 1952 oder nach jedem anderen Gesetz gewährt sind, werden hiermit auch dem Kind sowie dem Kindeskind eines Juden bzw. einer Jüdin, dem Gatten bzw. der Gattin eines Juden sowie dem Gatten bzw. der Gattin von Kindern und Kindeskindern eines Juden bzw. einer Jüdin; es sei denn, es handelt sich um einen Menschen, der Jude war und freiwillig anderweitig konvertierte.
       II. Ob die jüdische Person, aufgrund deren ein Recht nach § 4.a.I. beansprucht wird, noch lebt oder selber nach Israel kam, ist von keiner Bedeutung.
       III. Die Vorbehalte und Bedingungen, die nach diesem Gesetz für einen Juden bzw. einen jüdischen Einwanderer gelten, finden auch bei Personen Anwendung, die für sich aufgrund von § 4.a.I. ein Einwanderungsrecht beanspruchen.

Definion [1970]
4. b. Im Anwendungsbereich dieses Gesetzes ist Jude, wer einer jüdischen Mutter geboren oder übergetreten ist, sofern er keiner anderen Konfession angehört.

Durchführung und Verordnungen
5. Für die Durchführung dieses Gesetzes ist der Innenminister zuständig. Dieser ist befugt, zum Zweck der Durchführung sowie der Erteilung von jüdischen Einwanderungsvisen an Minderjährige bis 18 Jahre Verordnungen zu erlassen. Verordnungen, welche § 4.a. und § 4.b. betreffen, unterliegen einer Bestätigung durch den Rechtsausschuss der Knesset.

Zum Vergleich: die gesetzlich festgelegten Merkmale deutscher Volkszugehörigkeit

Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.

Aus dem »Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge«, § 6 (Volkszugehörigkeit), Abs. 1.

Weiteres zum Thema:

»Dream Wars (oder: Notizen über das Nationale im 21. Jahrhundert)« vom 5. Februar 2009;
»Staatsangehörigkeit vs. Volkszugehörigkeit« vom 13. Mai 2009;
»Wer darf Volk sein? Über nationale Minderheiten in Deutschland« vom 12. Juli 2009.

Und apropos Auslandsdeutsche, a bissl Resonanz: Christine Chririacs hiesige Gastbeiträge (bitte runterscrollen) zu ihrer Identität als Deutsche und Rumänin in Siebenbürgen haben ihren Weg ins Siebenbürger-Forum gefunden.

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

8 Kommentare

  1. Keine Ahnung …

    – … wirklich nicht: Würde jetzt ein Aufschrei durch ganz Deutschland und die Welt gehen, wenn sich Deutschland ein ähnliches Einwanderungsgesetz geben würde?

    – Ich war selbst verblüfft beim Lesen vom Sarrazin-Buch, daß offenbar die Rußland-Deutschen in den letzten Jahrzehnten die größte Einanderungsgruppe in Deutschland darstellte, und daß die sich auch (offenbar im Gegensatz zu manchen Aversionen, die diesen gegenüber lange Zeit vorherrschten) hervorragend – – – “integriert” haben. (Man merkt, wieviele Bedeutungen dieses Wort haben kann … )

    – Und was mache ich eigentlich als Nichtjude, wenn ich nach Israel einwandern will und nicht irgendwie mit einem Juden, einer Jüdin verheiratet oder verwandt bin?

    Geht das? Und wie?

    – Und was mache ich als israelischer Firmenchef, der – etwaig? gibt es das? – unter Facharbeitermangel leidet und bestimmte Nichtjuden für seine Firma braucht.

    Will heißen: Wie sehen eigentlich die Unterschiede zwischen Israel und Deutschland in der Praxis aus?

    (Diese Fragen zeugen gewiß von Ahnungslosigkeit …)

  2. ad 1.: Deutschland hat schon eine ähnliche (wenn auch freilich nicht identische) Rückkehrregelung, aufgrund deren sich hier etwa die von dir erwähnten Russlanddeutschen einbürgern lassen konnten.

    ad 2.: Die meisten Auslanddeutschen waren vor der Rückkehr zumindest teilweise schon “vorintegriert”, genauso wie die meisten Auslandsjuden, die nach Isarel kommen.

    ad 3.: Dann kannst du dir i. d. R. eine Aufenthaltsgenehmigung geben lassen, die dir keinen Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt und irgendwann auch nicht mehr verlängert wird. Für die Einreise als Tourist brauchst du indes kein Visum zu beantragen, das geht automatisch klar.

    ad 4.: Als Firmenchef bildest du deine Leute. Unter sehr bestimmten Umständen kannst du sie auch importieren, doch erst nachdem du nachgewiesen hast, dass keine Inländer sich für diese Stelle eignen.

    Fazit: Offiziell sieht es in beiden Ländern sehr ähnliches aus, tatsächlich aber wird in Israel viel mehr auf eine akribische Umsetzung geachtet als in Deutschland – so jedenfalls meine Einschätzung.

  3. Naive Frage

    Auch wenn es natürlich die Möglichkeit der Konversion zum jüdischen Glauben gibt (was aber, nach allem was ich höre und lese, sehr schwierig ist): Ist das nicht eine an Rassismus grenzende Regelung, oder zumindest ein heutzutage eigentlich fragwürdiges Verständnis von Staatsbürgertum, wenn es an eine religöse Zugehörigkeit (die wiederum durch die Mutter vererbt wird) gekoppelt ist. Natürlich ist mir die besondere Lage der Juden als Volk und Religionsgemeinschaft bewusst. Aber nun meine Frage: Gibt es gegen diese “Aufstieg”-Regel Widerstand und Kritik in Israel? Gibt es politische und gesellschaftliche Kräfte, die eine nicht-jüdische Einwanderung erlauben wollen?

  4. @ Ferdi

    Es gibt auch andere Völker, die sich auch über eine “Nationalreligion” definieren (die Griechen, die Armenier). Dass es im jüdischen Fall besonders ausgeprägt ist, rührt von den antiken Wurzeln Israels her, als die Volkszugehörigkeit kaum vom Kult zu trennen war (und umgekehrt).

    Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum auch Proselyten der Anspruch auf Einbürgerung gewährt wird: Der Übertritt ist ihr jeweils persönlicher Ausdruck, dass sie ins jüdische Volk aufgenommen werden wollen. Natürlich hat jeder Mensch, jeder Jude und jeder Übergetretene seine eigene Perspektive auf die Welt, aber wer meint, mit dem Übertritt Jude und dennoch kein Angehöriger des jüdischen Volkes geworden zu sein, liegt vom allgemein-jüdischen Konsens weit entfernt. Nichtsdestoweniger ist das seine Sache: Der jüdische Staat als das politische Ausdrucksmittel des jüdisches Volkes geht hiermit großzügig um und gewährt Proselyten, sofern ihre Übertrittsprozedur vom Staat anerkannt wird, das Einbürgerungsrecht, ohne sich für die persönliche Judenauffassung des “Aufsteigers” zu interessieren.

    Beachte aber, dass der phänomenologisch enge Zusammenhang von Kult und Volk hier nur eine formelle Sache bildet: Um die Integrität des Volkes zu bewahren und den allgemeinen Volkskonsens nicht zu verletzen, achtet der Staat darauf, dass man sich nicht zu einer fremden Konfession bekennt; die persönliche Religiosität interessiert den Staat jedoch nicht im Geringsten. Auch ein völlig atheistischer Jude, der gerne Schweinefleisch isst und was weiß ich noch, kann ins jüdische Land “aufsteigen”. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks sind viele solche Juden und ihre Verwandten aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel zugewandert.

    Zu deinen anderen Fragen: Es gibt kaum jüdische Stimmen gegen das Rückkehrgesetz, aber viele für eine einheitliche Zuwanderungspolitik in nichtjüdischen Fällen, die sich momentan ziemlich vermissen lässt.

  5. @ Ferdi

    Um es mal kürzer zu formulieren:

    Die Einbürgerung im Rahmen des jüdischen Rückkehrrechts ist nicht an eine religiöse Zugehörigkeit gekoppelt, sondern, wie bei anderen Völkern (in Deutschland, in Polen, in Ungarn etc.) an die Volkszugehörigkeit.

    Das jüdische Volk wiederum setzt sich auf eine Art und Weise zusammen, die sehr viel mit dem jüdischen Kult zu tun hat, und darum wird auch (aber nicht nur) dieser Aspekt einigermaßen vom Gesetz beachtet.

    Was das mit Rassismus zu tun haben könnte, weiß ich nicht. Oder treibt etwa auch Deutschland eine rassistische Politik, indem es Volksdeutschen aus Russland, Rumänien etc. die Aufnahme im deutschen Nationalstaat bietet? Da das deutsche Volk sich (nicht zuletzt, weil es erheblich jünger ist als das jüdische) von seinem Selbstverständnis her anders zusammensetzt als das jüdische, werden in Deutschland entsprechend andere Kriterien für eine solche Rückkehr angewandt als in Israel. Aber das Prinzip eines allgemeinen Rückkehrrechts für alle Volksangehörigen im Ausland haben Deutschland, Israel und anderen Staaten gemeinsam.

  6. @ Ferdi: Auf der Website des israelischen Außenministeriums ist angeführt, es sei durchaus auch für Nichtjuden möglich nach mehreren Jahren des Aufenthalt, Staatsbürger von Israel zu werden. So wie es in jedem anderen Land auch geregelt wird.
    Hier der Text folgender Website: http://www.mfa.gov.il/mfa/aboutisrael/state/pages/acquisition%20of%20israeli%20nationality.aspx

    Acquisition of Nationality by Naturalization

    Adults may acquire Israeli citizenship by naturalization at the discretion of the Minister of the Interior and subject to a number of requirements, such as:

    they must have resided in Israel for three years out of the five years preceding the day of submission of the application.
    they are entitled to reside in Israel permanently and have settled or intend to settle in Israel;
    they have renounced their prior nationality, or have proved that they will cease to be foreign nationals upon becoming Israeli citizens.
    The Minister of the Interior may exempt an applicant from some of these requirements.

    Das Staatsbürgertum ist also nicht an die religiöse oder ethnische Zugehörigkeit gebunden! Nur das Rückkehrrecht – also die sofortige Aufnahme – ist ein Privileg von Juden und Jüdinnen.

  7. Ich verstehe das Recht, es ist nicht rassistisch gemeint, denn man muss Bedenken Israel hat etwa die Größe Tirols und es wohnen shon und hat eine Einwohnerzahl von ca 8.368.400 (Quelle Wikipedia) (also ähnlich viel wie Österreich ca 8,5 Millionen), wenn die jeden rein lassen wo bringt man die alle unter? Ich selbst finde es auch nicht ganz Gerecht da ich Israelische Wurzeln habe aber es gilt momentan nur für den Stamm Juda also Juden. …

  8. Pingback:Schwarze JüdInnen: Mit oder ohne Anerkennung durch Israel | M-MEDIA

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