Circeln

BLOG: Sprachlog

Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Sprachlog

Der Anglizismus-des-Jahres-Wettbewerb 2011 ist zu Ende, auf der Seite des Siegerwortes findet sich nun auch eine Auswahl aus den sehr zahlreichen Pressestimmen. Aber bevor die Schlussglocke läutet und wir uns dem Lehngut des laufenden Jahres zuwenden können, muss ich noch etwas über das drittplatzierte circeln schreiben. Denn während das erstplatzierte Shitstorm trotz seines skatologischen Naturells (auf das ich nächste Woche noch einmal in einem ganz anderen Zusammenhang zurückkommen werde) mit Ausnahme einiger besonders empfindlicher Seelen auf Zustimmung gestoßen ist, und das zweitplatzierte Stresstest durch seine Auszeichnung zum Wort des Jahres sowieso staatstragende Würde ausstrahlt, hat die Wahl von circeln auf den dritten Platz punktuell Überraschung ausgelöst und im Publikumswettbewerb ist es nur knapp an einem Abstiegsplatz vorbeigeschrammt.

So schreibt z.B. Bernd Matthies auf Tagesspiegel.de:

Sehr viel strittiger ist zweifellos das drittplazierte Wort, das sicher nicht nur bei mir erst einmal ein „Häh?“ ausgelöst hat. „Circeln“ erschließt sich nur jenen, die sich mit dem sozialen Netzwerk Google plus auskennen und wissen, dass man damit einer Kontaktliste hinzugefügt wird – das Äquivalent zum Befreunden bei Facebook. Es hat sicher eine eigenständige Bedeutung neben dem deutschen, anders konnotierten „Einkreisen“, aber ob es auch eine Zukunft hat?

Und damit trifft er einen Punkt, den auch die Jury öffentlich und intern diskutiert hat: die Frage nach der aktuellen und zu erwartenden Verbreitung. Susanne konnte in ihrer ausführlichen Darstellung des Wortes vor der Abstimmung zwar zeigen, dass das Verb nicht gerade selten ist (sonst wäre es auch gar nicht in die Endrunde gekommen), aber es ist klar, dass deutlich häufigere Wörter im Rennen waren. Es ist auch klar, dass circeln derzeit noch ausschließlich auf das soziale Netzwerk Google Plus beschränkt ist und schon aufgrund der relativ gesehen (noch) geringen Verbreitung des Netzwerks in der Sprachgemeinschaft insgesamt sicher noch eher unbekannt.

Dass es sich trotzdem so hoch platzieren konnte, hat zwei konkrete, und zwei etwas diffusere Gründe.

Erstens war es von allen Nominierungen diejenige, die am offensichtlichsten aus dem Jahr 2011 stammt. Damit rangierte es mit Bezug auf das Kriterium der Aktualität unangefochten auf Platz 1. Und zwischen den Kriterien „Aktualität“ und „Verbreitung“ ein natürliches Spannungsfeld besteht, muss man bei einem Verb, das gerade erst ein halbes Jahr alt ist, bezüglich der Verbreitung „fair bleiben“, wie schon Susanne angemerkt hat.

Zweitens gefiel uns der Wettstreit, den es sich aktuell mit der deutschen Alternative einkreisen liefert (einen Wettstreit, auf den ich schon im Juli 2011 auf — wo sonst — Google Plus hingewiesen und von dem ich — voreilig — vorhergesagt habe, dass circeln ihn bis zur Anglizismenwahl für sich entscheiden würde). Die Tatsache, dass sich circeln tapfer hält, obwohl der Konkurrent einkreisen (nach groben Schätzungen) etwa zehn Mal so häufig ist, deutete (und deutet) für die Jury auf ein mögliches bedeutungsdifferenzierendes Potenzial hin.

Drittens, und da wird es diffuser, sind wir als Sprachwissenschaftler/innen aus Gründen ganz versessen auf Verben, während wir Substantive nur so lala finden. Und bei den Verben herrschte diesmal unter den Nominierungen eine gewisse Flaute, durch die circeln vielleicht etwas heller geleuchtet hat, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Und viertens, und völlig diffus, hielten wir es unbewusst vielleicht für ausgleichende Gerechtigkeit, dass circeln eine Chance erhalten sollte, nachdem im letzten Jahr das Facebook-bezogene entfrienden unter den Top 3 gelandet war. Ob es ein Omen ist, dass im Falle von Facebook das entfernen, im Falle von Google Plus aber das hinzufügen von Kontakten ist, das ein hochplatziertes Wort hervorgebracht hat, will ich dahingestellt sein lassen…

Warten wir also ab, wie das Verb sich entwickelt. Google Deutschland war auf Nachfrage optimistisch und teilte mir (in Person des Pressesprechers Stefan Keuchel) mit, dass man sich über die gute Platzierung freue und sie für ein Zeichen halte, dass Google+ in Deutschland auf einem guten Weg sei. Und diesen Optimismus teile ich zumindest aus sprachwissenschaftlicher Sicht. Google Plus wird nicht so bald verschwinden, und da die Kreise dort ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen Netzwerken sind, wird sich auch ein Wort für das Verwenden dieser Kreise durchsetzen. Und ich bin nach wie vor überzeugt, dass circeln dabei wenigstens eine Nebenvariante bleiben wird, da einkreisen vermutlich nicht nur für mich nach Cowboys und Kuhherden klingt.

Immerhin hat Google der deutschen Sprache schon ein Verb beschert — googeln, das sich in der Alltagssprache längst als generisches Wort für „im Internet suchen“ durchgesetzt hat — zur großen Sorge von Google selbst, das seinen Markennamen schützen will (und muss, wenn es ihn nicht verlieren will). Beim Verb circeln gibt es keinen solchen Konflikt zwischen Alltagssprache und Markenschutz: Nach Aussage von Stefan Keuchel erhebt Google „keinen Anspruch darauf, dass jemand dieses Wort nur für Google+ benutzt.“

Google hat übrigens noch ein weiteres Verb im Rennen um die Erweiterung des deutschen Wortschatzes: plussen. Ob uns dieses Verb im nächsten Wettbewerb wieder begegnet? Oder wird es bis dahin ein ganz neues Netzwerk mit Funktionen und Wörtern geben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können? Oder wird zur Abwechslung sogar ein Wort aus der Offline-Welt das Rennen machen?

 

Full Disclosure: Es bestehen und bestanden keinerlei kommerzielle Verflechtungen oder persönlichen Kontakte zwischen Google und Mitgliedern der Jury. Der Anglizismus-des-Jahres-Wettbewerb stützt sich aber intensiv auf diverse Werkzeuge, die durch Google bereitgestellt werden (z.B. Google Insights, Google Books und Google News). Ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich Google liebe und manchmal hasse; es waren aber zwei andere Jury-Mitglieder, die circeln in die Endrunde und auf einen der vorderen Plätze katapultiert haben.

Avatar-Foto

Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

7 Kommentare

  1. Was heißt plussen denn? Ich bin bisher Facebook treu geblieben und bin daher mit dem Google+-Jargon nicht sonderlich vertraut.

  2. Wieso ist plussen ein Anglizismus? “Plus” ist doch (auch) deutsch (oder halt Latein) und plussen das Verb daraus.

  3. Hängt wohl davon ab, wie man es ausspricht. Ich hätte es intuitiv Deutsch ausgesprochen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es auch Leute gibt, die es Englisch aussprechen.

  4. plussen

    …meint irgendwas zu liken. Nur halt bei Google, nicht bei Facebook.

    Dass es aber plussen heißt ist mMn noch nicht entschieden! Eigentlich weiß doch noch keiner so ganz recht, wie die Aktion, auf den “+1” Knopf zu drücken nun heißen soll. Oder bin ich da abgehängt?

    Aber wenn, dann schon mit u, nicht mit a ausgesprpchen.

  5. Ah! Ich hatte mich schon gefragt, wie man +1 wohl in Worten sagt. Ich habe deinen Status geplusst klingt zwar im Vergleich zu gelikt sehr gewöhnungsbedürftig, aber immerhin besser als gepluseinst.

  6. zirkeln

    Dann lass uns mal den Ball ins Tor zirkeln!

    Dem gesprochenen Zirkeln hört man die Differenz zum Circlen nicht an. Wieso eigentlich Circeln – was ist das für ein Hybrid?

    Neben dem zirkeln vom Fußball, welches bedeutet, den Ball mittels Spin ins Tor zu drehen, kenne ich noch das zirkeln im ‘etwas auszirkeln’, was bei geometrischen Konstruktionen vorkommt, und übertragen bedeutet, dass man präzise aber empirisch und clever eine Lösung ermittelt.

    Wieso man nicht ohne Google aus dem “inneren Zirkel der Macht” umstandslos ein dt. Verb “zirkeln” machen soll, auch wenn es Latein ist (oder Gr.?), quasi als Kurzschluss, ist mir nicht klar.