Die HIV-Impfung löst das Problem nicht

Es gibt kaum etwas frustrierenderes als die HIV-Forschung zu verfolgen. In den 80er Jahren haben sie noch gesagt, binnen zwei Jahren würde es einen Impfstoff geben. Das hat dann nicht ganz so toll funktioniert. Seither sind an AIDS etwa 32 Millionen Menschen gestorben und fast 40 Millionen weitere sind infiziert, und beim Thema HIV-Impfung sieht es nach wie vor ziemlich finster aus.

Das einzige zählbare Ergebnis von 30 Jahren Forschung ist ein Präparat namens RV 144: Eine Kombination aus einem modifizierten Vogelpockenvirus von Sanofi-Pasteur und dem HIV-Oberflächenprotein gp120 zusammen mit Aluminiumhydroxid als Wirkverstärker. Die Impfung wurde zwischen 2003 und 2009 in Thailand getestet, und in der Versuchsgruppe gab es 31 Prozent weniger HIV-Infektionen als in der Placebogruppe. Es ist schon ganz cool, dass das Zeug überhaupt funktioniert, aber knapp ein Drittel ist bei weitem nicht gut genug.
HIV-Plüschmikrobe

Neuer Versuch in Südafrika

Jetzt läuft ein neuer Versuch mit einer sehr ähnlichen Kombination namens HVTN 702. Diesmal ist der Schauplatz Südafrika, wo etwa ein Fünftel der Bevölkerung im fortpflanzungsfähigen Alter infiziert ist. Die beiden Impfstoffe wurden überarbeitet: Das Vogelpockenvirus enthält jetzt DNA des in Südafrika am weitesten verbreiteten Virenstammes, und der Booster mit dem gp120 – das Protein war übrigens Thema meiner Diplomarbeit – enthält jetzt statt Aluminiumhydroxid als Wirkverstärker eine Squalen-Emulsion[1]. Zusätzlich zu der neuen Zusammensetzung spritzt man die beiden Präparate häufiger als im Thailand-Versuch, nämlich das Virus fünf mal über den Zeitraum eines Jahres und gp120 immerhin noch drei mal. Damit soll die Infektionsrate bis zum Ende des Versuchs im Jahr 2020 um mehr als 50 Prozent gesenkt werden - dann könnte das Produkt lizensiert werden, und man hätte die erste einsetzbare HIV-Schutzimpfung.

Ob die dann auch so viel bringt, ist die große Frage. Klar, wenn man eine Impfung hat, nimmt man die auch, zumal die Lage an der HIV-Front nicht so richtig rosig ist, mit den steigenden Infektionszahlen speziell in Osteuropa. Der jetzige Impfstoffkandidat ist aber alles andere als ideal. Zum einen ist der Schutz vor HIV eben nicht vollständig. Viele Geimpfte könnten sich in Sicherheit wiegen und die anderen – immer noch notwendigen – Präventionsstrategien weniger ernst nehmen. Den Effekt erzeugen schon die vorhandenen Medikamente: HIV gilt gerade in vielen Industrieländern fast schon als relativ harmlose Krankheit, die man gut im Griff hat, und das zeigt sich in den steigenden Infektionszahlen.

Verschärft wird das Problem noch dadurch, dass Impfkampagnen mit dem südafrikanischen Protokoll recht aufwendig wären: Für einen optimalen Schutz müssen die Patienten im Lauf eines Jahres (mindestens) fünf mal geimpft werden. Da wird es eine ganz erhebliche Abbrecherquote geben – sag ich mal als notorischer Auffrischungsmuffel. Und hierzulande ist sowas ja noch relativ einfach. In vielen Weltgegenden sieht das anders aus.

Stress mit Evolution

Der andere Haken bei einem Teilschutz ist, dass so eine Impfung eventuell die Virenevolution beeinflusst, und zwar in eine für uns potenziell unerfreuliche Richtung. Eine “löchrige” Impfung, die eine Infektion nicht verhindert, sondern ihre Symptome abmildert, fördert laut Modellen nicht nur Infektionen durch symptomlose Träger, sondern auch aggressivere Viren, die dann in ungeimpften Populationen viel Ärger machen können. Bisher sind das alles nur Modelle an Geflügelviren, aber beide Effekte wären in einem Flickenteppich-Szenario mit spezifischen Impfungen gegen regional bedeutsame Stämme ziemlich ärgerlich.

Viele Fachleute sehen das grundsätzliche Problem darin, dass die aktuelle Impfung keine breit neutralisierenden Antikörper erzeugt, die vor verschiedenen Virenstämmen schützen. Das würde bedeuten, dass die Impfung nur gegen einen einzigen Stamm den versprochenen Teilschutz bietet, bei Viren aus anderen Weltgegenden aber möglicherweise versagt. Der Aufbau der aktuellen Studie deutet jedenfalls darauf hin, dass dieses Problem existiert: Man verwendet spezifisch auf regionale Viren zugeschnittene Impfstoffe, in der Erwartung, dass sie dadurch besseren Schutz bieten. Da stellt man sich die Frage, ob ein so eng gefasster Impfstoff in der Praxis überhaupt sinnvoll ist. Schlimmstenfalls würde eine Impfkampagne vor allem die regionalen Häufigkeiten der verschiedenen Virenstämme verschieben. Wir leben schließlich in einer Welt mit Langstreckenflügen.

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[1] Squalen wird übrigens auch vom menschlichen Stoffwechsel produziert, aber man gewinnt es kommerziell aus Hai-Leber. Obwohl es wesentlich mehr Menschen als Haie gibt.

3 Kommentare

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  2. Ich weiß nicht weshalb, aber es regt mich persönlich enorm auf, wenn ich in Medien zum Teil euphorisch klingende Berichte über Impfstrategien lese, mit denen eine Infektion mit HIV vermieden werden könne. Wie sie schon schreiben: “Viele Geimpfte könnten sich in Sicherheit wiegen und die anderen – immer noch notwendigen – Präventionsstrategien weniger ernst nehmen.”
    Eine Impfung, die nicht mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine Infektion vermeidet, sollte bei einer Krankheit, die durch aktives Tun bzw. Unterlassen einfacher Schutzmaßnahmen durch uns selber verbreitet werden kann, nicht zur Anwendung kommen.

    Eine solche Impfung ist nur ein vorgeblicher Schutz. Hört man sich bei sexuell aktiven Personengruppen in unseren Breiten um, würde eine solche Impfung als Blankocheck genommen, wieder fröhlich ohne jeden Schutz rumzuvögeln. Das Restrisiko einer Infektion würde völlig übergangen.

    Die momentanen Behandlungsmöglichkeiten von HIV in Deutschland, den meisten Ländern Europas und Nordamerikas (in den USA zumindest dann, wenn man Geld hat), lassen einen ja jetzt schon fast zu dem Schluss kommen, bei einer Infektion mit HIV hätte man sich gerade mal einen Schnupfen eingefangen, der eben lebenslang andauern würde, was ja gerade nicht stimmt. Das eine HIV-Infektion einfach Scheiße ist (salopp gesagt) und die betroffenen Personen und deren Angehörigen bzw. Partner schwer belastet, fällt einfach hinten runter.

    Aus meiner Sicht liegt der beste Schutz vor einer HIV-Infektion immer noch in der Nutzung eines Kondoms, egal ob dadurch das authentische Gefühl etwas drunter leidet oder nicht, ob Mann seinen Samen vergeudet, man Sünde begeht, oder was auch immer.

    Aufklärung ist das A und O aller Präventionskampagnen. Da muss man dann gegebenenfalls auch Konflikte mit relevanten gesellschaftlichen Gruppen eingehen (z.B. Teilen der katholischen Kirche, evangelikalen Gruppen, islamischen Geistlichen oder auch Staatspräsidenten). Dann kommt die Hilfe für betroffene Personen, um ihnen weiter ein gutes Leben zu ermöglichen, aber auch um weitere Infektionen zu vermeiden.

    Meine 5 Cent dazu.

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