Vorfreude (der Christen, Mitarbeiter, Wähler)

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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„Vorfreude ist die größte Freude!“, da sind sich viele Psychologen und natürlich – äh diesmal – auch der Volksmund sicher. Vorfreude ist die erwartungsfrohe Stimmung, die uns das, wofür wir uns vorfreuen, tatkräftig erstreben lässt. Christus adveniat! Vier Wochen Vorfreude!
Wenn Sie dem eigenen Gefühl nicht trauen und lieber auf eine seriöse Neurostimme hören – dann nehmen Sie zur Kenntnis: Wenn wir etwas freudig erwarten, schießt uns Dopamin ein. Dieser Stoff aktiviert dazu, der Vorfreude mit Tatendrang zu folgen. Es geht bei dem Dopamin NICHT um die Lust am Ende, wenn das Ziel erreicht ist! Das könnte dann ein Endorphinrausch sein. Dopamin macht nur für das Ziel der Sehnsucht aktiv.
Viele shoppen und shoppen, freuen sich über die Beute und ziehen die Klamotten dann nicht an. Viele jagen und jagen, schießen dabei viele Böcke und sind vielleicht sogar Vegetarier. Der Weg ist das Ziel, sagen so viele; beim Jagen und Shoppen ist das zumindest sehr oft so. Manche brauchen eine Sehnsucht, hecheln einem gewünschten Traumpartner hinterher, trainieren für eine Olympiade, interessieren sich brennend für ein Wissenschaftsfeld oder für die Feinheiten verschiedener Whisky-Finishes – es ist Vorfreude unter Dopamin. Das Ergebnis bedeutet vergleichsweise nichts.
Ich habe nach meiner Promotion und meiner Habilitation jeweils längere Leerphasen gehabt – keine Ziele mehr, die Vorfreude garantiert hätten. Es war wie Erschöpfung, es ist aber eigentlich Vorfreudelosigkeit, das erlebe ich nach jedem letzten Punkt hinter einem neuen Buch.
Viele werdende Mütter vorfreuen sich irre („Baby adveniat“) und bekommen eine Kindsbettdepression, wenn es nun so daliegt, etwas verschrumpelt und schwach gelbsüchtig… Wird es durchschlafen und der erwartete wundervolle Mensch werden? Das Ergebnis ist natürlich auch wunderschön – irgendwie – aber es ist kein Vergleich mit der Vorfreude. Die kommt dann aber meist gleich wieder zurück: „Ich ziehe das Baby auf, es entwickelt sich, schau nur…“

Startups bieten Vorfreude! Neue Technologien winken oder neue Ideen, wie die Welt zu verbessern wäre. Da kribbelt die Vorfreude in uns – los, wir tun was! Viele Künstler träumen von Ruhm und vom Oscar, aber wenn sie ihn bekommen, dann sind sie noch einen Tag freudealkoholstofftrunken – und jetzt? Man sagt, dass es so wundervoll wäre, den Weg bis ganz nach oben zu schaffen, dass es aber unvergleichlich viel mehr gefühlte Energieleistung verlangen würde, oben zu bleiben. Nach oben kommen ist Vorfreude, oben bleiben eher Pflicht verknüpft mit der Angst des Abstiegs.

Die Christen/Juden erwarteten den Retter Jahrhunderte hindurch. Die Vorfreude hielt „tausend Jahre“, aber dann kam er wirklich und wollte, dass wir uns anständig benähmen… Viele Liebende lieben sich getrennt stärker, wenn sie allabendlich telefonieren oder chatten. Viele Ehepaare streiten sich gleich nach der Hochzeit am stärksten. Ich meine: Die Vorfreude ist echter als das Echte.
Die Vorfreude hat viele Erscheinungsformen und Bezeichnungen: Vision, Traum, Hoffnung, Interesse, Leidenschaft, Wissenwollen, Sehnsucht. Vorfreude macht stark!

Wenn Vorfreude so stark macht – warum geben wir uns ihr nicht hin? Warum haben wir eher Vorangst, also das Gefühl, dass wir den Erwartungen nicht genügen werden? Warum gehen wir nicht den vorfreudigen Weg des Lebens? Warum entwickeln wir uns nicht lebenslang, warum müssen wir aus Politikern auswählen, die uns per Versprechungen die Vorfreude nur vorlügen? Welche Vorfreude bieten Chefs, die jedes Jahr zehn Prozent wachsen wollen, egal wie?

Man redet uns unsinnig ein, nur ein gutes Ergebnis könne freuen. Das glauben wir dann und sind immer nur Einzelmomente im Leben glücklich, wenn überhaupt. Hilfe – alles Zweckerziehung!

Das Leben sei immerwährend Vorfreude.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

3 Kommentare

  1. Ganz genau, bspw. hat der Schreiber dieser Zeilen nur wenige Momente der Genugtuung (das im dankenswerterweise bereit gestellten Artikel nicht vorkommende Fachwort) erfahren, sie könnten an der Hand, nun, mit beiden Händen, abgezählt werden.

    Aber Vorfreude ist und war immer da.

    Wobei ‘Vorfreude’, inklusive sogenannter Plug-Ins, aktuell, womöglich nicht 32 Mal im dankenswerterweise bereit gestellten Inhalt direkt adressiert werden musste, wobei die Nachricht natürlich klar ist :

    Schöner Advent, schöne Weihnacht!

    MFG
    Dr. Webbaer

  2. Lieber Herr Dueck,
    was ist Ihre Botschaft?
    Sollen wir das alljährliche Weihnachtsgetriebe ignorieren , oder sollen wir uns solidarisch verhalten (mit der Ökonomie) und alle schönen Weihnachtsmärchen glauben?
    Sollen wir uns in die stille Bergwelt retten und uns auf das Christkind freuen?
    Machen wir es doch wie die Kinder. Die freuen sich und lassen sich beschenken.

    • Eine Botschaft findet sich in dieser Frage ‘Warum gehen wir nicht den vorfreudigen Weg des Lebens?’, Vorfreude oder eine positive Grundstimmung sind nämlich gar nicht schlecht, sie müssen nicht sonderlich begründet sein, solange alles halbwegs den geordneten Gang geht, schaut’s ganz gut aus.
      Vermieden werden sollte eigentlich nur besonders vorfreudig auszusehen, beispielsweise so,
      MFG
      Dr. Webbaer