Schnell geht besser dumm

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Beim Spielen auf dem Computer muss es oft schnell gehen. Sie kennen das vom Blitzschach oder dem Tetris-Spiel. Bei letzterem fallen vom oberen Rand des Bildschirms verschieden geschnittene L-, T- oder Rechteck-Bausteine hinab, die man während des Fallens drehen und verschieben kann. Die Aufgabe ist es, sie zu vollständigen Mauerzeilen zusammenzufügen, die dann verschwinden und für neue Steine Platz machen. Mauerlücken verschwinden nicht, oh je! So langsam türmen sich die Fehler auf, das Spielfeld wächst immer stärker zu einer schrecklichen Baustelle an, bis die unschön gefallenen Bausteine den oberen Spielfeldrand erreichen: Game over.

Beim Blitzschach machen sich frühere kleine Fehler langsam bemerkbar, die Position wird immer unhaltbarer – und dann folgt in arger Zeitnot oft noch ein riesengroßer Patzer – Game over. Das Tetris-Spiel zeigt das, was ich hier sagen will, besser: Man sieht, wie sich die Fehler und Nachlässigkeiten aller Art so richtig schön vor einem aufbauen. Beim Blitzschach sieht man die Patzer-Historie leider nicht mehr.

Am Anfang fallen die Tetrissteine noch sehr gemächlich. Sie können noch nachdenken und brauchen kaum handwerkliches Geschick. Sie können die Steine während ihres Falls ruhig hin und herdrehen. Schon wieder eine vollständige Mauerzeile fertig! Passt! Level 2: Es wird schneller, geht aber noch ganz gut. Level 3: Noch schneller, uih! Irgendwann Level 7: Ich verliere den Überblick und patze. Mist. Game over.

Ich habe nachgedacht. Wie spielt man das am besten? Das Problem scheint mir zu sein, dass wir zu Anfang mit intelligenten Strategien brillieren. Dann aber wird Tetris schneller; diese Strategien sind wegen der gebotenen Eile nicht mehr anwendbar. Daher braucht es in jedem Level neue Strategien, die unter der jeweiligen Geschwindigkeit noch brauchbar angewendet werden können. Diese „höheren“ Strategien für die höheren Level müssen robuster sein – oder wenn Sie so wollen – dümmer ausgelegt sein, damit sie unter extremem Zeitdruck funktionieren.

Wenn Sie also Level zu Level schneller werden müssen, sind Sie gezwungen, stetig dümmer zu spielen, um nicht mehr überlegen zu müssen und um nie mehr zweimal zu drehen; Sie haben auch keine Zeit mehr, Fehler sinnvoll zu korrigieren. Es muss dumm und einfach gespielt werden. Immer dümmer und immer einfacher, je schneller es gehen soll.

Meister wird derjenige, der erst zuletzt in sehr hohen Levels dümmer spielen muss.

Ich glaube, man muss Tetris so spielen, dass man schon ganz zu Anfang mit der schnellen Dummheit agiert, bei der es einem am Ende erwischt: Game over. Dann muss man die Strategie nicht mitten im Spiel wechseln. Am Anfang kann man die Fehler der dummen Strategie ja noch ausbügeln. Aber man spielt von Anfang an diejenige dumme Strategie, die man in höchster Eile noch durchhalten kann. Dann erschreckt die Beschleunigung des Spiels bei Level-Aufstiegen nicht so stark!

Da fällt mir ein (das ist jetzt die Stelle in meinem elaborierten Traktat, bei der beim Wort zum Sonntag von langer Hand strategisch geplant die Bibel ins Spiel kommt), dass es analoge Erscheinungen im Management zu beobachten gibt.

In den oberen Etagen sagt man: „Besser eine schnelle Entscheidung als gar keine!“ Das stimmt beim Tetris ganz genau! Improvisieren bei Fehler steht beim Managen hoch im Kurs! Je schneller sich das Business dreht, umso hektisch holzschnittartiger werden die Entscheidungen. Die Projekte werden unter großer Eile „hochkomplex“, sagt man. In Wirklichkeit sehen die Projekte so aus wie die löchrig wachsende Tetris-Mauer auf dem Bildschirm, wenn man sie in ihrer ganzen Historie sehen könnte. Die wahrgenommene Komplexität bildet sich aus der Summe früherer Nachlässigkeiten und den dadurch entstandenen Budgetlöchern.

Richtig schnell geht eben nur dumm! Außer bei den großen Meistern, für den sich aber ein neu ernannter Manager meist schon hält, ohne durch seine Fehler in der Folge demütiger zu werden. Denn er hat seine kleinen Patzer (wie beim Blitzschach) nicht mehr im Kopf. Er steht nun oft in einer „komplexen Situation“, wie er bei subjektiv empfundener Ohnmacht sagt, weil er vor einer Herausforderung steht, die er selbst erzeugt hat.

Wer ihn auf die Patzer in der Anfangsphase stupst, erntet Ärger: „Das ist ein nur kleiner Fehler, na und?“ Man nennt ihm einen zweiten. „Was soll das? Wollen Sie Ärger?“ Niemand versteht, dass die Komplexität sich oft aus vielen kleinen Fehlern speist, die eben die löchrige und hohe Mauer bei Tetris erzeugen. Der große Meister macht auch keine kleinen Fehler, besonders nicht in Eile.

Der Weise aber spielt das Leben nur auf nachhaltigem Level und verzichtet vorhaltig auf den Aufstieg nach dem Peter-Prinzip. Das Leben ist eben nicht wie Tetris, wo sich der Level automatisch nach oben schaltet. Wir haben die Wahl.

 

 

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

7 Kommentare

  1. Herr Dueck,
    spontan fällt mir Folgendes zu Ihren Ausführungen ein…
    Wäre Ihr Artikel ein Plot zu einem Film, so würde man dem Drehbuchautor respektive dem Regisseur vermutlich vorwerfen, daß er mit einer willkürlichen Handlung startet, um letztendlich, teils konstruiert-kryptisch, das Verhalten von Managern zu kritisieren. Der große (Ent-)Wurf zum Leben als solcher bleibt aus.
    Zum Mitdenken: Man kann Berufs-Politiker in entsprechenden Positionen als Manager des Volkes verstehen. Frage: Wie viele Minister(innen) in Deutschland waren/sind durch Sachwissen und Sacherfahrung qualifiziert?

    Plakativ formuliert: Das, was Sie reales Leben nennen oder sich als idealisiertes Wirken von Menschen in verantwortungsvollen Positionen vermutlich wünschen, hat mit der Wirklichkeit wenig bis nichts zu tun.

    Der Unterschied zu einer früheren Zeit, sagen wir einmal vor 50 Jahren, ist der, daß in der globalen Wirtschaftswelt des 21.Jahrhunderts der industrielle Fortschritt und die angewandten Innovationen Europas und speziell des Industriestandortes Deutschland sich kaum weiterentwickelt haben. Ganz im Gegenteil.

    Da fällt mir Friedrich Nietzsche ein: „Der Sozialismus — als die zu Ende gedachte Tyrannei der Geringsten und Dümmsten, der Oberflächlichen, der Neidischen und der Dreiviertels-Schauspieler — ist in der Tat die Schlussfolgerung der modernen Ideen und ihres latenten Anarchismus.“

    Wie katastrophal die Situation ist, verdeutlicht exemplarisch die Situation des Neuen Berliner Flughafens. Komplett unfähige politisch Verantwortliche verteilen seit Jahren Milliarden an Ihre „Freunde“. Der deutsche Bürger nimmt sowohl die Kostenexplosion als auch den Verlust der deutschen Integrität ohne nennenswerte Anteilnahme hin. Derweil verrotten Bildungseinrichtungen und die Bildung selbst „endet“ mit Schreib-, Lese- und Rechenunfähigkeit. Deutschland „sozialisiert“ sich zusehends zu Grunde.

    Kurios an der Gesamtsituation ist die Tatsache, daß das zentralistische, vormals sozialistisch-kommunistische China den Turbokapitalismus zeitgeschichtlich erst „vor kurzem“ entdeckt hat und nun perfektioniert.

    Privatwirtschaftliche Gegenspieler sind noch vereinzelt vorhanden, insbesondere Internetgiganten wie Amazon, wobei Alibaba perspektivisch die besseren Karten hat, ohne das hier explizit auszuführen.

    Um Ihrer Vortragsart gerecht zu werden, sei bemerkt, das alles was ich nicht geschrieben habe, Sie und die Leser sich ergänzend selbst denken können…
    Es existieren zahllose weitere (deutsche) Management-Desaster-Geschichten, die im Ergebnis den Durchschnittsdeutschen und Durchschnittseuropäer erst alt aussehen lassen (werden), bevor diese verarmt für die neuen »Herren aus dem Osten« schuften dürfen, wenn überhaupt…Den “Zug” gibt es schon, der fährt bis nach Duisburg (dort wurde ich geboren), doch der Zug ist bereits vor langer Zeit abgefahren…

  2. Beim Blitzschach machen sich frühere kleine Fehler langsam bemerkbar, die Position wird immer unhaltbarer – und dann folgt in arger Zeitnot oft noch ein riesengroßer Patzer – Game over.

    Ich glaube nicht, dass diese Beschreibung auf Blitzschach zutrifft. Blitzschach ist – bei schwächeren Spielern – von vornherein von groben Fehlern geprägt. Bei stärkeren Spielern auch, wobei hier blitzschachtypisch oft sehr taktisch geprägte Stellungen angestrebt werden; solche Stellungen provozieren Fehler.

    Das langsame Abgleiten in schlechtere Stellungen ist eher ein Phänomen des Schachs mit Standard-Bedenkzeiten.

  3. @Gerald Fix
    Sehe ich genauso. Die Analogie von Herrn Dueck zum Blitzschach passt überhaupt nicht.

    Es passt auch die Analogie zu Tetris nicht so wirklich. Hat man die oberen Reihen wieder abgebaut bekommen, lassen sich die unteren Reihen mit Lücke straflos entfernen, wenn ein passender Stein fällt. Hingegen kostet es bei Projekten fast immer einen Malus, begangene Fehler oder genommene Abkürzungen ausbügeln zu wollen.

  4. Ich glaube mit “dumm” haben solche Entscheidungen nichts zu tun. Wenn man etwas schnell entscheidet heißt das in vielen Fällen, dass man vor dem Fällen der Entscheidung nicht alle Möglichkeiten oder Pro und Contras durchdacht hat.

    Ein Manager, der eine schnelle Entscheidung fällt handelt hierbei nicht dumm, sondern durchaus wohlüberlegt, wobei er dabei aber weniger die zu entscheidende Sache als vielleicht seinen Posten und seine Beförderung im Auge hat. Das funktioniert auch oft gut, denn bei größeren Projekten ist der Manager, der damals die Entscheidung gefällt hat, längst ganz woanders in der Firma oder in einer andern Firma, wenn sich zeigt, dass die Entscheidung falsch war. Ich konnte das in “meiner” Firma in der Vergangenheit mehrfach beobachten, dass das funktioniert hat.

  5. Sehe das Tetris Gleichnis etwas Ambivalent, die löchrige Mauer ist ganz schön, aber eigentlich ist Tetris doch recht simpel und es kommt vor allem auf Übung, Übung und Übung an.
    Das betrifft zuerst die Strategie und dann vor allem deren schnelle und fingerfertige Umsetzung und wenn man da genug geübt hat, kann man dann auch gleich im höchsten Level beginnen, die anderen Level sind dann eh nicht mehr relevant und außerdem kann man das dann auch noch nebenbei beispielsweise beim Telefonieren machen zumindest so lange wie man nicht doch 2, 3, 4 Fehler reinbaut und sich dann entscheiden muss ob man das jetzt wieder abbaut oder noch etwas vom Telefonat mitbekommt und damit gleich Game over ist.

  6. Unter Zeitdruck die richtige Entscheidung zu treffen, das geht nur mit Erfahrung und mit allgemingültigen Grundsätzen.
    Beim Schach waren auch die Weltmeister im Blitzschach gut. Als Beispiel sei hier Capablanca genannt, der die Nacht vor einem Turnier oft durchgefeiert hat und ohne Vorbereitung trotzdem siegte.
    Statt Dummheit sollte man das Wort “Instinkt” verwenden.
    Ein Lehrer steht oft in solchen Situationen, wo er in 5 Sekunden sich entscheiden muss, welchem Schüler er glaubt, wenn die sich gegenseitig beschuldigen. Da hilft der Instinkt.

  7. Was Herr Dueck im letzten Absatz über den “Weisen” sagt, wirft doch einige Fragenauf. Müssen wir als Menschen und als Gesellschaft zwangsläufig in immer höhere Level aufsteigen, in denen ständig höhere Effizienz gefordert wird? Oder kann man sich auf einem Level dauerhaft behaupten, auf dem die Lebens- und Arbeitsbedingungen noch gesund (artgerecht, nachhaltig) sind?

    Ist die Spielregel, dass am Ende das reflexhafte und mechanische Handeln über das bedachte Handeln siegt, naturgegeben? Oder wurden die Regeln von Spielmachern (= Managern) propagiert, die Ihren persönlichen Stärken und Präferenzen einen Vorteil verschaffen wollten?

    Man sagt doch, wer gewinnen will, muss selber die Spielregeln setzen.