Prozessokratie ist die beste Staats- und Unternehmensform

Wenn die Frage gestellt wird, welche Staatsform die beste sei, wird immer wieder an Winston Churchills Rede erinnert, in der er sagte, dass die Demokratie zwar nicht perfekt sei, in Wirklichkeit sogar schlecht, aber immerhin nicht schlechter als alle anderen Regierungsformen, die man von Zeit zu Zeit ausprobiere.
Das kann im Zeitalter der Digitalisierung nicht so stehen bleiben. Die Welt insgesamt, vom Menschen einmal abgesehen, entwickelt sich weiter und beschert uns neue Optionen. Diese neuen Optionen verändern uns dann doch; oft oder meist gegen unseren eigenen Willen. Denn wir nehmen keine Optionen wahr, wir lassen es vielmehr geschehen, wie es geschieht.
Im Augenblick geschieht uns die Digitalisierung.
Die Demokratie, so erinnere ich, lebt ja bekanntlich von einem gemeinsamen Entscheiden der Menschen über das wohlständige Zusammenleben und die Zukunft aller. Diese ideale Vorstellung verflüchtigt sich schon seit langem in Meetings, Sitzungen und Ausschüssen, in denen nur noch über die besten Verfahren und Regeln gestritten wird. Das sind die Vorboten der Prozessokratie. Denn die Digitalisierung macht es nun möglich, das Leben der Menschen in computergesteuerte Prozesse zu pressen.
Die Legislative (das Parlament) gibt uns die Gesetze und Bestimmungen vor, in deren Rahmen die Exekutive agieren muss. Die Digitalisierung dagegen gibt die Prozesse vor, die einzuhalten und abzuarbeiten sind. Sie kommt damit im Prinzip fast ohne Exekutive aus, die heute als größter Schwachpunkt der Demokratie angesehen wird. Denn diese ist nicht aktiv genug. Prozesse hingegen erzwingen Aktionen, insbesondere die Partizipation alle Bürger, die die Exekutive (die Regierung) gar nicht erreicht.
Die Digitalisierung wird daher die Demokratie in eine Prozessokratie transformieren. Juristen und Verwaltungsexperten werden durch Prozessdesigner ersetzt. Gesetze und Bestimmungen weichen leicht verständlichen Computeranweisungen und Apps, wie es sie heute in allerdings noch seltenen Fällen schon gibt. Diese revolutionäre Wandlung ist in ihrer Bedeutung nur mit dem Entstehen der ersten europäischen Parlamente in der frühen Neuzeit vergleichbar.
Wir werden in einigen Jahre sagen können:
Die Prozessokratie ist sehr schlecht, aber am besten. Wir haben keine Wahl, aber wir liken.
Die großen Unternehmen haben sich heute schon von hierarchischen Strukturen zu Prozessokratien gewandelt. Das geschah fast unbemerkt. Viele Manager stöhnen, dass sie gegen die Prozesse kaum noch ankommen und im Grunde über den Grundgedanken, sie wären mit Macht ausgestattet, nur noch höhnisch lachen können. Die aufkommende Prozessokratie kastriert das Management, das nicht mehr gegen die Prozesse fruchtbar arbeiten kann. Die Prozesse selbst werden durch Prozessdesigner definiert, die sich hauptsächlich nach dem jeweiligen technologischen Stand der verfügbaren Standardsoftware richtet, dazu auch nach den profitabelsten Modeideen der großen Beratungshäuser. Hier liegt die Basis der Prozessokratie begraben.
Die Diskussion um beste Regierungsformen und Unternehmensorganisation geht natürlich weiter. Aus der idealistischen Ecke werden endlos Positivbeispiele aus wundervollen Start-ups und Kleinstaaten, aus kleinen mittelständischen Unternehmen oder frühen Neureligionen aufgezählt. Auch sie wollen bessere Staats- und Unternehmensformen kreieren. Agile Teams sollen es richten, Hierarchien abgebaut und Kleiderordnungen fallengelassen werden. Alle wollen mitbestimmen, der Mensch ist kein Untertan, sondern die wertgeschätzte Krone der Schöpfung. Alle diese Ideen kämpfen „im Kleinen“ gegen die tradierten Modelle der Machtverteilung und glauben, dass ihre Ideen dereinst „skalieren“, also im Großen segensreich funktionieren werden. Dieser idealistische Aktionismus macht blind gegen die schon weit fortschreitende Prozessokratie, die sich über Apps aller Art bestürzend schnell und daher kaum kritisch begleitet ausbreitet.
Dieser Prozess ist wohl schon irreversibel.
Die Prozessokratie ist zwar schlecht, aber sie schützt den Bürger immerhin vor der noch schlechteren Demokratie, in der man fast jeden beliebigen Neurotiker zum Staatschef machen kann, ohne dass die Prozessokratie wankt. Diese Möglichkeit nutzen die Bürger vieler Staaten schon ausgiebig, weil sie – ohne es selbst zu wissen – auf die Prozessokratie vertrauen. Die sich selbst so verstehenden Parteien streiten sich nur noch um so genannte „Themen“; dieser Streit dient dem ritualisierten Wiederwahlprozess der Wiederwahlpolitiker. Politische Wünsche sind faktisch längst nicht mehr Sache einer normalen Willensbildung, denn es kommt wesentlich darauf an, ob sich neue Ideen in die bestehenden Prozesse einfügen können, also darauf, ob es für revolutionär Neues schon Standardsoftware und einen Beraterhype gibt.
Die Prozessokratie agiert natürlich mit einem neuen Menschenbild, so wie auch die Einführung der Demokratien mit einem progressiven Verständnis des Menschen verbunden war. Wer ist der Mensch in der Prozessokratie, wer darf er sein?
Der Mensch der Zukunft muss passen.
Als reizvolles Kind mag er noch freier sein, aber dann? „Ich werde 18, 20, ich passe.“
Mit unserer Demokratie ist es nicht weit her. Dem deutschen Volk ist es nicht möglich per Volksabstimmung Gesetze zu schaffen, so wie es in Artikel 20 GG vorgesehen ist. Wie in der DDR darf alle vier Jahre ein Kreuzchen gemacht werden und damit war es das, mit der Demokratie.
Volksverarschung nenne ich dieses System. Dass viele Menschen glauben sie lebten in einer Demokratie, zeigt bloß wie gut die Verarschung funktioniert.
@hauptschueler: Weil die Klugen nicht mitmachen wollen, wundern sie sich, dass sie von Unklugen regiert werden.
Vielleicht muss man das menschliche Element sogar völlig ausschalten, damit man in sichereres, 🤫 ruhigeres Fahrwasser kommt.
Auch die Prozessdesigner wären dann durch künstliche Intelligenz gesteuerte Prozesse. Die Hintergrundwissenschaft könnte man „Social Computing“ nennen. Anfänglich wäre das noch ein von Menschen geleitetes und besuchtes Fachgebiet – aber von Beginn weg mit dem Ziel das menschliche Element auch dort irgendwann überflüssig zu machen. 🖥
Automatisierung und Prozessokratie könnte eine (falsche/richtige?) Lehre aus der Corona-Krise sein. Hier ein paar Gründe dafür:
1) Medizinisch waren die USA gut auf Covid-19 vorbereitet, nicht aber präsidentiell /parlamentarisch (Lehre: Präsidenten/ Parlamente sind Prozessen unterlegen)
2) Infrastruktur und Verteilung von Gütern muss auch kontaktlos (unter social Distancing -Bedingungen) funktionieren, sonst gibt es eine Katastrophe. Lehre daraus: Prozess-Gesteuert ist Mensch-Gesteuert überlegen, Amazon ist besser als der Quartierladen.
3) Wer vor Sars.Cov2 die richtigen Prozesse in Gang gesetzt hat (beispielsweise Taiwan oder Singapur mit seiner Tracking-App) hat unter Covid-19 besser abgeschnitten. Lehre: Vertrau nie auf Menschen sondern nur auf Prozesse.
Fazit: In processes we trust
PROZESSAUTOKRATIE
Ein Prozess kann als ein Verlauf, eine Entwicklung oder ganz allgemein als ein System von Bewegungen bezeichnet werden. Vergleichbare Begriffe sind auch „Hergang“, „Fortgang“, „Ablauf“ und „Vorgang“.
Als Autokratie wird in der Politikwissenschaft eine Herrschaftsform bezeichnet, in der eine Einzelperson oder Personengruppe unkontrolliert politische Macht ausübt und keinen verfassungsmäßigen Beschränkungen unterworfen ist: eine durch den alleinigen Machtträger aus eigener Vollkommenheit selbst legitimierte Herrschaft (Selbstherrschaft).
Quelle: Wikipedia
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@ Martin Holzherr
Das liegt u.a. daran, dass Gesundheit in den USA verfassungsmäßig eigentlich Sache der Staaten ist. Erst unter Obama hat der Bund mit einer ziemlich haarsträubenden Begründung Gesundheitskompetenz an sich gezogen. Wer sich dort heute für das Thema verantwortlich fühlt, kann man nur schwer sagen.
Der Leviathan [der Staat] hat abgedankt! Der Staat und seine Institutionen werden zunehmend durch Technologie ersetzt.
Die Prozessokratie, die oben von Gunter Dueck beschworen wird, ist jedenfalls heute eine Technokratie – aber nicht mehr im alten Stile wo Technokraten den Ton angaben, sondern als Netzwerk von grossenteils digital gesteuerten Prozessen, die jeweils neue Entwicklungen und Technologien wie jetzt das Infizierten-Tracking wie es in Singapur und bald schon bei uns gehandabt wird, in die bestehende feinmaschigen Netzwerke (das Netwerk der mit GPS versehenen Smartphones) integrieren. Gerade mit dem Lockdown sind wir nun auf diese digitale Vernetzung angewiesen wie noch nie und es zeigt sich, dass sogar der Staat nicht mehr über die alten Machtstränge und -symbole regieren kann, sondern dass auch er sich der digitalen Netzwerke bedienen muss, die nun die wirklichen Regenten unseres Lebens sind.