Bahnverspätungen sind nicht Pech, sondern Gier!

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Die Bahn bedauerte jüngst, ihr selbstgestecktes Ziel knapp verfehlt zu haben, nämlich achtzig Prozent der Züge im Fernverkehr pünktlich abfahren zu lassen.
Als Mathematiker stelle ich mir da einige Fragen: Welches Pünktlichkeitsziel ist denn ein gutes Ziel? Ich meine: Welches Pünktlichkeitsmaß ist denn ökonomisch oder aus Kundenseite optimal? Ist das bekannt? Die Kunden möchten natürlich hundert Prozent, klar. Die sind ökonomisch gesehen „zu teuer“ – und „Personen im Gleis“ gibt es ja auch immer einmal. Wenn aber Unpünklichkeiten überhandnehmen, muss der Betreiber ziemlich viel Katastrophenmanagement betreiben („heute auf Gleis 7, leider ist der ICE länger als dieser Ausnahmebahnsteig, laufen Sie deshalb bis zum Bistro im Zug vor und steigen Sie dort aus“), was dann die Verspätungen immer größer werden lässt („das Aussteigen über das Bistro hat uns sieben Minuten Mehrverspätung gebracht, jetzt verlangsamen wir auch den Verkehr der hinter uns fahrenden Züge“). Wir haben alle das Gefühl, dass das heutige tatsächliche Maß der Verspätungen ökonomisch absolut nicht optimal ist, also zu viel kostet, daher schlechtes Management oder schlichte Inkompetenz vermuten lässt. Achtzig Prozent? Die sind wohl aus der Luft gegriffen. Man hatte wohl schon einmal größere Verspätungen und setzt den nächsten Zehnersprung als Ziel. Fertig. Was aber ist ökonomisch am besten? Der Nahverkehr ist doch viel pünktlicher?!

Wann spricht man eigentlich von einer Verspätung? Die Bahn nennt „mehr als sechs Minuten“. Wenn also der Zug nur sechs Minuten Verspätung hat und ich den Anschluss verpasse, weil der verdammte Weiterfahrzug zufällig echt pünktlich ist, dann verliere ich eine Stunde meines Lebens, aber die Bahn zählt es unter „pünktlich“. Ist das in anderen Ländern auch so? Nein, die messen härter. In der Schweiz entschuldigt man sich schon bei zwei Minuten Verspätung, in Japan nach einer (!), aber sie entschuldigen sich trotz dieses härteren Maßstabs viel seltener. Wenn man Personal darauf anspricht, zucken sie die Achseln und verweisen auf sehr viel schmeichelhafter ausfallende Vergleiche mit chaotischen Verhältnissen „im Süden“.
Ich verstehe es nicht.
Wenn sich ein Zug von Klagenfurt so langsam über München bis nach Dortmund aufmacht, startet er doch (hoffentlich) in Klagenfurt pünktlich und hält an fast allen Stellen nur (!!!) zwei Minuten (schauen Sie im Zugbegleiter). Der Fahrplan ist darüber hinaus so eng getaktet, dass der Zug selten Verspätungen einholen kann – das ist beim ICE öfter einmal der Fall, bei den IC/EC nach empirischer Evidenz eigentlich nie. Wenn man aber die Verspätungen nicht aufholen kann, muss doch in den zwölf Stunden von Klagenfurt bis Dortmund jede Baustelle und jedes Zucken einer Weiche, jedes Warten auf „Passagiere verspäteter Züge“ oder eine Verzögerung beim Personalwechsel irgendwann einmal „zuschlagen“. Und ab dann vergrößert sich die Verspätung.

In der Schweiz halten die Züge ganz planmäßig oft vier oder mehr Minuten. Sie stehen regelmäßig für einige Zeit am Bahnsteig, sie fahren nicht gleich ab. Sie haben damit einen Zeitpuffer, der Verspätungen aufholen lässt. Warum ist das in Deutschland nicht so, zu einer Zeit, in der wegen der maroden Schienennetze zahlreiche Baustellen behindern müssen? Warum plant man nicht zehn Minuten Übergang im Fahrplan ein, wenn man doch noch mit der Sechs-Minuten-Pünktlichkeit nicht zurechtkommt? Dann fahren die Züge eben ein paar Minuten länger, für uns Kunden ist das besser. Aber die Bahn muss dann ein paar Minuten länger für die gleiche Beförderungsleistung arbeiten – das wollen sie wohl nicht? Gier! Kosten! Und dabei senken sie ja nicht die Kosten, weil sie das ökonomische Optimum gar nicht anstreben, vielleicht nicht einmal kennen.

Ich fühle mich als Geschädigter. Ich fahre sehr oft Bahn und ich muss als Redner ja unbedingt pünktlich sein. Ich muss absolute 100 Prozent liefern (ist auch noch nichts passiert, toi, toi, toi). Ich schätze, dass ich fünfzig Mal im Jahr meine 100-Prozent-Pünktlichkeit durch früheres Abfahren erkaufen muss. Ich verliere also locker eine ganze Arbeitswoche im Jahr, dazu kommt durchschnittlich noch eine halbe Erkältung. Alles nur, weil die Bahn mal an die Börse gehen sollte?
Ich kenne das Argument vieler Bahner: „Fahr doch Auto, da sind die Verspätungen viel schlimmer!“ Leute, ich bezahle aber für die Bahn und bekomme eine zugesicherte Dienstleistung. Wo ist die Verantwortung, mir die zu liefern? Darf sich ein Frisör damit brüsten, sich bei achtzig Prozent aller Haarschnitte nicht verschnitten zu haben oder die richtige Farbe beim Färben getroffen zu haben? Darf ein Barbier sich rühmen, dass bei weniger als zwanzig Prozent der Rasuren Blut floss? Was passiert, wenn ein Imbiss nur zu achtzig Prozent frischen Salat in die Hamburger legt?
War nicht mein Schwiegervater als Eisenbahner so inbrünstig stolz auf „pünktlich wie die Bahn“?

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

15 Kommentare

  1. In der Schweiz halten die Züge ganz planmäßig oft vier oder mehr Minuten. Sie stehen regelmäßig für einige Zeit am Bahnsteig, sie fahren nicht gleich ab. Sie haben damit einen Zeitpuffer, der Verspätungen aufholen lässt. Warum ist das in Deutschland nicht so, zu einer Zeit, in der wegen der maroden Schienennetze zahlreiche Baustellen behindern müssen?

    Es liegen wohl bei der DB und der SBB (die Schweiz ist gemeint) unterschiedliche “Verspätungs-Philosophien” vor, bzw. die Handhabung der grundsätzlich möglichen Verspätung von Zugreisen meinend. (Schneller geht’s oft nicht, Züge können sich dann sozusagen nur verspäten.)

    So richtig cool ist so etwas nämlich nicht :

    In der Schweiz halten die Züge ganz planmäßig oft vier oder mehr Minuten.

    …wenn dafür keine betriebliche Notwendigkeit gilt, sondern, wie im WebLog-Artikel angedeutet, eine “Verspätungs-Philosophie” gemeint ist.

    Hinweis und Tipp :
    -> https://www.bahn.de/p/view/service/buchung/anwendungen.shtml (auf ‘Umsteigezeit anpassen’ klicken!)

    Also vielleicht eine großzügigere Umsteigezeit (das Fachwort) einstellen, wenn Sie, lieber Herr Dueck, wieder mal eine längere Bahnreise mit wechselnden Zügen im Web buchen wollen.

    Das ist zwar konservativ gedacht, so eine Umsteigezeit von bspw. ca. 20 Minuten entspannt aber beim Reisen, wenn es wichtig ist pünktlich anzukommen, ungemein.
    (Zudem haben Sie so auch die Möglichkeit im Zug, wenn sich Verspätung andeutet, beim Zugbegleiter “richtig Terror zu machen”, so dass Anschluss-Züge womöglich extra auf Sie warten.)

    MFG
    Dr. Webbaer

    • Hallo, ich finde es seltsam, wenn der Kunde für den Dienstleister mitdenken soll. Ist vielleicht eine neue Art von Self-Service. Wie auch immer, so etwas leistet sich nur ein Monopolist. Pünktlichkeit ist ein Kostenfaktor, aber für den Monopolisten DB kein Gewinnfaktor, oder nur schwer messbar und quantitativ wenig ausschlaggebend, da kein Mitbewerber. Was sollen denn die Leute machen, wenn jeder fünfte Zug ausfällt.

      Ob die Japaner auch dem Kunden sagen, bitte selber Schuld, dass Sie den Anschluss verpassen. Fünf Minuten sind doch keine Verspätung.

      Nennen wie das Kind beim Namen. Die Deutschen sind ein heuchlerisches Volk, dass einen auf Umwelt macht, aber zum Hofladen lieber mit dem SUV fährt. Es besteht einfach kein politisches und gesellschaftliches Interesse an einem Wandel in der Mobilität. Damit meine ich: Weg vom Individualverkehr!!!

      VG,
      Hakan

  2. Wie sie wohl richtig vermuten gilt
    1) Verspätungen lassen sich aus Zugsfahrplan, Zugsgeschwindigkeitsreserven, Zugshaltezeit ziemlich genau vorausberechnen – nicht für den Einzelzug sondern für das Zugssystem eines Landes oder einer Region.
    2) Wieviel Verspätung akzeptiert wird hängt
    a) von der Landeskultur ab in Bezug auf Akzeptanz allgemeiner Verspätung
    b) von der Landeskultur ab in Bezug auf Erwartung an “alternative” Verkehrsmittel. In Deutschland als Autoland wird eine Zugsverspätung als weniger schlimm betrachtet als in Japan als Schienen- und Eisenbahnland Nummer 1.

    Voraussage für Deutschland und Europa: Die neue Mobilität, die autonom verkehrende Fahrzeuge mit sich bringen, wird den Schienenverkehr noch mehr marginalisieren als er es bereits ist. In Deutschland ist der Schienenverkehr bereits so schon marginalisiert, weil inzwischen Verspätungen zum Geschäftsmodell gehören und jede Verspätung dem Zugsnutzer mitteilt: Schaff dir doch ein Auto an oder benutze den Bus.

    • Die Zukunft der deutschen Bahn könnte in einem Netz von Hochgeschwindigkeitsstrecken (200 bis 300 km/h) zwischen den Grossstädten liegen. Der Rest der Fläche würde durch Busse erschlossen. Ein dermassen reduziertes und fokussiertes Bahnsystem wäre auch profitabler und es bestünde eine grössere Motivation pünktlich zu sein, denn die Pünktlichkeit würde dann über den Publikumserfolg entscheiden, da Hochgeschwindigkeiten nur dann etwas bringen, wenn der Verkehr (der Zugsverkehr natürlich nicht der Verkehr den Nina Hagen in ihrem Lied meinte (Ich hätt genug Verkehr, wenn ich ein Junge wär) pünktlich ist.

    • Diese ‘neue Mobilität’ kann natürlich nicht mit der Schiene entscheidend konkurrieren, vgl. bspw. mit :
      -> https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/TransportVerkehr/Personenverkehr/Tabellen/BefoerdertePersonen.html;jsessionid=89C89DC2E82C140656858ACE7F8FA7AF.cae4
      -> https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/TransportVerkehr/Gueterverkehr/Tabellen_/Eisenbahn.html

      Hohe Transportgeschwindigkeit muss auch nicht “der Kick” sein, Herr Holzherr.


      An sich haben Sie natürlich in einem Punkt deutlich recht: Japan ist besser, warum dies genau so ist und welche Gründe also vorliegen, darf bereits aus “politisch korrekten” Gründen nur kodiert zusammen erläutert werden.
      Was wohl noch knapp “politisch korrekt” geht, ist anzumerken, dass die BRD überreguliert.


      Ansonsten, Dr. Webbaer ist (war) ein erfahrener Fernreisender und das Management von Reise mit dem Ziel zumindest zu einem bestimmten Zeitpunkt am dafür vorgesehenen Ort anzukommen, ist eine Kunst für sich; eben zumindest: europäisch / asiatisch.

      MFG
      Dr. Webbaer

  3. Wenn die Bahnverantwortlichen keine Angst vor Kundenverlust haben, dann könnten Bahnverspätungen tatsächlich Teil des Bahn-Kalküls (und Ausdruck der Gier seiner Manager) sein.
    Keine Angst vor Kundenverlust muss die Bahn haben, wenn
    a) es keine Alternative zur Bahn gibt (für Strecken wo sowohl Flugzeug als auch Auto langsamer wären)
    b) die Bahnverantwortlichen Strecken abbauen wollen und darum froh sind, wenn sie Kunden vergraueln. Weniger Kunden auf Strecken, die sie ohnehin abbauen wollen, rechtfertigen dann den endgültigen Entscheid.

    • @ Herr Holzherr :

      Ökonomie bis Wesen des hier gemeinten Transportmittels ist sozusagen die Verspätung, die Physik (“Natur”) sieht diese sozusagen vor.

      Dies ist auch kein unallägliches Ereignis, setzen Sie sich in ein Cafe oder eine Bierbar – und Sie erfahren: Verspätung.

      Der Umgang mit Verspätung kann vom Kunden, von Endkunden >:-> , gelernt werden; womöglich wollte Herr Dr. Dick, äh, Duck, nein Dueck Geschäftsprozesse optimieren, er bleibt willkommen.

      MFG
      Dr. Webbaer

  4. Fahrplanoptimierung kontra Pünktlichkeit.
    Die Bahn ist mittlerweile in einen Zielkonflikt geraten und hat sich für die ökonomischere Lösung entschieden, die Verspätung.
    Der Bahnreisende wird dabei zweitrangig. Der Umbau des Stuttgarter Bahnhofs vom Sackbahnhof zum Durchgangsbahnhof spricht Bände. Bis jetzt kann man gemütlich einsteigen, auch schon vorher, wenn der Zug bereitsteht, beim Durchgangsbahnhof hat man nur 2 Minuten Zeit.
    Der Bahnreisende ist nicht mehr König Die Sitze in den IC’s sind auch nicht mehr so komfortabel wie in den alten D-Zug Wagen. Das ist eine Tatsache..

  5. Eigentlich handelt es sich nur um eine äußerst schiefe Wahrscheinlichkeitsverteilung. Kein Zug ist jemals zu früh abgefahren; alle Störungen führen stets nur zur Verspätung und nicht zur Verfrühung; und eingebaute Zeitpuffer sind dann, wenn man sie nicht braucht, ineffizient nicht nur für die Bahn, sondern auch für die Fahrgäste. Solange sich ungeplante Störungen vom Defekt bis zum Personenunfall nicht ausschließen lassen, wird es immer zu Verspätungen kommen.

  6. Türpe,
    wenn Sie eine längere Bahnreise machen, mit 3x Umsteigen, dann sind Sie froh, wenn die Umsteigezeiten nicht zu knapp bemessen sind. Die Bahnreisenden werden immer älter, und wenn sie dann treppauf- treppab rennen müssen, weil mal wieder der Aufzug defekt ist, dann geht hier Lebensqualität verloren.

    • Darum gilt es halt, wie oben angeregt, längere Umsteigezeiten bei der (Online-)Buchung einzustellen oder bei der pers. Buchung anzufordern.

      Das Wesen der Bahn und der Dienstleistung generell besteht nicht in der “Verfrühung” (Sven Türpe).


      Wobei es natürlich bemerkenswert bleibt, dass hier Japan deutlich besser ist.
      Allerdings, allerdings, wohl nicht auf konservativem Wege der Nutzung der Technik, wie bspw. ein Erdbeben vor einigen Jahren gezeigt hat.

      MFG
      Dr. Webbaer

      • Was für ein Unsinn. es gilt natürlich *nicht*, sich seine Umsteigezeiten einzustellen, sondern die Umsteigezeiten sind erst Mal einzuhalten vom Anbieter.

  7. Wow! Eine Verspätung von zwei Jahren und leider nimmer noch keine Antwort bzw. keine Lösung für das Problem. Ich stecke wirklich ganz tief…

  8. @Dr Webbaer: habe gerade noch einmal gesehen, dass Sie mir zu 20 Min Umsteigezeit raten. Ich fahre sehr oft: Und die ICEs fahren in 1 oder 2 Stundentakt. Es gibt also keine “20 Minuten”. Wenn mal was verpasst, ist es eine gleich eine ganze unentspannte Stunde oder auch mal zwei. Und dann ist dieser nächste Zug voll oder verkehrt nur als ein Zugteil etc. Ich schreibe doch nach ein paar hundert Dienstreisen keinen unerfahrenen Mist, oder?