Die großen Fragen: Könnten wir unsterblich sein – Auf dem Weg zur gezielten Krebstherapie

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Wissenschaft einfach erklärt
Von Menschen und Mäusen

Gerade werden auf den Scilogs die großen Fragen der Wissenschaft diskutiert. Eine davon: Könnten wir unsterblich sein? Unsterblich sein. Will ich das überhaupt? Nicht so richtig. Für mich lautet die Frage nicht “Wie alt wollen wir werden?”, sondern “Wie wollen wir alt werden”. Das Deutsche Krebsforschungszentrum analysierte, dass nach den Herzkreislauferkrankungen Krebs in Deutschland mittlerweile die zweithäufigste Todesursache darstellt. Wenn man berücksichtigt, dass die Sterblichkeit durch Erkrankungen des Herzkreislaufsystems in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen hat, werden Krebserkrankungen bei uns in absehbarer Zukunft zur Nummer 1 der Todesursachen aufsteigen. Auch mit Blick auf den demographischen Wandel, ist diese Entwicklung zu erwarten. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei Krebserkrankungen bei 69 Jahren. Je älter wir werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass unsere Zellen entarten und sich so Krebs entwickeln kann. Unsere Zellen sind täglich Umweltgiften ausgesetzt. Der Kater, den ich nach dem Genuss eines Glas Weins nebst Zigarette, im prallen Sonnenschein, mit Medikamenten vertreibe – über verschiedene Wege sorgen wir dafür, dass unsere Zellen permanenten Stress durch Umwelteinflüsse ausgesetzt sein. In vielen Fällen führt das direkt zu Schäden im Erbgut, der DNA. Doch auch durch ganz normale Stoffwechselvorgänge entstehen freie Radikale, die unsere DNA schädigen können. Und bei der Verfielfältigung der DNA, die bei jeder Zellteilung notwendig ist, werden immer mal wieder Fehler in unser Erbgut eingebaut. An einem einzigen Tag ist eine Zelle tausenden Angriffen ausgesetzt. Zum Glück besitzen unsere Zellen verschiedene Reparaturmechanismen, die diese Schäden sofort wieder beheben. Doch diese Reparaturen sind nicht immer hundertprozentig erfolgreich, immer mal wieder bleibt eine Veränderung im Erbgut bestehen, was wir dann als Mutation bezeichnen. Dabei ist es wichtig, an welcher Stelle in der DNA eine Mutation zu finden ist. Die meisten Mutationen werden keine negative Auswirkung haben, aber wenn ein Gen in der DNA betroffen ist, das dafür sorgt, dass ein für die Zelle wichtiges Protein gebildet wird, kann das dazu führen, dass diese Zelle nicht mehr richtig funktioniert. Die Zelle zieht an dieser Stelle selbst die Reißleine und geht in den programmierten Zelltod, die Apoptose. An diesem mehrstufigen Prozess sind verschiedene Proteine beteiligt, die das Überleben von Zellen auf der einen Seite und die Apopotose auf der anderen Seite beinflussen. Auf diesem Weg soll sicher gestellt werden, dass fehlerhafte Zellen frühzeitig eliminiert werden und sich nicht weiter vermehren.

 

Apoptotische Zelle der Mausleber Credit: By Laboratory of Experimental Pathology, Division of Intramural Research, NIEHS (NIH) [Public domain], via Wikimedia Commons

Krebszellen umgehen den Zelltod durch die Ausschaltung von BAX

Der programmierte Zelltod ist außerdem dafür da, dass sich Zellen nur in begrenzten Umfang vermehren. Krebszellen allerdings lassen sich davon nicht beeindrucken, sondern vermehren sich chronisch und wachsen in das umgebenden Gewebe ein. Es entsteht ein Tumor. Diese entarteten Zellen können z.B. dadurch entstehen, dass ein Gen, das für die Reparaturmechanismen der DNA verantwortlich ist, durch eine Mutation beschädigt wurde. So können sich schnell weitere Mutationen in die DNA integrieren. In den meisten Fällen lässt sich aber nicht die Eine Veränderung im Erbgut ausmachen, die letztendlich zur Entartung geführt hat. Unabhängig davon, wie es zur Entartung einer Zelle kommt, werden letztendlich alle Krebszellen durch ihr ungehemmtes Wachstum charakterisiert. Dabei können Signalwege ausgeschaltet sein, die den programmierten Zelltod initiieren oder aber auch Signalwege angeschaltet sein, die das Überleben der Zelle sichern. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Protein BAX. In gesunden Zellen befindet sich BAX im Cytosol, es schwimmt also einfach in der Zelle herum. Die genauen Vorgänge sind noch nicht verstanden, aber wenn die Zelle beginnt in Richtung Apoptose zu gehen, verändert sich BAX und bildet eine Pore in der Wand der Mitochondrien, der Kraftwerke der Zellen. Das dort enthaltene Cytochrom c, entweicht dann aus den Mitochondrien, wodurch der programmierte Zelltod eingeleitet wird. In vielen Krebszellen wird dieser zentrale Mechanismus ausgeschaltet. Das geht entweder über eine verringerte Produktion von BAX, oder über eine Behinderung der Funktion von BAX. In der Tat besitzt BAX einen natürlichen Gegenspieler – BCL-2 -, das durch Bindung an BAX dessen Funktion behindert. In normalen Zellen wird so das Gleichgewicht zwischen Überleben und Tod einer Zelle gehalten. Krebszellen nutzen das und entgehen durch die erhöhte Ausschüttung von BCL-2 ihrem Tod. Wenn man also dafür sorgen könnte, dass BCL-2 nicht mehr seine volle Wirkung entfalten kann, könnten Krebszellen wieder in den programmierten Zelltod gehen. Dafür ist es wichtig gemaus zu verstehen, was da eigentlich passiert. Proteine bestehen aus Aminosäuren, die in langen Ketten aneinander gereiht sind. Durch Interaktion der einzelnen Aminosäuren miteinander, z.B. durch deren unterschiedliche Größe und physikalischen Eigenschaften, faltet sich diese Kette in eine ganz bestimmte dreidimensionale Form, das eigentliche Protein. Ihre Funktion vermitteln Proteine über ihr sogenanntes aktives Zentrum. Das ist ein spezifischer Bereich innerhalb des gefalteten Proteins, das mit anderen zellulären Komponenten interagiert. Das können andere Proteine, aber z.B. auch die DNA sein. Zu wissen, wie ein Protein gefaltet ist, ist also maßgeblich um zu verstehen wie ein Protein funktioniert. Das herauszufinden ist gar nicht so einfach. Einen ersten Anhaltspunkt bildet dabei die Aminosäurekette. Durch Simulationen lässt sich so eine zu erwartende Struktur berechnen. Um eine genaue Struktur des Proteins zu erhalten, sind allerdings komplizierte Verfahren notwendig. Hierfür müssen zunächst reine Kristalle der Proteine gezüchtet werden. Die Kristalle werden dann mit Röntgenstrahlen beschossen. Durch die Art und Weise, wie die Kristalle die Strahlung beugen und streuen, können dann Rückschlüsse auf die Kristallstruktur geschlossen werden. Erst 2008 konnte die Kristallstruktur von BAX geklärt werden. Durch gezielte Veränderung der Proteinstruktur konnten die Wissenschaftler vom Albert Einstein College of Medicine außerdem zeigen, welche Aminosäuren im Protein für die Funktion von BAX essentiell sind. Diese Arbeiten bildeten die Grundlage für die Entwicklung von Aktivatoren des BAX-Proteins auf der Suche nach einer gezielten Krebstherapie. Die Idee dahinter: indem die Funktion von BAX in Krebszellen wieder hergestellt wird, können diese wieder in den programmierten Zelltod eintreten.

 

Molekülstruktur von BAX und die Bindung von BTSA1. Credit: Albert Einstein College of Medicine

Gezielte Krebstherapie durch die Aktivierung von BAX

Dieselben Wissenschaftler legen knapp 10 Jahre später eine weitere Veröffentlichung nach, in der sie beschreiben, wie sie einen spezifischen Aktivator von BAX gefunden haben. Mit dem Wissen um die Beschaffenheit des aktiven Zentrums von BAX wurden per Computeranalyse Millionen von verschiedene Molekülen auf ihren vorhergesagten Einfluss auf die Aktivität von BAX überprüft. Im Labor wurden dann immerhin noch stolze 500 Komponenten direkt an verschiedenen Krebszelllinien untersucht. Viele davon wurden durch die Wissenschaftler um Evripidis Gavathiotis neu entwickelt. Schließlich konnte ein Molekül – BTSA1, was für BAX trigger site activator 1 steht – identifiziert werden, das schnell und in hohem Ausmaß den Zelltod in den untersuchten Krebszellen auslöste. BTSA1 bindet dabei sehr stark an das aktive Zentrum von BAX, und verdrängt so den Antagonisten BCL-2. Dadurch wird der Zelltod wieder ermöglicht. Der Fokus der Studie lag dabei auf Krebszellen der aktuen lymphatischen Leukämie, der AML. Die AML ist eine aggresive Form der Leukämie und hat gerade mit zunehmenden Alter einen negativen Verlauf. Die Ergebnisse sind aber prinzipiell auch auf andere Krebsarten übertragbar. Besonders interessant ist an der Studie, dass auch noch ins Tiermodell gegangen wurde. Dazu wurden Mäusen humane AML-Zellen transplantiert und die Mäuse anschließend mit BTSA1 behandelt. Die so behandelten Mäuse lebten deutlich länger als ihre unbehandelten AML-Kollegen und zeigten keinen Symptome der AML. Wichtiger ist aber, dass die Behandlung mit BTSA1 keinen negativen Effekt auf die Mäuse hatte, sondern tatsächlich ausschließlich die AML-Zellen durch die BTSA1-Behandlung betroffen waren. Das umgebende gesunde Gewebe wird also nicht beeinträchtigt. Die Hoffnung ist groß, auf dieser Grundlage tatsächlich eine gezielte Krebstherapie entwickeln zu können. Wer weiß, vielleicht ist dies ein weiterer Schritt auf der Suche nach dem unsterblichen Leben.

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Claudia Davenport hat in Potsdam und Hannover Biochemie studiert und promoviert mittlerweile über Insulin-produziernende Surrogatzellen aus embryonalen Stammzellen zur Behandlung des Diabetes Typ 1. Wenn sie gerade mal nicht im Labor am Durchbruch arbeitet, der die Welt verändern wird, ist sie gerne im Grünen, radelt durch die Gegend oder geht Kaffee trinken.

3 Kommentare

  1. BAX sorgt also dafür, dass Zellen sterben, die sterben sollen indem es auf “Todessignale” hin die Mitochondrienmembrankanäle der Todeskandidaten öffnet, womit sie den energetischen Tod der Zelle einleitet.
    Krebszellen entgehen dem Tod indem sie BAX behindern (vermindern oder funktionell einschränken).
    Mein Eindruck: Wäre natürlich schön, wenn man mit BAX-Aktivatoren alle Krebsarten heilen könnte. Doch das wird wohl nur in einem Teil der Fälle helfen, denn es gibt viele Mechanismen mit denen Krebszellen ihre Vermehrung sichern. Bei der Immunkrebstherapie, die gerade aktuell ist, beobachtet man sogar, dass durch den Immunangriff auf die Krebszellen diejenigen Krebszellen Überhand gewinnen, die gegen den Immunangriff gefeit sind und solche Zellen gibt es häufig, weil Krebsgewebe aus Zellen unterschiedlicher Genetik bestehen kann. Krebs scheint so erfindungsreich zu sein, wie das Leben selbst.

    • Ich kann mir auch schwer vorstellen, dass es DIE EINE Lösung geben wird. Aber wenn man in viele verschiedene Richtungen denkt, erhöht man die Chance, dass am Ende was sinnvolles bei rumkommt auf jeden Fall.

  2. Der Artikel Suicide molecules kill any cancer cell zeigt einen weitern Weg zur ultimativen Krebstherapie: Man kann mit bestimmten kleinen RNA-Molekülen einen Mechanismus anstossen, der in der Selbstvernichtung der Zielzelle endet.Es scheint sich um einen uralten Mechanismus zur Ausschaltung mehrer lebenswichtiger Gene zu handeln, der nach Vermutung des Autors (im Artikel Peter genannt) bereits vor der Ausbildung eines modernen Immunsystems in allen multizellulären Organismen vorhanden war zum Zweck der Abtötung von Krebszellen. Zitat (übersetzt mit DeepL, unverändert übernommen):

    Die kleinen RNA-Attentäter-Moleküle lösen einen Mechanismus aus, den Peter als DISE bezeichnet, für Death Induced by Survival gene Elimination. Die Aktivierung von DISE bei Organismen mit Krebserkrankungen könnte die Eliminierung von Krebszellen ermöglichen. Peters Gruppe hat Beweise dafür, dass diese Form des Zelltods bevorzugt Krebszellen mit geringer Wirkung auf normale Zellen betrifft.

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