Öffentlichkeitsarbeit als Pflicht für Wissenschaftler

BLOG: Vergangenheitsstaub

Die Zukunft hat schon begonnen
Vergangenheitsstaub

Dieser Artikel wird kein geschichtswissenschaftlicher sein, aber es brennt mir unter den Fingern, auch wenn dieses Thema hier auf Scilogs Eulen nach Athen tragen bedeutet. In letzter Zeit bin ich vermehrt auf ein Thema gestoßen, daß mich schon lange beschäftigt: Öffentlichkeitsarbeit von Wissenschaftlern im Social Web. Sollten oder müssen sogar Wissenschaftler durch Nutzung des Social Web (Bloggen, Wiki, Twitter, Facebook) ihre Forschungen der Gesellschaft als Öffentlichkeit, die sie in nicht unerheblichen Maße finanziert, erklären? Ist Öffentlichkeitsarbeit eine Pflicht für Wissenschaftler?

Meine Position dazu ist recht klar, nicht nur weil ich seit mehr als drei Jahren sehr positive Erfahrungen mit dem Social Web gemacht habe. Ich halte es als eine Pflicht, daß Wissenschaftler analog und digital, bei jeder passenden Gelegenheit ihre Arbeit, ihre Forschung erklären sollten. Wissenschaft ist ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, erst recht, wenn nicht nur die Politik das Schlagwort der Wissenschaftsgesellschaft bemüht. Unsere Forschungen beziehen sich auf Fragen, die die Gesellschaft hat. Wir haben in der ganzen Wissenschaftsgeschichte noch nie autark von der Gesellschaft geforscht. Daher ist es zwingend notwendig, dieses für beide Seiten lebenswichtige Band von Gesellschaft und Wissenschaft zu stärken. Social Web ist eine Möglichkeit dafür, die in den letzten Jahren durch die intensivere Nutzung des Internets zur Informationsbeschaffung vermehrt an Gewicht gewonnen hat.

In ähnlicher Weise sieht es Florian Freistetter in einem aktuellen Beitrag in seinem Blog Astrodicticum Simplex, wobei er in seinem Artikel der Frage nachgeht, ob Öffentlichkeitsarbeit der wissenschaftlichen Karriere schadet. Im Grunde sind sich alle Kommentatoren einig: Öffentlichkeitsarbeit für Wissenschaftler ist gut, jedoch wird sie in den aktuellen Strukturen wissenschaftlicher Karriere nicht in der Form gewürdigt, wie es notwendig wäre. Ähnlich sind auch meine Erfahrungen: nach dem erfolgreichen Abschluß meines Studiums und beginnender Promotion stieß ich schnell auf Grenzen im universitären Bereich, die letztlich dazu führten, daß ich nicht die wissenschaftliche Karriere mache (die Ursachen hängen auch mit anderen Faktoren wie unsichere Stellensituation und schlechte Bezahlung zusammen). Nun arbeite ich in einem angrenzenden Bereich (Verlagswesen) und fröne nicht nur hier im Blog Vergangenheitsstaub meiner großen Leidenschaft Geschichte. Das Agieren im Social Web habe ich in den letzten Jahren als meine persönliche Freiheit empfunden, genau meine obige Position auszuprobieren (z. B. in der Mitgründung einer Open-Access Fachzeitschrift in der Geschichtswissenschaft). Gleichzeitig bin ich durch meine Promotion, verschiedene Fachartikel und Rezensionen in der Wissenschaft verankert. 

Ja, das Social Web bietet uns Wissenschaftlern zahlreiche Möglichkeiten der Legitimation unserer Forschung in der Gesellschaft. Zugleich ermöglicht es viele Gelegenheiten, auf den “Laien” zu treffen und in ein Gespräch mit ihm zu kommen. Hier zeigt es sich, daß es oft viel schwieriger ist, einem Laien seine Forschung verständlich zu erklären als mit Fachkollegen zu diskutieren. Oft erhält man durch Kommentare, Reaktionen und Antworten im Gespräch mit Laien wichtige Anregungen und Impulse für die eigene Forschungsarbeit, die helfen, einem aus einer Gedankensackgasse zu befreien. Es ist ein wichtiges Sortieren der eigenen Gedanken durch den Zwang, klar und verständlich zu formulieren. Genau diese Erfahrungen werden wohl meine Mitblogger hier auf Scilogs teilen. Als dritter Punkt kommt noch die Frage nach der Einwerbung von Drittmitteln hinzu, die vor allem Wissenschaftsbereiche trifft, die nicht von der freien Wirtschaft gefördert werden. Schaut man sich die Politik der DFG hinsichtlich Open Access an (dessen Grundgedanke sich dem des Publizierens im Social Web ähnelt), so kristallisiert sich die Richtung, in die es in Zukunft gehen wird, deutlich heraus.

Natürlich sind die Gegenargumente für ein Engagement von Wissenschaftlern im Social Web bekannt: mangelnde Zeit (obwohl dies eher eine Frage der Plattformwahl und der Intensität ihrer Nutzung ist, einmal im Monat zu bloggen ist m. M. n. schon möglich), die Frage der Gewichtigkeit Fachartikel vs. Bloggen, die Auswahl der eigenen Publikationen bei der Planung der wissenschaftlichen Karriere etc.

Bricht man all diese Argumente auf ihren gemeinsamen Nenner herab, so zeigt es sich, daß die Wissenschaft(skommunikation) sich derzeit in einem Umbruch befindet – verbunden mit einer Generationenfrage. Nun stelle ich mir die Frage, wie dieses Problem zu lösen ist ohne traditionelle und neue, moderne Kommunikationsformen gegenseitig auszuspielen. Eine Möglichkeit besteht in der Integration von Social Web Kommunikation in die Propädeutik, in die Ausbildung der Nachwuchswissenschaftler. Eine intensive Zusammenarbeit mit den Universitätsbibliotheken bietet sich hier besonders an, denn Bibliothekare sind per se Experten der Informationswissenschaft.

Welche anderen Möglichkeiten fallen Ihnen ein, die sich realistisch umsetzen lassen? Was muß Ihrer Meinung nach sich ändern, damit mehr Wissenschaftler sich dem Social Web öffnen bzw. Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten betreiben? Ist Öffentlichkeitsarbeit eine Pflichtaufgabe für Wissenschaftler?

Auswahl interessanter Links zum Thema:

Veröffentlicht von

digiwis.de/

Wenke Bönisch, 1981 in Dresden geboren, studierte Mittlere und Neuer Geschichte sowie Kunstgeschichte an der Universität Leipzig. Die Frühe Neuzeit, vor allem die Reformations- und Bildungsgeschichte, ist ihr historisches Steckenpferd. Zur Zeit promoviert sie an ihrer Hochschule über die Bildungslandschaft Mitteldeutschlands und arbeitet freiberuflich im Verlagswesen. Im Netz findet man sie auch unter den Namen „Digiwis“. Webseite: http://digiwis.de/ Blog: http://digiwis.de/blog/ Twitter: http://twitter.com/digiwis Facebook: http://www.facebook.com/Digiwis Google+: https://plus.google.com/109566937113021898689/posts

8 Kommentare

  1. Super-Beitrag!

    Vielen Dank für den Post und den Hinweis auf das spannende Thema. Ich habe mir ein paar der Links angeschaut und plane nun auch einen Blogbeitrag dazu zu schreiben (und hierher rückzuverlinken, klar).

  2. Kür ist besser als Pflicht

    Nicht jeder gute Wissenschaftler ist ein guter Kommunikator. Und abgesehen davon braucht Kommunikation eben doch Zeit – vor allem wenn sie eine ganz andere Ebene erreichen soll als die auf der die wissenschaftlichen Erkenntnisse zustande kamen.

    Selbst wenn die Öffentlichkeit Interesse an einem Gegenstand zeigt , kann es lästig werden sich mit all den falschen Auffassungen, die kursieren, auseinanderzusetzen. Man denke nur an die Relativitätstheorie. Was da alles hineininterpretiert wurde, allein schon in das Wort “relativ”. Sich mit all den falschen Interpretationen zu beschäftigen kann jedem ernsthaften Wissenschaftler auf den Keks gehen – nicht nur Albert Einstein dazumals.

  3. @Martin Holzherr

    Ob ein Wissenschaftler ein guter Kommunikator ist, ist die gleiche Diskussion wie die Frage nach der Qualität von Lehre bei den verschiedenen Wissenschaftlern. Im Einzelfall kann man sich darüber trefflich streiten, weil es immer Unterschiede zwischen den verschiedenen Personen geben wird. Das ist hier auch nicht der wesentliche Kernpunkt, sondern generell die Aufforderung an die Wissenschaftler, sich mehr der allgemeinen Öffentlichkeit auf verschiedenen Wegen zu öffnen.
    Natürlich kostet jede Öffentlichkeitsarbeit Zeit (und sei es 20 min. bloggen z. B.). Dennoch ist der Mehrwert sehr wohl präsent, wie im Artikel angeführt.
    Zum 2. Punkt: blöde Kommentare gibt es immer, aber auch das sind Einzelfälle. Gerade an solchen Punkten sollte man klar und verständlich seine Forschung diskutieren. Der Rest ist eine Frage der Gesprächs- und Diskussionführung. Nicht jede Antwort auf seine Forschung muß bis ins letzte ausdiskutiert werden (letztlich ergeht es allen Bloggern mit Trollen in ähnlicher Weise). Ich finde es schade, wenn aufgrund einzelner Fälle komplett auf die Kommunikation mit der Öffentlichkeit verzichtet wird und man sich nur noch auf die Kommunikation mit den eigenen Fachkollegen beschränkt.

    @Michael Blume: ich freue mich und bin auf Ihren Beitrag gespannt.

  4. Ich glaube, ich stimme dem Post von Martin Holzerr zu. Ich bin kein Forscher, sondern nur interessiert in manchen Bereiche der Forschung und deshalb würde sehr profitieren, wenn die Forscher einfacher und häufiger auf Social Platforms in die Öffentlichkeit mitteilen würden. Stimmt aber schon, daß man viele Zeit dafür braucht und es kann nicht von Wissenschaftler verlangt, daß sie diese Zeit in die Kommunikation investieren.

  5. Man muß “die Öffentlichkeit” nicht für blöder halten als sie ist. Natürlich versteht nicht jeder die Inhalte der Wissenschaft und andere trollen gerne. Aber das sind nur Ausnahmen. Die Ausnahmen gibt es unter Wissenschaftlern auch. Welche, beispielsweise mit halbgaren Erkenntnissen das Menschsein erklären wollen. Aber die Ausnahmen muß man nicht zur Regel machen.

    Wissenschaft kann auch eingänglich erklärt werden. Schließlich ist das ja kein Hexenwerk, sondern in erster Linie harte Arbeit. Und diejenigen, die sich dafür interessieren, die strengen sich auch an, um es zu verstehen. Das sollte nicht unterschätzt werden.

  6. Kommunikation nebenher?

    Grundsätzlich haben Sie vollkommen recht: Kommunikation ist so wichtig für die Wissenschaft wie nie, in allen Medien, in allen Formen. Deshalb sollten Wissenschaftler – aller Disziplinen – offen dafür sein, sich dafür interessieren, es selbst tun und für so wichtig halten, dass sie Geld und Manpower dafür einsetzen.
    Aber Kommunikation ist schwierig. Jeder merkt das im persönlichen Umgang, wenn er einem Freund oder Partner eine komplexe Entscheidung erklären will. Noch viel komplexer wird es bei der Öffentlichkeitsarbeit: die Fülle der Medien, die unterschiedlichen Zielgruppen, die richtige Botschaft, und … und … und.
    Wer Kommunikation richtig machen will – und das ist angesichts des herrschenden Wettbewerbs um Aufmerksamkeit notwendig, schafft das nicht ohne vernünftige Ausbildung und viel Erfahrung. Normalerweise jedenfalls nicht, ohne die wissenschaftliche Arbeit zu vernachlässigen. Das haben Unternehmensbosse, Sportler, Kulturschaffende und Politiker längst eingesehen. Sie halten sich dafür Kommunikationsprofis.
    Dahin muss auch Wissenschaft kommen, leider gibt es davon viel zu wenige. Höchste Zeit, dass sich die Wissenschaft darum kümmert, ihre eigenen Kommunikationsprofis heranzuziehen, Ausbildungsmöglichkeiten und Karrierewege zu schaffen. Und vor allem Abschied von dem Glauben zu nehmen, ein Wissenschaftler müsse alles selbst machen. Engagement für Kommunikation ist gut, es ist aber nur ein Teil des Problems Wissenschftskommunikation.

  7. Was im Netz steht, gilt nichts

    Sie stecken meines Erachtens zu locker Öffentlichkeitsarbeit und Internetkommunikation unter einen Hut. Sehr viele Wissenschaftler machen Öffentlichkeitsarbeit: Sie halten Vorträge vor Laien, schreiben in Organen der „intellektuellen Öffentlichkeit”, in Zeitschriften von historischen oder Naturfreunde-Vereinen usw., viele schreiben auch populäre Bücher. Aber im Internet tun das nur sehr, sehr, wenige.

    Das ist sicher zum großen Teil eine Generationsfrage. Junge Wissenschaftler – die ja die weit überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler sind – sind unter denen, die Öffentlichkeitsarbeit machen, sei es auf traditionelle Weise, sei es im Internet, kaum vertreten, die haben anderes zu tun, und es ist nicht zu sehen, wie sich daran etwas ändern sollte. Und die älteren sind mit dem Medium meist wenig vertraut. Aber das ändert sich mit der Zeit.

    Wichtiger scheint mir folgendes: Was im Internet steht, gilt nichts. Es ist irgendwie paradox: Bücher und im Netz unzugängliche Zeitschriftenartikel werden aus Bequemlichkeitsgründen immer weniger gelesen, aber was im Netz steht, gilt eben nichts. Ein Gedanke in einem Zeitschriftenaufsatz oder Buchbeitrag, den 20 Leute lesen, ist meiner für alle Zeiten, mit dem habe ich mich verewigt. Derselbe Gedanke in einem Blogkommentar und selbst in einem „Post“ ist weg, auch wenn ihn viel mehr Leute lesen. Ein Buch, auch ein populäres, mit einer Auflage von 150 ist im Leben eines Wissenschaftler ein Ereignis, man bekommt Glückwünsche. Derselbe Text ins Netz gestellt aber ist kein Ereignis, egal wie viele ihn lesen.

    Es ist mit dem Publizieren im Netz wie mit Zeitungsartikeln und Leserbriefen. Das zählt nicht zur „Literatur“. Ob sich das ändert? Es kommt dabei nicht darauf an, was Auswahlkommissionen als würdig für Publikationslisten akzeptieren, sondern was kulturell akzeptiert wird. Da läßt sich wenig mit Absicht bewirken.

  8. Ich halte das alles für extrem unrealistisch was in diesem Artikel gefordert wird. Welcher Wissenschaftler schreibt alle 1 – 2 Wochen was er zu Zeit im Labor tut/welchen Artikel er schreibt oder welche Ideen er hat. Warum sollte ich meiner Konkurrenz bevor ich publiziert habe meine Ideen auf den Tisch legen, die dann im schlimmsten Falle übernommen werden? Warum sollte jemand der locker eine 60 bis 80 Stundenwoche hat sich ausgerechnet dafür noch die Zeit nehmen, was ihm selber wirklich nichts bringt sondern sogar noch schaden kann? Meine Form von Öffentlichkeitsarbeit sind eben Publikationen (Peer review Artikel) und Poster und Talks auf Konferenzen. Das ich jetzt noch Nachts mich hinsetzte und nachdem ich nen 12 bis 16 Stundentag hatte noch verständliche Texte für die Allgemeinheit verfasse ist doch etwas skurril.

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