Warum Deutschland?

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

»Deutschland? Aber wo liegt es?«

Viele würden diese Frage, dieser schillersche Vers in dessen historischem Kontext verstehen wollen, doch mir erscheint sie auch und gerade heute genauso aktuell wie damals.

»Deutschland«: Was verbirgt sich in diesem Wort, in dieser Reihe von Buchstaben? Es stellt sich zunächst die Frage, warum ein Jude und Israeli sich mit dieser Frage beschäftigen soll. Aber ist es wirklich unverständlich? Gerade deswegen, weil ich das bin, was ich bin; weil mein Schicksal so stark betroffen ist von dem, was sich hinter diesem Wort, hinter »Deutschland« versteckt, bin ich verdammt, mich unaufhörlich damit auseinander zu setzen. Ich bin nicht der Einzige: Auch wenn die »Germanologie« zu meiner Studienzeit an der Hebräischen Universität zu Jerusalem ein richtiges Exotikum war (mit 3 bis 5 Studenten in einem Seminar), ist das Fach in den letzten Jahren, wie mir scheint, doch wesentlich beliebter geworden (was wiederum andere Fragen nach der israelischen Identität und dem Verhältnis zu Deutschland aufwirft, die allerdings nicht hier, sondern hoffentlich in einem künftigen Text erörtert werden könnten). Es ist heutzutage mithin eine kleine Renaissance zu beobachten, es entwickeln sich neue Interessengebiete, neue Forschungen und Fragestellungen von jüdischer und insbesondere jüdisch-israelischer Seite, die ihren Blick verstärkt auf das Deutsche richtet.

Für mich stellt sich die Frage nach dem Deutschen als eine ästhetische Frage. Wie das Jüdische, mit dem ich ja aufgewachsen bin, ist auch das Deutsche, dessen Intimitäten ich mir zu Eigen machen musste, vielschichtig und pluralistisch, reichhaltig wie eine eigene Welt – gewissermaßen wie die jüdische Welt eben. Doch gerade in Deutschland bekomme ich den Eindruck, dass dies nicht mehr wahrgenommen wird, dass eine Verflachung des Deutschen stattfindet. Mit anderen Worten: »Mein« Deutschland habe ich gerade in Deutschland kaum finden können.

Diese Diskrepanz hat mich dazu gebracht, das Deutsche zu hinterfragen, d. h. dessen gängige, heutzutage fast überall propagierte Konventionen bis hin zu zivilreligiösen Glaubensbekenntnisse anzuzweifeln. So begann ich mich mit der Philosophie des Deutschen – oder vielleicht die »Deutschlandphilosophie« – zu befassen und diese auf einem persönlichen, subjektiven Weg zu ergründen. Wenn ich also von der Ästhetik dieser Frage spreche, meine ich nicht den einen oder anderen Aspekt, sondern das Deutsche an sich. Es geht also um Deutschland schlechthin: »Wer will was Lebendiges erkennen und beschreiben, sucht erst den Geist herauszutreiben, dann hat er die Teile in seiner Hand, fehlt, leider, nur das geistige Band.« In meinen Augen beschreiben die Worte Goethes genau die Problematik, die ich meine.

Begonnen hat diese Beziehung zu Deutschland noch vor meiner Geburt. Meine Familie stammt aus Osteuropa (Galizien und Bessarabien). Meinem Leben verdanke ich dem Überleben der Wenigen. Mein Vater, der 1943 geboren und erst mit sieben Jahren ein erstes, echtes Zuhause hatte, versuchte mir bereits in der Kindheit so viel beizubringen wie er vermochte. »Deutschland« war bei uns immer präsent. Später, als Erwachsener schon, habe ich mich entschlossen, Deutsch zu lernen. Damals erschien es mir selbstverständlich, doch im Rückblick glaube ich, dass es mir darum ging, mich selbst zu verstehen. So bin ich später mehrmals nach Deutschland gereist und habe mich hier schließlich auch niedergelassen, um mich selbst zu finden.

Diese Reise nach Deutschland, ins Deutsche hinein, war und ist notwendigerweise auch eine Reise in mich hinein. Denn es geht gleichzeitig auch darum, mich selbst als Jude zu finden. Hierzu bedarf man eines Anderen, braucht ein Spiegelbild. Das Spiegelbild meines Judentums habe ich immer wieder im Deutschen gefunden.

Mir ist klar, dass ich mit diesem Ansatz gegen den Zeitgeist schreibe. Aber ist nicht gerade das die Aufgabe der Intellektuellen?


In eigener Sache: Jewish Heritage Tours in Berlin


Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

35 Kommentare

  1. Pünktlich viel Arbeiten, Fußball, Bier, Urlaub auf Malle sind typisch deutsch, aber ich nehme an, dass ist nicht das, was Sie suchen. Das dürfte eher der Bereich der Kammermusik sein. Also starke Emotionen ohne Sprache. Musik ist auch unverfänglicher als Text. Auch Chor oder Orchestermusik, geistliche Musik, das würde ich als den Ort sehen, den Sie wohl suchen. Bildungsbürgertum. Mein Eindruck, die klassische Musik wird viel mehr genutzt, als die mühsame Literatur.
    .

    Mich persönlich interessieren momentan die “antisemitischen Verschwörungstheorien”, wobei man Deutschland da vergessen kann, aber im Ausland, USA oder Frankreich etc, das ist echt interessant. Die Juden sind da auffallend sprachlos, obwohl sie ja als Volk des Buchs/Wortes bekannt sind. Mir fehlt an dieser Stelle eine jüdische Antwort. Man muss ja nicht auf jeden einzelnen Eintrag eingehen, aber es müsste sich doch jemand finden, der diese Punkte einmal abarbeitet.

  2. WArum verbrüdert der ZdJ sich mit den Moslems? Das ist die interessanteste Frage. Vorbild ist Spanien. Juden durften dort siedeln, das ist den Christen alsbald schlecht bekommen. Juden haben mit den Moslems kollaboriert, Ergebnis war eine lange Schreckensherrschaft, mit hohem Blutzoll bei den Christen*. (* Das einzige was den Juden heute dazu einfällt, ist der Hinweis, das ja auch Juden unterdrückt wurden. Toll.)
    Ähnliches anscheinend in Ungarn auch: Juden siedeln sich an, kollaborieren mit Moslems, Ergebnis Mord und Totschlag.

    Es ist doch ganz einfach, wenn der ZdJ sich heute mit den Moslems verbrüdert, dann machen die das in dem Wissen, das es potenziell tödlich sein wird für die Christen. Also mich. Noch ist es nicht zu spät. Aber es wird höchste Zeit, das die Juden sich den Schattenseiten ihrer Geschichte stellen. Es geht um das berühmte “nie wieder!”.

    Gibt es eine Ideologie tief im Judentum, die die Zerstörung des Christentums fordert? Kann das sein?? Behauptet wird es, von Juden kommt außer ätzendem Getrolle nix an der Stelle. Überzeugend ist das nicht. Es wirkt eher bestätigend in der Frage, was Juden über “Goyim” so denken.

    .
    Andere unbearbeitete Themen: Mio Tote Afrikaner durch jüdische Sklavenhändler. Mio Tote russische Christen durch jüdische Bolschewisten. Mrd schwere Räubereien in USA und Russland durch Juden. Sorry, solange das nicht widerlegt ist, bleibt es bei diesen Aussagen. Sie sind der Historiker.

  3. Hallo Yoaf Sapir, Ich weiß ja, dass Sie die Meinungsfreiheit hoch schätzen, aber könnten sie den antisemitischen, hetzerischen Schwachsinn von Wendehals nicht einfach löschen? Ich habe keine Lust, das alles im Detail zu widerlegen, Wendehals wird sich davon auch nicht beeindrucken lassen. Man kann es meines Erachtens aber auch nicht einfach so stehen lassen, sonst fühlen sich andere auch noch eingeladen und müllen ihre Seite zu.

  4. Galizien und Bessarabien
    (…)
    Diese Reise nach Deutschland, ins Deutsche hinein, war und ist notwendigerweise auch eine Reise in mich hinein.

    Haben sie in Ihrer Familie jiddisch gesprochen? Hat Ihre Familie einstmals dies gesprochen?
    MFG
    Dr. W

      • Hilft bei der Einordnung, bei den aschkenasische Juden wurde grundsätzlich gejiddelt und gefiddelt, gell? [1]
        Das wissen ja nicht alle [2], danke für die Erläuterung, das erklärt denn auch die Suche im Doitschen…

        MFG
        Dr. W

        [1] war jetzt nicht pejorativ gemeint
        [2] Demnächst vielleicht besser herausstellen, ischt wichtich…

      • Ostjiddisch um genau zu sein… Denn auch das jiddische hatte viele kulturelle Facetten. Ausgangspunkt des Jiddischen war das Mittelhochdeutsche…
        Und die sephardischen Juden sprachen bekanntlich das sog. “Ladino”.
        Soviel zum Thema “das Jüdische”, ein kunterbunter Reigen an kulturell beeinflussten jüdischen Lebensweisen, je nach Region und Herkunft. Gemeinsamkeit: Die jüdische Religion!
        In diesem Sinne, wie Yoav richtig anmerkt, sicherlich vergleichbar mit “dem Deutschen”
        Friesisch, bayerisch, sächsisch etc…. Mit dem Unterschied, das sich die jüdischen Besonderheiten über den gesamten Kontinent verbreitet haben, während “das Deutsche” sich in Zentraleuropa abgespielt hat… Von dem her kann durchaus von einer Gemeinsamkeit zwischen “jüdisch” und “deutsch” gesprochen werden und zwar in der Form, dass es eigentlich keine Gemeinsamkeiten gab! Die (christliche) Mehrheitsbevölkerung in den jeweiligen Ländern hat dann zur “Harmonsierung” der Sprache beigetragen. Die “dickköpfigen” Juden, bitte nicht falsch verstehen, das ist positiv gemeint, haben sich über die vielen Jahrhunderte gegen die Vereinnahmung durch das “Christliche” wacker gewehrt! Bis heute!! Chapeau!!

        • Mit dem Unterschied, das sich die jüdischen Besonderheiten über den gesamten Kontinent verbreitet haben, während “das Deutsche” sich in Zentraleuropa abgespielt hat…

          Aha… Das Baltikum, Bessarabien, Galizien, Siebenbürgen, das Wolgadeutschtum – alles “Zentraleuropa”?

          • Wie wahr…. Schon wieder eine sehr treffende Anmerkung zum Thema, was das “Deutsche” und das “Jüdische” gemeinsam haben. Nur mit dem Unterschied, dass das Deutsche nichts mit der Religion zu tun hat… Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, was die jüdische Nation betrifft.
            Momentan bezieht sich dies nur auf die Sprache!! Und das Ur-Jüdische ist hebräisch/ aramäisch…. Wir kommen wieder auf einen Punkt….Ich drücke es so aus:”Der Himmel ist überall blau, wenn die Sonne scheint”
            Von Deutschtum im Baltikum, Galizien, Siebenbürgen oder gar an der Wolga kann heute keine Rede mehr sein…
            Ich habe eine Freundin aus Lemberg… Sie ist Kontingentjüdin. Sie hat mit Russland gar nichts zu tun, aber aufgrund ihrer Sprache und Herkunft sieht sie sich natürlich als Ukrainerin/ Russin, aber auch ein bisschen jüdisch und mittlerweile auch ein bisschen deutsch… Die Sprache ist die Grundlage für Kultur… Und zwar die Mehrheitssprache… Die Sprache ist Ausdruck eines jeden Menschen in seinem jeweiligen Umfeld… Dewsegen haben sich auch bestimmte Dialekte und Sprachen so entwickelt, dass sie sich in ihrem Umfeld etablieren konnten…. Mit der Sprache ist es wie mit der Kultur…. Sie passt sich an die Mehrheit an… Eine Art von Assimilation… Anders herum, wer sich aktiv von der Mehrheit ausgrenzen will, der entwickelt seine spezifischen Minderheitsmerkmale…. (Revoluzzer?)… Geh mal nach Frankreich oder in die USA/ England etc. und versuche dort mal mit hebräisch oder deutsch dich durchzusetzen… Sprache und Kultur hängen untrennbar miteinander zusammen….. Es ist auch die Grundlage, um nicht einen “Turm von Babel” zu haben…. Es ist eine Fortschrittsgechichte der Menschheit zu einer “Einheit”, die erstrebenswert ist und die dem menschlichen Wesen zutiefts innewohnt!

            Shalom

          • Nur mit dem Unterschied, dass das Deutsche nichts mit der Religion zu tun hat… Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren

            Wo das Deutsche eine Minderheitserscheinung war (in Siebenbürgen, in Russland etc.), spielte die von der Mehrheitsbevölkerung abweichende Religion eine große Rolle bei der Identitätsstiftung. Bei Mischehen entschied (und entscheidet manchmal bis heute noch) die Taufe des Kindes darüber, ob es Russe, Rumäne, Ungar oder Deutscher wird.

          • “Wo das Deutsche eine Minderheitserscheinung war (in Siebenbürgen, in Russland etc.), spielte die von der Mehrheitsbevölkerung abweichende Religion eine große Rolle bei der Identitätsstiftung.” (Yoav Sapir)

            Die Religion kann, wie die Sprache, identitätsstiftend sein, kann aber auch ganz unwichtig sein. In Siebenbürgen gibt es ein ungarischsprachiges Gebiet, in dem die Dörfer von der Religion her einheitlich sind (refomiert, uniert, katholisch), weil jeder ohne weiteres die Religion des Dorfes annimmt, in das er, etwa durch Heirat bedingt, zieht; aber alle sprechen ungarisch und identifizieren sich als Ungarn. Es gibt Dörfer, die von Zigeunern bewohnt sind, die deutsch sprechen, ohne doch sich selbst als Deutsche zu sehen noch von den anderen so gesehen werden. Die „Sachsen“ sind religiös homogen (lutherisch), identifizieren sich als Deutsche, obwohl ihre Sprache vom heutigen Deutsch wohl weiter weg ist als das Niederländische; für diese Identifikation soll dennoch auch die Sprache von Bedeutung sein, denn sie verstehen alle die Sprache der Lutherbibel. Die nationale Identifikation als Deutsche ist von der Religion unabhängig, denn es gibt/gab auch sich als Deutsche verstehende Katholiken (österreichischer Herkunft). Das sind nur ein paar Facetten unter vielen in dieser Gegend. Nirgends sieht man wohl besser, wie wenig selbstverständlich die jeweilige Identifikation als irgend etwas ist.

          • Natürlich ist es komplex und auch flexibel, bei Identität gibt es keine Faustregeln, aber so beliebig, wie du es darstellst, ist es auch wieder nicht. Christine Chiriac, eine halbdeutsche, halbrumänische Siebenbürgerin, hat hier bei unzugehörig einige Gastbeiträge zu diesem Thema geschrieben. Zwar spielt die Religion heutzutage eine wesentlich kleinere Rolle als früher (bei Juden, Deutschen und vielen anderen), aber die Taufe des Kindes ist dennoch entscheidend bei der Frage, ob es eher rumänisch oder eher deutsch wäre.

            Dein Beispiel mit dem Katholizismus ist etwas irreführend, weil es in den “Heimatländern” natürlich sowohl deutsche als auch ungarische Katholiken gibt. Anders ist es mit dem orthodoxen Rumänentum.

            PS. Wo nimmst du das mit der Sprache her? Es ist zwar ein etwas anderer bzw. anders klingender Dialekt, mehr aber auch nicht.

          • Natürlich ist es komplex und auch flexibel, bei Identität gibt es keine Faustregeln, aber so beliebig, wie du es darstellst, ist es auch wieder nicht.

            Die Identität ist die Selbstigkeit, es gibt die individuelle und die gruppenbezogene; es wird sich hier (auch in diesem WebLog) erfahrungsgemäß um die gruppenbezogene, die kulturelle Identität bemüht.

            Das Finden des individuellen Selbst obliegt dem Individuum, das Finden des anderen Selbst lustigerweise ebenso. Zumindest theoretisch. Praktisch also nicht immer.

            Kommuniziert wird der zweite Sachverhalt dann notwendigerweise politisch (“städtisch”, gemeint besonderen Ansprüchen und Strukturen folgendes Verhalten, das im Rahmen der Sesshaftigkeit der Individuen in Städten notwendig geworden ist), es spricht natürlich nichts dagegen derart zu suchen (und zu kommunizieren).

            MFG
            Dr. W (der es schon interessant findet, wenn im Doitschen und Jüdischen, gar verbindend, derart gesucht wird)

          • „aber so beliebig, wie du es darstellst, ist es auch wieder nicht“.

            Nein beliebig ist es ganz bestimmt nicht, es geht mit Sicherheit nach strengen Regeln zu, aber die sind überall andere. Was ich geschrieben habe über die Irrelevanz der Konfession, gilt für einen ungarischsprachigen Teil Siebenbürgens, den ich etwas kenne, und es gilt nur innerhalb der drei genannten Konfessionen. Bezüglich der orthodoxen Kirche ist es, soweit ich es mitbekommen habe, dort ganz anders. Die ist eng verbunden mit „rumänisch“.

            „Wo nimmst du das mit der Sprache her?“

            Das hab ich irgendwo gelesen, weiß nicht mehr wo, und es hat mir eingeleuchtet. Was wir uns heute unter dem Dialekt dieser Gegend vorstellen (was wir von Siebenbürger Sachsen kennen, wenn wir welche kennen), ist Hochdeutsch mit Akzent. Diese „Sachsen“ sind vor fast 1000 Jahren aus einer Gegend ausgewandert, in der man zum Teil auch heute noch einen (fränkischen) Dialekt spricht, den ein normaler heutiger Deutscher überhaupt nicht versteht, und ihre Sprache hat sich über viele Jahrhunderte getrennt vom übrigen Deutsch entwickelt, es gab keine räumliche Verbindung (anders als zu den Niederlanden, wo man damals und noch viel später auch einen von vielen fränkischen Dialekten sprach). Darum würde ich mich sehr wundern, wenn das in Siebenbürgen nur ein „etwas anderer bzw. anders klingender Dialekt“ wäre.

          • Deiner Meinung nach blieb also die Sprache seit einem Millennium ziemlich getrennt, spielte aber vor allem deswegen eine große Rolle, weil man so die um ein halbes Millennium jüngere Lutherbibel verstehen konnte?

            Als ob Siebenbürgen Sibirien wäre, es die Habsburger nicht gegeben hätte etc pp…

          • In Siebenbürgen gibt es ein ungarischsprachiges Gebiet, in dem die Dörfer von der Religion her einheitlich sind (refomiert, uniert, katholisch), weil jeder ohne weiteres die Religion des Dorfes annimmt, in das er, etwa durch Heirat bedingt, zieht; aber alle sprechen ungarisch und identifizieren sich als Ungarn.

            Was sich nicht mit dem Kenntnisstand des Schreibers dieser Zeilen deckt.

            Wobei Es-Gibt-Aussagen natürlich schwer zu adressieren sind.

            Macht aber nüscht. – Die Religion als ehemals oder auch heute noch kulturbestimmend ist vermutlich nicht in Frage gestellt worden, allgemein.

            MFG
            Dr. W

  5. Aber gerade die Dialekte machen das Leben so interessant… Denn Sie bestimmen auch die jeweilige Kultur… Beides ist untrennbar miteinander verbunden… Was dieses Phänomen betrifft, kann man an dem herzlichen und überaus amüsanten Film “Willkommen bei den Shtis” nachvollziehen. In der französischen Komödie geht es um einen Südfranzosen, der in Nordfrankreich, in der Nähe der belgischen Grenze auf die sog. “Sch`tis” trifft. In einem verregneten und verlotterten Dorf macht der Protagonist dort Bekanntschaft mit einem kleinen “Völkchen”, dass so gar nicht seine “Sprache” spricht Bekanntschaft… Auf Französisch im Original ist dieser Film eine wahre Freude und er zeigt diese Unterschiede, sogar in der eigenen “Nation”. “La France est un et indivisibel”… Ungefähr so wie wenn ein Bayer vom Land einen Ostfriesen trifft!! Einfach herlich…… und sehr zu empfehlen….. Original: “Bienvenue chez les Ch’tis”…
    Guck dir den Film mal mit deiner Freudin an…. Du wirst von Herzen lachen!!!

  6. Yoav,
    das mit der Taufe, ob jemand russisch, rumänisch, ungarisch oder deutsch ist verstehe ich nun wirklich nicht. Die Taufe ist ein Ausdruck des christlichen Glaubens. Diese hat doch nichts mit der “Staatsbürgerschaft” zu tun, ob russisch, ungarisch deutsch etc…. Ich wollte dir ja schon in meinen Mails die europäische Idee vermitteln, nämlich die Idee, die in diesem Konstrukt gegen jegliche aufkeimende Nationalismen steckt. Nämlich, das Europa ein multi-kulturelles schon lange versuchtes (Otto I. etc.) Konstrukt ist, das Wirklichkeit geworden ist. Es muss gegen jegliche wirtschaftliche und sonstige sozio-ökonomische Interessen verteidigt werden. Es ist die einzige Möglichkeit in einer globalen Welt. Es ist das Schicksal Europas, das es zu verteidigen gilt…. Politisch, durch Bildung und durch jegliche ntegrationsanstrengungen…. Dafür setze ich mich ein….
    Die Taufe hat mit Nationalität nichts zu tun…. Das Christentum ist eine weltliche Religion, keine nationale….

    S.H.

    • Die Taufe ist ein Ausdruck des christlichen Glaubens. Diese hat doch nichts mit der “Staatsbürgerschaft” zu tun

      Aber mit der Volkszugehörigkeit sehr viel.

      Die Taufe hat mit Nationalität nichts zu tun…. Das Christentum ist eine weltliche Religion, keine nationale….

      »Das« Christentum gibt es nicht. Muss ich wirklich an die europäischen Religionskriege erinnern? Für die Polen etwa hat das Polentum sehr viel mit dem Katholizismus im Besonderen, keineswegs mit dem Christentum im Allgemeinen zu tun (wobei dort eh nur der Katholizismus als wirklich christlich gilt). Du magst es für falsch halten, aber mir geht es gar nicht darum, solche Phänomene zu beurteilen.

  7. Wenn ich vom Christentum spreche, dann meine ich die Ideen eines Juden, sein Name ist Jesus Christus. Dieser Revoluzzer hat nicht ahnen können, was seine Gefolgschaft und gewisse Kreise aus seinen Worten gemacht haben… Mit einer Kirche und einem Katholizismus hatte Jesus von Nazarteth überhaupt nichts am Hut…. Ein wahrer Christ, ebenso wie ein wahrer Jude braucht keine Ideologien oder Institutionen, um die Botschaft die im AT und auch im NT versteckt sind zu institutionalisieren. Er nimmt die Botschaft auf…. Reinen Gewissens…. Ich habe dir diese Botschaft für die Juden schon einmal per e-Mail geschickt…. Es ist eine Botschaft an seine jüdischen Freunde….
    „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinet¬willen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden“

    Und es ist eine Botschaft an alle Menschen auf dieser Welt!!!

    Shalom Yoav!!

  8. Für das, was gewisse Urchristen aus dem Verständnis Jeschuas gemacht haben, allen voran der jüdische Historiker Flavius Josephus und das hellenistische Judenchristentum, hier zu nennen Paulus (vom Saulus zum Paulus)…. kann ich nichts dafür…. Was Jesus verkündet hat, war für das sehr strenge und zum Teil auch sehr skrupellose jüdische Gemeinswesen (Sanhedrin, Pharisäer gegen Sadduzäer) ein Novum… Bis heute gibt es die Karfreitagsfürbitten…
    Es geht nicht darum, dass Juden “umkehren”… Viele haben dies auf ihre Weise eh getan. ich denke da nur an meine Familie in USA, Reformjuden, aber auch im Zuge der Aufklärung an Moses Mendelsohn..
    Jesus ging es nicht um Politik…Er wollte seine Religion, seinen Monotheismus und seine jüdische Überzeugung an alle Menschen herantragen… Nicht nur auf Juden….. Das war seine Botschaft… Was die katholische Kirche daraus gemacht hat, steht auf einem anderen Papier…. Aber er hat das Judentum geöffnet…. Es war sein Verdienst…. Aus einem egalitären “Gottesvolk” eine Religion und eine Grundlage des Lebens für alle Völker zu machen….. Das war seine Botschaft, als Jude!!!!

    S.H.

  9. Nein, sicherlich nicht, aber es ist die Grundlage deiner Diskussion über das sog. “Jüdische” als nationales Phänomen! Was es eben nicht ist…. Nationalstaaten sind Konstrukte aufgrund der Sprache… Völker gehen und kommen… Es gibt heute nicht mehr den Begriff des “Volkes”… Ich würde hier eher den Begriff “Kulturen” verwenden..Wenn man von einem juritischen Standpunkt ausgeht, wie den Spruch:”Für das deutsche Volk”, so ist dies längst ein Anachronismus. Den die meisten Gesetze werden auf europäischer Ebene getroffen und dies ist auch gut so….
    Im Übrigen gilt dieser Anachronismus auch für Israel…. Denn Israel könnte ohne die Unterstützung aus USA und der EU nicht alleine überleben… Es wäre auch nie alleine entstanden…
    Die Welt entwickelt sich hin zu einer “One World Global Economic Unity”… So will ich es einmal nennen…. Und diese Entwicklung ist unaufhaltsam… Da gibt es kein zurück mehr….
    Und dies ist wiederum etwas, was den Worten von Jesu zu entnehmen ist… s.o.

    Dieser unscheinbare Revoluzzer war nicht so dumm… Und viel haben sich an seinen Worten orientiert…

    Gute Nacht….

    S.H.

  10. @Yoav Sapir

    “Wo das Deutsche eine Minderheitserscheinung war (in Siebenbürgen, in Russland etc.), spielte die von der Mehrheitsbevölkerung abweichende Religion eine große Rolle bei der Identitätsstiftung. Bei Mischehen entschied (und entscheidet manchmal bis heute noch) die Taufe des Kindes darüber, ob es Russe, Rumäne, Ungar oder Deutscher wird.”

    Wo das Deutsche eine Minderheitserscheinung war (in Siebenbürgen, in Russland etc.), spielte die von der Mehrheitsbevölkerung abweichende Religion eine große Rolle bei der Identitätsstiftung. Bei Mischehen entschied (und entscheidet manchmal bis heute noch) die Taufe des Kindes darüber, ob es Russe, Rumäne, Ungar oder Deutscher wird.”

    Vielleicht solltest du einfach nochmal kurz erläutern, wie das zugegangen ist.

    • hmm – was gibt es da genau zu erklären? Evangelisch-deutsche Minderheiten legten (teilweise bis heute noch) großen Wert auf die Aufrechterhaltung ihrer abweichenden Religiosität als Ausdruck der eigenen, deutschen Identität. Der größte Schritt bei der Assimilation und dem Aufgehen in der fremden Umgebung war der Wechsel der Religion, der meistens bei Mischehen über die Kinder erfolgte (wird das Kind Teil der Minderheit oder der Mehrheit? Welche hat die Oberhand?).

      • Hallo Yoav,
        “hmm – was gibt es da genau zu erklären? Evangelisch-deutsche Minderheiten legten (teilweise bis heute noch) großen Wert auf die Aufrechterhaltung ihrer abweichenden Religiosität als Ausdruck der eigenen, deutschen Identität.”

        Das wage ich zu bezweifeln! Da kannst du nun wirklich nicht mitreden!
        Genau so wenig, wie die Tatsache, dass die jüdische Identität meiner Vorfahren in Deutschland sich auf das Gemeindeleben und die jüdische Religion beschränkt haben!!
        Was Zionisten und Nationale daraus gemacht haben, steht auf einem anderen Papier!!
        Mein Urgroßvater und auch mein Großvater waren deutsche Staatsbürger.
        Dass sie Christinen geheiratet haben, hat ihnen die Verfolgung durch die Nazis, zwar nicht erspart, aber sie haben überlebt…. Ansonsten würde ich nicht exsitieren!!

        Shalom

        S. H.

  11. Hallo Yoaf,

    kennst Du schon Bücher von Jan Assmann und wie er mit der kulturellen Vergangenheit als Gedächtnisgeschichte umgeht? Das könnte eventuell für Dein Anliegen methodisch interessant sein. Natürlich ist es ein wissenschaftlicher Zugang, kein ästhetischer, persönlicher, aber vielleicht doch anregend. Ich denke z.B. an “Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur” (engl. 1997; dt. 1998). Wie gesagt, es geht mir um die Methodik, die Geschichte einer Erinnerung zu betrachten und zu untersuchen, nicht um das konkrete Thema (Moses), was aber auch sehr interessant ist.
    Ein Zitat (Ausgabe 2000, S. 26-27): “Im Unterschied zur Geschichte im eigentlichen Sinne geht es der Gedächtnisgeschichte nicht um die Vergangenheit als solche, sondern nur um die Vergangenheit, wie sie erinnert wird. (…) Sie konzentriert sich auf jene Aspekte der Bedeutung oder Relevanz, die das Produkt der Erinnerung im Sinne einer Bezugnahme auf die Vergangenheit sind und die nur im Licht späterer Rückgriffe und Lektüren hervortreten.”

    Vielleicht trage ich auch Eulen nach Athen.

    • Ja, hatte ich doch meine Jahre in Heidelberg… Aber auch die Geschichte “im eigentlichen Sinne” gibt es nicht, sondern allenfalls das, was man jeweils als “Geschichte im eigentlichen Sinne” wahrnimmt.

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  13. @ Yoav Sapir (Kommentar 23. Februar 2014 12:49)

    „Deiner Meinung nach blieb also die Sprache seit einem Millennium ziemlich getrennt, spielte aber vor allem deswegen eine große Rolle, weil man so die um ein halbes Millennium jüngere Lutherbibel verstehen konnte? Als ob Siebenbürgen Sibirien wäre, es die Habsburger nicht gegeben hätte etc pp…“

    Na ja, ich bin kein Experte (kenne aber einen, vielleicht den Experten und kann ihn mal fragen). Meine Meinung zählt also nicht gerade viel. – Die Sprache spielte sicher nicht „vor allem deswegen [Lutherbibel] eine große Rolle“, sondern sie war schon vor der Reformation wesentlich dafür, daß die „Sachsen“ sich von den anderen „Völkern“ in diesem Raum unterschieden.

    „Das Siebenbürgisch-Sächsische ist eine überwiegend moselfränkisch geprägte Reliktmundart, teilweise auf dem Entwicklungsstand des Mittelhochdeutschen“, steht in Wikipedia; die engste Verwandtschaft soll mit dem Luxemburgischen bestehen. Schriftsprache war seit der Reformation das Lutherbibel-Hochdeutsch; ich weiß nicht, ob und wie weit dieses das „Sächsische“ allmählich auch als Umgangssprache abgelöst hat. Daß man die Lutherbibel (nach ca. 400 Jahren Trennung vom geschlossenen deutschen Sprachraum) so weit verstehen konnte, daß sie sich dazu eignete, ist nicht so außergewöhnlich. Die Mennoniten in Paraguay, deren Umgangssprache Weichselplatt, im wesentlichen wie man es an der unteren Weichsel vor 500 Jahren sprach (dem Hochdeutschen sicher noch ferner) ist, benutzen die Lutherbibel auch.

    „Als ob Siebenbürgen Sibirien wäre“.

    Das ist gar nicht so daneben: 150-200 Jahre lag es hinten, weit, in der Türkei.

    „… es die Habsburger nicht gegeben hätte etc pp…“

    Die herrschten erst etwa ab 1700, kaum länger als die Türken. Sie hatten allerdings in der Tat einen großen Einfluß auf die Entwicklung der Identität als Deutsche und die Entwicklung der Sprache. Denn zu dieser Zeit konnten sich die „Sachsen“ kulturell nach Mitteleuropa orientieren, beispielsweise war es üblich, an Universitäten im deutschen Reich zu studieren.

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