Heliozentrische Schätze im Sand von Mauretanien
BLOG: Uhura Uraniae
Heiß brennt die Sonne über der Sahara. Die gewaltige Feuerkraft unseres Zentralgestirns trocknet gnadenlos alles aus, das sich nicht regelmäßig mit Flüssigkeit versorgen lässt – Verrottung ist extrem verlangsamt. Für Lebewesen ist die Wasserknappheit natürlich anstrengend, aber aus konservatorischen Gründen ist es ein Traum! Welche glückliche Fügung des Schicksals, dass die Menschen hier zum muslimischen Kulturkreis gehören sind und mithin aus kulturellen Gründen quasi automatisch für Restauration und Erhalt des Alten Sorge getragen wird!
Im Gegensatz zur christlichen Wissenschaft, die das Lernen durch erklärendes Denken und Schließen nach den Regeln der Logik von den antiken Griechen übernahm, basiert das Lernen im Islam auf der Agglomeration von Faktenwissen. Die heilige Schrift trägt den Namen Koran, arabisch für "Rezitieren", weil man sie auswendig vorzutragen lernt. Das gleiche geschieht traditionell auch mit wissenschaftlichen Büchern: man lernt sie auswendig.
In der alten Karawanenstadt Schingetti, der siebentheiligsten Stadt des Islam, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: Oblgeich sie zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, werden hier Bücher wie im Mittelalter durch Abschreiben kopiert. Als Karawanen- kreuzungspunkt war diese Stadt in der Wüste Mauretaniens schon im Mittelalter auch ein Umschlagplatz für Wissen. Ihre Blütezeit erlebte sie im 14. Jahrhundert. Bücher aus dieser Zeit finden wir daher beim Stöbern in den Bibliotheken auch heute neben modernen Büchern! – Selbst wer oft in europäischen Antiquariaten stöbert, wird derart gut erhaltene alte Bücherschätze kaum finden und im Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin z.B. sind derart alte Schriften in speziell klimatisierten Tresoren verschlossen und keineswegs der Öffentlichkeit zugänglich wie in Mauretanien.
In der staubigen Trockenheit des Wüstenwindes, der ein Blütenblatt in meinem Knopfloch bereits nach zirka einer Stunde Autofahrt hart und steif getrocknet hat, haben sich sogar vorkopernikanische Schriften erhalten, die von heliozentrischem Weltbild berichten oder das Zustandekommen einer Mondfinsternis erklären. Abgeschrieben wurden sie mit einem Hölzchen, das in selbstgemachte Tinte aus Wasser, Farbstoff und Gummi Arabicum getaucht worden war. Der Name des Kopisten und des Auftraggebers sind überliefert – vorbildliche Buchhaltung, ein Zeugnis florierenden Lebens und Wissenstransfers.
Vielleicht wurden diese Bücher jahrhundertelang durch den Sand getragen bis die nomadische Eigentümerfamilie sesshaft wurde. All das haben sie mit nur leichten Gebrauchsspuren überstanden. Der größte Feind der alten Bücher sind Termiten – und in moderner Zeit der Klimawandel. Es wird ein wenig feuchter in der Südsahara. Nicht dass es starken Regen oder reißende Flüsse gäbe – aber im November, nachdem die Passatwinde durchgezogen sind, erscheinen die Dünen mit zartem Grün bedeckt. Ja, die mittlere freie Weglänge zwischen den meterhohen Grasbüscheln beträgt ungefähr einen Meter, mitunter sind es auch nur einzelne Halme, die in großem Abstand wuchern. Aus der Luft wirken sie aber bereits als grünlicher Schleier vor den gelben Sandbergen. "Vor zehn Jahren war es aber niemals so grün", sagen die Nomaden über ihr Land. Der häufigere Wetterwechsel und die größere Feuchtigkeit machen den kostbaren Bücher sehr zu schaffen! Und was noch schlimmer ist: wenn ein Buch zerfällt, bevor es vollständig abgeschrieben ist, hat der Strom der Zeit es ein für allemal verschlungen. Es ist unwiederbringlich vergessen, da jedes ein Unikat ist.
So bedroht der Wandel des globalen Klimas auch die Zeugnisse über die astronomischen Kenntnisse der Araber, die sie von den Griechen haben und mithin das Wissen der Antike überliefert haben. Fragt man die Bibliothekare, Kopisten und Gelehrten in Schingetti nach Ihrem Wunsch, dann betrifft dieser den Erhalt ihrer alten Schriften. Sie wollen das moderne Konservieren erlernen – nur fehlt es ihnen am Geld für die Ausbildung und die nötigen Visa für Europa. So ist es ihnen nur zu wünschen, dass sich in absehbarer Zeit Geschichts- und Kulturwissenschaftler dieser Schätze annehmen. Noch ist es nicht zu spät für eine Rettung!
Herzlichen Dank für das untere Bild an Karin Braun vom Sahara-Club!