“Himmel” von Tübingen
BLOG: Uhura Uraniae
verlängert … nur noch bis 3. Oktober! … Ein bißchen surreal wirkt sie schon, die Ausstellung "Himmel" im Schloss Hohentübingen, mitten in der Universitätsstadt Tübingen am Neckar. Gerade haben meine Freundin und ich den Berg erklommen und stehen (als Flachländerinnen solche Touren kaum gewohnt) im Innenhof des Schlosses genießen wir die Aussicht: in die Weite des Landes, in die näckische Altstadt, in den Innenhof und Rittersaal, der mit einem spitzen Glasdach versehen gewiss auch schmunzelnd den Kosenamen "Tübinger Louvre" verdient hätte. Die Ausstellung zum Himmel erzählt von "Wunschbildern" und "Weltverständnissen" von "da oben" – es beginnt mit einer Höhlennachbildung, deren Decke voller Jagd-Vieh ist und endet noch lange nicht mit dem Wettlauf zum Mond und der modernen Astrophysik.
Buntes
Da stehen antike Statuen neben Museumsinformationstafeln über den Urknall, moderne Mond-Infos neben einem griechischen Relief, der Urknall ist durch eine 3D-Skulptur symbolisiert, die aussieht wie ein aufgewölbter Scherenschnitt mit Laub aus dem Tübinger Stadtpark. Hinter einer anderen Stellwand stehen antike Büsten, über deren Köpfen moderne Astrofotografien schweben und über den Porträt-Skulpturen von römischen Gefangenen thront ein goldgerahmtes Gemälde des Erdmondes.
Bizarres
Eine bizarre Zusammenschau präsentiert hier das MUT, das Museum der Universität Tübingen. Ein Fernrohr als Symbol für die Erkundung des Himmels "neben" einem Gyroskop, das laut Ausstellungsbegleitheft in Tübingen erfinden worden ist und Filmsequenzen, die zeitgenössische Dokumentationen des Wettlaufs zum Mond zeigen. An sich ganz nett gemacht, aber man wünscht sich die Info, welche Sequenz/ Nachrichtenreportage von woher kommt, einen Quellennachweis, eine historische Kontextuierung. Außerdem MUTet es wiederum ein wenig bizarr an, dass ausgerechnet neben der Maus am Computer ein Schildchen liegt "bitte nicht berühren". Vielleicht hätte man auch besser neben den Plastiken schreiben sollen "bitte nicht füttern"? 😉
Dazu fällt mir noch ein:
"Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis
mit dem Radius null,
das nennen sie dann ihren
Standpunkt."
Dieser weise Mathematiker-Satz wird lt. wiki-quote z.B. Leonhard Euler und David Hilbert zugeschrieben … und natürlich auch Albert Einstein, wobei ich letzteres für am wenigsten glaubwürdig halte, sondern eher, dass die beiden jüngeren Euler zitierend diesen nicht namentlich genannt haben (z.B. weil man schlichtweg vergisst, wer’s zuerst gesagt hat, wenn man den Satz treffend formuliert findet und zitierend "unterschreiben" möchte). 🙂
Kopflos, zahllos und der älteste Smilie der Welt
Etwas kopflos flattert die Siegesgöttin Nike übergroß in Richtung Saalmitte und würde (wenn sie nicht aus Stein wäre) sicher über einen der zahlreichen Computer stolpern. Fahl beleuchtet in einer Vitrine grünt die Himmelsscheibe von Nebra (dem "ältesten Zwinker-Smilie der Welt" 😉 ) und gegenüber der Nike rollt ihr der kleine Sonnenwagen von Trundholm entgegen, als wollte er sie zum Ausrutschen bringen (ohne Kopf, kann sie ihn eh nicht sehen).
An der Seite findet man ein Faksimile des Buchs von as-Sufi aufgeschlagen, wo der Zentaur Chiron als Schütze abgebildet ist und neben ihm eine Sternliste. Neben dem aufgeschlagenen Buch liegen alte persische Münzen (hier als Inlay-Bild), auf denen eine männliche Figur abgebildet ist. Sie wird als Sternbild Perseus gedeutet, da sie analog zu as-Sufis Sternkarten auf der einen Seite "linkshändig", auf der anderen "rechtshändig" abgebildet ist. Also: Wo bei uns gefragt würde "Kopf oder Zahl", müsste man bei diesen Münzen fragen: Himmelskugel von außen oder von innen angeguckt?
Nicht Grimms Märchen, sondern Grimms Astrophysik findet man hier in dem Tübinger Wunderkabinett… gleich neben Büchern, Karten und Himmelsgloben aus den letzten paar Jahrhunderten seit etwa der frühen Neuzeit. Da liegen die Karten von Johann E Bode (1782), Karl F. V. Hoffmann (1835), Johann G Doppelmayer (1742) und Christian Goldbach (1799) für Laiensterngucker und Forschende friedlich nebeneinander und es darf natürlich auch die Bayersche Uranometria (1603) nicht fehlen.
Weiters ein paar Weltbilder und natürlich der Verweis auf einen der berühmtesten Schüler Tübingens, Johannes Kepler, der – in Weil der Stadt (bei Stuttgart) geboren – hier bei Mästlin studierte.
Tübingen ist außerdem stolz auf seine astronomische Uhr am Rathaus und schon am Bahnhof sieht man neben dem groß aufgehängten Stadtplan ein "Foto" vom Tübinger Marktplatz: So würde ein Myon ihn sehen, wenn es mit fast-lichtgeschwindigkeit sich auf den zentralen Brunnen zu bewegen würde.
Man sieht: Wo schon einst Kepler studierte, sind (Astro)physiker auch noch am Beginn des 21. Jahrhundert am werkeln an einem neuen Weltbild. Das alles in eine einzige Ausstellung zu packen, ist schon eine MUTige Idee.
nota bene
Vielleicht waren wir beide an diesem Tag besonders albern drauf, aber vielleicht war es auch wirklich die Ausstellung, die dies triggerte… who knows … ? Es ist in jedem Fall eine sehr ungewöhnliche Zusammenschau.