Die Nachhaltigkeit, die Psychologie und ich

BLOG: Sustain O'Brain

Nachhaltig nachdenken in psychologischen Tiefen
Sustain O'Brain

Wenn ich Leuten erzähle, womit ich mich gerade so beschäftige, gibt’s als erste Reaktion meist entweder aufgerissene Augen oder Stirnrunzeln:"Wie kommt man denn als Psychologin zur Nachhaltigkeit???" Ist dann die zweite Reaktion.
Was hat Psychologie also mit Nachhaltigkeit zu tun? Und was Nachhaltigkeit mit Psychologie?

Ich finde, das liegt ziemlich auf der Hand. Aber für alle, die das so offensichtlich nicht  finden, hole ich hier ein wenig aus.
Die Geschichte beginnt 1972, als die Dennis Meadows und seine Kollegen ihre Analyse zur Zukunft der Welt veröffentlichten. Zahlen, Daten, Analysen und Berechnungen, die der Menschheit zeigen sollten, dass es so nicht weiter gehen konnte. Auch wenn die eine oder andere Berechnung nicht immer Zustimmung fand – Die Grenzen des Wachstums gilt in Nachhaltigkeitskreisen heute als Klassiker.
30 und ein paar zerquetschte Jahre später gibt es nun ein Update mit dem hübschen Untertitel: Signal zum Kurswechsel (Meadows et al. 2008, sogar schon in der dritten deutschen Auflage). Und im letzten Kapitel blicken die Autoren zurück auf diese besagten letzten 30 Jahre – und werden dabei recht nachdenklich. Sie wundern sich: Sie hatten sich so engagiert, sie hatten so viele Zahlen, Daten und Analysen vorgelegt, doch die von ihnen gewünschte und erhoffte Revolution der Nachhaltigkeit – ist ausgeblieben. Bis heute.
(Auf die Idee, eine Revolution könnte durch Zahlen ausgelöst werden, können meines Erachtens  dann kommen, wenn sie mit so seltsamen Annahmen wie dem homo oeconomicus aufgewachsen sind.)
Ehrlich gesagt, so richtig wundern tut mich das nicht. Soweit ich weiß, lassen sich nur bestimmte Menschen durch Zahlen, Daten und Analysen verhaltensmodifizierend beeindrucken: nämlich die, die sowieso in Zahlen, Daten und Analysen denken. Zugegeben, es mag Ausnahmen geben, doch tangiert das den Rest der Menschheit oft eher peripher. Aber das nur nebenbei. Zurück zu den Grenzen des Wachstums.
Nach (wiederum) 280 Seiten Zahlen, Daten und Analyse kommen die Autoren zu einer sehr persönlichen und dafür umso erstaunlicheren Antwort. Um nun also diese länngst überfällige Nachhaltigkeitsrevolution in Gang zu bringen, braucht es ihnen zufolge neben Informationen und entsprechendem Wissen vor allem eins:

"Entwicklung von Wunschvisionen, Aufbau von Netzwerken, Wahrhaftigkeit, Lernbereitschaft und Nächstenliebe“. (Meadows et al. 2009, S. 281)

Ersetzen wir Nächstenliebe vielleicht noch durch Empathie und Wertschätzung, und siehe da, wir sind mitten drin in der Psychologie. Ich finde es aufrichtig großartig, wenn In-Zahlen-Denker auf die Idee kommen, dass Nachhaltigkeit etwas zu tun haben könnte mit (Mit- oder Zwischen-)Menschlichkeit. Jetzt mal ehrlich: Um wen soll es denn sonst gehen, wenn nicht um Menschen???

Wenn ich das alles ein bisschen richtig verstanden habe, geht es bei den ganzen Diskussionen zum Thema um die Lebensgrundlage heutiger und zukünftiger Generationen. Auch wäre es ganz schön, wenn diese zukünftigen Generationen Feldhamster, Hasen und Otter nicht nur aus Geschichtsbüchern kennen würden. 
Wenn jetzige Menschen sich noch keine Gedanken um andere jetzige und zukünftige Menschen machen, aber genau das tun und auch noch ihr Verhalten ändern sollen, dann sind wir wieder genau da: mitten drin in der Psychologie.
Ich nehme staunend und hocherfreut zur Kenntnis, dass sich diese Sicht der Dinge durchaus verbreitet. Letzten Freitag hatte ich Gelegenheit, auf der Hochschulkonferenz der Studierenden an der Humboldt Universität einem Vortrag von Prof. Dr. Dirk Messner zu lauschen, seines Zeichens Klimaforscher, Prognosenrechner und Berater der Bundesregierung. Am Ende seiner Ausführungen kam er zu dem Schluss: Um Klimaziele wirklich erreichen zu können, bräuchte es globale Kooperation. Kooperation ist bekanntlich auf Anordnung eher schwer zu erreichen, noch schwerer in der globalen Variante. Zudem dauert das Ganze mächtig lange, wenn man eigentlich vorgestern damit hätte anfangen sollen. Seine Frage lautete daher:
 
"Wie geht das schneller???"

Und siehe da, in der Antwort tauchen sie wieder auf, diese seltsamen Begriffe: mit Kommunikation, Empathie, sozialer Kognition…
Charmanterweise gab der Klimaforscher – ich nehme mal an, ein Vollblut-naturwissenschaftlich-in-Zahlen-Denker, zu, er würde sich jetzt notwendigerweise zunehmend mit Dingen beschäftigen, die so gar nicht sein Fachgebiet seien. Also, ich fand diese Themen schon immer toll. Und ich finde es ganz prima, wenn Andere das auch finden. Ich bin begeistert!
Wie ich zur Nachhaltigkeit kam – nun, das ist eine recht persönliche Geschichte und soll ein andermal erzählt werden. Nur so viel: Irgendwann habe ich über die Frage nachgedacht, ob das, was viele Unternehmen den lieben langen Tag so tun – mit ihren Mitarbeitern, ihren Kunden, ihrer sozialen und ökologischen Umwelt – eigentlich so sinnvoll ist. Das Thema hin und her bewegt, auf den Kopf gestellt, vertieft und ausgeweitet, und irgendwann kam ich dann zur Nachhaltigkeit. So einfach ist das.
 
So, und was erwartet Sie hier? Zunächst werden Sie vielleicht denken: Hoffentlich etwas kürzere Beiträge und nicht immer diese Romane. Ich werds versuchen. Aber was ich eigentlich meine (und auch im ersten Beitrag schon mal angesprochen habe): Letztlich jeder Aspekt des Lebens lässt sich durch eine nachhaltige Brille betrachten – und durch eine psychologische sowieso. Das schafft eine Menge möglicher Themen und ist großartig! Um auf die Frage zurückzukommen: Alles, was mir in den Kopf kommt 😉
Und ansonsten: Theoretisches, Praktisches, Alltägliches. Und so und überhaupt.

Literatur:
Meadows, Donella; Randers, Jörgen; Meadows, Dennis (2009): Grenzen des Wachstums, das 30-Jahre-Update. Signal zum Kurswechsel (3. Aufl). Stuttgart: Hirzel.

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Veröffentlicht von

Simone D. Wiedenhöft - Diplom-Psychologin, Beraterin für Kommunikation in nachhaltiger Form und bald auch Doktorandin zum Thema - interessiert sich gemeinhin für das, was Menschen umtreibt und dazu und vor allem für das, was Menschen wachsen lässt. Hier denkt sie nachhaltig nach über alles, was im Entferntesten mit Nachhaltigkeit zu tun hat, und findet die Psychologie der kleinen und großen Dinge viel zu spannend, um sie dabei links liegen lassen zu können. Kontakt: sustain.o.brain (at) lern.ag

22 Kommentare

  1. Vollblut-Naturwissenschaftler

    Vollblut-naturwissenschaftlich-in-Zahlen-Denker

    “Vollblut-Naturwissenschaftler” denken nicht in Zahlen. Sie denken in Konzepten und Zusammenhängen. Zahlen sind sicher wichtig. Aber wer sich an ihnen festhalten oder gar in ihnen denken muss, der hätte seine Fach nicht wirklich verstanden – bei dem wäre es aber mit dem “Vollblut” nicht so weit her.

    Ist “Nachhaltigkeit” übrigens außerhalb der Forstwirtschaft ein definierter und allgemein einigermaßen gleich verstandener Begriff?

    Stehe ich somit mit meinem Eindruck allein, dass es sich um ein ziemlich schwammiges Konzept handelt, bei dem nicht klar ist, was genau damit gemeint ist?

  2. @Michael: I’n with you

    “Stehe ich somit mit meinem Eindruck allein, dass es sich um ein ziemlich schwammiges Konzept handelt, bei dem nicht klar ist, was genau damit gemeint ist?”

    Nö. Ich habs auch nicht kapiert. Denn

    “Entwicklung von Wunschvisionen, Aufbau von Netzwerken, Wahrhaftigkeit, Lernbereitschaft und Empathie und Wertschätzung“

    läßt ja eigentlich offen, wo der Zusammenhang mit künftigen Generationen oder langen Zeiträumen liegt.

    Und inwiefern jetzige Menschen sich Gedanken um andere jetzige und zukünftige Menschen zu machen hätten in einem vorsorgenden Sinne, ist auch noch offen.

    Vielleicht muß man “Theoretisches, Praktisches, Alltägliches. Und so und überhaupt.” einfach mal abwarten.

  3. Nachhaltigkeit und Psychologie: Fordert man da seine Patienten/Klienten auf (?)
    -nur nachhaltige Beziehungen einzugehen (im Sinne von dauerhaft, beständig, …)
    -analog zur Energieefizienz die Gefühlseffizienz zu pflegen
    -den psychologischen Fussabdruck zu minimieren
    -im Berufsleben die eigene Funktion nachhaltig in der Firma zu verankern, sich selber aber ersetzbar zu machen

    ???

    Denken wir zurück an den Ursprung der exponentiell zunehmenden Verbreitung des Begriffs Nachhaltigkeit, nämlich an das Buch “Grenzen des Wachstums”.

    Nun, damit war das zahlenmässige Wachstum unserer Ansprüche an die Umwelt gemeint, während sich Wunschvisionen, Netzwerke, Wahrhaftigkeit, Lernbereitschaft und Nächstenliebe, die ja erst im 30-Jahre Update erwähnt werden, beliebig vermehren dürfen oder sogar sollen.

    Dass die Botschaft des Buches zwar Anklang fand aber keine Nachfolger, also keine Volkswirtschaften oder Menschengruppen, die Konsequenzen zogen, hat wohl kaum etwas mit den Zahlenungetümen, statistischen Modellen und Szenarien im Buch zu tun, sondern damit, dass das Wachstum, das da begrenzt werden soll, den meisten nicht einmal bewusst ist und als so natürlich gilt, dass man es nicht freiwillig begrenzt. Schliesslich stoppt die Bakterienkultur in der Petrischale ihr Wachstum auch nicht vorausschauend, sondern gezwungenermassen.

    Nachhaltigkeit im vorausschauenden Sinne ist auch in der Geschichte selten. Am meisten Sinn machte sie schon in alter Zeit bei einer überschaubaren Situation mit sinnlich erfahrbaren Grenzen. Schon in der frühen Landwirtschaft gab es deshalb Fruchtfolgen mit dem Ziel, den Ertrag einer Ackerfläche über Jahre zu bewahren. Doch für einen Alexander den Grossen und seinen grossen Feldzug macht der Begriff Nachhaltigkeit wohl keinen Sinn.

    Der Begriff Nachhaltigkeit besetzt also im Psychisch/Sozialen den nicht-expansiven Bereich. Dinge wie Beziehungspflege, inneres Wachstum, Arbeiten an sich. Die Dinge, die heute viele als mühsam empfinden. Grenzen und Begrenzungen sprengen, das passt doch weit besser zum modernen Menschen. So löst er auch Probleme. Er läuft aus einer einengenden Situation weg, genau im Gegensatz zur Idee der Nachhaltigkeit. Oder ist Nachhaltigkeit im psychischen Bereich doch anders gemeint?

  4. @Martin Holzherr

    Kann ich also “nachhaltig” ungefähr mit “freiwillig zur Begrenzung des Wachstums bereit” übersetzen?

    Tut mir Leid, wenn ich nachhake – ich weiß wirklich nicht, was damit genau gemeint ist, aber jeder scheint vorauszusetzen, dass man das wissen muss.

  5. @Michael Khan, exponentielles Wachstum

    Nachhaltigkeit schliesst exponentielles Wachstum aus. Und um die Unmöglichkeit langanhaltenden exponentiellen Wachstums ging es ja im Buch “Limits to Growth”. Und der exponentielle Gebrauch des Begriffs Nachhaltigkeit hatte seinen Ursprung in diesem Buch.

  6. @Michael Khan: Forstwirtschaft

    ‘Ist “Nachhaltigkeit” übrigens außerhalb der Forstwirtschaft ein definierter und allgemein einigermaßen gleich verstandener Begriff?’

    Meinen Sie nicht, daß man die sinnvolle Anwendung des Konzepts allgemein auf die Landwirtschaft und Fischerei ausdehnen kann? Ich denke an so etwas wie Fruchtwechsel im Ackerbau oder Populationsgrößen von Fischbeständen. Und damit würde Nachhaltigkeit schon mal unsere gesamte Ernährung betreffen und nicht mehr nur den schönen deutschen Wald unserer Romantiker.

    Aber auch z.B. unsere Atmosphäre ist eine begrenzte Ressource, was etwa ihre Möglichkeit betrifft, Kohlendioxidemissionen aufzunehmen, ohne ihre Temperatur bedeutend zu verändern. Es scheint mir in unserem Eigeninteresse keine schlechte Idee zu sein, nur soviel Kohlendioxid zu emittieren, wie von Photosynthese betreibenden Organismen auch wieder entnommen wird. Genauer, da hat Elmar Diederichs recht, im Interesse unserer Mitmenschen und Nachfahren. Man muß doch wirklich kein Grüner sein (und ich bin bestimmt keiner), um diese ökologischen Überlegungen überzeugend zu finden.

    Wenn ich mich an ‘Limits to Growth’ richtig erinnere, waren die drei Autoren unterschiedlicher Ansicht über die Machbarkeit einer nachhaltigeren Wirtschaft. Je einer optimistisch, pessimistisch und neutral. Und die Abschnitte mit “Entwicklung von Wunschvisionen, Aufbau von Netzwerken, Wahrhaftigkeit, Lernbereitschaft und Nächstenliebe” fand ich eher sentimental als zielführend.

    Wenn wir die sentimentale Lesart von ‘Nachhaltigkeit’ einmal beiseite lassen: finden Sie das Konzept dann wirklich so nichtssagend?

  7. ..wenig konstruktiver Vorbehalt

    Damit mein’ ich _meinen_ , _diesen_ Beitrag zur “Nachhaltigkeit”.

    Primo ist “Nachhaltigkeit” ja nun eines der Worte, das sich mittlerweile im Munde anfühlt wie ein Kollektivkaugummi. Von allen schon bis zur Geschmacklosigkeit zerkaut und bis zur Ekelhaftigkeit bespeichelt, schon hunderttausendfach aufgeblasen – ein Wort, das ich eigentlich nicht im Munde haben möchte. Freilich kann das Wort nichts dafür, dass sich die notorischen Leersprecher seiner bemächtigt haben. Aber man könnte sich ja mal auf die Suche nach Synonymen, nach frischeren Worten machen. Vorausschau, Vorsicht, Umsicht, Weitsicht, Sorge, Vorsorge, Dauerhaftigkeit, Zukunftssicherheit, anhaltend, vorhersehbar, sorgsam, sorglich…die “Sorge” und die von ihr abgeleiteten Worte wären mein Favorit.

    Secundo hab’ ich mit dem ganzen Konzept ein Problem. Zumindest im “naturalistischen” Rahmen. Sehr “nachhaltig” kann ich das Naturgeschehen nämlich nicht finden. Sagen Sie mal der Weinhefe im Gärbottich, dass Sie bitte langsamer gären möge, weil der Alkohol ihr sonst rasch den Garaus mache. Und wenn ich den Kosmos und die Entropie bedenke, dann ist’s mit der Nachhaltigkeit der Welt als Ganzes ja auch nicht allzu gut bestellt.

    Was ist eigentlich das Gegenteil von “Nachhaltigkeit”? “_Vor_haltigkeit”? “Nach_lässig_keit”?

    Nein, ich mag das Wort nicht leiden.

  8. @ alle

    ich werde die Fragen zu einem grundlegenden Verständnis von Nachhaltigkeit, die Sie hier ansprechen, in einem eigenen Beitrag gebündelt behandeln, innerhalb dieser Kommentarfunktion wird es etwas zu unübersichtlich.

    Kurz vorweg

    @Michael Khan

    Ich habe auf Ihre Frage zu meinem ersten Beitrag noch geantwortet, ich gebe zu, etwas später. Haben Sie das gesehen? Falls nein, ich kopiere es hier noch mal hinein, damit Sie nicht hin und her blättern müssen:

    “Letztlich gibt es (mindestens) zwei Bedeutungen von “Nachhaltigkeit” und das gilt meines Wissens ebenso für das Englische Sustainability.
    1. Es gibt eine – wie soll ich sagen – alltagssprchliche Bedeutung, die im Deutschen auf das hinausläuft, was Sie genannt haben: Nachhaltigkeit im Sinne von “auf Dauer angelegt, langfristig” oder auch in Ihrem Sinne “tiefgreifend” und damit wieder langfristig.
    2. Der Begriff, auf den ich mich hier beziehe, entstammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft, sinngemäß: Fälle immer nur so viele Bäume, wie nachwachsen können, so dass deine Nachkommen ebenfalls und genau so gut von den Erträgen des Waldes leben können. Der Begriff ist dann aus dem Englischen wieder zu uns zurückgekommen: Im sogenannten Brundtland-Bericht, der eigentlich Our common future heißt, taucht der Begriff einer nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) wieder auf. Hier geht es grob und kurz darum, dass die Bedürfnisbefriedigung der heutigen Generationen nicht zu Lasten der zukünftigen Generationen stattfinden darf. Der Bericht wird oft als die Geburtsstunde der modernen Auffassung von Nachhaltigkeit als einem (erst politischen, jetzt zunehmend gesellschaftlichen) Konzept gesehen. Die Nachhaltigkeit in diesem Blog bezieht sich also auf das Konzept “Nachhaltigkeit”.
    So viel erst mal dazu, ich werde das hier in Zukunft weiter ausführen, und hoffe, dass ich die Verwirrung auflösen konnte.
    Das hier kann natürlich nur eine Kurzfassung sein.”

    @Martin Holzherr
    Na, da wär ich mal sehr gespannt, was Sie unter einem psychologischen Fußabdruck verstehen 😉
    Ihren weiteren Ausführungen folge ich durchaus, Sie schreiben:
    ” sondern damit, dass das Wachstum, das da begrenzt werden soll, den meisten nicht einmal bewusst ist und als so natürlich gilt, dass man es nicht freiwillig begrenzt. Schliesslich stoppt die Bakterienkultur in der Petrischale ihr Wachstum auch nicht vorausschauend, sondern gezwungenermassen.”
    Schönes Bild!
    Zu Ihrem letzten Abschnitt:
    Wenn ich Sie richtig verstehe, schreiben Sie, dass die meisten Grenzen dann erfahrbar werden, wenn sie in überschaubaren Situationen sinnlich erfahrbar werden. Genau darum gehts bzw. das ist ein Teil dessen, worum es mir geht.
    Nehmen Sie die Diskussion um den Klimawandel: Sie wird meist faktenorientiert geführt, wir müssen so und so viel CO2 einsparen, um dies und das Ziel zu erreichen. Das Thema bleibt für viele abstrakt. Was sind schon 2 Grad Klimaerwärmung? Anschaulich wird es dann, wenn zum Beispiel die Malediven eine Regierungssitzung unter Wasser abhalten, um darauf hinzuweisen, dass sich ihre Inseln bald nicht über dem Meeresspiegel befinden.
    Nehmen Sie den Umweltschutz: Dort zeigt sich, dass viele Menschen ein hohes Umweltbewusstsein haben, aber nur die wenigsten danach handeln.
    Dies sind nur zwei Beispiele und bei weitem nicht vollständig. Ich persönlich beschäftige mich mit der Frage: Wie kommt das Thema zu den Menschen? Und was diesen Blog angeht: Ich werde mir noch einmal Gedanken machen, wie das Thema besser zu Ihnen kommt.:-)

  9. @ Helmut Wicht

    Ich teile die Bedenken, die Sie dem Begriff entgegenbringen. BEVOR der darin steckende Gedanke die Chance hatte, überhaupt erstmal von vielen verstanden zu werden, droht er tatsächlich von “notorischen Leersprechern” für ihre Zwecke benutzt zu werden. Und bekommt damit einen faden Beigeschmack. Andererseits gibt es eine Menge Initiativen, die versuchen, diesen etwas sperrigen Begriff mit lebendigem Inhalt zu füllen. Ich finde Ihre Vorschläge sehr hübsch und würde persönlich alles bevorzugen, was mit “Zukunft gestalten” und “neuem Denken” zu tun hat. Sorgen klingt mir zu sehr nach Sorgenfalten… Leider lässt sich eine ganze wissenschaftliche, politische und gesellschaftliche Diskussion nicht einfach umbenennen.

    Ihr Beispiel mit der Gärhefe habe ich allerdings noch nicht ganz verstanden. Worauf möchten Sie hinaus?

    @Jürgen Bolt
    Auch wenn Sie nicht an mich gestellt ist: Ich finde das Konzept ganz und gar nicht nichtssagend, auch weil ich auf eine theoretische Konzeption gestoßen bin, die dem Ganzen meiner Meinung nach in seiner Komplexität gerecht wird.
    Geben Sie mir ein bisschen Zeit, dann stell ich es hier vor.

    Sie haben völlig Recht: Man kann genauso die Frage stellen: Wie viele Fische darf ich fangen, damit ich morgen, in 5, 10, 20 Jahren auch noch fischen kann? Oder auch: Wie viel darf ich fischen, wenn mein Nachbar auch noch was zum Fischen finden soll? Die Frage wird auch gestellt, so befasst sich zum Beispiel Dr. Till Markus an der Uni Bremen mit dieser Frage aus Umweltrechtsicht. Letztlich besteht ein guter Teil der Forschung darin, diesen recht allgemeinen Gedanken auf die verschiedenen Disziplinen herunterzubrechen: Also was bedeutet das konkret für das Fischen, was bedeutet es für die Stadtentwicklung, was bedeutet es für Unternehmen, für Mobilität etc.

  10. Hausbau

    Gestern kam in einem TV-Bericht der Begriff ´Nachhaltigkeit´ beim Hausbau zur Sprache. Man versteht darunter einen Baustil, mit solchen Materialien, welche man wieder verwenden kann, wenn das Gebäude eines Tages abgerissen werden muss.

  11. @KRichard, Simone: next step

    “Man versteht darunter einen Baustil, mit solchen Materialien, welche man wieder verwenden kann, wenn das Gebäude eines Tages abgerissen werden muss.”

    Gutes Beispiel: Mich würde immer noch interessieren, welche psychologische Verwendung von “nachhaltig” man vielleicht metaphorisch oder als Analogie hier finden könnte.

  12. Hausbau /@KRichard

    Ich denke, beim Hausbau mit Materialien, die wieder verwendet werden können, spricht man besser von einer Kreislaufwirtschaft (auch “Cradle to cradle” genannt).

  13. Hausbau

    Unter Google ´solar decathlon nachhaltigkeit´ gibts Infos zu einem aktuellen Wettbewerb im zukunftsfähigen Hausbau

  14. @Frau Wiedenhöft:

    Vielen Dank! Ihre andere Antwort auf meine Frage zum ersten Artikel hatte ich in der Tat nicht gesehen, ich habe es hiermit nachgeholt.

    Ich habe ein wenig insistiert, weil ich es für wichtig halte, diesen Begriff zu klären, der vielfach zumindest widersprüchlich verwendet wird.

    Siehe schon gleich dieses Beispiel:

    @KRichard

    Gestern kam in einem TV-Bericht der Begriff ´Nachhaltigkeit´ beim Hausbau zur Sprache. Man versteht darunter einen Baustil, mit solchen Materialien, welche man wieder verwenden kann, wenn das Gebäude eines Tages abgerissen werden muss.

    Das ist aber nach meinem Verständnis Wiederverwertung, nicht Nachhaltigkeit. Wiederverwertung mag in vielen Fällen der Nachhaltigkeit (wenn ich die von Frau Wiedenhöft gebrachte Definition zugrundelege) diesen, ist aber deswegen doch wohl nicht gleich mit dieser synonym zu sehen?

  15. @khan

    Man kann Häuser von vorne herein so bauen, dass man die eingesetzten Rohstoffe später problemlos wieder verwenden kann: dann versteht man darunter eine nachhaltige Bauweise.
    Nicht nachhaltig wäre es, wenn die Trennung später mit einem erheblichen Zusatzaufwand durchgeführt werden müsste.

    In beiden Fällen werden Rohstoffe wieder verwendet – aber der Aufwand ihrer Rück-Gewinnung ist unterschiedlich. Der Gedanke der Nachhaltigkeit ist deshalb wichtig, weil man in Häusern, Maschinen, elektrischen Geräten zunehmend eine wichtige nutzbare Rohstoffquelle sieht.

  16. @khan, II.

    Zum Gedanken der Nachhaltigkeit gehört auch, wieviel Energie/Rohstoffe beim Gebrauch von Produkten benötigt werden: z.B. bei einem Haus wäre dies die Frage, ob/wie stark es sich selbst mit Energie versorgen kann (Isolation, Solarzellen, usw)

  17. @ alkoholische Gärung

    “Ihr Beispiel mit der Gärhefe habe ich allerdings noch nicht ganz verstanden. Worauf möchten Sie hinaus?”

    Darauf, dass “Nachhaltigkeit” (im Sinne von “Ressourcensorge”) weder der Hefe noch dem Kosmos ein Anliegen sind. Resssourcen, wenn Sie da sind, werden verbraten. So schnell, wie es geht.

    Sagen Sie mal der Sonne, dass ihr der Wasserstoff ausgehen wird, wenn sie so weitermacht…

  18. @KRichard: Nicht wirklich überzeugt

    Man kann Häuser von vorne herein so bauen, dass man die eingesetzten Rohstoffe später problemlos wieder verwenden kann: dann versteht man darunter eine nachhaltige Bauweise.

    Das kann man so sehen, damit reduzieren Sie den Begriff “Nachhaltigkeit auf Wiederverwertbarkeit”. Ich habe auch kein Problem damit, diese Reduktion vorzunehmen, nur meine ich, dass das nicht wirklich das ist, was an anderer Stelle damit gemeint ist. Außerdem verstehe ich dann nicht, wozu es des eneuen Wortes bedarf, wenn es das klare, eindeutige Wort “Wiederverwertbarkeit” doch schon gibt.

    Ich komme aus einem Umfeld, wo gern mal Projektbeteiligte irgendwelche Anforderungen aufstellen, die … sagen wir mal: durchaus nicht unanfechtbar sind.

    So auch das, was ich von Ihnen zitiert habe. Die Lebensdauer von Häusern in Deutschland ist generell hoch. Bei langlebigen Produkten tritt aber die Wiederverwertbarkeit unter den verschiedenen Faktoren der Umweltbilanz nicht so sehr in den Vordergrund.

    Erstens: Besteht denn wirklich ein Bedarf an 80 Jahre alten Fenstern, Balken und Dachziegeln?

    Zweitens und wichtiger: Was, wenn die “wiederverwertbaren” Komponenten weniger haltbar, weniger brandfest oder webigere gut isolierend sind? Dann baut man Häuser, deren Komponenten wiederverwendbar sind (falls das überhaupt jemand will), die aber weniger Lebensqualität und Sicherheit, oder aber deutlich mehr Energieverbrauch bieten – mehr Energieverbrauch, als bei der Entsorgung und Neuherstellung der Bauteile umgesetzt wird. Ist das auch noch nachhaltig?

    Und was ist mit Baustoffen wie luftgetrockneten Lehmziegeln? Die muss man nicht wiederverwerten, sondern lasst sie, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, wieder zu Lehm werden. Das wäre nach Ihrer Definition gar nicht nachhaltig.

    Man kann da an vielen Stellen nachhaken. Ich will eigentlich nicht auf Details herumreiten, sondern nur betonen, dass “Nachhaltig” ein beliebig vager, undefinierter Begriff zu sein scheint, unter dem jeder etwas anderes versteht.

    In der Forstwirtschaft mag das ja noch angehen. da sind die Bedingungen klar. Oder vielleicht noch nicht einmal dort? Nachhaltige Forstwirtschaft kann ja durch begrenzten Holzeinschlag, aber auch durch hohen Eintrag bei gleichzeitiger Aufforstung an anderer Stelle erzielt werden.

    Bei jeglicher anderer Aktivität wird es aber gleich wirklich schwammig. Was ist denn eine nachhaltige Energiewirtschaft? Fossile Brennstoffe darf man gar nicht verwenden, denn die werden immer weniger, nie mehr. Also nur regenerativ? Komisch, gerade das Dreischluchten-Staudammprojekt in China wird wegen seiner massiven Eingriffe in Sozialgefüge, Landschaft und Umwelt kritisiert. Oder doch lieber massive Forschungsinvestitionen in die Wiederaufarbeitung von Uranbrennstäben oder gleich in die Fusionstechnik? Das wäre ja wirklich “nachhaltig”, würed aber wohl nicht auf ungeteilten Beifall stoßen.

    Mich stoert ja gar nicht die Schwammigkeit an sich. Viele Begriffe sind schwammig. Mich stoert viel mehr, dass man aus dem oeffentlichen Diskurs geradezu den Eindruck gewinnen muss, als handele es sich um einen klaren Begriff, aus dem sich klare Handlungsanweisungen ergeben, die nur noch umgesetzt werden müssen.

  19. @Helmut Wicht

    Primo ist “Nachhaltigkeit” ja nun eines der Worte, das sich mittlerweile im Munde anfühlt wie ein Kollektivkaugummi. Von allen schon bis zur Geschmacklosigkeit zerkaut und bis zur Ekelhaftigkeit bespeichelt, schon hunderttausendfach aufgeblasen – ein Wort, das ich eigentlich nicht im Munde haben möchte.

    Applaus! Welche Wortgewalt! Ich sage in aller Bewunderung und (wirklich!) ausnahmsweise einmal bar jeder Ironie, dass es genau diese geschliffenen Formulierungen sind, wegen derer ich Ihre Artikel und Kommentare lese, selbst wenn ich einmal anderer Meinung bin, was hier allerdings nicht der Fall ist.

    Was die Anmerkungen zur Ressourcennutzung in der Natur angeht, bin ich ganz Ihrer Meinung. Man sehe sich die Kaninchenpopulationen an. Die vermehren sich wie … ja, wie die Kaninchen. Allerdings werden sie in regelmäßigen Abständen durch Seuchen wie die Myxomatose eben wegen der Überpopulation (denn dann verbreiten sich Krankheitserreger besonders schnell) massiv dezimiert. Nebenbei bemerkt: ich frage mich generell, ob nicht manche Forderung nach einer naturnahen Lebensweise nicht auf einer romantisierenden Vorstellung der Natur und der impliziten, aber unzutreffenden Annahme eines “natürlichen Gleichgewichts” beruht.

    Der Mensch hat Moeglichkeiten, die die Tiere nicht haben. Er hat einerseits die Freiheit, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren, zumindest in der Theorie. Andererseits hat er auch – erwiesenermaßen – die Moeglichkeit, das Angebot verfügbarer Ressourcen auszuweiten.

    Was auch immer “Nachhaltigkeit” konkret bedeuten mag: Ich sehe nicht, wieso es nur die Nachfrage und nicht das Angebot betreffen sollte.

  20. Nachhaltigkeit – Triple Bottom Line

    Nachdem ich mit einiger Verwunderung beobachte, wie wenig der Begriff “Nachhaltigkeit” einigen der hier schreibenden Kommentatoren zu sagen scheint, möchte ich gern auf die Agenda 21 aus dem Jahr 1992 verweisen. Seit damals steht das Konzept der Nachhaltigkeit als politisches Leitbild.

    Gemeint ist damit keineswegs nur die ökologische Komponente, sondern gem. der Triple Bottom Line versteht man darunter die soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit – gleichrangig. Es ist also eigentlich redundant, z.B. von “sozialer Nachhaltigkeit” sprechen zu wollen, weil der Aspekt der sozialen Gerechtigkeit im Konzept der Nachhaltigkeit selbst schon enthalten ist (siehe z.B. http://www.nachhaltigkeitsrat.de/nachhaltigkeit/).

    Zugegeben, der Begriff ist inzwischen im allgemeinen Sprachgebrauch angekommen und dadurch bis zur Unbekömmlichkeit verwässert. Es wundert mich dennoch ein wenig, dass die eigentliche Bedeutung selbst auf einem Wissenschaftsblog so Wenigen vertraut zu sein scheint.

    Wer mehr wissen möchte: Es gibt eine im Netz verfügbare Mobile Lecture der Universität Bremen unter http://mlecture.uni-bremen.de/ml/index.php?option=com_content&view=article&id=112&template=ml2

  21. psychischer Umgang mit der Ökokrise

    Habe heute erst beim Googeln nach “Nachhaltigkeit” und “Psychologie” Ihren Blog entdeckt. Schön, dass wenigstens irgendwo – und wenn auch nur im weiten Netz – Zusammenhänge hergestellt werden.

    Ich bin Psychiater in München und habe mir vor kurzer Zeit erlaubt, genau zu diesem Thema ein Buch zu schreiben, siehe unter http://www.mensch-was-nun.de. Vielleicht interessiert es Sie.

    Bleiben Sie am Thema dran, keiner sieht es, aber es ist zentral!

    Viele Grüße aus München

    Andreas Meißner

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