Wie RNA-drugs die virale Proteinbildung manipulieren

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In wenigen Wochen präsentieren die sechs Teams der SPRIND Challenge “Broad-Spectrum Antivirals” die Fortschritte und Ergebnisse der letzten 12 Monate vor der Jury. Diese entscheidet dann, welche Teams auch in der dritten und letzten Stufe dieses Innovationswettbewerbes von SPRIND finanziert werden. Höchste Zeit, die Teams und ihre Ideen einmal näher vorzustellen, mit denen sie neue Medikamente gegen Viruserkrankungen entwickeln! Den Anfang macht heute Prof. Dr. Harald Schwalbe mit seinem Team RNA-drugs:

“RNA – das ist Terra incognita“, schwärmt der Chemiker. “Hunderttausende Proteinstrukturen sind bereits gelöst worden, aber nur etwa 5.000 RNA-Strukturen.” Für Harald Schwalbe Grund genug, sich ganz auf die Ribonukleinsäure zu konzentrieren: “Ich mache gerne das, was noch nicht jeder macht”, gibt er zu. Schwalbe leitet das Team RNA-drugs, welches Viruserkrankungen bekämpfen will, indem es die Ablesung der viralen RNA – und damit die Proteinbildung – manipuliert.

“DNA liefert Informationen, während Proteine Funktionen haben”, fasst Schwalbe, der an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main lehrt, zusammen. RNA dagegen bietet dem Forscher beides: Denn RNA überträgt Erbinformationen, die komplexen 3D-Strukturen haben aber auch selbst Funktionen. Harald Schwalbe untersucht sie mit Hilfe der NMR-Spektroskopie, einer physikalischen Technologie, die er selbst für die Untersuchung von RNA-Molekülen optimiert hat. Als 2020 die Corona-Pandemie ausbricht, handelt er schnell. “Wir haben ein internationales Netzwerk von NMR-Spektroskopikern aufgebaut. 50 Gruppen mit 250 Postdocs aus 18 Ländern haben gemeinsam das Genom von SARS-CoV-2 mit unserer Methode untersucht.”

Wenn sich Coronaviren replizieren, wird zunächst ihr RNA-Genom in einem Leserahmen abgelesen. Ein Leserahmen ist eine Abfolge aufeinander folgender RNA-Basen, die in eine Sequenz von Aminosäuren übersetzt werden, um Proteine zu bilden. Coronaviren haben eigentlich nur ein kleines RNA-Genom, aber mit einem Trick können sie trotzdem viele Proteine herstellen: Sie besitzen nämlich in der Mitte des kodierenden RNA-Genoms ein sogenanntes Frame-Shifting-Element. Durch dieses “Leserahmen-verschiebe-Element” wird das Genom zweimal auf unterschiedliche Weise abgelesen.

So entstehen insgesamt 27 unterschiedliche Proteine. Einige davon werden mehrfach produziert: Zwölf Proteine machen drei Viertel der Gesamtmenge aus, die übrigen 15 Proteine ein Viertel. “Die natürliche Balance des Virus besteht darin, dass 75 Prozent im ersten Leserahmen abgelesen werden, woraus ein kleines Polypeptid entsteht. Die verbleibenden 25 Prozent werden im zweiten, längeren Leserahmen abgelesen, wodurch sich die übrigen Proteine bilden”, erklärt Schwalbe. Dieses natürliche Gleichgewicht will Harald Schwalbe zerstören. Mit seinem Team hat er deshalb die RNA-drugs entwickelt: Sie bestehen aus sehr kleinen Molekülen – um genauer zu sein aus niedermolekularen Hemmstoffen – die an die virale RNA binden, um den Ablesemechanismus zu manipulieren. “Der Lebensrhythmus des Virus wird massiv gestört, wenn das Verhältnis der Proteine verschoben wird”, erklärt Harald Schwalbe den Grundgedanken.

Das Prinzip lässt sich auch auf andere RNA-Viren übertragen, wie Schwalbe zurzeit auch am West-Nil-Virus zeigt. Der Fokus der Forschung liegt aber weiterhin auf SARS-CoV-2. Es sei kurzsichtig, den Forschungsschwerpunkt zu verlagern, nur weil die Corona-Pandemie vorbei sei, sagt Harald Schwalbe und erläutert: “Es sterben auch jetzt noch Menschen an Corona. Hätten wir nach SARS-CoV-1 weiter geforscht, hätten wir möglicherweise schon 2020 ein Medikament gehabt, das gegen SARS-CoV-2 wirksam gewesen wäre und mit dem wir viele hätten retten können.”

Für die nächste Corona-Welle will er gerüstet sein. “Wir haben etwa alle acht Jahre ein neues Coronavirus: 2003 brach SARS-CoV-1 aus, 2012 MERS und 2020 SARS-CoV-2. Es ist zu erwarten, dass wir also in einigen Jahren wieder ein neues Coronavirus haben werden.”

Neben der akuten Bekämpfung von Virusinfektionen könnten die RNA-drugs, in Form von Tabletten oder als Nasenspray, möglicherweise auch dafür sorgen, dass sich weniger gefährliche Mutationen entwickeln. Das sei zwar noch nicht nachgewiesen, aber durchaus plausibel, wie Harald Schwalbe ausführt: “Die bedenklichen Virus-Varianten entwickeln sich vor allem in immungeschwächten Personen. Das liegt daran, dass sie das Virus mitunter monatelang haben, weil sie es nicht richtig bekämpfen können. Somit hat auch das Virus mehr Zeit und Möglichkeiten zu mutieren. Das heißt, wenn ein Wirkstoff dem Virus den Garaus macht, ohne das eigene Immunsystem zu belasten, wäre das ein großer Vorteil.”

Bevor die RNA-drugs auf den Markt kommen, ist aber zunächst noch weitere Grundlagenforschung notwendig. Harald Schwalbe hat sein Ziel klar vor Augen: “SARS-CoV-2 besteht aus 15 RNA-Elementen. Vier davon haben wir bereits bestimmt. In den nächsten zwei Jahren wollen wir auch alle anderen RNA-Elemente entschlüsseln. Wir sind die Einzigen, die das weltweit machen. Proteine untersucht jeder, aber wir erforschen RNA.”

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Christian Egle versteht sich als eine Art interdisziplinärer Hausmeister („I am helping put a man on the moon.“) bei SPRIND; immer darauf fokussiert, dass keine Bäume auf den Gleisen liegen, die den Weg zum Ziel versperren. Versteht Biochemie, ein wenig. Offizielles Tätigkeitsprofil: Pressesprecher und Referent der Geschäftsleitung.

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