Das Universum in der symplektischen Perspektive von Entropie, die in Kühltürmen sozialisiert wird

BLOG: Science@Stage

Wissenschaft im Rampenlicht
Science@Stage

Sie verstehen kein Wort von dem Titel dieses posts, finden ihn aber irgendwie interessant, weil hier große Räder gedreht werden, aber das Skurile sich trotzdem durch seine Worte drängelt? Dann ist Ihnen etwas entgangen: Der erste deutschlandweite Science Slam am 19.6.2010 in Braunschweig, die Redeschlacht um das Bundeshirn. 9 Science Slammer haben um den besten Vortrag gerungen und ohne Zweifel spielten die 3 besten Vorträge in einer Liga, die ich persönlich vorher nicht mal vom Hörensagen her kannte.

Eines vorweg: Martin Buchholz vom Institut für Thermodynamik an der TU Braunschweig ist der beste Science Slammer Deutschlands 2010 und hat mit seinem Vortrag über den physikalischen Sinn von Kühltürmen neben der Tatsache, daß man mit ihnen Wolken machen kann, in 10 Minuten ohne Fachvokabular eine Erklärungsleistung untergebracht, die einfach nur beeindruckend war – so ist die Diagnose von Maximilian Held, einem Politikwissenschaftler von der Hertie School of Gouvernance in Berlin und Konkurrenten von Martin Buchholz. Und so wie ich die Sache sehe, trifft das ziemlich genau den Punkt. Gerüchte über einen Vorteil des Lokalmatadors kann man getrost zurückweisen – zumal der Zweitplatzierte André Lampe von der Uni Bielefeld mit seiner Geschichte vom Hodenknackerfisch, in die er seine Diplomarbeit über die Entwicklung eines lasergestützten Bluttests eingewickelt hatte, in der Wertung durch die Publikumsjury nur einen einzigen Punkt zurücklag. 
 
Der dritte herausragende Vortrag kam von Martin Storbeck von der TU Illmenau über die "Grenzen der Partizipation" im Netz am Beispiel der Wikipedia – eine tour de force durch eine unschöpfliche Folge witziger Folien, die dem Zuschauer keine Gelegenheit ließ, den Überblick zu verlieren: Das muß man erst mal nachmachen! Als performance war das klarerweise die beste Leistung, aber im Science Slam zählen eben nicht nur Präsentationstechnik und performance. Insofern hat das erstaunlich homogene und am Anfang eher spröde Publikum sehr schön die wesentlichen Elemente des Science Slams in seiner Wertung repräsentiert: Erklärungsleistung, Präsentationstechnik und performance. Und das, obwohl für das 6-Punkte-System der Jury vor dem Slam vom Moderator keine Bewertungskriterien erklärt wurden.
 
Das bedeutet jedoch nicht, daß die anderen Slammer schlechte Vorträge abgeliefert hätten, die Vorauswahl war in der Qualtität der Vorträge durchaus sichtbar. Aber es war auch nicht zu übersehen, daß, was die investierte Arbeit, Einfallsreichtum und journalistisches Gespür für Wissensvermittlung angeht, die besten Vorträge eine Klasse für sich bildeten. Mich persönlich freut es außerordnentlich, daß sich der Science Slam in kurzer Zeit so weit entwickelt hat, daß man unter keinen Umständen mehr einfach so in 2 Stunden eine PP-Präse zusammenklicken und damit gewinnen kann – diese Zeiten sind definitiv vorbei.
 
Die Veranstaltung selbst war gut organisiert, mit gut 800 Zuschauern fast völlig ausgebucht und fand in einem Saal mit ansteigenden Sitzreihen statt – wohl die beste Möglichkeit, jedem Zuschauer das Geschehen auf der Bühne optimal zugänglich machen. Zwar bin ich ein dezidierter Gegner einer Punktebewertung durch eine Publikumsjury, aber der Moderator hat die Sache so flott durchgezogen, daß die Abstimmung den flow des slams diesmal kaum gestört hat. 
 
Nach der Veranstaltung hatte ich noch Gelegenheit mit Maximilian Held zu sprechen und ich möchte nicht nur seine Anregungen wiedergeben, sondern auch benutzen, um weitere Verbesserungsvorschläge zur Diskussion zu stellen:
 
1. Die Vortragenden waren mit Funk-Micros ausgestattet, was auf jeden Fall eine Verbesserung in Sachen performance ist. Noch besser wäre es, wenn die störanfällige Kombination aus Pult und Laptop in einer Bildtechnik verschwinden würde und stattdessen der Vortragende nur einen Monitor mit seiner Folie vor sich hätte und eine Fernbedienung für die nächste Folie in der Hand haben müßte. Allerdings kann eine low budget Veranstaltung wie der Science Slam mit 3euro Eintritt die Finanzierung dieser Technik keinesfalls selbst stemmen. Hier sind Sponsoren aufgerufen, solche Fortschritte möglich zu machen.
 
2. Auch in Sachen Moderation könnte man noch etwas verbessern: Ich würde mir nicht nur eine Ankündigung der Slammer wünschen, sondern vielleicht 20s Gesrpäch mit dem Vortragenden vorweg und eine Zusammenfassung des Vortrags durch den Moderator nach dem Vortrag für das Publikum vor jeder Bewertung. Da ist eine Menge möglich, wie z.B. die Moderation zu einer eigenen Rolle auszubauen.
 
3. Man könnte Science Slam Vorträge viel differenzierter betrachten und nicht nur Erklärungsleistung, Präsentationstechnik und performance in einer Gesamtnote unterbringen, sondern auch danach unterscheiden, ob das Thema neu ist und eine eigene Forschungsleistung darstellt oder eine bereits existierende Technik erklärt – wie das beim Gewinner Martin Bucholz der Fall war. Denn etwas Neues zu erklären, impliziert ganz eigene Schwierigkeiten und Fachliteratur, die unter Umständen als Ideengeber für den Vortrag fungiert, gibt es nicht. Generell sollte die Bewertung fairer werden können, als dies gegenwärtig beim poetry slam der Fall ist.
 
4. Vielleicht könnte man sich ein feature für das Ende des Science Slam einfallen lassen, damit das Publikum nicht bereits auf den Beinen ist, wenn sich die Slammer noch bei Moderation und Organisation bedanken. Ich habe auch schon mal an eine Nachfragerunde gedacht, aber noch keine gute Idee, wie man das realisieren könnte.

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das blog: Es gibt Ideen und Konzepte philosophischer Provenienz, die unser Verständnis von der Welt, auf die wir beschränkt sind, konstituieren: Aristoteles z.B. war der erste, der auf die Idee kam, Fragen nach der Identität von Gegenständen systematisch dadurch zu beantworten, daß er die Mengen der Eigenschaften dieser Gegenstände abglich. Heute scheint uns seine Idee so selbstverständlich zu sein, daß uns das Theoretische an ihr kaum einleuchten will. Doch wie würde unsere Physik, die Wechsel- wirkungen zwischen verschiedenen Teilchen in Termen von Eigenschaften dieser Teilchen analysiert, ohne Aristoteles Idee wohl heute aussehen? Ganz analog gibt es viele Fragen nach den Folgen neu aufkommender naturwissenschaftlicher Erkenntnisse für unser Selbstverständnis als Personen z.B.: 1) ''Haben wir wirklich einen freien Willen oder müssen wir uns angesichts der Tatsache, daß mentale Aktivität einen physiologischen Träger zu haben scheint, damit begnügen, im übertragenen Sinne nur Gast im eigenen Haus zu sein?'' 2) ''Wenn Bewußtsein durch neuronale Aktivität zustande kommt, warum beziehen sich unsere Gedanken und Gefühle nicht z.B. auf Axone, Dendriten oder C-Fasern, sondern z.B. auf bürgerliche Gegenstände wir Tische, Reißverschlüsse oder Goldhamsterlaufräder?'' 3) "Reicht die Prinzipien der Evolution bis in unsere Psyche hinein oder ist das Reich des Geistes von ihnen unabhängig?" Die Ansichten darüber, was von Philosophen unter diesen Umständen erwartet werden sollte, divergieren. Nach meiner Meinung sollten sie diejenigen begrifflichen Rätsel lösen, die die betreffende Kultur gerade interessieren. Entsprechend verfolgt dieser weblog "On Mirrors, Myths and Mutinies" die philosophischen Zutaten, auf die unsere alltägliche, kognitive und mentale Aktivität zurückgreift, unter zwei Aspekten: a) Neurophilosophie - dieser blog will dazu beitragen, Reichweite und Bedeutung neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse für alte und neue philosophische Rätsel korrekt einzuschätzen. b) Philosophie der Psychologie - es geht hier auch darum, Mythen über die immaterielle und scheinbar historisch invariante, psychische Natur der menschlichen Spezies zurückzudrängen. Insbesondere interessiert mich die Analyse der Alltagspsychologie. Und last not least will dieses blog seine Leser dazu zu ermutigen, selbst den philosophischen Untiefen unseres Geistes nachzugehen. Daher sind Gastbeiträge in diesem blog jederzeit willkommen. Schreiben Sie einfach eine email an: mindatwork.blog at googlemail dot com. Autoren von Gastbeiträgen werden immer namentlich am Ende des jeweiligen posts vorgestellt. Kommentarregeln: Beleidigungen von Kommentatoren werden ohne Ankündigung von mir gelöscht. Das Gleiche gilt für Kommentare mit religiösem Inhalt und sonstigen spam. der Autor: Elmar Diederichs studierte Physik, Philosophie und Jura an der Georg-August-Universität Göttingen und promovierte in Mathematik an der Freien Universität Berlin. Im Moment forscht er am Weierstraß-Institut in Berlin und am Department of Statistics der UC Berkeley (CA). copyright: Alle posts dieses blogs stehen unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 3.0, http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/ .

7 Kommentare

  1. Finde ich schon interessant, daß ein Ingenieur mit Thermodynamik und dann noch Entropie den Platz eins belegt. Im Studium taten sich einige angehende Ingenieure nicht unbedingt leicht damit. Wobei ich das Thema immer faszinierend fand. Aber der ist auch gut der Mann, wie ich im Video vom ersten Science@Stage Beitrag gesehen habe. Hoffentlich gibt es davon auch ein Video und die anderen Slammer würde ich auch noch gerne sehen. Das muß ja wirklich gut gewesen sein.

  2. @Martin: Video-feeds

    “Hoffentlich gibt es davon auch ein Video und die anderen Slammer würde ich auch noch gerne sehen. Das muß ja wirklich gut gewesen sein.”

    Ja, der ganze Slam ist gefilmt worden und entweder werden Markus Weißkopf oder ich die Videos von der Redeschlacht um das Bundeshirn hier einstellen. Im Moment werden die Videos wohl geschnitten und bearbeitet.

  3. Videos

    Ja, die Videos sind gerade in Bearbeitung. Ich hoffe, dass wir so schnell wie möglich hier das Siegervideo und dann nach und nach die anderen Beiträge präsentieren können.

  4. Thematik

    Zu beachten ist auch die große Spanne der wissenschaftlichen Aktualität – dass gerade der Siegerbeitrag keine aktuelle Forschungsarbeit war, ist schade. Sich irgendeinen Begriff zu nehmen und diesen zu erklären kommt doch häufiger vor – und so gut es sein mag, dafür ist der Slam doch nicht gedacht, oder? Platz 2 & 3 haben da eher aktuelles aus der Forschung präsentiert…

  5. @Rene Vatio: Bewertungssystem

    “- und so gut es sein mag, dafür ist der Slam doch nicht gedacht, oder?”

    Ich glaube, es vergeht kein science oder poetry slam, wo am Ende nicht über die Möglichkeiten einer besseren Bewertung geredet wird.

    Insofern sind Anregungen in dieser Sache hier hochwillkommen.

  6. @ Rene Vatio

    Der zweitplatzierte Beitrag war in der Tat eine tolle Mischung Forschungsprojekt und Unterhaltung. Aber der Drittplatzierte? Das war eine auf Pointen mit sexuellem Anklag ausgelegte Performance fast ganz ohne Inhalt. Und den Gedanken des ‘long tail’ hat der Slammer sicherlich nicht selbst entwickelt.

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