Jahresrück-Klick 2011

BLOG: Quantenwelt

Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und nach dem Vorbild von Markus A. Dahlem nebenan in den BrainLogs möchte ich die Zeit nutzen um einen Jahresrück-Klick auf die Artikel meines Blogs im Jahr 2011 zu gewähren. Ich habe mir also die Mühe gemacht, die immerhin zweiunddreißig Beiträge thematisch zu sortieren und in einen Zusammenhang zu bringen. Dabei erwähne ich die Kategorien streng in der Reihenfolge des ersten Beitrags.

Relativität

Eines meiner Lieblingsthemen ist die Relativitätstheorie und ihre Folgen. Da passt es gut, dass sich mein erster Beitrag in diesem Jahr mit relativistischen Prozessen in Autosstarter-Akkus beschäftigte. Die verwendeten Bleiakkus würden ohne relativistische Effekte eine viel zu geringe Spannung erzeugen.

Im Mai nahm ich einen XKCD-Comic, den Anatol Stefanowitsch in den Sprachlogs übersetzt hatte, zum Anlass, die Raumkrümmung und das Gummituchmodell zu erklären. Das Gummituchmodell erklärt nicht warum der Raum gekrümmt ist, es wird nicht Gravitation mit Gravitation erklärt. Das Gummituchmodell zeigt, dass gerade Bahnen auf einem gekrümmten Raum nicht gerade erscheinen müssen.

Ende September erschütterte die Ankündigung des OPERA-Projektes überlichtschnelle Neutrinos entdeckt zu haben die Medien. Ich nahm diese Anregung auf und berichtete zunächst über Tachyonen und dann über eine theoretische Veröffentlichung, die zeigte, dass überlichtschnelle Neutrinos Energie verlieren müssten. Was sich aus dem OPERA-Ergebnis ergeben wird, bleibt offen. Es wurde bisher nicht unabhängig, also an einem anderen Ort, bestätigt. Wir wissen auch nicht, wie eine Theorie aussehen kann, die ohne Tempolimit Lichtgeschwindigkeit oder mit verschiedenen Tempolimits für unterschiedliche Teilchen arbeitet.

Raumfahrt

Mit dem Weltraum habe ich mich 2011 nur zwei Mal beschäftigt. Die Kollegen und Kolleginnen von den Kosmologs können das ja auch besser. Ich verglich im Februar das Fly-By-Manöver der Merkursonde Messenger mit dem ineleastischen Stoß und durfte im Juni Gastgeber des 77. Blog-Teleskops sein. Eine sehr spannende Aufgabe, die ich gerne in 2012 wieder annehmen würde.

Atomkraft

Im März ereignete sich in Japan ein verheerendes Erdbeben mit anschließendem Tsunami. Neben den direkten Zerstörungen und unzähligen Todesopfern führte es zum Kühlungsausfall im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. In der Folge kam es zur Emission radioaktiver Isotope und zur Kernschmelze. Ich konnte ebenso wenig wie alle anderen Blogger wissen, was tatsächlich in den Brennstäben in Fukushima vor sich ging. Da ich mich gut mit Strahlenschutz auskenne, habe ich etwas über Auswirkungen der Strahlung und über berechtigte und überzogene Angst vor dem Atom geschrieben. Einige Tage später habe ich mich mit der Frage beschäftigt, inwiefern die Kernphysik beherrschbar ist und sein muss. Schließlich werden wir mit den atomaren Abfällen umgehen müssen, ob wir wollen oder nicht. Dieser Artikel hat zu einigen Missverständnissen geführt. Keinesfalls bin ich der Meinung, dass wir der Atomindustrie blind vertrauen können und die das schon machen werden. Im Gegenteil: Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens, wie mit dem Atommüll umzugehen ist. Und wir brauchen unabhängige Kontrollen der ausführenden Betriebe. Ohne kerntechnische Anlagen werden wir aber auf absehbare Zeit nicht auskommen.

Nur indirekt mit Kernenergie hat mein Artikel vom April mit der Aufforderung Halten Sie sich strikt an die Naturgesetze zu tun. Dieser Artikel ist eine Warnung, politisch keine unmöglichen Beschlüsse durchzusetzen. Ob und wie die Energieversorgung ohne Atomkraft funktioniert, ist nicht nur eine politische Frage. Vor allem sind Ingenieur- und Naturwissenschaft gefragt, geeignete Techniken zu entwickeln. Wenig später beschäftigte mich die Frage, wo man eigentlich verlässliche Informationen zur Atomkraft herbekommt und ich stellte fest, dass die Informationen, die die so genannten Lobby-Vereinigungen veröffentlichen, besser sind als ihr Ruf.

Im November habe ich anlässlich des jüngsten Castor-Transports wieder ein Atomthema aufgegriffen: Wie errechnet man eigentlich die Abstandsabhängigkeit der radioaktiven Dosisleistung?

Persönliches

Zwei Mal habe ich mich in diesem Jahr mit mir selbst beschäftigt. Direkt nach dem jährlichen Scilogs-Bloggertreffen im März, habe ich über den Ursprung meines Blogs in der Webpage Quantenwelt.de berichtet. Erst im November folgte dann der logische Schritt der Umbenennung des Blogs in Quantenwelt.

Grundlagen

Manchmal wage ich es, ganz grundlegende Fragen zu verbloggen. Manche nennen das Philosophie, aber so weit würde ich nicht gehen. Es sind Überlegungen zu wissenschaftlichen Themen. So habe ich im April darüber nachgedacht, ob denn Physik eine Realwissenschaft sei. Schließlich beschäftigen wir uns ebenso oft nur mit Modellen, wie wir uns mit der Realität beschäftigen. Bei Michael Blume in den Chronologs fand ich ein Buch, das meine Aufmerksamkeít geweckt hat: Post-Physikalismus versucht Argumente zu sammeln, die gegen den Materialismus sprechen. Es hat mich nicht überzeugt. Das Problem war nicht so sehr der Ansatz, mal über dualistische Ansätze nachzudenken, sondern dass die Autoren alle ihre Kritiker für entweder dumm oder ungebildet halten.

Im September habe ich die Frage aufgeworfen, ob Gamma- und Röntgenstrahlung dasselbe seien. Und falls nicht, worin der Unterschied besteht. Hier geht es darum, dass eine Definition nicht unbedingt für alle Teilbereiche der Physik gleich ausfallen muss. Es hängt vom Thema ab, ob man die Unterscheidung zwischen Röntgen- und Gammastrahlung besser nach Wellenlänge oder nach Entstehungsart vornimmt.

Ein ähnliches Thema, wenn auch zur Nachbarwissenschaft Soziologie, habe ich im Dezember aufgegriffen: Was ist Gender? Natürlich kann ich als Physiker nicht den Überblick über den gesamten Forschungsbereich behalten, aber es ist interessant, dass die empirischen Gesellschaftswissenschaften ähnliche Probleme haben, wie die Naturwissenschaften. Mit den Begriffen, Sex, Gender und Genus, also körperliches, soziales und grammatisches Geschlecht, muss man die Forschungsobjekte ersteinmal sauber trennen, bevor man sich empirisch an die Untersuchung machen kann, wie stark Sex und Gender verschränkt sind.

Quantenphysik

Dafür, dass mein Blog jetzt Quantenwelt heißt, kam Quantenphysik in diesem Jahr recht wenig vor. Ich habe im Mai zwei Artikel zum Licht verfasst. Im ersten ging es darum, dass man Licht meist in guter Näherung als schwingendes elektrisches Feld auffassen kann. Im zweiten Artikel berichte ich über eine Veröffentlichung W.E. Lambs, des Anti-Photons. Auch Photon ist einer der Begriffe, die in unterschiedlichen Teildisziplinen der Physik verschieden definiert werden.

Mit einem Artikel zum Quantensprung nahm ich im Mai mal wieder Stellung zu Artikeln aus den Nachbarblogs, nämlich große und kleine Quantensprünge von Beatrice Lugger und Quantensprung in der Platte von Anatol Stefanowitsch.  Es ging um die Frage, ob wir Physiker das Wort Quantensprung überhaupt benutzen, und ob es sich um einen kleinen oder großen Sprung handelt.

Auf den Spuren von Heisenberg auf Helgoland wandelte ich im Urlaub. Natürlich war das eine Fotosafari über Geologie, Biologie und natürlich auch Quantenmechanik wert. Das passt thematisch sehr gut zu einer kleinen Serie, zu der mich unser neuer Chronologger Dierk Haasis im Oktober angestiftet hat. In einem Artikel zu Schrödingers Katz] habe ich mich auf das messbare beschränkt. Für den Kollaps der Wellenfunktion ist nicht das Wissen des Beobachters, sondern der Messprozess entscheidend. In die selbe Kerbe schlägt der Folgeartikel zu verschränkten Wellenfunktionen und das Einstein-Podolski-Rosen-Paradoxon. Auch hier ist ein messbarer physikalischer Prozess am Werk und keine philosophische Spekulation.

Literatur

Mit dem Beitrag Neutrinos, Higgs und Tachyonen bin ich im Juni erstmals in das Thema Literatur eingetaucht. Es geht unter anderem um die Frage, warum der Film Solaris von Higgs-Feldern spricht, wo Stanislaw Lem im Buch Neutrinos schreibt.

Über den Roman und die beiden Filme Die Zeitmaschine von H.G. Wells habe ich im Juli und August zwei Mal gebloggt. Zunächst mit dem Fokus auf den wissenschaftlichen Roman, in dem es um vierte Dimension und menschliche Evolution geht, dann über das Frauenbild des Zeitreisenden. Hierüber bin ich dann auf den Roman “Die Frau des Zeitreisenden” gekommen und habe das dort verwendete deterministische Konzept von Zeitreisen erläutert.

Im November habe ich noch eine Rezension über einen modernen Wissenschaftsroman verfasst. Tödliches Geflecht hat mich in der Darstellung des Wissenschaftsbetriebs, nicht aber in seiner Qualität als Roman überzeugt.

Plagiate

Im Juni gab es angesichts der Plagiatsaffären um Herrn zu Guttenberg und Frau Koch-Mehrin ein Bloggewitter zum Thema Ehrlichkeit in der Wissenschaft. Ich habe mich daran beteiligt, indem ich erläuterte, warum ich Urheberrechtsverletungen nicht für entscheidend halte. Erschütternd ist die Unredlichkeit, mit der sich die Politiker Titel erschlichen haben. Im September habe ich das Thema nochmal aufgegriffen, als einzelne Medienberichte die Plagiate mit angeblich zu niedrigen Anforderungen an Medizinpromovenden relativiert haben.

Forschungsnews

Eher selten berichte ich von aktuellen Ereignissen in der Welt der Wissenschaften. Als Hobby-Blogger habe ich nicht immer die Zeit schnell zu reagierten. Ich überlasse das Berichten den Bloggern, die das besser können. Im September habe ich dennoch mal von einem aktuellen Workshop über dynamisches Wasser berichtet und zuletzt habe ich die Ergebnisse zur Beinahe-Entdeckung des Higgs-Bosons erläutert und kommentiert.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

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