Wie entstehen Kernsternhaufen in Zwerggalaxien? Neue Beobachtungen geben Aufschluss.

Zwerggalaxien sind zwar die häufigste Art Galaxien im Universum, geben der Forschung aber noch immer viele Rätsel auf. Einige Zwerge enthalten in ihrem Zentrum einen massiven Sternhaufen, dessen Entstehungsgeschichte eine seit langem diskutiert und ungeklärt ist. Heute konkurieren zwei Hypothesen um die Deutungshoheit. Neue Beobachtung mit dem Very Large Teleskop sprechen nun klar für eines der beiden Szenarien.

Zwerggalaxien, mit und ohne Kern

Als Archetyp einer Zwerggalaxie kennen wir die Sculptor Zwerggalaxie, welche von Harlow Shapley bereits in den 1930er Jahren entdeckt wurde.

Eine Aufnahme der Sculptor Zwerggalaxie. Es sind viele einzelne Sterne zu sehen.
Die Sculptor Zwerggalaxie, ein loser Bund von Sternen am südlichen Nachthimmel. Bild: ESO

Die Sculptor Zwerggalaxie ist eine typische zwergelliptische Galaxie (nicht zu verwechseln mit elliptischen Galaxien) und ist ausgesprochen Stern-arm. Deshalb erscheint sie uns, wie auch ihre zwergischen Artgenossen, als diffuses und äusserst lichtschwaches Objekt am Nachthimmel. Etwa 20 Prozent der zwergelliptischen Galaxien enthalten einen sogenannten Kernsternhaufen (englisch: nuclear star cluster, oder auch als NSC abgekürzt), welcher das Zentrum der Galaxie definiert. Diese Kernsternhaufen sind in astronomischen Aufnahmen ohne Weiteres nicht einfach von Sternen zu unterscheiden, da sie uns in den meisten Fällen als Punkt in den Bildern erscheinen. Und bei der grossen Anzahl Sternen in Bildern kann es gut vorkommen, dass ein Vordergrundstern der Milchstrasse zufälligerweise im Zentrum einer weit entfernten Zwerggalaxie sitzt. Im Folgenden sehen wir ein Bild einer zwergelliptischen Galaxie, welche einen bestätigten Kernsternhaufen in ihrem Zentrum besitzt.

Eine Aufnahme der M110 Zwerggalaxie, welche einen Kernsternhaufen in ihrer Mitte enthält.
Messier 110, ein Begleiter der Andromeda Galaxie, beherbergt einen Kugelsternhaufen im Zentrum. Dieser ist als Punkt in der Mitte des Bildes zu erkennen. Bild: Sloan Digital Sky Survey CC-BY 4.0

Kernsternhaufen, mögliche Entstehungsgeschichten

Wie entstehen Kernsternhaufen in Zwerggalaxien? Dazu hat die Fachwelt zwei konkurierende Hypothesen aufgestellt, die wir im Folgenden betrachten.

Die in-situ Entstehung von Kernsternhaufen

In diesem Szenario entstehen die Kernsternhaufen in-situ, das heisst, vor Ort, unmittelbar im Zentrum. Gas innerhalb der Zwerggalaxie strömt in das Zentrum, wo es verdichtet wird. Das verdichtete Gas formt dort schlussendlich den Kernsternhaufen. Der Kernsternhaufen wird also vor Ort mit dem Material aus der Zwerggalaxie produziert. Das bedeutet auch, dass die Zusammensetzung der Zwerggalaxie mit der Zusammensetzung des Kernsternhaufens übereinstimmen sollte, es ist ja aus dem gleichen Material geformt. Dem gegenüber steht das Szenario der externen Akkretion.

Die Verschmelzung von Kugelsternhaufen

Zwerggalaxien können eine weitere Art von Sternhaufen enthalten, namentlich die der Kugelsternhaufen. Kugelsternhaufen sind wie Kernsternhaufen eine Ansammlung von Sternen, kommen aber auch weit ausserhalb von Galaxien vor. Kugelsternhaufen entstehen innerhalb einer Zwerggalaxie, aber nicht zwingend in ihrem Zentrum. Kollidieren zwei Zwerggalaxien, kommt es durchaus vor, dass ein Kugelsternhaufen durch Gravitationseffekte von einer Galaxie zur anderen überwechselt.

Ein Kugelsternhaufen
Der Kugelsternhaufen M15 gehört zur Milchstrasse und ist deswegen als kompakte Ansammlung von Sternen zu erkennen. Credit Line & Copyright Adam Block/Mount Lemmon SkyCenter/University of Arizona.

Sind diese Kugelsternhaufen im Gravitationsfeld einer Zwerggalaxie, so verlieren sie mit der Zeit an Drehmoment. Langsam aber stetig fallen sie ins galaktische Zentrum. Dabei können sie mit weiteren Kugelsternhaufen verschmelzen und zu immer grösseren Sternansammlungen anwachsen. Irgendwann enden sie dann im Zentrum der Zwerggalaxie. Da Kugelsternhaufen von anderen Galaxien her kommen können, ist anzunehmen, dass sich ihre Zusammensetzung von derjenigen der umgebenden Zwerggalaxie unterscheidet.

Beide Szenarien, das der in-situ Entsehung und das der Verschmelzung von Kugelsternhaufen, bieten Argumente für und dawider. Und wie so häufig in der Natur, werden wahrscheinlich beide Mechanismen ihre Berechtigung haben. Es hat sich gezeigt, dass die in-situ Entstehung vor allem bei massereichen Galaxien vorkommt, da dort das Gas effizienter verdichtet werden kann, als bei den zwergischen Leichtgewichten.

Neue Beobachtungen von Kernsternhaufen

Unser Team, angeführt von Katja Fahrion von der Europäischen Südsternwarte (ESO), liefert neue Einsichten, welche wir kürzlich in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht haben. Mithilfe des integralen Feldspektrographen MUSE am Very Large Telescope haben wir Zwerggalaxien der nahen Centaurus Galaxiengruppe beobachtet. Ursprünglich war das Ziel, die seltsame Bewegung der Zwerggalaxien um Cen A genauer zu untersuchen, doch bei der Datenanalyse fiel dem Team auf, dass zwei der elf Zwerggalaxien einen Kernsternhaufen besitzen.

Die Positionierung des Beobachtungsfeldes von MUSE.
Die beiden Zwerggalaxien KKs58 und KK197 und ihre Kernsternhaufen. Der rote Rahmen stellt das Beobachtungsfeld von MUSE dar. Bild: Fahrion et al. (A&A 634, A53 2020).

MUSE ist ein moderner Spektrograph, der durch eine schlaue Anordnung von Glasfaserkabeln Spektren in jedem einzelnen Pixel des Bildes aufnehmen kann. Somit können Spektren aller Objekte innerhalb des Beobachtungsfeldes produziert werden. Ein solches Spektrum kann zum Beispiel wie folgt aussehen:

Ein Spektrum des Lichtes des Kernsternhaufens.
Das integrierte Spektrum des Kernsternhaufens der Zwerggalaxie KK197. Auf der x-Achse ist die Wellenlänge aufgetragen, auf der y-Achse die Stärke des Lichtes bei gegebener Wellenlänge. Die Absorptionslinien des Lichtes sind deutlich zu sehen. Bild: Fahrion et al. (A&A 634, A53 2020).

Stellare Absorptionsspektren

Dank der Arbeit von Sir William Huggins (1824–1910) und Lady Margaret Huggins (1848–1915) Mitte des 19. Jahrhunderts und der späteren Arbeit der (ziemlich ausschliesslich weiblichen) Computer in Harvard wissen wir, dass Sterne Absorptionslinien der uns bekannten Elemente wie Wasserstoff oder Magnesium enthalten. In den Hüllen der Sterne absorbieren diese Elemente einen Teil des Lichts, so dass der jeweilige Wellenlängenbereich schwächer leuchtet. Es entsteht eine tiefe Kerbe im aufgezeichneten Spektrum. Da diese Elemente aber immer bei derselben sehr spezifischen Wellenlänge absorbieren, können wir durch die Position der Kerben im Spektrum erfahren, um welches Element es sich handelt, und wie sich die Quelle im Vergleich zu uns bewegt (Stichwort Dopplereffekt).

Solche Absorptionslinien können also mit MUSE gemessen werden. Und da MUSE gleichzeitig das Spektrum der Galaxie und das Spektrum der einzelnen Punktquellen im Bild messen kann, können wir herausfinden, ob diese Punktquellen zur Galaxie gehören. Dies, indem die Rotverschiebung der Galaxie mit den Punktquellen übereinstimmt, also die Absorptionslinien bei der gleichen Wellenlänge erscheinen.

Die meisten Punktquellen in den Daten von Farion et al. gehörten tatsächlich zu Vordergrundsternen der Milchstrasse, aber Fahrion et al. fanden einige Objekte, die zu den Zwerggalaxien gehören. Und gerade bei den Punkten im Zentrum der Galaxien handelt es sich um Sternhaufen.

Zwei Hinweise für das Kugelsternhaufen Szenario

Fahrion et al. haben nun zwei Hinweise gefunden, die auf eines der beiden Szenarien deuten. Schauen wir uns beide an.

Die Metallizität der Kernsternhaufen

Die Absorptionslinien bescheren uns Informationen zur Zusammensetzung der Objekte. Zum Beispiel teilt uns die starke Absorptionslinie bei Wasserstoff (H alpha und H beta) mit, dass die Sterne im Kernsternhaufen Wasserstoff enthalten… was so ziemlich jeder Stern im Universum tut. Bei Metallen wie Magnesium (ja, in der Astronomie zählt jedes Element, das nicht Wasserstoff oder Helium ist, als Metall) oder Stickstoff hingegen sieht das anders aus. Magnesium zum Beispiel wird nur im Herzen massereicher Sterne produziert.

Mittels der Kombination der Elemente, sowie der Tiefe der Absorptionslinien, können wir vorhandene Sternpopulation modellieren. Dabei werden verschiedene Sternmodelle und ihre theoretischen Absorptionslinien kombiniert und mit den Beobachtungen verglichen. Im vorherigen Spektrum ist die Modellierung als rote Linie dargestellt (schwarz ist das gemessene Spektrum).

Wir können die Sternpopulation mit der Metallizität (wie Häufig ein Metall im Vergleich zu Wasserstoff vorkommt) und mit dem durchschnittlichen Alter der Sterne charakterisieren. Wie wir vorhin gesehen haben, sollten die Sterne der Kernsternhaufen je nach Szenario die gleichen Eigenschaften oder unterschiedliche Eigenschaften zur Zwerggalaxie aufweisen. Wenn sich der Kernsternhaufen aus dem Material der Zwerggalaxie geformt hat, sollten Alter und Metallizität gleich sein, wenn er sich aber aus der Verschmelzung von Kugelsternhaufen geformt hat, dann sind diese Eigenschaften verschieden.

Mithilfe von MUSE konnte Fahrion nun die Metallizität des Kernsternhaufens und der Zwerggalaxie gleichzeitig messen. Dabei zeigte sich, dass beide Kernsternhaufen weniger Metalle besassen, also eine kleinere Metallizität aufweisen, als die Zwerggalaxien, die sie beherbergen. Das bedeutet, dass die Kernsternhaufen nicht aus dem Material der Zwerge geformt worden sind. Das ist also ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die Kernsternhaufen aus etwas Externem entstanden sind.

Die relative Bewegung des Kernsternhaufens

Einen weiteren Hinweis, der für eine externe Akkretion des Kernsternhaufens spricht, finden wir in einem der beiden Zwerge, nämlich in KK197. In einem Szenario, in dem sich der Kernsternhaufen direkt im Zentrum, also in-situ, der Zwerggalaxie formt, sollte dieser die mittlere Geschwindigkeit der Zwerggalaxie aufweisen (die Autofahrerin hat auch die selbe Geschwindigkeit wie ihr Auto). Kommt der Kernsternhaufen jedoch von Aussen, dann kann er eine Bewegung relativ zur Zwerggalaxie aufweisen. Er fällt ja von Aussen ins Zentrum hinein. Und genau eine solche Relativgeschwindigkeit haben Fahrion et al. gefunden. Aber schauen wir uns das genauer an.

ein Positions-Geschwindigkeitsdiagram. Der Kernsternhaufen hat eine geringere Geschwindigkeit als die Zwerggalaxie.
Die relative Bewegung der Sternhaufen zur Galaxie. Die x-Achse gibt die Position relativ zum Zentrum der Galaxie an, die y-Achse die relative Geschwindigkeit. Der orange Balken zeigt die mittlere Geschwindigkeit der Galaxie. Der hellblaue Stern zeigt die Geschwindigkeit des Kernsternhaufens. Bild: Fahrion et al. (A&A 634, A53 2020).

Hätte der Kernsternhaufen im Zentrum dieselbe Geschwindigkeit wie der Zwerg, dann läge er im Diagram bei 0,0. Wir sehen aber, dass der Kernsternhaufen eine signifikant höhere Geschwindigkeit als die mittlere Galaxiengeschwindigkeit aufweist (sich etwa 8 km/s langsamer bewegt). Das spricht also dafür, dass sich der Kernsternhaufen noch im Einfall befindet, also nicht im Zentrum der Galaxie entstanden sein kann. Wäre der Kernsternhaufen in-situ entstanden, gäbe es keinen Grund, warum er sich aus dem Zentrum entfernen sollte. Wir wissen dank Newton, dass ein Objekt seine Bahn ohne äusseren Einfluss nicht ändert. Somit haben wir bereits zwei voneinander unabhängige Indizien dafür, dass Kernsternhaufen ausserhalb der Galaxienzentren entstehen und erst allmählich in diese einfallen.

Dieses Resultat ist ein schönes Beispiel der wissenschaftlichen Methode. Zwei Hypothesen stehen sich gegenüber und erlauben unterschiedliche Vorhersagen. Beobachtungen überprüfen diese Vorhersagen und wiegen sie gegeneinander ab. Und am Ende lässt sich ein Stück Universum besser verstehen.

Literatur

  • Fahrion et al. (2020), A&A 634, A53, “Metal-poor nuclear star clusters in two dwarf galaxies near Centaurus A suggesting formation from the in-spiraling of globular clusters”.

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Studiert habe ich Physik an der Universität Basel. Eigentlich mit dem Ziel, Lehrer zu werden, bin ich doch noch in der Wissenschaft hängen geblieben. An der gleichen Uni habe ich dann als Letzter im Fach Astronomie promoviert, kurz darauf wurde die Astronomie geschlossen. Zurzeit arbeite ich mit einem Forschungsstipendium des Schweizerischen Nationalfonds an der Universität Strasbourg. In meiner Forschung verwende ich verschiedene optische Teleskope, wie etwa das Very Large Telescope. Mein Arbeitsfeld ist die extragalaktische Astronomie, vorallem die kleinsten Galaxien im Universum – die Zwerggalaxien – begeistern mich seit Jahren. Dies, da sie das beste Labor für die Erforschung der Dunklen Materie und alternative Gravitationstheorien darstellen.

3 Kommentare

  1. In einem Szenario, in dem sich der Kernsternhaufen direkt im Zentrum, also in-situ, der Zwerggalaxie formt, sollte dieser die mittlere Geschwindigkeit der Zwerggalaxie aufweisen (die Autofahrerin hat auch die selbe Geschwindigkeit wie ihr Auto). Kommt der Kernsternhaufen jedoch von Aussen, dann kann er eine Bewegung relativ zur Zwerggalaxie aufweisen. Er fällt ja von Aussen ins Zentrum hinein.

    Könnte es nicht auch sein, dass ein Kernsternhaufen zwar innerhalb der Zwerggalaxie entsteht, aber eben nicht genau im Zentrum? Und dass er dieses genauso umkreist wie andere Sterne und man tatsächlich diese Bewegung misst? 8 km/s ist ja – in galaktischen Maßstäben betrachtet – nicht besonders viel.

  2. Nur soviel: Eine Autofahrerin hat im Gegensatz zu Ihrem Auto eine höhere Geschwindigkeit. Warum? Es Kommt auf die Masse an. Beschleunigt man verschiedene Massen; so haben größere Massen immer eine geringere Geschwindigkeit wie kleinere Massen (bedeutet: die autofahrerin wird bei einem aufprall herausgeschleudert). Inwieweit haben Massen in Relationen zu ihrer relativen Umgebung überhaupt eine Bedeutung? Massen orientieren sich immer an der Raumkrümmung.

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