Wenn sich 1000 Astronom*innen virtuell treffen – EAS Tag 1
BLOG: Prosa der Astronomie
Normalerweise würde ich jetzt – schlaftrunken, aber gespannt auf die kommende Woche – in der ersten Sitzung der EAS sitzen, welche jedes Jahr über tausend Astronomen und Astronominnen zusammenbringt. Auch dieses Jahr bin ich schlaftrunken und gespannt, nur sitze ich an meinem grossen Esstisch in meiner Wohnung in Basel anstelle in einem Konferenzgebäude in Leiden. Corona sei dank. Der Vortrag, den ich gerade höre, wird via Zoom live übertragen, das Thema “Entwicklungsarbeit durch Astronomie”, welchem ich gerade zugeschalten bin, wird aus Südafrika ge-streamed. In ein paar Minuten werde ich die Session wechseln. Das ist eine kleine inoffizielle Tradition, das “Session Hopping”, welche einen kleinen Pendlerstrom nach jedem Vortrag verursacht. Die EAS besteht aus vielen kleineren Parallelkonferenzen, die nach Themen aufgeteilt sind – normalerweise in Vorlesungsräume, heute nun in Zoomräume. Das macht zwar das Wechseln einfacher, denn gerade am ersten Tag ist die Unsicherheit noch gross, wo welche Session gerade stattfindet, aber es macht auch einsamer. Vielleicht werde ich den Stuhl wechseln.
Die Einsamkeit macht sich schon nach kurzer Zeit bemerkbar. Normalerweise würden nun mehrere dutzend Kolleginnen und Kollegen im gleichen Raum eingepfercht sein, und beim durchspähen im Raum würde man einige bekannte Köpfe ausmachen, mit welchen man gerne diese Woche noch sprechen würde, das ist aber in dieser ersten online-Ausgabe der EAS nicht möglich. Um ein Gefühl für Community hervorzurufen, haben die Organisatoren ein Slack Chat eröffnet, in dem sich jeder und jede einloggen und mitschreiben kann. Ich habe den Chat geöffnet, und nach kurzer Zeit frustriert weggeklickt – zu blöd waren mir die Fragen und Kommentare.
Der erste Vortrag ging gerade zu Ende, der Applaus blieb aus. Ich wechsle in die Parallelsession “Galaxienentwicklung” und muss lachen. Mein Kollege aus Strasbourg stellt gerade eine Frage und mir fällt auf, dass der Vortragende mal bei uns auf Besuch war. Da haben wir also die virtuelle Version des “Leute im Publikum ausmachen”, von dem ich vorhin gesprochen habe. Den Stuhl habe ich aber doch nicht gewechselt. Nun spricht Federico Lelli, mit welchem ich seit Jahren zusammenarbeite.
Er spricht über die Tully-Fisher Relation, welche einen Zusammenhang zwischen der beobachteten baryonischen (also stellarer und Gas) Masse und der Dunklen Materie beschreibt. Der Konferenzraum sieht in etwa so aus:
Mir fällt auf, dass in meinem Browser der Vollbildmodus nicht funktioniert, somit ist das Bild relativ klein. Zum Glück sind Lellis Beschriftungen in den Bildern relativ gross, so dass ich ihm problemlos folgen kann. Aber ich prophezeie Vorträge, bei welchen ich nicht mehr sehen kann, was auf den Bildern los ist.
Bald ist Kaffee-Pause. Das ist der Moment, bei dem sich die 1’700 Teilnehmenden gleichzeitig auf das Buffet stürzen sollten. Ich hole mir eine Erdbeere aus der Küche und bin erstaunt, wie gesund ich mich bisher ernähre. Mein Magen hat sich eigentlich für eine Woche Süssigkeiten eingestellt. Zum Glück bleibt die Kaffeeschlange in meiner Küche aus. Doch dann bemerke ich, dass ich um diese Uhrzeit – es ist 10:30 – eigentlich gar keinen Kaffee trinke. Die Kaffeemaschine wieder ausgeschalten, mache ich mich wieder an meinen Laptop.
Um Kaffeegeflüster zu simulieren, haben sich die Organisatoren ein kleines Spiel ausgedacht: Man wird zufällig in eine Vierergruppe eingeteilt und kann dann ganze drei Minuten miteinander sprechen. Das ganze wird dann fünf mal wiederholt. Mir ist dies zu aufregend, weshalb ich mich via Skype mit Lelli treffe um mir seine Gedanken zu einem Vortrag einzuholen. Meiner Meinung nach sind genau diese Gespräche das zentrale Element solcher Konferenzen. Und tatsächlich, meine Laune hat sich in diesem kurzen Gespräch erheblich gesteigert.
Jetzt folgt das Plenum, an dem alle teilnehmen. Lustigerweise ist dies auch das offizielle Willkommen, obwohl schon mehrere Stunden Vorträge stattgefunden haben. Das Plenum ist Lodewijk Woltjer (1930-2019) gewidmet, welcher die European Astronomical Society (EAS) gründete und lange Zeit Präsident der ESO und dann der IAU war. Woltjer arbeite in seiner Doktorarbeit mit Jan Oort am Krabbennebel und hat später auch mit Subrahmanyan Chandrasekhar gearbeitet. Er fand schon in den 60er Jahren Evidenz für Dunkle Materie in unserer Galaxie. Auch war Woltjer in Wissenschaftskommunikation interessiert und hat unter anderem das Buch “Surviving 1000 Centuries, can we do it” geschrieben. Ein wahrer Gigant der Astronomie, welchem wir viel – unter anderem das Very Large Telescope – zu verdanken haben. Es folgt eine Lodewijk Woltjer Lecture über die Entwicklung von Galaxien und danach ist – zumindest für mich – bald Mittagspause.
Am Nachmittag habe ich vor, nur noch einen weiteren Vortrag zu hören, die Versuchung an meiner eigenen Arbeit weiterzumachen ist einfach zu gross und sowieso, niemandem wird meine Absenz auffallen.
Zitat aus obigem Beitrag:
Beides – VLT und langfristiges Überleben der Menschheit ist hochaktuell und miteinander aufs engste verwoben – denn Riesenteleskope wie das VLT machen eine globale Zusammenarbeit nötig und die globale Gesellschaft wiederum ist vielen Risiken – bis hin zur Auslöschung – ausgesetzt wie jetzt gerade die Corona-Pandemie zeigt.
Nicht nur die Teilchenphysik mit dem LHC am CERN, auch die Astronomie mit den schon gebauten und neu gelanten Riesenteleskopen [GMT, James Webb, TMT, ELT] haben ungemein von der Globalisierung profitiert und wären ohne sie gar nicht denkbar.
Lodewijk Woltjer nimmt in seinem Buch „Surviving 1000 Centuries“ – soweit ich es im Google-Excerpt gelesen habe – implizit an, dass mit dem Überlenen der Menschheit auch die globale Gesellschaft überlebt und dass die Menscheit insgesamt vor allem durch terrestrische Risiken (Vulkane, Erdbeben, etc) und kosmische Risiken (Asteroiden) sowie durch Atomkriege und eventuell den Klimawandel oder durch die Limits of Growth gefährdet sei.
Doch dieses Bild hat sich inzwischen gewandelt – etwa durch Nick Bostroms Analyse der existentiellen Risiken, denen die menschliche Zivilisation ausgesetzt ist oder durch Martin Rees Buch „Our Final Hour“. Bostrom und Rees gehen beide davon aus, dass die grössten Gefahren vom Menschen selber ausgehen und zwar nicht nur durch Atomkriege, sondern auch durch von Forschern/(Bio-)Ingenieuren geschaffene Pandemien oder etwa durch eine die Weltherrschaft anstrebende künstliche Intelligenz. Bostrom sieht auch das Risiko, dass zwar die Menschheit weiterlebt, aber dass sie infolge von Katastrophen oder ungünstigen Entwicklungen steckenbleibt (T.S. Eliot: “This is the way the world ends. Not with a bang but a whimper.” ) oder dass sie wieder in Stämme/Chaos fragmentiert wird. Vor allem Martin Rees (übrigens auch ein Astronom) glaubt, dass Wissenschaft/Technik die Menschheit nicht nur zu neuen Höhen getragen hat, sondern dass sie auch implizit die gesamte Menschheit bedroht, weil immer mehr weltzerstörerische Macht in den Händen von Forschergruppen, ja sogar von Einzelforschern liege. Und einer von hunderttausenden von dazu fähigen Bioforschern wird mit Sicherheit früher oder später einen selbst geschaffenen, hochansteckenden äusserst tödlichen Virus in Umlauf bringen. Ähnliches gelte für den AI und Computerbereich.
Wie also kann sich die Menschheit gegen sich selbst und gegen terrestrische und kosmische Gefahren absichern und dennoch von globaler Zusammenarbeit profitieren – und das über tausende von zukünftigen Jahren. Die Antwort scheint klar: es ist falsch alle Eier ins gleiche Nest zu legen und über enge Verflechtungen alle gegenseitig voneinander abhängig zu machen. Doch das darf nicht bedeuten, dass man die globale Zusammenarbeit einstellt oder allzu stark beschränkt.
Vielleicht ist hier Elon Musks Vision der Menschheit als einer multiplanetaren Spezies gar nicht so falsch. Gibt es einmal autonome Menschenwelten auf dem Mars und/oder Mond und Orbit, dann können sowohl Natur – als auch Menschengewalten nicht wieder mit einem Streich alles vernichten. Sogar auf der Erde allein könnte man solche autonome Regionen aufbauen. Doch völlig isoliert müssten diese nicht sein um ihre Autonomie aufrecht zu erhalten.Sie könnten immer noch Wissen austauschen und intensiv miteinander kommunizieren und das mit zukünftiger Technologie eventuell viel besser als heute mit Zoom, etc.
Astronomen vom Mars, von Weltraumhabitaten und der Erde könnten sogar zusammen Teleskopprojekte durchführen und eine neue Corona ähnliche Epidemie auf der Erde würde dann von ihren nicht betroffenen extraterrestrischen Kollege weitergeführt werden.
Grundsätzliche Überlegung ob der Mensch lebt. Wir definieren etwas als Uns (Mensch).Sind wir vorhanden? Genauso wenig wie die Marsmenschen. Denn die Aussage des Lebens ist; wenn wir nicht sind ist alles anderes auch nicht. Mit welcher Aussage hat Einstein und die allgemeine Wissenschaft nicht Recht?