Ewige Gefühle? Wie Emotionen unser Zusammenleben beeinflussen

BLOG: NeuroKognition

Kognitive Fähigkeiten und Gehirnprozesse des Menschen
NeuroKognition

von Susanne Kiewitz, Max-Planck-Gesellschaft – Gefühle faszinieren die Forschung über alle Disziplinen hinweg. Welcher äußere Impuls löst welche innere Reaktion aus? Und was tut das Gehirn dabei? Ihre Gesetzmäßigkeiten zu verstehen, verspricht einen neuen Schlüssel für das Verständnis des Menschen und seines sozialen Verhaltens. Darin zumindest sind sich Natur- und Geisteswissenschaften einig. Den Dialog zwischen den zwei Wissenschaftskulturen wollte das Max-Planck-Forum Berlin anregen und lud mit der Hirnforscherin Tania Singer und der Historikerin Ute Frevert zwei Emotionsforscherinnen aus sehr unterschiedlichen Fachrichtungen ein. Die Moderation übernahm Gert Scobel. Das Gespräch wurde aufgezeichnet und wird am 5. April auf 3sat ausgestrahlt.

Die Gemäldegalerie mit ihrem Schatz künstlerischer Darstellungen menschlicher Gefühle bot das passende Ambiente und den Anlass zur Frage, warum die Hirnforschung das Thema Emotion erst in letzter Zeit entdeckt hat, obwohl ihr Ausdruck sich seit Menschengedenken in der Kultur spiegelt. Tania Singer, Direktorin der Abteilung „Soziale Neurowissenschaft“ am MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig widmet  sich der Erforschung sozialer Emotionen, allen voran der Empathie. Für sie sind es unter anderem neue technische Möglichkeiten, die solche höheren Hirnfunktionen für naturwissenschaftliche Erforschung zugänglich gemacht haben. Seit ein paar Jahrzehnten erst ist es mithilfe eines Magnetresonanztomografen möglich, die Hirnaktivitäten von Menschen, die miteinander interagieren, zu messen. Empathische Reaktionen im Gehirn, z.B. wenn bei Paaren der eine Partner den anderen Schmerzen erleiden sieht, werden hier mithilfe neuer Bildgebungsverfahren sichtbar. Doch nach wie vor gibt es Grenzen der Gehirnforschung, denn die subjektiven Aspekte der Wahrnehmung von Gefühlen lassen sich weiterhin nur durch Befragung oder im Gespräch ermitteln.

Ute Frevert, die am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung den Forschungsbereich „Geschichte der Gefühle“ leitet, erinnert daran, wie schwierig das Gespräch über Gefühle zu decodieren ist. Künstler, Philosophen und später die Kunstwissenschaften versuchen schon seit Jahrhunderten, subjektives Erleben und äußeren Ausdruck von Gefühlen exakt zu beschreiben. Doch Begriffe und Worte haben sich im Laufe der Zeiten verändert: „Affekt, Gefühl, Empfindung, Leidenschaft, das sind alles unterschiedliche Worte für Emotionen und sie wurden zu unterschiedlichen Epochen verschieden bewertet, wie der Blick in historische Lexika seit dem 18. Jahrhundert uns gezeigt hat.“ Stets wurde versucht, Gefühle in Einklang mit dem moralischen Regelwerk der jeweiligen Gesellschaft zu bringen und zu allen Zeiten gab es gute und schlechte, erlaubte oder verbotene Gefühle. Welche hoch oder niedrig eingestuft wurden, änderte sich und damit die Gefühlsexpressionen, so Frevert. Bei der Frage, inwieweit sich der Ausdruck von Gefühlen wirklich gewandelt hat, stieß die Diskussion zum Kern des Themas vor, denn Singer setzte dagegen, dass bestimmte Gefühle samt ihres körperlichen Ausdrucks zum unveränderlichen biologischen Repertoire des Menschen gehören. „Es gibt Basisemotionen, die nicht kulturell überformbar sind“, sagte die Forscherin.

Doch es gibt mehr als die einfachen Basisemotionen. Das macht die Suche nach einer universalen Theorie, um auch komplexere Empfindungs- und Verhaltensweisen zu erklären, schwierig. Vor allem, da die Hirnforschung zunehmend die Plastizität, also die Veränderlichkeit, des Gehirns entdeckt. Emotionale Reaktionen werden auch erlernt – und das sogar weit jenseits der Kindheit. Klar sei, betonte Singer, dass „Gefühlsempfinden und Gefühlsregulation zwei getrennte neuronale Kreise sind, die sich getrennt entwickeln. Erst im Laufe der Entwicklung werde gelernt, Gefühle auch zu kontrollieren und zu regulieren. Ein sorgsamer Umgang und die gesellschaftlich unterstützte Erziehung, die auch das emotionale Potential von Menschen berücksichtigt, liegt ihr deshalb sehr am Herzen. Mentales Training und Achtsamkeitsmeditation könnten, deutet sich in mehr und mehr Studien an, dem Einzelnen helfen – und perspektivisch der Gesellschaft. Ein Standpunkt, den die Forscherin auch Ende Januar als Gast des World Economic Forum vertrat, dem jährlichen Gipfel der Staaten- und Wirtschaftslenker in Davos. Dass jedoch Anleitungen zu einer Steigerung emotionaler Kompetenz auch negative Seiten haben könnten, gab Ute Frevert zu bedenken, denn Arbeitgeber, die von Arbeitnehmern emotionales Engagement fordern und in diesem Bereich intervenieren, greifen auch in die Privatsphären ein.

Bei der Frage, wie emotionale Prozesse im Detail ablaufen, entwickelte sich schließlich ein spontaner Dialog zwischen den Forscherinnen. Denn Gefühle treten oft gemischt auf. Frevert wies darauf hin, dass das aus Schrecken und Freude gemischte Gefühl im 18. Jahrhundert zu einer neuen Kategorie wurde, um überwältigende oder grauenhafte Eindrücke zu beschreiben. Das neue Interesse am Bösen und Entsetzlichen, etwa in der englischen Schauerromantik, war die Folge und hatte gewichtige Folgen für die Kunst und das moderne Menschenbild. Was sagt die Hirnforschung dazu? Wie kann sie derart gemischte Gefühle beschreiben? Tania Singer sah darin eine der Schwierigkeiten der Emotionsforschung: „Gefühlsmischungen sind neurowissenschaftlich schwer zu analysieren, da es uns weiterhin mit unseren Techniken noch oft an der erforderlichen zeitlichen Auflösung fehlt Wir beobachten aber, dass zum Beispiel Empathie und Schadenfreude antagonistisch wirken.“ Wenn etwa bei Experimenten die Aktivität in mit Empathie assoziierten Gehirnregionen stieg, sank sie in Gebieten, die mit Schadenfreude assoziiert sind. Im Verhalten ging die Erhöhung des empathie-bezogenen Signals mit erhöhter Hilfsbereitschaft einher.

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Scobel zum Thema „Ewige Gefühle?“

5. April 2012, 21 Uhr, 3sat

1 Kommentar

  1. gefühlte Gesetzmäßigkeiten der Gefühle

    “Gefühle – Ihre Gesetzmäßigkeiten zu verstehen, verspricht einen neuen Schlüssel für das Verständnis des Menschen und seines sozialen Verhaltens.”

    -> Was aber folgt nach dem “Verständnis”? Doch zwingend die Möglichkeit der Anwendung. Und Möglichkeit bedeutet geradezu auch die zwingende Anwendung…!?

    Interessant auch:

    Basisemotionen – wobei ich mal unterstelle, dass es nur diese gibt, aber alle anderen empfundenden Emotionen nur interpretierte Eigenschaften haben und eigendlich gleich den Basisemotionen seien.
    Beispiel:
    Die Angst vor dem Sprung mit dem Bangee-Seil in die Tiefe. Hier wird eine Basisemotion mit der Freude auf ein Abenteuer verknüpft. Ähnlich eben, wie die in der Literatur verschmolzende Angsterregung als Unterhaltungsmethode.

    Der Reiz etwas verbotenes zu tun, weil es verboten ist, ist ein weiteres Beispiel.

    Allerdings wird wohl bei allen Forschungen übersehen, dass Emotionen in heutiger Zeit überkonditioniert sind. Antiautoritäre Erziehung als Grundstruktur, die erst aufgrund der Überkonditionierung der Emotion funktioniert.
    Auch scheint es mir, als ob Emotionen künstlich erzeugt oder/und künstlich verstärkt werden können. Und was erstellt oder verstärkt werden kann, kann auch umgekehrt verringert oder unterbunden werden – von Extern. Neuro-Enhancemend auf andere Art…

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