Impostor-Syndrom: Wie es sich anfühlt, wenn es sich nicht richtig anfühlt

Ich habe mich hier schon länger nicht mehr zu Wort gemeldet – erst war da der Sommer mitsamt ersehnter Sommerpause. Und dann war da auf einmal die Schreibmüdigkeit, die sich zur Schreibblockade entwickelt hat (worüber soll ich denn hier noch schreiben, was nicht schon längst irgendwo anders geschrieben wurde?), welche sich schließlich in die ‘Einsicht‘ wandelte: ich hab ja eh nichts neues oder wertvolles zu irgendeinem Thema oder einer Diskussion beizutragen…

Und dann lese ich eine Woche später irgendwo einen Artikel genau zu dem Thema, das ich eine Woche zuvor schon abgehakt hatte – und der Artikel enthält auch keine weltverändernden neuen Erkenntnisse. Ist mir ungelogen in den letzten drei Monaten mindestens fünf Mal passiert. Also war mein erster Instinkt ‘das könnte eine spannende Geschichte/Ansatz sein‘ doch eigentlich gar nicht so falsch gewesen, oder? Warum traue ich mir dann nicht zu, der Geschichte meinen eigenen Spin zu geben? Ist das etwa dieses viel beschriebene „Impostor-Syndrom“?

Der Begriff kommt aus dem englischen und beschreibt das Gefühl, dass man eigentlich gar nichts weiß und seinen aktuellen Job/Position nicht verdient hat. Auf Deutsch wird es auch gerne mal schön altbacken als Hochstapler-Syndrom bezeichnet. Es ist keine Erkrankung, sondern vielmehr ein psychologisches Phänomen, ein „verinnerlichter Dialog, durch den die Leute denken, sie seien nicht gut genug.“ Zwar wurde das Phänomen ursprünglich vor allem Frauen zugeschrieben, doch neuere Studien schätzen inzwischen, dass zwei von fünf erfolgreichen Menschen sich selbst als Hochstapler einstufen. Andere Studien gehen sogar davon aus, dass 70 Prozent aller Menschen sich unter bestimmten Umständen oder Zeiten als Hochstapler fühlen. Es scheint also geschlechterunabhängig, aber vornehmlich unter Akademikern oder Menschen in Führungspositionen verbreitet – denn je höher die Karrierestufe umso größer die potenzielle Fallhöhe.

Impostor denken, jeden Moment könnte den Kollegen und den Vorgesetzten auffallen, dass sie eigentlich absolut ungeeignet für ihren Job sind. Gepaart mit meiner Schreibblockade ergab bzw. ergibt sich demnach für mich folgender Gedankengang: „Das ist hier alles schon viel zu lange gut gegangen – spätestens bei meinem nächsten (Scilogs-)Artikel werden alle merken, dass ich mit dem Schreiben eigentlich nix am Hut habe. Und überhaupt – mir gehört die Tastatur weggenommen.“

Rational betrachtet ist das natürlich Quatsch. Aber mit rationalen Argumenten kommt man eben gegen nicht-rationale Gedanken kaum bis gar nicht an – ansonsten gäbe es keine Phobien, keine Angststörungen, keine Klimawandel-Verneiner.

Kleiner Exkurs: es gibt tatsächlich eine Phobie, bei der man Angst hat, Erdnussbutter am Gaumen kleben zu haben – die Arachibutyrophobie. Wurde wissenschaftlich untersucht und belegt, und bezieht sich wohl auch auf die Folgen wie Würgereiz und Ersticken, also durchaus ernstzunehmende Konsequenzen. Und dennoch, das Ganze ließe sich ja relativ einfach beheben: keine Erdnussbutter im Haus aufbewahren. Wenn Sie das nächste Mal jemandem mit Arachibutyrophobie begegnen, probieren Sie mal, diesem Menschen seine Angst durch dieses rationale Argument zu nehmen – ich bezweifle, dass es von Erfolg gekrönt sein wird.

Aber zurück zum Impostor-Syndrom: Habe ich mir meinen aktuellen Job erschlichen? Nein. Die Stelle war ausgeschrieben, ich habe mich beworben und den Job bekommen. Das Leben kann so einfach sein. Bin ich ungeeignet für den Job? Man sollte meinen, mein Biologiestudium samt Promotion, Auslandsaufenthalt und jahrelange Schreiberfahrung hätten mich auf meine Arbeit als Redakteurin rund um die Biotechnologie ganz gut vorbereitet. Und trotzdem nagt der Zweifel, ob ich das denn alles verdient habe und für meinen Job überhaupt geeignet bin. Laut Wikipedia liegt das an dem sogenannten „Attributionsstil von Betroffenen“: Erfolge werden externen Ursachen wie Glück oder Zufall zugeschrieben, und an Misserfolgen ist das eigene mangelnde Können Schuld. Warum der oder die eine sein eigenes Können und seine Position ständig infrage stellt, während andere sich sogar mit fremden Lorbeeren schmücken, ist noch nicht hinreichend ergründet worden. Der Charakter spielt sicherlich eine große Rolle, und für den ist wiederum die soziale Prägung enorm wichtig – Lob am rechten Fleck kann für Kinder viel Gutes tun, während Zynismus oder zu wenig Anerkennung den Weg für die Impostor-Denkweise ebnen.

Wie aber kommt Mann oder Frau aus der Denkweise wieder heraus? Es ist wie bei so vielem: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Hat man erstmal erkannt, dass das eigene Denken womöglich fehlgeleitet ist und nicht den Fakten und der Realität entspricht, kann man aktiv „dagegen denken“. Kognitive Verhaltenstherapien oder Schreibtherapien können Betroffenen helfen, den Teufelskreis der Gedanken zu durchbrechen.

Schreibtherapie. Ha! Hier schließt sich also der Kreis. Ich schreibe wieder. Und zwar darüber, dass ich das Gefühl habe, ich sollte es eigentlich besser sein lassen – die Ironie des Lebens.

Vielleicht merkt’s ja keiner und es geht noch einmal gut.

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Judith M. Reichel hat ihre Doktorarbeit auf dem Themengebiet der Neurobiologie/ Neuropsychiatrie absolviert und ging anschließend für eine Postdoc-Stelle nach New York. Dort angekommen verschob sich ihr Interesse immer mehr in Richtung Wissenschaftskommunikation, und sie sammelte erste Erfahrungen als Gast-Bloggerin für verschiedene etablierte Seiten. Schließlich entschloss sie sich dem Labor den Rücken zu kehren und kam als Wissenschaftsredakteurin zurück nach Deutschland. Inzwischen arbeitet Sie als wissenschaftliche Referentin im Bundesforschungsministerium (BMBF), schreibt hier aber privat. Judith twittert als @worklifesthg und ist auf LinkedIn zu finden.

11 Kommentare

  1. Oh, jaa…. das Gefühl kommt so bekannt vor…

    Jetzt wünsche ich mir einen Folgeartikel über den Dunning-Kruger-Effekt…
    Und dann einen Artikel zu dessen Bedeutung für eine Demokratie…
    Und dann ein Buch dazu…

    Man darf doch wohl noch träumen.

  2. Vielleicht merkt’s ja keiner

    Nicht vorhandenes läßt sich am leichtesten ignorieren…

    Ansonsten Glückwunsch zum Entkommen aus dieser Denkfalle!

  3. Schon in der Schule lernt man, dass man Interessiertheit, Fleißigkeit und Gehorsamkeit vortäuschen muss, um überleben zu können.
    Bei der Umwerbung von Partnerinnen, und bei der Bewerbung um Anstellungen, ist es ebenfalls günstig, dass man unglaublich hochwertig erscheint.
    Falls man jemals sagen würde, was man wirklich denkt, dann wäre sofort die Hölle los.
    Erst wenn man endlich in Pension gegangen ist, kann man wirklich ganz man selbst sein.

  4. Nachtrag:
    Die erste Gefahr ist es, dass es der Erziehung gelingt, die eigene Persönlichkeit zu verändern.
    Die zweite Gefahr ist es, dass man die Persönlichkeit, die man vortäuscht, irrtümlich für die eigene Persönlichkeit hält.

  5. Ich würde dieses Imposter -Syndrom nicht für ein Hochstapler-Syndrom halten. Für mich ist eher das Gegenteil und geht in ein MinderWertigkeits-Syndrom.Die Person weiss noch nicht, was sie “wert” ist bzw. unterschätzt und zweifelt ihre Fähigkeiten und Qualitäten an. In diesem fehlenden Selbstvertrauen vergleicht man sich ständig mit Anderen.Diese werden-auf grund der eigenen überkritischen Haltung- immer besser bewertet.Das alles kann in eine Phobie entarten,wenn Angst (große Angst) mit im Spiel ist.

  6. Die Kombination von ständigem Selbstzweifel und einem begründeten Minderwertigkeitsgefühl kann die beschriebenen Symptome erzeugen.

    Eine Abhilfe kann Arbeit schaffen, deren positives Ergebnis “erarbeitet” ist.
    Diese Selbsbestätigung baut dann das Minderwertigkeitsgefühl stufenweise ab.
    Selbstzweifel allein ist noch nicht negativ, er ist Ausdruck von hohem Anspruch in Kombination von übertriebener Genauigkeit Erbsenzählersyndrom).

    Warnung! Das ist die Meinung eines absoluten Laien.

  7. Tja, überaus bekannt und oft hinderlich, wenn man sich mit anderen messen muss. Da sind die selbstverständlich Selbstbewußten gut dran, die keine Selbstvergewisserungsschleifen drehen müssen, sondern kar auf ihre Ziele zusteuern.

  8. Es gibt immer eine große Anzahl von Menschen, die besser, klüger, stärker und schöner sind, als man selbst.
    Und es gibt immer eine große Anzahl von Menschen, die schlechter, dümmer, schwächer und hässlicher sind, als man selbst.
    Wir surfen eben auf den Wogen dieser Gauß-Verteilungen.
    Am schönsten kann man jene Menschen beeindrucken, die ein anderes Spezialgebiet, als man selbst hat, haben.
    Schon als Kind habe ich meine Deutschprofessoren mit naturwissenschaftlichen Aufsätzen verwirrt.

  9. Kathrin Siebert
    Die Selbstbewußten…….die sind sich seltsamerweise gar nicht bewußt, dass sie selbstbewußt sind. Bei Frauen nennt man das Anmut oder Grazie. Wenn sie sich dessen bewußt werden, dann verliert sich diese Gabe und sie werden eitel oder eingebildet.
    Bei Männern wird dann Stolz und Imponiergehabe daraus.
    Eigentlich alles verständliche Verhaltensweisen.
    Die Selbstvergewisserungsschleifen sind dagegen ein Ausdruck von Verantwortungsgefühl.
    Man kann sie auch als Zeichen innerer Reife sehen.

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