Wie verhalten sich Tiere bei einer Sonnenfinsternis?

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Am 8 April 2024 steht die nächste Sonnenfinsternis an: sie ist von der Atlantikküste Kanadas, über die USA hinweg bis zur Pazifikküste Mexikos zu beobachten. Unter anderem auch im Southern Illinois in „Lucky Carbondale“, wie die Sky and Telescope formuliert. Das „lucky“ bezieht sich auf die gute Wetterprognose.
Genau dort habe ich die Eclipsis 2017 verbracht und habe es diesmal wieder vor. Die Southern Illinois University (SUI) bereitet das Sonnenspektakel gerade vor, mit Einführungsvorlesungen, einer Mini-ComicCon und einem gemeinsamen großen Event im Stadion, mit vielen Experten der NASA u a Institutionen, der Presse und anderen AkteurInnen.

Für 2024 haben Wissenschaftler sich eine Menge vorgenommen, es soll noch spektakulärer als 2017 werden:

Die Sonnenfinsternis 2017 verbrachten wir aber nicht im Stadion, sondern auf dem Rasen vor dem Haus. Das wollen wir 2024 auch wieder machen.
Ein ziemlich großer Rasen, begrenzt von einem kleinen Wäldchen. Im Sommer wird man bei Sonnenuntergang von den Insekten fast aufgefressen und die Grillen veranstalten ein ohrenbetäubendes Konzert.

Sonnenfinsternis macht Gänsehaut – auch bei Hühnern

Bei „meinen“ beiden totalen Sonnenfinsternissen und der fast totalen, überkam mich, als sich der Mond zunehmend vor die Sonne schob und es immer düsterer wurde, ein sehr seltsames Gefühl. Das lag nicht nur daran, dass die Temperatur spürbar sank und mit den Lichtveränderungen auch Windveränderungen spürbar wurden, sondern auch an den veränderten Geräuschen der Tiere. Die merken natürlich, das etwas passiert. Je nach Mentalität und Reflexionsfähigkeit reagieren sie unterschiedlich: Viele Arten setzen die Dunkelheit mit „go-to-bed“ gleich. Andere reagieren ängstlich.

Als sich 2017 mitten am Tag der Himmel verdunkelte, begannen die Grillen ihr Abendkonzert. Unabhängig von der Tageszeit reagierten sie mit ihrem üblichen Gute Nacht-Ritual und zirpten.
Oder vielmehr ZIRPTEN!!!!

Bei einer Sonnenfinsternis in Sambia, erzählte mir ein „Eclipse-Chaser“ (ja, das ist ein Begriff und es gibt sogar einen Artikel im Smithsonian-Magazine (und die Band spielte „You are my sunshine“)), wie Hühner mitten am Tag „zu Bett“ gingen. Er und die anderen Eclipsophilen waren auf der Suche nach der längsten Dunkelphase mitten im Busch in einem abgelegenen Dorf gelandet. Die Dorfbewohner wussten nichts von der Sonnenfinsternis und waren zwar etwas irritiert, aber freundlich – sie guckten dann alle zusammen durch die mitgebrachten Teleskope und Sonnenschutzbrillen. Die Dorfbewohner reagierten auf das seltsame Erlebnis außerdem, indem sie gemeinsam sangen – das hört sich nach einem Gänsehautmoment an. Die Hühner des Dorfes hatten es sehr eilig, in ihr Hühnerhaus zu kommen und auf ihre Hühnerstangen zu klettern. Dass diese Nacht so kurz war, irritierte die Vögel zwar, aber sie spulten einfach ihr übliches gemeinschaftliches Verhalten Beim Einsetzen der Dunkelheit ab. Und waren dann sicherlich ziemlich irritiert, dass es so schnell wieder hell wurde.
Die hatten wohl auch eine Gänsehaut.

Sonnenfinsternis im Zoo

Im Riverbanks-Zoo in Columbia, South Carolina, USA nutzte ein Team um Adam Hartstone-Rose (North Carolina State University in Raleigh), bei der Eclipsis 2017 die Gelegenheit, die Reaktionen von gleich 17 verschiedenen Tierarten (Säugetiere, Vögel und Reptilien) systematisch zu beobachten. Dafür stellten sie zuerst vier Kategorien auf:

  • Beginn der Abendroutinen oder nächtliches Verhalten
  • Furcht
  • Neuartige Verhaltensreaktionen
  • keine erkennbare Reaktion auf die Umweltveränderung.

Als nächstes führten Teams aus Forschern, Tierpflegern und freiwilligen Studenten/Zoo-Mitarbeitern Basisbeobachtungen durch, was die Tiere um die Tages- und Jahreszeit normalerweise so treiben.  Daraus erstellten sie ein Protokoll. Die Beobachtungen fanden mehrere Stunden vor der Sonnenfinsternis, währenddessen und einige Stunden danach statt.  Mit den Beobachtungen außerhalb des Astro-Events hatten sie die Basis für das normale Verhalten und konnten dadurch Abweichungen gut erkennen.
Darüber hinaus wurde bei einer Art – dem Siamang (Symphalangus syndactylus), einer Gibbonart – während der Beobachtungen auch Live-Video-/Audioaufzeichnung eingesetzt, um das Verhalten dieser intelligenten Primaten sowie seine Lautäußerungen noch detaillierter zu analysieren.
Primaten zeigen immer wieder sehr starke Reaktionen auf diese ungewöhnliche astronomische Erscheinung, z B Lemuren in einem japanischen Zoo 2012.

Der größte Teil der Arten – 13 von 17 – reagierten auf das Zwielicht und die zunehmende Verdunkelung, dabei zeigten die meisten dieser Tiere ihr gewohntes Abend- oder Nachtverhalten.
Die zweithäufigste Reaktion war bei fünf Arten offensichtliche Angst:

  • Pavianen (Papio hamadryas),
  • Gorillas (Gorilla gorilla gorilla),
  • Giraffen (Giraffa cf. camelopardalis)
  • Flamingos (Phoenicopterus ruber)
  • Loris (Trichoglossus moluccanus und Trichoglossus haematodus)

Ihnen war die Situation offensichtlich nicht geheuer. Die Säugetiere und Vögel haben also offenbar mitbekommen, dass etwas Ungewöhnliches vorging, wofür sie kein Verhaltenskonzept hatten. Darum reagierten sie mit Furcht und Flucht: „Giraffen sind ziemlich empfindlich, sie rennen nicht viel. Wenn sie fliehen, dann deshalb, weil sie vor einem Raubtier oder so etwas davonlaufen“, sagte der Hartstone-Rose gegenüber der Presse.
Nur die Reptilien, Galapagos-Schildkröten (Chelonoidis nigra) und Komodowaran (Varanus komodoensis) zeigten vollkommen neuartige Verhaltensweisen: Ihre normalerweise bewegungsarme inaktive Lebensweise wechselte auf einmal von „Chillen“ zu erhöhter Aktivität. 

 

Verhaltensweisen wie etwa die Rückkehr zu Nestern, Hühnerhäusern oder Bienenstöcken, dem Beginn der abendlicher Lautäußerungsmuster oder (bei dämmerungs- oder nachtaktiven Taxa) einer Zunahme der Aktivitätsmuster sind damit erstmals systematisch erfasst worden. Die Reaktionen im Zusammenhang mit dem „Nachteinbruch“ durch die Sonnenverdunkelung wurden sowohl bei domestizierten (z. B. Schafen und Rindern) als auch wilden (z. B. Fledermäusen, Motten und Vögeln) Arten beobachtet. Diese Daten deuten stark darauf hin, dass dieses Ereignis – trotz seiner kurzen Natur – den zirkadianen Rhythmus einer breiten Vielfalt von Tieren stören kann, von Insekten über Vögel bis hin zu Säugetieren.

Tierische Sonnenfinsternis-Anekdoten

Bisher waren wenige systematische Forschungsarbeiten zum Verhalten von Tieren bekannt, stattdessen gab es Anekdoten. Ihre Aussagefähigkeit ist begrenzt, da es ohne Protokoll und Abgleich zum Normalverhalten oft sehr subjektive Einschätzungen sind. Außerdem widersprechen sich manche Beobachtungen: 

  • 1955, Indien: Eine umfassende Analyse des Tierverhaltens während einer Sonnenfinsternis ergab, dass weder wilde noch in Gefangenschaft gehaltene Tiere eine Reaktion auf das Ereignis zeigten.
    Das könnte vielleicht daran gelegen haben, dass es keine Guidelines gab, was „normal“ und was „verändert“ sei;
  • 1994, Kansas, USA: mindestens vier Arten tagaktiver Vögel (Silberreiher, Kuhreiher, Schmuckreiher und Seidenreiher) gingen zur Abendroutine über;
  • 1995, Bharatpur, Indien:
    Nachtreiher verließen ihre Tagesquartiere;
  • 1998, Venezuela:
    tagaktive Vögel wie Pelikane suchten während der Totalität ihre Abendquartiere auf
    (Quellen dazu s Publikation von Hartstone-Rose et al)

In einer Citizen Science-Studie hatten über 600 Teilnehmende bei der Sonnenfinsternis 2017 in den USA über 2500 Beobachtungen von Tieren und Pflanzen gemeldet. Alison Young, Rebecca Johnson et al hatten in der Publikation die Beobachtungen ausgewertet und ebenfalls weitere Anekdoten gesammelt.

Vielen Fällen konnten die Beobachter gar keine Veränderung bei Pflanzen und Tieren während der Verdunkelung erkennen.
Bei Veränderungen waren die häufigsten Beobachtungen der Übergang von tagaktiven Tieren zur Abendroutine, während dämmerungs- und nachtaktive Arten „aufwachten“:

  • Ameisen wurden langsamer oder blieben ganz stehen
  • Hähne krähten
  • An Vogelfutterstellen gerade im urbanen Bereich hörten Vögel mit dem Fressen auf, vor allem bei Kolibris war dieses Verhalten auffallend.
  • Frösche begannen zu rufen
  • einige Blumen schlossen ihre Blüten
  • Tagaktive Rifffische und Meeresplankton zeigte Abendroutinen
  • Weidetiere kehrten zum Stall zurück
  • Viele Web-Spinnen zerstören am Tag ihr Netz, um es nachts an der gleich Stelle neu zu weben

Andere reagierten ängstlich:

  • Schwalben und Mauersegler flogen auf und bildeten dichtere Schwärme
  • Hühner rückten eng zusammen und verstummten

(Quellen dazu s. Publikation von Alison Young und Rebecca Johnson)

Wie hört sich eine Sonnenfinsternis an?

Die Bioakustikerin Megan F. McKenna (National Park Service) hatte 2017 mit ihren KollegInnen in 14 Parks die Geräusche vor, während und nach der Sonnenfinsternis aufgezeichnet. Sie befestigten Audiorecorder an Bäumen, Masten oder Pfählen – alles, was ermöglichte, die Empfänger etwa auf der Höhe eines menschlichen Ohrs zu montieren. In einigen anderen Parks tauchte das Team die Rekorder stattdessen akustisch unter Wasser. Das Team der NPS-Abteilung „Natural Sounds & Night Skies“ wollte herausfinden, wie die Sonnenfinsternis klingt. Der Vergleich der verschiedenen Lebensräume war eine Herausforderung, aber sie hatten ein Protokoll dafür entwickelt.
Anschließend hörten sie sich die Aufnahmen an und identifizierten die Lautäußerungen angesichts der spektakulären Sonnenshow.
Neben jeder Menge tierischen Reaktionen kam der größte Lärm kam von Menschen, die u. a. Autohupen betätigten: “You knew it when the eclipse happened,” meinte die NPS-Bioakustikerin Megan F. McKenna says. “You hear this distant human howl.”.

Mitmachen: Tierbeobachtungen während der Eclipse 2024 melden

Insgesamt sind die Verhaltensreaktionen von Tieren während einer Sonnenfinsternis komplex, verwirrend und oft widersprüchlich. Meistens lassen sie sich aber in eine der vier im Forschungsprojekt beschriebenen Verhaltensweisen einordnen lassen:

  • Beginn der Abendroutinen oder nächtliches Verhalten
  • Furcht
  • Zeigen von neuartigen Verhaltensreaktionen
  • keine erkennbare Reaktion auf die Umweltveränderung.

Das Wissenschafts-Team um den Biologie-Professor Adam Hartstone-Rose hat für 2024 ein Citizen Science-Projekt initiiert: Solar Eclipse Safari.  Sie laden alle BeobachterInnen entlang des Sonnenpfads ein, Tiere zu beobachten und zu melden. Nicht nur exotische Arten in Zoos, sondern auch in allen anderen Umgebungen: Haustiere, Vögel und Eichhörnchen in Städten, Nutztiere auf Weiden und Wildtiere in Wald und Wiese. Jede und jeder kann mitmachen, solche tierischen Reaktionen auf die Sonnenfinsternis 2024 zu beobachten und zu melden – die Forschenden bitten dabei, für Beobachtung und Meldung die vorbereiteten Protokolle zu nutzen, damit alle Datensätze vergleichbar sind.

Mit diesem Citizen Science-Projekt werden hoffentlich noch weitere Geheimnisse gelüftet, wie Tiere eine Eclipsis empfinden und darauf reagieren.
Wer mitmachen möchte: man muss sich vorher registrieren und das Protokoll digital oder analog herunterladen.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

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