Orcas haben Weiße Haie zum Fressen gern

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Aktuell geht ein Video durch die Medien, dass zeigt, wie ein einzelner Orca (Orcinus orca) namens Starboard allein einen Weißen Hai (Carcharodon carcharias) erbeutet und dann innerhalb von zwei Minuten die Leber aus dem großen Knorpelfisch reißt. Alison Towner und andere Wissenschaftler haben diesen Vorgang gerade publiziert.

Seit 2015 sind die Weißen und andere Haie vor der südafrikanischen Küste nicht mehr die Top-Prädatoren, sondern werden selbst gejagt. Vom Jäger wurden sie zum Snack.
Seitdem treiben sich dort einige Schwertwale herum, darunter die beiden Männchen Port (Backbord) und Starboard (Steuerbord), die an ihren nach rechts (Steuerbord) bzw. links (Backbord) hängenden Rückenflossen leicht erkennbar sind. Die intelligenten Zahnwale haben entdeckt, wie sie schnell an die ölreiche Haileber kommen.

Bis dahin waren Buchten wie False Bay, Mossel Bay oder Gaansbai mit ihren Pinguinen und Seelöwen-Beständen für noch nicht ganz erwachsene Weiße Haie ein gutes Revier. Die kühle Agulhas-Strömung mit ihrem sauerstoffreichen Tiefenwasser trifft hier auf den Nährstoffeintrag von Land, damit sprudelt das Meeresleben, vom Plankton über Sardinen bis zu Meeressäugern. Für die Knorpelfische war diese Gegend, wo Atlantischer und Indischer Ozean zusammentreffen, eine Art Jugendklub, bevor sie mit sechs bis sieben Metern Länge und bis über zwei Tonnen Gewicht ausgewachsen die offenen Ozeane durchqueren.  Zahlreich und regelmäßig waren die großen Haie eine sichere Basis für einen florierenden Hai-Tourismus. Das ist seit dem Auftauchen der Schwertwale vorbei, die Haie meiden nun die Buchten, in denen die Orcas aktiv sind (mich würde an dieser Stelle brennend interessieren, wie Haie diese Gefahr kommunizieren – dazu ist leider noch nichts bekannt).

Bis zu sechs Schwertwale treiben sich nun dort herum und haben Hailebern als perfekte Nahrungsquelle entdeckt. Bislang haben zwei bis sechs von ihnen die Haie gemeinsam gejagt und dann mit chirurgischer Präzision die Lebern herausgerissen.
Diesmal hat Starboard die Jagd allein durchgeführt. Zwar waren sowohl Port als auch Starboard in Sichtweite eines Bootes, aber Starboard schnappte sich den Hai allein. Er versetzte dem Knorpelfisch den üblichen Rammstoß von der Seite und lähmte ihn damit. In weniger als zwei Minuten riß der Wal dann den Haikörper auf und “operierte” die Leber heraus, die Menschen auf dem Boot konnten das pfirsichfarbene fettreiche Organ zwischen den Zähnen des Wals erkennen. Die Bewegung des Orcas waren so trainiert und fließend, wie wir eine Konservendose öffnen. Statt des sonst bei Orcas meist üblichen kooperativen Verhaltens mit dem anschließenden Teilen der Beute führte Starboard diese Jagd ganz allein durch, offenbar hatte er keine Angst vor dem Hai. Dass Starboard seine schnelle und mit tödlichen Zähnen ausgestatte Beute in zwei Minuten allein zur Strecke bringt, ist beeindruckend. Allerdings hat ein Forscherteam um Meeressäugerexperten Simon Elwen (Stellenbosch University) beobachtet, dass auch ein anderer Orca in südafrikanischen Gewässern Haie allein erlegt: ein Weibchen namens Ettie.

Als die Orcas 2015 auftauchten, standen Biologen zunächst eine ganze Weile ratlos vor tot angespülten Weißen Haien, denen die Leber fehlte, bis sie schließlich die Zahnwale als Jäger identifizieren konnten. Orcas haben einen gewaltigen Energiebedarf, als schnelle und große Meeressäuger müssen sie auf ausreichend fette Beute achten – die Knorpelfische sind für sie ideal. Haie haben große und fettreiche Lebern als Auftriebskörper und Fettreserve. So groß sind die Hai-Lebern, dass früher etwa von Riesenhaien im Nordatlantik und Nordpazifik Lebertran gewonnen wurde. Ein noch nicht ausgewachsener Weißer Hai von 2,5 Metern Länge wiegt etwa 100 Kilogramm, seine Leber macht dabei zwischen fünf und 24 Kilogramm aus – für Orcas ein guter Snack.

Orca-Verhalten per Drohne ausgespäht

Gerade die Beobachtung von Hochseebewohnern hat mit dem Einsatz von Drohnen einen Quantensprung gemacht: So nahm ein Drohnenpilot im Mai 2022 eine Jagdszene in der Mossel Bay auf, wie fünf Orcas gemeinsam einen Hai erbeuteten: Die Orcas koordinierten den gemeinsamen Zugriff aus beiden Richtungen und von unten. Mit gezielten Attacken gegen den Schwanz mit der Flosse stoppten sie sowohl den Antrieb des Hais als auch mögliche Schwanzschläge des Opfers zur Verteidigung. Das Angriffsmuster der Wale deutet darauf hin, dass sie wissen, dass ein Hai nicht luftatmend ist, wie ein Wal – bei Meeressäugern versuchen Orcas auch, ihre Opfer unter Wasser zu drücken und das Blasloch zu verschließen.
Andere Drohnen nahmen weitere Jagdszene auf, die zeigen, wie die Schwertwale Haie durch Kopfstöße oder Anpacken mit den Zähnen immobilisieren und dann gezielt in die Körpermitte beißen, wo die Leber sitzt. Auch die angespülten Hai-Kadaver zeigen immer wieder die gleichen Verletzungsmuster. Die intelligenten Zahnwale wissen also sehr genau, wie sie diese spezifische schnelle und mit scharfen Zähnen bewaffnete Beute erlegen und sich ihr öltriefendes Häppchen sichern – auf See haben schon mehrere Augenzeugen beschrieben, dass im Kielwasser der Orcas vom Hai stammendes Öl zu sehen und zu riechen war.

Mehrere Jahre Training und die Perfektionierung ihrer Jagdmethode haben die Orcas nun offenbar fit gemacht, zumindest jugendliche Weiße Haie auch allein zu erbeuten.
Diese Jagdmethode zeigt mal wieder, dass Orcas sich an veränderte Lebensumstände anpassen können: Zunächst haben sie aus welchen Gründen auch immer ein neues Jagdrevier – die Buchten vor Südafrika – erschlossen und neue, energiereiche Beute – große Haie – antdeckt. Schnell haben sie die Jagd auf diese neue Beute perfektioniert und erlegen bis zu 17 Haie am Tag. Nun sind sie ihrer Technik so sicher, dass zumindest einzelne Orcas auch allein jagen. Da Orcas ihre Jagdmethoden sowohl neu austüfteln oder verändern als auch innerhalb einer Gruppe weitergeben, sind Jagdmethoden Teil ihrer Kultur. Diese verhaltensbiologische “Plastizität” beschreibt die Fähigkeit zur Anpassung an Veränderungen. In Zeiten der Meereserwärmung und Überfischung kann sie zumindest manchen Orca-Gruppen das Überleben sichern (Dazu habe ich gerade einen Beitrag für NATUR geschrieben, mit mehr Hintergrund – sowie ich die Heft-Nummer weiß, verlinke ich hier.).
Die Anwesenheit der Orcas ist allerdings problematisch für das gesamte Ökosystem: Die Haie haben bislang vor Südafrika Seelöwen gejagt und deren Bestand “reguliert”. Die Seelöwen jagen in den Buchten gern die kleine Pinguinart. Ohne Haie vermehren sich die Robben stärker und erbeuten mehr Pinguine, deren Bestand ohnehin gefährdet ist. Damit wirbeln die Zahnwale das gesamte marine Ökosystem durcheinander, die Folgen sind noch nicht absehbar.

Woher kommen die Südafrika-Orcas?

Orcas haben Haie und Rochen auch in nordpazifischen Gewässern und vor Neuseeland als ideale Beute entdeckt, bezahlen dafür allerdings wegen der rauen Haut mit stark abgeschliffenen Zähnen. Diese Wale scheinen ihre Knorpelfische ganz zu verzehren, nicht nur die Lebern. Damit unterscheidet sich das Verhalten der vor Südafrika lebenden Schwertwale von dem ihrer haifressenden Verwandten in anderen Regionen. Ob die südafrikanischen ihre fette Beute auch mit schlechten Zähnen bezahlen, ist noch nicht bekannt.
Als die Schwertwale 2015 vor Südafrika auftauchten, war das ungewöhnlich. Bis dahin gab es nur vereinzelt Funde und Sichtungen, aber mittlerweile sind sie in den Gewässern wohl heimisch geworden. Zu welchem Ökotyp sie gehören, ist noch nicht bekannt. Eine Analyse der Orca-Totfunde an südafrikanischen Stränden zeigte 2017, dass bei den Strandungen der Antarktis Typ A dominierte, diese Wale jagen ind er Antarktis vor allem Zwergwale. Einige andere Totfunde hatten auffallend abgeflachte und manche andere stark abgekaute Zähne – wie bei den hai- und rochenfressenden Orcas in nordpazifischen Gewässern und vor Neuseeland.
2022 publizierte ein Forscher-Team um Alison Towner, dass das berühmte Orca-Duo flache Zähne hat und kürzer ist – dieser seltene Ökotyp würde an Offshore-Ökotypen aus der Nordhemisphäre erinnern.
Ich hoffe, dass bald eine genetische Untersuchung ein paar Hautproben dieser südafrikanischen Haifresser analysiert und sie dann besser zuordnen kann.





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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

9 Kommentare

  1. Vielleicht finden die Orcas ja die Seelöwen dann interessant, wenn die Haipopulation zurückgeht.
    Generell sind Orca faszinierend als aktuelle Top-Predatoren der Meere.

    • @Sascha: Ja, ich hätte eigentlich auch gedacht, dass Orcas sich gleich an die fetten Seelöwen halten würden. Allerdings unterscheiden die Zahnwale ihre Beute auch nach Wehrhaftigkeit – in der Antarktis jagen sie Weddell- und Krabbenfresser-Robben, Seeleoparden hingegen äußerst selten. Die Orca-Experten meinen, dass die Wale ihre Beute sehr genau kennen udn unterscheiden können. Nicht nur Robben in der Antarktis, sondenr ja auch einzelne Lachsarten im Nordpazifik.
      Seelöwen sind jedenfalls sehr gewandt und können übel beißen.
      Ich befürchte, dass die Orcas sich nach dem Ausbleiben der Haie eher an die Glattwalkälber halten werden : (

  2. “Ich befürchte, dass die Orcas sich nach dem Ausbleiben der Haie eher an die Glattwalkälber halten werden”

    Hauptsache sie gehen nicht an meinen Kühlschrank!

    “Seelöwen sind jedenfalls sehr gewandt und können übel beißen.”

    Aber gilt das nicht auch für die Haie? Weiß man, was den Unterschied ausmacht?

    • @Joseph Kuhn: Wer soll gehen? Die Haie?
      Seit sie “gegangen” sind, kommen mehr Glattwalmütter mit ihren Kälbern in die Buchten.
      Allerdings besteht jetzt die Gefahr, dass die Orcas sich die lahmen fetten Glattwal-Kälber holen.
      Die Orcas scheinen sich da ganz gut eingerichtet zu haben

  3. Er versetzte dem Knorpelfisch den üblichen Rammstoß von der Seite und lähmte ihn damit.

    Darf man sich das so wie einen schweren Leberhaken beim Boxen vorstellen? Da geht ein Boxer auch schon mal in die Knie, auch wenn er gar nicht am Kinn getroffen wird. Oder ist es egal, wo genau so ein Rammstoß trifft, und dem Hai bleibt auf jeden Fall “die Luft weg”?

    Mich erinnert diese Taktik jedenfalls an meine Kindheit. Da hat der brave Flipper die “bösen” Haie auch immer durch Rammstöße in die Seite oder in den Bauch zur Strecke gebracht. Natürlich, ohne ihnen danach etwas herauszubeißen, das wäre kaum kindgerecht gewesen. Machen Delfine sowas tatsächlich, oder wurde das dem TV-Flipper andressiert?

    • @Manfred Polak: Ja, Zahnwale scheinen sehr genau zu wissen, wo Haie empfindliche Stellen haben. Ich kenne aus dem Kampfsport auch Rammstöße ins “Sonnengeflecht”, also das Nervenzentrum im Bauch, das sollten alle Wirbeltiere haben. Interessant ist für mich, dass Orcas z B Zwergwale eher an den Kopf rammen. Bei einem 6 Meter-Wal wäre ein Rammstoß in den Bauch wohl zu wenig effektiv; dazu gibt es heftige Videos aus der Reihe “Frozen Planet”. Ich habe wirklich den Eindruck, dass die Orcas ihre Beute sehr genau kennen und ihre Jagdmethode im Laufe der Zeit perfektionieren – wie jetzt vor Südafrika.

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