Klimakrise: Amazonas-Flußdelfine in höchster Gefahr

Die Hitzewelle in den Ozeanen erreichte seit Mai 2023 mit dem Einsetzen El Ninos immer neue Rekorde, wie die Satellitenaufnahmen von NOAA und Copernicus zeigen. Die unzähligen flacheren Binnengewässer sind noch ungleich stärker betroffen, auch wenn bislang eher punktuell über Fischsterben etwa im Amazonas berichtet wurde. Aber durch das Massensterben der rosa Flußdelfine (Boto, Inia geoffrensis) gibt es jetzt die volle Aufmerksamkeit: Im Lago de Tefé, einem gewaltigen See an einem der Amazonaszuflüsse, sind über 125 bedrohte rosa Flussdelfine gestorben.

In dem 39 Grad warmen Flußwasser erstickten zunächst große Mengen von Fischen wegen des Sauerstoffmangels. Der Sauerstoffmangel dürfte auch andere Kiemenatmer wie Krebse und Weichtiere erwischt haben, die Verwesung der Kadaver vergiftet ganze Flußabschnitte. So ist es kein Wunder, dass nun auch massenhaft Delfine verenden. Auch wenn sie das Flußwasser nicht atmen müssen, sondern natürlich Luft an der Wasseroberfläche schnappen, dürften sie dabei giftige aufsteigende Gase direkt über der Wasseroberfläche einatmen. Außerdem nehmen sie mit ihrer Beute die Toxine der warmen Brühe voller Tierkadaver und Keime auf.

Flußdelfine jagen Piranyas

Die in Flüssen lebenden Flußdelfine sind nicht eng verwandt mit den im Ozean lebenden Delfinen, sondern nur ähnlich groß, sie haben ebenfalls einen Schnabel mit Zähnen. Da endet die Ähnlichkeit aber auch schon. Flußdelfine sind extrem stark an das Leben in trüben Flüssen angepasste Kleinwale. Verschiedene Arten und Gattungen leben heute im Amazonas, dem Rio de la Plata, dem Ganges oder Indus und im Yangtsekiang.

Der Amazonasdelfin “Baby” im Duisburger Zoo, den ich persönlich kennengelernt habe (er ist mittlerweile verstorben) (Wikipedia: Amazonasdelfin). Mehr zu Babys Geschichte ist hier.

Amazonasdelfine jagen per Echolokation und schnappen dabei geschickt auch wehrhafte Welse und Piranyas, dazu fressen sie andere Fische, Süßwassergarnelen und -krabben, Frösche und sogar Schildkröten. Angepasst an den flachen Lebensraum voller Hindernisse stoßen sie daran angepaßte Echo-Klicks niedriger Amplituden aus. Zusätzlich haben sie vereinzelte Sinneshaare auf dem Schnabel, die den Ozeandelfinen fehlen. Mit solchen Vibrissen können sie vielleicht Bewegungen im Wasser aufspüren, wie Robben. Robben folgen mit ihren Vibrissen-“Bärten” den winzigen Wasserwirbeln ihrer Beute und jagen so auch bei völliger Dunkelheit erfolgreich. Dieses BBC-Video zeigt solch eine Unterwasserjagd eines Botos zwischen Bäumen und die Sinneshaare auf dem langen Schnabel.

Amazonas-Flußdelfine sind die mit bis zu 2,55 Metern Länge und 183 Kilogramm Gewicht die größten und evolutiv wohl ältesten Süßwasserdelfine. Aufgrund ihrer grau-rosa Haut heißen sie auch pink oder rosa Delfine, ihr einheimische Name ist Boto oder Bufeo.
Trotz ihrer kleinen Augen können sie gut sehen. Ihre Schnauzen sind extrem lang und dünn und mit sehr vielen Zähnen versehen. Botos haben flexible Körper und können aufgrund beweglicher Halswirbel ihren Kopf in alle Richtungen drehen sowie die großen, paddelförmigen Brustflossen mit sechs (!) Fingern einzeln bewegen. Im Gegensatz zu anderen Walen schwimmen sie sogar rückwärts. Ihre Rückenflosse ist lang, niedrig und kammartig und die Schwanzflosse breit und dreieckig. Mit dem abgesetzten Kopf und der nicht sehr hydrodynamischen Form wirken sie knollig und behäbig.

“Expedition catches Amazon river dolphins to help save this iconic pink species” (Mongabay)

Sie sind allein, als Mutter-Kind-Paare, in kleinen und manchmal auch in größeren Gruppen unterwegs. Einst streiften diese Kleinwale durch den gigantischen Amazonas, den Orinoko und weitere Nebenflüsse, aber heute versperren Dämme oft den Weg. Die Dämme schaffen Wasserreservoire für Sojabohnen- und Reisplantagen. In der Regenzeit von Juli bis November überschwimmen die Wassersäuger solche Hindernisse einfach, und sind dann auch in angrenzende Seen und Überschwemmungsgebiete bis in den Regenwald hinein unterwegs. Bei fallenden Pegeln werden sie dann oft in zunehmend austrocknenden kleineren Becken gefangen und verhungern oder sterben an Sonnenbrand und Überhitzung. Das Problem ist nicht ganz neu, bereits 1986 wollten Umweltschützer Delfine retten. Aber die sich zunehmende Klimakrise in Kombination mit El Nino verschärft die Situation jetzt erheblich.

Klimakrise bedroht Amazonas-Delfine und die dort lebenden Menschen

Seit September wurden über 125 rosa Kadaver allein bei der abgelegenen Stadt Tefé am Lago de Tefé angespült, nie zuvor haben Anwohner und Wissenschaftler ein solches Massensterben des Boto beobachtet: „Man sieht das mit Kadavern bedeckte Wasser“, sagte Miriam Marmontel, Forscherin am Mamirauá-Institut für nachhaltige Entwicklung, das die Untersuchung des Delfinsterbens am Tefé-See leitet, etwa 330 Meilen westlich von Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas. Von anderen Flußabschnitten werden weitere Totfunde berichtet.

Im Juli erreichte die Temperatur des Sees über 39 Grad Celsius (102 Grad Fahrenheit) – etwa neun Grad heißer als gewöhnlich, so das Institut, das am 23. September die ersten Kadaver geborgen hatte. Während einige andere Wissenschaftler noch nach alternativen Ursachen suchen, darunter mögliche Krankheiten oder verschmutztes Wasser, hält Dr. Marmontel die außergewöhnlich hohe Wassertemperatur, für den Auslöser.
Meine persönliche Meinung dazu: Sie hat vollkommen recht. Wie auch etwa beim Massensterben von Fischen in der Oder sind der niedrige Wasserspiegel und die Hitze Folgen der Klimakrise. Die Oder hatte aufgrund der salzhaltigen Abwässer so eine höhere Salinität erreicht, was wieder das Wachstum der Goldalgen triggerte, deren Toxine dann die Fische töteten. Mit der Klimakrise (hier stand zunächst fälschlich “ohne”, danke fürs aufmerksame Lesen @rolak) ist solch eine Konstellation wesentlich wahrscheinlicher geworden.
So könnte auch für den Tod der Amazonas-Flußdelfine Hitze und niedriger Wasserstand zu einer höheren Konzentration toxische Bergbau-Abwasser voller Quecksilber und/oder Krankheitskeimen oder Biotoxinen geführt haben. Auch in dem Fall wäre es ohne Klimakrise kaum zu dieser Verkettung unglücklicher Umstände gekommen. Die Klimakrise und ihre Folgen dürften mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Gründe für das Boto-Sterben sein, die Wetterlage El Nino ist der aktuelle Auslöser.

Wie alle Wale, die in menschlich genutzten Arealen leben, sind die Flußdelfinarten stark gefährdet. Neben Unfällen mit Schiffen und in Fischereinetzen werden sie sogar als Fischköder gezielt gefangen, trotz ihres absoluten Schutzstatus. Staudämme und Abwassereinleitungen machen ihnen zusätzlich zu schaffen: „Die Tiere sind zahlreichen Belastungen ausgesetzt. Sie leiden unter dem illegalen Goldabbau, der die Flüsse mit Quecksilber belastet. Wasserkraftwerke blockieren ihre Wanderwege. Viele verenden auch als Beifang in den Netzen der Fischer. Mit dem Klimawandel und den Auswirkungen des sich abzeichnenden El-Niño-Effekts kommen jetzt weitere Bedrohungsfaktoren hinzu. Das Sterben der rosa Delfine verdeutlicht auch die Bedrohungen für die Arten durch die Klimakrise.“ erklärt Dr. Dirk Embert vom WWF Deutschland. 125 tote Tiere seien schon ein erheblicher Teil des dortigen Bestands von geschätzten 900 Botos. Daneben leben dort auch noch zwei andere Delfinarten, die ebenfalls auf der Roten Liste als „stark gefährdet“ stehen. Inzwischen wurden auch aus anderen Teilen des Amazonasgebietes Totfunde von Delfinen, auch Botos, gemeldet.

ExpertInnen des brasilianischen staatlichen Mamirauá-Instituts bringen nun gemeinsam mit NaturschützerInnen des WWF noch lebende, geschwächte Tiere von den Flachwasserzonen des Sees am Ufer in tiefere Gewässer, wo die Tiere bessere Überlebenschancen haben. Ein Transport in nahegelegene Flüsse ist nur bedingt sinnvoll, weil auch dort die Überlebenschancen oft nur wenig besser sind.
Da diese entlegenen Region in großen Teilen nur per Boot erreichbar und zu versorgen ist, haben die brasilianischen Behörden wegen des extrem niedrigen Wasserstands in der 60.000 Menschen-Stadt Tefé und anderen Regionen den Notstand ausgerufen. Nahrung und Treibstoff müssen auf Booten aus über 500 Kilometern Entfernung gebracht werden.

Gute Bildstrecken dazu sind hier, hier und hier (Triggerwarnung: es sind tote Kleinwale zu sehen).

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

9 Kommentare

  1. Mir stehen schon die ganze Woche die Haare zu Berge. Auch wenn ‘wir’ mittlerweile seit bummelig 50y auf die Leite einreden, es ist erschreckend, um wieviel schneller und heftiger die ‘völlig übertrieben’en AuswirkungsBeschreibungen des Klimawandels sich manifestieren…

    102 Grad Fahrenheit

    Neugierfrage: Ist das zum SelberNachrechnen oder wg ExportAbsichten?
    Trotz reichlich umgesetzter Rezepte aus tassenmessenden und fahrenheitschen Gegenden ist hier eine begleitete Umrechnung immer noch fast immer notwendig…

    • @rolak: Ich habe beide Temperaturangaben als Zitat aus dem verlinkten Artikel übernommen.
      Ja, seit 2022 bekommen wir die Quittung präsentiert, für das Verheizen fossiler Energien. Als ich ca Ende Mai die Graphiken mit dem Anstieg der Ozeantemperaturen sah, grauste mir vor den erwartbaren Folgen.
      Diese Fakten werden bis jetzt aber kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen und schon gar nicht verstanden.

  2. Es ist so, qua Datenlage, das GISS meinend, das Goddard Institute for Space Studies, der NASA angeschlossen, dass es bisher, seit 1880 bis 2023 um ca. 1 K wärmer geworden ist,
    vergleiche :
    -> https://data.giss.nasa.gov/gistemp/tabledata_v4/GLB.Ts+dSST.txt
    Was die terrestrischen Oberflächentemperaturen meint.
    Diese Datenlagen sind bis ca.1979, als langsam die Satelliten-Messungen der terrestrischen Oberflächentemperaturen hinzu kamen, unsicher.
    Wer anders meint, soll auf die Verteilung der Mess-Stationen schauen, wie sie zuvor platziert waren, also bis ca.1979.
    An sich ist es so, dass es klima-relevante Ausgasung, veranlasst durch den hier gemeinten Primaten, den bekannten Trockennasenprimaten, gibt.
    Auf dem bekannten Begleiter des Menschen-Planet, auf dem Mond, ist es bei annähernd gleichem Abstand zur Sonne ca. 50 K kühler.
    Weil aber das terrestrische Klimasystem ein sozusagen chaotisches-nicht lineares System ist, auch nur einmal stattfindet (ein wichtiger Punkt an dieser Stelle), ist und hat unklar zu bleiben wie terrestrisch zusätzlich, durch Menschen (und Bären!), Austoßung klima-relevanter Gase LETZTLICH wirkt.
    CO2 ist ein sogenanntes Forcing, das klima-relevant ist, es gibt viele andere und das zugrunde gelegte System ist ein sozusagen chaotisches, ein nicht-linerales.

    MFG
    WB (der schon davon ausgeht, dass humane Aktivität auf diesem Planten erwärmend wirkt)

  3. Wie hoch ist eigentlich die normale Körper-Kerntemperatur eines Boto?
    Ich vermute mal, dass man das gar nicht so recht weiß.
    Bei Wassertemperaturen von 39°C, also was ich ein ‘heißes Bad’ nenne,
    könnte doch einfach Überhitzung vorliegen.
    Zusätzlich zu Hg, Toxinen aus der Nahrung und Schwefelwasserstoff…

  4. Bei der Dürre in Tefé könnte neben El Nino und globaler Erwärmung zusätzlich auch die Abholzungen im Amazonasregenwald eine Rolle spielen, die den Wasserkreislauf stören.

  5. So langsam macht sich das Gefühl breit, dass wir auf ein Mass-Extinction-Event zusteuern (und es auch noch kräftig vorantreiben).

    • @Sascha: Wir sind voll drin. Einige ikonische Arten erhalten wir noch durch wilde Aktionen künstlich am Leben, aber wirklich eine Zukunft haben sie nicht. Das gilt für so einige Walarten, gerade die, die menschlichen Aktivitäten in die Quere kommen. Aber auch jede Menge anderer Arten, die die meisten Menschen gar nicht vermissen werden.

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