Hat Megalodon überlebt?

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Gerade läuft “Meg 2: Die Tiefe” (Originaltitel: Meg 2: The Trench) in den Kinos an, ein US-amerikanisch-chinesischer Science-Fiction-Actionfilm nach der Romanvorlage “The Trench” von Steve Alten.
Das Machwerk schustert bei einem Tauchgang in den Marianengraben eine erneute Begegnung mit dem größten Hai aller Zeiten – Megalodon oder “Meg” genannt – zusammen. Auch wenn es einen pseudowissenschaftlichen Aufhänger hat, ist es letztendlich nur Hai-Horror.
Zeitgleich poppen in Social Media-Kanälen Videos mit angeblichen Megalodon-Begegnung auf.

Proportions of megalodon at lengths of 3 m (9.8 ft), 8 m (26 ft), and 16 m (52 ft), extrapolated from extant relatives, with a 1.65 m (5 ft 5 in) diver (Wikipedia: Megalodon)

Otodus megalodon, so der korrekte wissenschaftliche Name, ist ein fossiler Riesenhai, der mythenumwabert in entlegenen Winkeln der Ozeane dahin vegetiert und regelmäßig wieder auftaucht. Wie eben im oben erwähnten Film, der perfekt im Sommerloch platziert ist. So können sich KinogängerInnen trösten, nicht im Sommerurlaub an einem Karibik-Strand zu liegen und Batida de Coco-Cocktails oder andere pappsüße Tropentränke zu schlürfen, schließlich ist es in einem warmen Meer ja viel zu gefährlich zum Baden. Eben wegen der Haie.
Als ich kürzlich den indischen Meeressoziologen Raj Sekhar Aich für “Natur” interviewt hatte, erklärte er mir, warum er Filme wie “Der Weiße Hai” als Hai-Horror bezeichnet und dass der Grusel nicht von der Existenz des großzähnigen Knorpelfischs herrührt, sondern nur von unserem Kopfkino, dass irgendwo im Meer, außerhalb unserer begrenzten Sichtweite, ein Hai existieren KÖNNTE. Mich hat das Gespräch mit ihm sehr nachdenklich gemacht. Der erfahrene Taucher ist mittlerweile Professor und erforscht das Mensch-Tier-Verhältnis nicht nur an Haien. Er möchte andere Menschen über die Ästhetik dieser uralten und gefährdeten Tiergruppe zu ihrem Schutz motivieren. Darum beschreibt er in seinen Begegnungen ihre Schönheit, malt die Lichtreflexe auf der geschuppten Haihaut auf Gemälde und hat sein erstes populärwissenschaftliches Buch über Haie “Iridiscent Skin” genannt.

Gerade im Sommerloch aber ist ein wohliger Schauder mitunter willkommen und so kommt es immer wieder zu angeblichen Megalodon-Situngen, etwa im Mai 2021 im Atlantik. Einige Touristen sichteten nach einer wochenlangen Schiffsreise einen “gigantischen” Hai, der dicht an der Wasseroberfläche das Boot umkurvte. Selbst auf diesen schlechten Bildern sieht es auf den ersten Blick wie ein Riesenhai aus. Diese Tiere kommen im Nordatlantik vor und werden bis zu 10 Meter lang – sie sind definitiv groß. Aber wie fast alle Meeresriesen filtireren sie nur Plankton aus dem Wasser. Auch wenn das Video millionenfach geklickt wurde und ein User das abgebildete Tier klar als Megalodon identifizierte, bleibt es leider beim planktonschlürfenden Basking shark – sein englischer Name bedeutet sonnenbadender Hai, er schwimmt oft filtrierend an der Wasseroberfläche.

Auch diese Haisichtungen in der Themse haben sich leider als nicht authentisch herausgestellt und waren als Werbung für “Meg 2” nur Fakes.


Könnten in den abyssalen Abgründen unserer Ozeane nicht vielleicht nicht doch noch einige Megalodon-Exemplare überlebt haben?
Warum sind Wissenschaftlerinnen so sicher, dass es keine mehr gibt?
Werfen wir doch mal einen genaueren Blick auf den gigantischen Hai, der durch ein Meer von Gerüchten schwimmt.

7 Fakten über Megalodon

  1. Otodus megalodon war einer der beiden größten Haie, die je gelebt haben.
    Mit geschätzten 15 bis 18 Metern war er so lang wie der heute lebende Walhai (Rhincodon typus). Walhaie werden meistens um 14 Meter lang, einzelne seltene Sichtungen berichten von 18 Meter-Exemplaren. Beide Knorpelfische sind damit auch die größten Fische überhaupt.
    Die Größe des ausgestorbenen Megalodon lässt anhand der Größe seiner Zähne und der wenigen weiteren Fossilien wie einiger Wirbel gut abschätzen.
  2. Als im 17. Jahrhundert die ersten fossilen Zähne entdeckt wurden, nannten Menschen sie zunächst “Drachenzungen” und Glücksbringer, wie viele andere der seltsam geformten fossilen Relikte auch. 1667 erkannte der dänische Anatom und Naturforscher Niels Stensen – bekannter als Nicolas Steno – die Fossilien korrekt als Haizähne und veröffentlichte dies in seinem Buch.
    Zähne sind die häufigsten Hai-Fossilien, da Haie mehrere Zahnreihen hintereinander haben. Von diesem Revolvergebiß benutzen sie jeweils den ersten Zahn, der senkrecht steht. Fällt er aus, rückt der nächste nach. So verlieren Haie ihr Leben lang Zähne, je nach Ernährung wöchentlich oder monatlich.
    Da Haie Knorpelfische sind, werden nur ihre gut fossilisierbaren Zähne gefunden, Teile des Skeletts sind hingegen sehr selten.
  3. WissenschaftlerInnen schätzen Megalodons Maul auf 2.7 bis 3.4 Meter breit.
    Früher ist es oft noch größer rekonstruiert worden. Das liegt daran, dass seine Kiefer nicht richtig zusammengesetzt waren. Mittlerweise haben einige PaläontologInnen die Kiefer noch einmal studiert und mit heutigen Haigebissen verglichen. Alte Rekonstruktionen zeigen praktisch funktionsunfähige, ausgerenkte Kiefer. (Ein häufiges Problem, wenn nur ein Skelett oder Teile davon vorliegen, auch bei Walskeletten ist mir das schon häufig aufgefallen. Um Knochen in Gelenken richtig zusammenzusetzen, braucht es ein exzellentes anatomisches Wissen und Kenntnisse des Muskelapparats. Das ist nicht einfach).
  4. Otodus megalodon hieß früher Carcharodon oder Carcharocles megalodon. Aufgrund der Ähnlickeit der dreieckigen gesägten Zähne wurde er als naher Verwandter des Großen Weißen Hais (Carcharodon carcharias) eingeordnet. Heute halten Hai-ExpertInnen die Verwandtschaft der beiden für nicht mehr ganz so eng. Auch wenn sie eine sehr ähnliche ökologische Nische besetzen.
    Mit immer mehr Fossilfunden wie etwa dem 55 Millionen Jahre alten Otodus obliquus haben PaläontologInnen Megalodons Ahnenreihe bis 100 Millionen Jahre in die Vergangenheit zurückverfolgt.
    Nach dem Stand der Forschung lebten Megalodons Vorfahren an der Seite der Ahnen des Weißen Hais, möglicherweise in Konkurrenz.
    Otodus wird heute eher mit der schlanken Gestalt eines Blauhais rekonstruiert, als mit der Carcharias-Verwandtschaft.
    Umgangssprachlich ist es beim Namen Megalodon geblieben, wie auch T. rex oder Velociraptor ist der wissenschaftliche Name dieses gigantischen Hais Teil unserer Alltagssprache geworden.
  5. Megalodon lebte von vor 20 Mio Jahren bis vor 3,6 Millionen Jahren in den warmen Ozeanen des Miozäns und bis ins Untere Pliozän. Mit der Abkühlung der Ozeane vor 3,6 Millionen Jahren endet der fossile Befund dieses riesigen Hais. Wenig verwunderlich, denn die meisten größeren Haie haben es lieber warm.
  6. Riesenhaie schwimmen heute zwar weit bis nach Norden, bleiben dabei aber im warmen Golfstrom, Weiße und andere große Haie leben in tropischen Gewässern.
    In kühlen Gewässern gibt es nur wenige große Haie: Schlafhaie wie den Grönlandhai (Somniosus microcephalus).
  7. Megalodon war definitiv der Top-Prädator seiner Zeit und dürfte für seinen erheblichen Hunger nicht sehr wählerisch gewesen sein – Wale aller Größen, andere Meeressäuger sowie ganz bestimmt auch Haie und andere Fische sowie Tintenfische dürften auf seinem langen Speisezettel gestanden haben. Darunter vielleicht auch der damals größte Pottwal Livyatan melvillei, der wahrscheinlich ebenfalls Bartenwale jagte.
    In einigen fossilen Walknochen stecken noch Teile von Megalodon-Zähnen.
  8. Megalodon kam global in wärmeren Gewässern vor. Seine Zähne sind heute auf allen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis zu finden, allerdings fehlen auch Belege aus sehr nördlichen Gewässern.
    Die Antarktis hat sich vor 30 Millionen Jahren von Südamerika abgespalten und war dann schnell durch die kühle antarktische Rundströmung von den wärmeren Ozeanen isoliert.
    Die Verteilung der fossilen Zähne weist klar darauf hin, dass dieser große Hai vor allem in tropischen und subtropischen Meeresgebieten unterwegs war. Auch dass die jüngsten Funde in Japan, dem Mittelmeer und im Nordatlantik gemacht wurden, weist auf ein Vorkommen in wärmeren Gewässern hin – diese Meeresgebiete waren noch am wärmsten.
    Da die Temperaturen in der Tiefsee global niedrig um 4° C liegen, dürfte das für diesen Hai kein Lebensraum sein.

Könnte Megalodon in der Tiefsee überlebt haben?

Da sind sich alle Hai-ExpertInnen sicher: Nein.
“‘No. It’s definitely not alive in the deep oceans, despite what the Discovery Channel (Meertext: oder andere Medien) has said in the past,’ meint Emma Bernard dazu, die Kuratorin für fossile Fische im Londoner Natural History Museum. “Wenn ein so großes Tier wie Megalodon noch in den Ozeanen leben würde, wüssten wir davon.” Die Haie würden verräterische Bissspuren bei anderen großen Meerestieren hinterlassen, und ihre riesigen Zähne würden weiterhin zu Zehntausenden den Meeresboden zumüllen (Meertext: sie hat echt “zumüllen” gesagt). Ganz zu schweigen davon, dass Megalodon als Warmwasserart im (Meertext: 4°C ) kalten Wasser der Tiefe nicht überleben könnte, wo die Chance größer wäre, unbemerkt zu bleiben (” “If an animal as big as megalodon still lived in the oceans we would know about it”’ The sharks would leave telltale bite marks on other large marine animals, and their huge teeth would continue littering the ocean floors in their tens of thousands. Not to mention that as a warm-water species, megalodon would not be able to survive in the cold waters of the deep, where it would have a better chance of going unnoticed.”) meint Emma.

So haben sich auch diese Megalodon-Alarmrufe wieder in den Weiten der Ozeane verflüchtigt. In der Populärkultur und wilden Verschwörungsmythen ist dieser Knorpelfisch aber unsterblich. Ein Evergreen der Kryptozoologie der Meere.

Und zum Schluß gibt es natürlich noch die 10 wichtigsten Meg-Sichtungen:

Falls jemand im Urlaub doch gern große Haie angucken möchte:
Vor der irischen und englischen Atlantikküste ziehen im Golfstrom im Sommer die Riesenhaie nach Norden bis nach Norwegen – dort hatte ich sie beobachtet. Sie sind nicht nur mit Fressen, Schwimmen und Sonnenbaden beschäftigt, sondern paaren sich dort offenbar auch, in einer Art Schwimm-Karussel.
Weiße Haie sieht man zuverlässiger vor der kalifornischen Küste, dort ist im sogenannten “Roten Dreieck” die höchste Sichtungsrate und das häufigste Miteinander von Menschen und Weißen Haien.

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https://meertext.eu/

Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

10 Kommentare

  1. Die Sensationslust macht auch vor Vierbeiner-Sichtungen nicht halt. Neulich in Kalifornien hat sich ein Bär im Swimmingpool einer Villa abgekühlt und wurde dabei gefilmt:

    https://www.bbc.com/news/av/world-us-canada-66349101

    Das ist eindeutig ein Schwarzbär (die ja auch nicht harmlos sind), aber in einem Fernsehbericht des ORF wurde der Meister Petz kurzerhand zu einem Grizzly “befördert”.

    Die Riesenhaie, die an Irland vorbeiziehen, wurden früher auch gejagt. Wie das ungefähr aussah, kann man in Robert Flahertys semi-dokumentarischem “Man of Aran” (1934) ansehen (ungefähr ab 32:30):

    https://www.youtube.com/watch?v=Cwmc05qW0xc

    Aran ist eine sturmumtoste Inselgruppe vor der irischen Westküste. Allerdings hatten die Inselbewohner damals die Jagd auf die Haie schon vor langer Zeit eingestellt, und Flaherty musste sie erst überreden, für den Film wieder damit anzufangen.

  2. Denkbar wäre, dass wie gemeinte und so genannte prähistorische Haie in Unterwasser-Höhlen überlebt haben, die sie zwar nicht verlassen konnten, aber doch dort die für sie benötigte Sauerstoffzufuhr erfahren konnten, der Massenanteil an der Erdhülle liegt bei ca. 50 Prozent.
    Plausibel ist hier aber wenig bis nichts, Dr. W hat den ersten der beiden Filme mit Jason Statham gesehen – und einen Jason-Statham-Film gesehen.

    Vielen Dank für die naturwissenschaftliche Aufarbeitung zum “aktuellen Fall”!

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der nichts gegen Jason Statham hat)

    • @Dr. Webbaer: Meerestiere “erzählen” ja durch ihre Körperform von ihrer Lebensweise. Haie, die gern auf dem Boden oder in Höhlen abhängen, sind flach geformt, wie etwa Ammen- oder Teppichhaie. Auch ihre Ernährung ist daran angepasst: Sie haben eher “Nußknacker”-Gebisse zum Zerbeißen starker Schnecken-, Muschel- und Krebsschalen. Sie sind keine schnellen Schwimmer, können dafür aber auch einfach mal liegen bleiben. Hochseehaie hingegen haben eine Spindelform und anders geformte Flossen. Ihr Metabolismus lässt das ausruhen und Bewegungslosigkeit nicht zu. Alle Fossilfunde deuten darauf hin, dass Otodus mgalodon ein enger Verwandter der heutigen Hochseehaie war – sein Metabolismus hätte es nicht verkraftet in Höhlen herumzulungern. Außerdem dürfte er dabei kaum satt geworden sein.

      • So in etwa hat sich der Schreiber dieser Zeilen den gemeinten Sachverhalt vorgestellt, werte Frau Bettina Wurche, sicherlich hätte es wenig zu knabbern gegeben, die Endlichkeit derart möglicher Meeres-Höhlen vorausgesetzt.
        Vielen Dank für Ihre Erklärung, sehr nett Ihre publizistische Arbeit hier, bei den “SciLogs”
        Dr. Webbaer

    • @Joseph Kuhn: Perucetus war lange vor Megalodon. Und Perucetus ist mit seinem mutmaßlichen Schwergewicht bis jetzt die absolute Ausnahme eines großen Wals. Zumindest, soweit der Fossil record es hergibt. Aber die Bemerkung zum Größenwachstum der Wale ist hier nicht hilfreich, darum streiche ich sie jetzt.

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