Gelata: Venusgürtel, Seewespe, Feuerwalze und andere Geleetiere

Mit Gelata ist mitnichten exquisites italienisches Speiseeis gemeint und die JellyCam im Monterey Bay Aquarium hat nichts mit Fruchtgummis zu tun.
Vielmehr geht es um die kristallen-durchscheinenden Wesen der Wassersäule, das gelatinöse Plankton. Zerbrechliche Tiere unterschiedlicher Größe – Quallen oder Medusen, Rippenquallen (Ctenophora), Pfeilwürmer (Chaetognatha) und Salpen (Thaliacea), Krebse (Crustacea), Würmer und Weichtiere (Mollusca). Dazu noch Larven nahezu aller Tierstämme des Meeres, von Fischen bis zu Seesternen. Hier wird es um die Rippenqhalle Leucothea gehen.
Sie ist eine von mehreren Geleetier-Arten, die im Monterey Bay Aquarium (MBARI) gehalten werden. Sowohl zu Forschungszwecken, als auch als Besucher-Attraktion.

Sea nettle Jelly Cam. Monterey Bay Aquarium, Monterey, California

Der hohe Wassergehalt dieser Organismen macht sie fragil, sie haben eine ähnliche Dichte wie Meerwasser. So sparen sie sich auch, sich aktiv um ihren Auftrieb kümmern zu müssen – ihr Auftrieb ist nahezu neutral. Da sie in der Wassersäule leben, einer Umgebung ohne mechanische Barrieren, brauchen sie auch keine besondere mechanische Festigkeit.

So können Rippenquallen schnell zu beachtlichen Größen anwachsen und verbrauchen nur wenig Energie. Die Körperhülle der Hohltiere besteht übrigens nur aus zwei Schichten, fast alle anderen Organismen der Erde haben eine dreischichtige Außenhülle.
Der Zwischenraum zwischen Innen- und Außenschicht ist mit der Mesogloea gefüllt: ein transparentes Gelee mit vielen Kollagenfasern und Bindegewebszellen. Diese Mesogloea ist extrem wasserhaltig, wie der gesamte Organismus und funktioniert als pneumatische Stabilisation.
Ihre Transparenz ist eine perfekte Tarnfärbung in der Wassersäule des offenen Ozeans. Zum Ausgleich für die Durchsichtigkeit können erstaunlich viele von ihnen in allen Regenbogenfarben flimmern und blinken. Bioluminiszenz ist Trumpf in dieser Zone der ewigen Dämmerung, der Twilight Zone.

Leucothea pulchra – die wunderschöne Meeresgöttin

Ihre transparente Schönheit sei überirdisch, so schwärmen die Biologen des Monterey Bay Aquariums von der Rippenqualle Leucothea. “Gerade eben organisiertes Wasser (barely organzied water)” nennen sie den durchsichtigen Organismus mit den acht flirrenden Wimpernsäumen. Schon eine Handbewegung könnte die fragilen Tiere zerstören.

Der transparente hohle Organismus ist ein Jäger, wie Quallen. Aber anders als die Nesseltiere haschen Rippenquallen mit nur zwei, oft sehr langen lange Tentakeln mit Klebezellen (Colloblasten) nach Beute. Nesseln kann die Rippenqualle nicht.
Dafür hat sie acht Rippen, auf denen Wimpernsäume angeordnet sind und die zur Fortbewegung dienen. Sie sind mit bloßem Auge sichtbar: “Die Schlagbewegung der angeregten Geißelplättchen setzt sich in Wellen über die Rippen fort. Die so entstehenden Bewegungsmuster erzeugen bei geeigneter Beleuchtung Interferenzfarben und sind zum Beispiel im Sonnenlicht mit bloßem Auge als regenbogenfarbig durchlaufende Lichtreflexe entlang der Rippen sichtbar.” Koordiniert werden der Wimpernschlag und die Schwimmrichtung durch die Statocyste, das Schweresinnesorgan.

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Auch Rippenquallen sind gefräßige Raubtiere (“voracious predators”, schreiben die MBARI-Biologen) und stehen an der Spitze der Nahrungskette, jedenfalls, wenn es um Plankton geht. Die flimmernden Geleetiere fressen kleine Krebstiere wie Ruderfußkrebse, Mysidaceae-Garnelen und Krill. Außerdem jagen sie pelagische Würmer und Fischlarven sowie andere Quallen, wie das Team des Monterey Bay Aqauriums (MBARI) überrascht herausfand. Bei “voracious predator” dachte ich bislang eher an einen Velociraptor als an eine Rippenqualle, aber es scheint angebracht – auf Planktonebene.

Die schöne Durchsichtige ist – wie viele ihrer gelatinösen Verwandten – zwar ein Zwitter, aber dennoch diffizil bei der Fortpflanzung. Nur wenige Rippenquallen sind sich dabei selbst genug, die meisten brauchen einen Partner, eine Partnerin. In ihrem Tiefsee-Darkroom werden sie wohl durch Lichtblitze zur Abgabe ihrer Geschlechtsprodukte animiert, einige Arten sind sogar lebendgebärend. Das Team des Monterey Bay Aquariums hat wohl erstmals überhaupt Leucothea im Aquarium zur Fortpflanzung animieren können.

So geben im Aquarium winzige Rippenquallen – “teeny Leucothea– von der Größe eines durchschnittlichen Fruchtgummis vor den  staunenden Besuchern eine Schweb- und Flimmershow. Der vermeintliche Teenie ist ein Zwischenstadium, das sogenannte Cydippea-Stadium, zwischen Larve und Erwachsenem und sieht dem erwachsenen Geleetier schon sehr ähnlich. Darin unterscheiden sich Rippenquallen von den Nessel-Quallen, die als Zwischenstadium ja meist Polypen haben.

Die Rippenquallen gehören zum Plankton, dem Schwebenden, sie bewegen sich nur bis zu einem gewissen Grad aktiv fort, daneben werden sie mit den Bewegungen des Wasserkörpers verdriftet. Durch das ständige Flimmern und Spektralfarben-Blinken wirken sie ganz schön hibbelig.
Die Ctenophoren bilden einen beträchtlichen Teil des gelatinösen Planktons. Dabei stehen oft einzelne Rippenquallen isoliert im Wasser und breiten um sich herum ihre Tentakel und ein Schleimnetz aus. Solch eine Abbildung habe ich selbst erst vorletztes Wochenende erstmals gesehen, im Vortrag von Antje Boetius, der AWI-Leiterin, anläßlich ihrer Auszeichnung mit dem Hans-Carl-von-Carlowitz-Nachhaltigkeitspreis in Chemnitz. Ich war hingerissen, leider habe ich im Internet keine Abbildung davon gefunden.

Auch wenn die transparenten Meerestiere, wie Medusen, sicherlich keinen allzu hohen Nährwert haben, sind sie offenbar lohnenswerte Häppchen für andere Rippenquallen, Medusen, Meeresschildkröten und verschiedene Fischarten.

The Sea Gooseberry (Pleurobrachia pileus) is a Comb Jelly, Phylum Ctenophora.

Auch in der Nordsee kommen einzelne Arten vor, wie die Seestachelbeere (Pleurobrachia pileus) oder die Melonenqualle (Beroe gracilis) und die Meerwalnuss (Mnemiopsis leidyi) – ein ganzer maritimer Obstsalat. Die Namensgebung finde ich irritierend, mir drängt sich der Vergleich der gelatinösen Wesen mit Obst und Nüssen nicht auf. Ich denke da eher an Wackelpudding oder Fruchtgummis.

Venusgürtel

Der Venusgürtel Cestum veneris dürfte der ungewöhnlichste Vertreter der Rippenquallen sein, er gehört zur Ornung Cestida. Die langgestreckte, durchsichtige Struktur des Tieres, die sich windend und schillernd durchs Meer schwebt, erinnert wirklich eher an den Gürtel der Göttin der Schönheit, als an ein Tier, das lebt, jagt und sich fortpflanzt. Diese Art lebt in tropischen und subtropischen Gewässern und ist mit bis zu 1,50 Metern Länge die größte Rippenqualle.

Im Video wird deutlich, wie ungewöhnlich dieses Meereswesen ist:

Cestum veneris | Venus girdle

Anderes gelatinöses Plankton hatte ich auf dem alten “Meertext”-Scienceblog schon an vorgestellt: Medusen (hier und hier) und Würfelquallen, Salpen (hier und hier), Schnecken wie die Häubchenschnecke oder das Saphirkrebschen. Nach und nach werde ich diese Beiträge überarbeiten und hier bringen.
Außerdem stehen einige der Gelata-Tiergruppen noch aus, wie etwa die Pfeilwürmer und andere wurmförmige Organismen der Meere.

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https://meertext.eu/

Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

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