Zehnersystem, Welterbe und Alternativen

BLOG: MATHEMATIK IM ALLTAG

Notizen über alles und nichts, von Günter M. Ziegler
MATHEMATIK IM ALLTAG

Von Prof. Lothar Gerritzen aus Bochum bekomme ich den Vorschlag, doch das "indische" Stellenwertsystem, das wir alle mehr oder weniger bewusst zur Darstellung von Zahlen verwenden, von der UNESCO zum Weltkulturerbe erkären zu lassen.

In der Tat, da steckt eine gewaltige Kulturleistung drin, die uns sicher im tagtäglichen Gebrauch nicht wirklich bewusst ist.

Mir ist nicht klar, ob man Erfindungen wie das Stellenwertsystem wirklich bei der UNESCO anmelden kann.
Sollten wir's versuchen? Was denken Sie?

Bei der Gelegenheit könnte sich ja auch herausstellen, dass das Zehnersystem, seine Ausgestaltung und sein Gebrauch gar nicht so selbstverständlich und gar nicht so alternativlos sind wie wir sicher meistens denken.
Hier sind drei Alternativen:

(1) Wir wissen alle, dass schon die Babylonier mit dem Zwölfersystem hantierten. Das hat in der Stundeneinteilung unserer Zwölfstundenarbeitstage Spuren hinterlassen, die nicht mehr zu löschen sind. Und in der Tat macht das Zwölfersystem Sinn: Die 12 hat  viel mehr Teiler als die 10, im Zwölfersystem sind Hälften, Drittel und Viertel leicht zu berechnen, usw.

(2) Aber auch das Achtersystem macht Sinn, insbesondere im Computerzeitalter, wo routinemäßig ins Binärsystem umzurechnen ist — und die Umrechnung andauernd zu Rundefehlern führt. Rechnen im Achtersystem ist einfach! Weiteres Plus: Der Vorschlag führt in der wunderbaren Version, die unter OCTOMATICS präsentiert wird, zu einem graphisch überzeugenden Ziffernsystem. Schauen Sie sich's an, es ist eine der schönsten Seiten im Internet!

(3) Aber auch wenn wir beim Zehnersystem bleiben wollen, ist die Aussprache zumindest im Deutscen "diskutierbar": Der Verein Zwanzigeins e.V. plädiert schon seit Jahren dafür, Zahlen viel systematischer auszusprechen, etwa "zwanzig-eins" statt "einundzwanzig" zumindest als Alternative zuzulassen. Für Schüler sei das hilfreich, würde Fehler vermeiden helfen. Ich glaube aber, das ist hoffnungslos, da siegt Tradition über Logik.  Aber warum soll man die Kollegen vom Verein (unter dem Vorsitz von Prof. Gerritzen, s.o.) nicht zum Kampf gegen Windmühlen ermutigen…

Veröffentlicht von

Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin, Leiter des “Medienbüros” der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, Aktivist, Kommunikator, Sekttrinker, Gelegenheitsblogger, Kolumnist und Buch-Autor: "Darf ich Zahlen?" und "Mathematik - Das ist doch keine Kunst!".

15 Kommentare

  1. Die Octomatics sind wirklich eine überzeugende Idee. Ich fürchte allerdings, die einzigen die dem Zustimmen werden, sind Mathematiker und Nerds.

    P.S. Der Spamschutz nimmt keine Binärzahlen. 🙁

  2. zwanzig-eins

    hm… “zwanzig-eins” … lesen sie laut die Zahlen 20; 1; 3; vor. woher soll ich wissen ob sie 21; 3; oder 20; 1; 3; meinen?

  3. “macht Sinn”

    im Deutschen schöner ist “ergibt einen Sinn” oder “ist sinnvoll”. “Macht Sinn” hört sich etwas übersetzt an.

  4. Babylonier

    Hallo,

    meines Wissens hatten die Babylonier ein Stellenwertsystem zur Basis 60 (und nicht 12)…

    Viele Grüße,

    Christian

    PS: @Sascha: Das Vorlesen der Zahlen “20;1;3” würden den Deutschen mit einer anderen Zahlsprechweise auch nicht mehr oder weniger Probleme bereiten als z.B. den Engländern (“twenty; one; three”).

  5. Zwanzigeins

    Warum hoffnungslos? Im Nowegischen wechselte man ab 1951 von der verdrehten Zahlensprechweise (wie einundzwanzig) zur unverdrehten (wie zwanzigeins). Ähnliches gesch u. a. im Englischen. Schwedischen,Walisischen, Türkischen. Warum soll es im Deutschen unmöglich sein, Toyota?

  6. zwanzig-eins

    Als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
    arbeite ich seit vielen Jahren mit Kindern und Jugendlichen, die erhebliche Schwierigkeiten mit mehrstelligen deutschen Zahlwörtern haben. Bei vielen von ihnen sind Rechenstörungen von Krankheitswert u.a.die Folge der deutschen Sprachkonvention. Diesen Menschen könnte geholfen werden, wenn das deutsche Zahlwortsystem geändert würde, so wie es Norwegen in den 70er Jahren ohne größere Probleme geschafft hat.

  7. Re: Babylonier

    … mein Fehler: in der Tat, die Babylonier rechneten offenbar in einem Sechziger-System. (Ich habe das inzwischen in “4000 Jahre Algebra”, Springer-Verlag, nachgelesen.) Klingt unpraktisch,
    aber wenn ich denen jetzt ein Zwölfersystem empfehle, komme ich auch ein paar Jahre zu spät.

  8. zehnersystem

    Wie wichtig die logische Sprechweise der Zahlen wie z.Beispiel zwanzigeins, zwanzigzwei usw in der deutschen Sprache ist, ergibt sich auch an einem Ereignis, das ich kurz schildern möchte :
    Im letzten Weltkrieg war ich als Batterie-Chef einer schweren Artillerie-Abteilung in Italien bei der deutschen Wehrmacht eingesetzt Mein Leutnant gab damals von einer Beobachtungsstelle über einen Nachrichtenmann folgendes Feuerkommando durch:
    Ganze Batterie (das waren 4 Geschütze) Entfernung 7400 gesprochen vierundsiebzig – hundert.
    Unglücklicherweise schrieb der übermüdete Nachrichtenmann 4700. Eine Zahl, die dann an die Geschütze weitergegeben und sofort ausgeführt wurde.
    Ergebnis: Es wurde viel zu kurz geschossen und das Schlimmste: Es gab über 20 Tote und Verwundete bei unseren Soldaten. Ich war äußerst erschüttert und erkannte Wäre damals in der deutschen Sprache siebzigvier und nicht vierundsiebzig üblich gewesen, wäre dieses Unglück nie passiert.
    Ich hatte mir damals bereits vorgenommen, später gegen die unlogische deutsche Zahlennomenklatur etwas zu unternehmen.

  9. Zehnersystem;zwanzigeins

    4.12.07
    Mein lieber Herr Ziegler, Sie hielten die Bemühungen des Vereins zwanzigeins noch für einen Kampf gegen Windmühlen. Sollen wir nicht immer wieder versuchen, dem gesunden Menschenverstand, der einfachen Logik, zum Durchbruch zu verhelfen, auch wenn es ein dornenvoller Weg ist? Meinen Sie wirklich, es sei ein Don Quichote Kampf? Ich nicht.

    Ich gehe davon aus, dass Sie immer so konzentriert sind, dass Sie sich praktisch nicht am Telefon wegen Zahlendrehern verwählen. Doch das passiert vielen Leuten und verschwindet auch mit jahrzehntelanger Übung nicht. Dies nur einer der Gründe für Zwanzigeins.
    Wie Sie wissen, wurde in Norwegen und in England umgestellt, und dazu auch in Wales, sofern dort walisisch gesprochen wird.
    Warum soll eine Umstellung im Deutschen nicht möglich sein, wenn sogar die traditionsbewussten Engländer das metrische Masssystem einführen konnten?
    Wir sind uns sicher einig, dass es bis zur offiziellen Einführung der normalen Sprechweise von Zahlen noch Jahre und Jahrzehnte dauern kann. Seien wir optimistisch!

  10. zwanzig-eins

    Hallo,

    ich als 12 Jähriger Schüler weiss wie schwer es ist dreiundfünfzig und fünfunddreißig auseinander zu halten,ich habe eine Umfrage gemacht und 85% meiner Mitschüler sind derselben Meinung.Die Erwachsenen meinen ja es ist eine zu große Umstellung,aber es kommt ja auf die Grundschulkinder an,die brauchen sehr lange um dreiundfünfzig und fünfunddreißig auseinander zu halten,das würde mit dreißigfünf und fünfzigdrei viel Einfacher!

  11. zwanzigeins

    Insbesondere bei der Arbeit im Unterricht mit Migranten scheint eine Unterstützung der Arbeit des Vereins “Zwanzigeins” nur vernünftig.
    Diese Kinder, die einfach immer benachteiligt werden haben grundsätzliche Schwierigkeiten, die auch mit logischen Überlegungen nicht zu überwinden sind, wenn sie mit Zahlen konfrontiert sind.
    Wie hilfreich wäre es, wenn sie entsprechend der Zehnerpotenzen auch die Zahlwörter formulieren könnten!
    Die Größenvorstellung und die Schreibweise sollte wirklich mit den Namen übereinstimmen.

  12. Sexagesimalsystem

    .. Sechziger-System .. unpraktisch?

    Überraschende Meinung. Erstens hat 60 sehr viele Teiler, zweitens verfügt ein Mathematiker (die ja weiland stets auch Kopfrechner waren) dann mit dem “kleinen” Einmaleins, also 1*1 .. 60*60 schon über eine ganz propre Rechenfähigkeit.

    Un die ich auf meiner Armbanduhr sehen kann, ist auch dieses 60er-System durchaus noch existent. (Und übrigens, das Jahr hat ungefähr 6*60 Tage, der Monat 1/2*60, wenn sich da nichts aufdrängt.

  13. vierzwanzigzehnacht

    …warum nur kommen die Franzosen mit ihrer Zählweise seit Jahrhunderten ganz gut zurecht? So wird z.B. die Zahl 98 wie: vier(mal)zwanzig(plus)zehn(plus)acht (quatrevingtdixhuit) zusammengefügt – das hat was! So was würde ich mir zur “Synapsenoptimierung” auch im Deutschen wünschen!

  14. Nun ja, dann könnte man das ja auch gleich zum geistigen Eigentum erklären und die Patentanwälte darauf ansetzen.

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