9 Zeichen für emotionale Vernachlässigung in der Kindheit

 

9 Zeichen, dass DU als Kind emotional vernachlässigt wurdest

Emotionale Vernachlässigung in der Kindheit kann im Erwachsenenalter zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von Gefühlen führen. Oft stehen ungelöste Probleme einem erfüllten Leben im Weg.

In diesem Beitrag möchte ich neun Anzeichen vorstellen, die darauf hinweisen können (aber nicht müssen), dass jemand als Kind emotional vernachlässigt wurde.

Was versteht man unter emotionaler Vernachlässigung?

Emotionale Vernachlässigung wird häufig als eine Form der Kindesmisshandlung beschrieben, die eintritt, wenn die grundlegenden emotionalen Bedürfnisse eines Kindes von den Eltern oder Erziehungsberechtigten nicht erfüllt werden. Dazu zählt beispielsweise das Trösten des Kindes, wenn es weint, das Erkundigen nach seinem Befinden und die Unterstützung beim offenen Ausdruck seiner Gefühle.

Diese Definition ist zutreffend, doch aus meiner Erfahrung und nach der Lektüre relevanter Studien zu diesem Thema bin ich der Meinung, dass es unzureichend ist, sich ausschließlich auf die Ursachen zu konzentrieren. Viele, die in ihrer Kindheit emotional vernachlässigt wurden, haben diese Vernachlässigung zum Zeitpunkt ihres Geschehens nicht als solche wahrgenommen oder verstanden. Deshalb ist es umso wichtiger, über die Auswirkungen emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit auf das Erwachsenenleben zu sprechen.

Hier sind neun Anzeichen.

Zeichen Nr. 9:

Du hast den Kontakt zu deinen eigenen Gefühlen verloren.

Das bedeutet, wenn ich dich frage wies dir heute geht und wie du dich fühlst, dann würdest du mir keine richtige Antwort geben können. Du weißt nicht, wie du beschreiben sollst wie sich Unruhe oder Aufregung anfühlt. Und wenn du etwas fühlst, hast du keine Ahnung wie du es erleben, genießen oder regulieren kannst. Deine Gefühle können sich anfühlen als wären sie außer Kontrolle, weil du nie die Chance hattest sie richtig kennenzulernen und zu lernen wie du damit umgehst. Du hast einfach langsam die Verbindung zu ihnen verloren.

Wenn ich dich frage, wie es dir heute geht und wie du dich fühlst, könntest du mir keine klare Antwort geben. Du weißt nicht, wie du Gefühle wie Unruhe oder Aufregung beschreiben sollst. Selbst wenn du etwas fühlst, hast du keine Ahnung, wie du es erleben, genießen oder regulieren kannst. Deine Gefühle scheinen außer Kontrolle zu sein, weil du nie die Chance hattest, sie richtig kennenzulernen und zu lernen, wie du damit umgehen kannst. Die Verbindung zu ihnen hast du allmählich verloren.

Der Grund, warum dies das erste Anzeichen ist, über das ich sprechen möchte, liegt darin, dass es den Kern der emotionalen Vernachlässigung trifft. Wenn Eltern unsere Gefühle nicht unterstützen, liegt das oft daran, dass sie selbst nicht angemessen mit ihren eigenen Gefühlen umgehen können. Sie sind gehemmt und können unsere natürlichen Reaktionen auf bestimmte Ereignisse nicht nachvollziehen und dementsprechend nicht unterstützen. Die Gefühle werden unterdrückt oder ignoriert. Diese Erklärung dient nicht der Entschuldigung ihres Verhaltens, sondern soll dir helfen, besser zu verstehen, warum dies möglicherweise geschehen ist.

Zeichen Nr. 8:

Du bist extrem abwehrend. 

Viele Menschen reagieren empfindlich auf scheinbar einfache Fragen wie „Was machst du gerade?“, weil sie sich dadurch in die Ecke gedrängt fühlen, als würden sie etwas Falsches tun und müssten sich nun rechtfertigen. Diese Frage kann bei manchen Personen Wut und Abwehrhaltung hervorrufen, selbst wenn sie wissen, dass der Fragende wahrscheinlich nur aus Neugier handelt und keine bösen Absichten hat. Für Personen, die in ihrer Kindheit emotional vernachlässigt wurden, kann eine solche “banale Frage” jedoch wie ein Angriff voller Vorwürfe wirken.

Wenn das Ausdrücken deiner Gefühle ständig unterdrückt wurde – sei es durch Aussagen wie „Hör auf zu weinen“ oder „Stell dich nicht so an“ – oder du einfach ignoriert wurdest, bis du dich „beruhigt hast“, dann kann die Nachfrage eines anderen Menschen nach deinem Befinden oder deinen Aktivitäten wie ein Angriff erscheinen. Es fühlt sich an, als würde man genauso behandelt, wie von den Eltern damals, und als stünde man kurz vor Schwierigkeiten. Es ist fast so, als wäre die bloße Tatsache, dass wir existieren und Gefühle haben, bereits zu viel.

Dies ist ein weiteres zentrales Problem emotionaler Vernachlässigung: Wenn wir keine Unterstützung für unsere Gefühle erhalten, kann jedes Gefühl, das wir erleben, als „zu viel“ empfunden werden. Das zeigt sich auch oft in der Therapie: Viele Menschen fürchten sich davor, sich zu öffnen und über ihre inneren Vorgänge zu sprechen, weil sie befürchten, in den freigesetzten Gefühlen zu ertrinken – als ob all die Emotionen, die sie jahrelang unterdrückt und heruntergedrückt haben, plötzlich hervorbrechen und sie überwältigen würden. Dies ist verständlich, wenn man nie die Erlaubnis hatte, seine Gefühle wirklich auszudrücken. Die Vorstellung, jetzt alles hervorzubringen, kann überwältigend erscheinen.

Tatsächlich wird Kindern oft gesagt, dass sie „zu viel“ seien, und so verknüpfen viele auch ihre Gefühle mit dem Gedanken, „zu viel zu sein“.

Wenn uns also jemand fragt, wie es uns geht oder was wir machen, fühlen wir uns unsicher, aktivieren Abwehrmechanismen und verschließen uns vollständig.

Zeichen Nr. 7:

Du möchtest es allen recht machen.

Hier spreche ich nicht von der Suche nach konstruktiven Lösungen, dem Vermeiden von Streitigkeiten oder dem gelegentlichen Erweisen eines Gefallens. Ich beziehe mich auf Menschen, die buchstäblich „alles“ tun, um die Menschen in ihrem Umfeld glücklich zu machen, indem sie diese stets an erste Stelle setzen.

Denn nur, wenn es allen anderen gut geht, fühlen sie sich selbst entspannt. Im Englischen spricht man vom „People-Pleasing“, was tatsächlich eine Form der Manipulation darstellt. Das mag zunächst seltsam klingen, aber bei näherer Betrachtung erweist sich dies als wahr. Wir versuchen sicherzustellen, dass alle anderen glücklich sind, allein aus dem Grund, damit auch wir uns wohl fühlen.

Für Menschen, die emotional vernachlässigt wurden, macht dies durchaus Sinn, denn sie haben nie gelernt, auf sich selbst zu achten. Was sie jedoch in der Regel gut gelernt haben, ist, die Gefühle anderer Menschen zu lesen und nach ihrem Befinden zu fragen, um sicherzustellen, dass es ihnen gut geht.

Beispielsweise haben wir, wenn unsere Eltern verärgert waren, gelernt, dass dies bedeuten könnte, sie würden noch distanzierter oder kälter. Es lag in unserem Interesse als Kind, dies zu verhindern. Ohne es zu merken, haben wir also möglicherweise versucht, sie glücklich zu machen, vielleicht auch in der Hoffnung, dass sie uns endlich die emotionale Unterstützung bieten, die wir benötigten.

Zeichen Nr. 6:

Du kannst schwer um Hilfe bitten oder sie annehmen.

Anzeichen Nr. 6: Du kannst schwer um Hilfe bitten oder sie annehmen.

Vielleicht erinnert ihr euch an das Meme, bei dem jemand allein ein Sofa transportiert, während die andere Seite des Sofas auf einem Bürostuhl ruht.

Die Bildunterschrift fragt: „Wie gut bist du darin, um Hilfe zu fragen, wenn du sie brauchst?“ Die Antwort ist das Bild des allein kämpfenden Trägers – eine humorvolle, aber treffende Darstellung unserer Zögerlichkeit, um Hilfe zu bitten.

Diese Zurückhaltung ist oft tief verwurzelt. Wenn wir während unserer Entwicklung gelernt haben, dass wir „zu viel“ sind und unsere Gefühle und Bedürfnisse nicht berechtigt oder sogar unerwünscht sind, führt das dazu, dass wir uns mit unseren eigenen Bedürfnissen unwohl fühlen. Die Vorstellung, jemand anderen um Hilfe zu bitten, erscheint uns dann unangemessen oder gar unzulässig.

Wenn wir an Anzeichen Nr. 8 denken, die ausgeprägte Abwehr- und Verteidigungshaltung, wird deutlich, warum die Sorge besteht, dass unser Hilfegesuch mit Ärger oder Frustration beantwortet werden könnte. Niemand möchte als „zu viel“ oder als unfähig angesehen werden, etwas allein zu bewältigen. Deshalb verzichten wir oft darauf, um Hilfe zu bitten, selbst wenn wir sie dringend benötigen.

Zeichen Nr. 5:

Du schämst dich selbst für den kleinsten Fehler.

Wenn als Kind unsere Sorgen, Bedenken und schmerzhaften Gefühle nicht akzeptiert oder vielleicht sogar ignoriert wurden, wachsen wir mit dem Glauben auf, dass wir alles alleine bewältigen müssen. Dies führt bei vielen zur Entwicklung einer „toxischen Unabhängigkeit“, einem falschen Stolz darauf, alles selbst zu machen – ohne jemals die Hilfe anderer zu benötigen.

Diese Einstellung ist jedoch oft nur eine Reaktion auf die Unfähigkeit unserer Eltern, uns die notwendige Unterstützung zu bieten. Glauben wir, dass wir jede Aufgabe selbst meistern müssen, führt jeder Fehler, den wir machen, zu großer Scham.

Ein anonymes Zitat eines Betroffenen bringt es auf den Punkt:

Ich tue alles, um selbst kleinste Fehler zu vertuschen, denn wenn die Leute wütend auf dich sind, bedeutet das, dass sie dich nicht lieben, also dürfen sie es niemals herausfinden.

Diese fehlende externe Unterstützung setzt uns unter den unnötigen Druck, „perfekt“ sein zu müssen. Dabei sind Fehler ein natürlicher Teil des Lebens; jeder macht sie. Durch sie lernen und wachsen wir.

Zeichen Nr. 4:

Du willst dich zurückziehen und alleine sein.

Für Menschen, die emotional vernachlässigt wurden, kann die Nähe zu anderen oft eine Erinnerung daran sein, „zu viel“ zu sein. Dies kann den Drang verstärken, andere glücklich zu machen und sie an erste Stelle zu setzen. Die Befürchtung, dass jemand nach ihrem Befinden fragt, kann alles in allem einfach zu überwältigend sein.

Daher erscheint es einfacher und stressfreier, alleine zu sein, nicht wahr?

Ein anonymes Zitat eines Betroffenen:

Ich bin 35 Jahre alt. Ich schreibe diese Zeilen unter der Bettdecke in meinem Bett, weil das mein sicheres Versteck ist. Hier kann niemand auf mich wütend sein, hier kann ich ich selbst sein, ohne mit anderen was zu tun haben zu müssen.

Oft fühlt es sich sicherer an, alleine zu sein, als in Gesellschaft anderer. Wenn wir alleine sind, können wir niemanden enttäuschen oder als „zu viel“ empfunden werden. Das Problem dabei ist jedoch, dass wir Menschen soziale Wesen sind und gelegentlich die Gesellschaft anderer benötigen.

Unser Nervensystem ist so programmiert, und auch wenn wir uns selbst davon überzeugen möchten, dass es besser ist, alleine zu sein, wird das Gefühl der Einsamkeit schließlich doch eintreten. Es ist, als würden wir versuchen, einen Stressfaktor zu eliminieren, von dem wir denken, er sei besonders belastend, doch schaffen wir damit ein ganz anderes Problem.

Zeichen Nr. 3:

Du lügst zwanghaft.

Zwanghaftes Lügen bedeutet, dass wir aus Gewohnheit Unwahrheiten aussprechen, weil es sicherer erscheint, und manchmal tun wir das ohne jeden erkennbaren Grund.

Wenn diese Gewohnheit durch emotionale Vernachlässigung in der Kindheit hervorgerufen wurde, liegt es oft daran, dass das Aussprechen der Wahrheit als nicht akzeptabel oder sicher empfunden wurde. Wenn du den Mut gefasst hattest, deine wahren Gefühle auszudrücken, könnten diese ignoriert oder abgetan worden sein. Wenn du nach dem gefragt hattest, was du wirklich gebraucht hast, könntest du getadelt oder ausgelacht worden sein. Also hast du gelernt zu lügen, um dich zu schützen.

Ein anonymer Erfahrungsbericht:

Es war nicht sicher, den Erwachsenen in meinem Leben meine Gefühle anzuvertrauen, also lügte ich, um ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Es hilft mir, das Gefühl zu haben, dass meine persönliche innere Wahrheit geschützt ist, denn niemand kann sie entkräften kann, wenn er sie nicht einmal kennt.

Das Problem dabei ist, dass diese Strategie uns zwar möglicherweise als Kind geholfen hat, im Erwachsenenalter jedoch zu weiteren Schwierigkeiten führen kann. Dazu gehören Probleme bei der Arbeit oder in Beziehungen, besonders wenn andere herausfinden, dass wir über wichtige Dinge gelogen haben. Diese Gewohnheit ist stressig und kann andere Menschen verletzen.

Zeichen Nr. 2:

Du hast Schwierigkeiten Entscheidungen zu treffen.

Wenn wir unsere eigenen Gefühle nicht wahrnehmen können, fühlen wir uns oft verloren, unsicher darüber, wer wir sind oder was wir im Leben erreichen möchten. Diese Unsicherheit kann die Entscheidungsfindung erheblich erschweren.

Besonders wenn du zu den Menschen gehörst, die ängstlich sind und es allen recht machen wollen, besteht die Tendenz, sich vor der Möglichkeit zu fürchten, eine falsche Entscheidung zu treffen und dadurch jemanden zu verärgern. Die Aufforderung, eine Entscheidung zu treffen, kann dann wie eine Lähmung wirken.

Diese Lähmung ist übrigens nicht bloß metaphorisch zu verstehen – sie kann tatsächlich eine Stressreaktion sein. Der menschliche Körper reagiert auf Stress generell auf eine von drei Arten: Kampf, Flucht oder Erstarrung. Wenn es nie akzeptiert wurde, eine eigene Meinung zu haben oder starke emotionale Reaktionen zu zeigen, kann die einfache Frage, was wir wollen, eine echte Stressreaktion auslösen. Unser Körper reagiert dann mit Erstarrung: Wir sind unfähig zu denken, uns zu bewegen und schon gar nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen.

Und schließlich Zeichen Nr 1: 

Du suchst dir emotional unerreichbare Partner.

Es mag schmerzhaft zu akzeptieren sein, aber wenn unsere Eltern emotional nicht auf uns eingegangen sind und unsere Gefühle nicht anerkannt haben, neigen wir dazu zu glauben, dass dies in Beziehungen normal sei. Wir suchen dann nach Partnern, die genau dieses Muster widerspiegeln.

Paradoxerweise fühlen wir uns bei jemandem, der emotional nicht verfügbar ist, auf merkwürdige Weise wohl. Wir streben danach, diese Personen an uns zu binden, weil uns dieses Verhalten als normal erscheint.

Selbst wenn wir uns auf eine Beziehung mit jemandem einlassen, der emotional gesund und verfügbar ist, könnten wir uns schnell überfordert fühlen, da uns diese Person als zu anhänglich erscheint. Die Erwartung, über unsere Gefühle sprechen zu müssen, kann erdrückend wirken. Doch es gibt Hoffnung: Dieses Muster kann mit Hilfe von Therapie und einer offenen Auseinandersetzung mit unseren Anziehungsmustern überwunden werden. Es mag Zeit erfordern und anfangs unangenehm sein, aber es gibt die Möglichkeit zur Besserung.

Auch wenn deine Kindheit vielleicht weit entfernt von ideal war, selbst wenn sie wirklich hart war, bedeutet das nicht, dass du nicht heilen und auf eine erfüllte und gesunde Zukunft hinarbeiten kannst. Deine Vergangenheit mag zwar einen Einfluss darauf haben, wer du bist, aber du hast die Macht, deine Gegenwart und Zukunft zu gestalten – wenn nicht allein, dann mit professioneller Unterstützung durch eine gute Therapie.

 

~ QUELLEN ~

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Dr. med. Marlene Heckl arbeitet als approbierte Ärztin und hat an der Technischen Universität München und Ludwig-Maximilians-Universität studiert und promoviert. Seit 2012 schreibt die Preisträgerin des "Georg-von-Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus" für Ihren Blog "Marlenes Medizinkiste" und veröffentlicht Science-Videos auf Youtube und modernen social-media Plattformen, für die sie bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. Für Spektrum der Wissenschaft, Die Zeit, Thieme, Science Notes, DocCheck u.a. befasst sie sich mit aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Themen, die ihr am Herzen liegen. Kontakt: medizinkiste@protonmail.com

11 Kommentare

  1. Lässt sich sogar eine ganze Kultur drauf aufbauen. Die all ihre Superkräfte daraus schöpft. Superkräfte sind im echten Leben ja Überspezialisierung, und die erreicht man oft, indem man etwas amputiert, damit sich etwas Anderes überentwickelt, um es zu kompensieren. Das Fehlende wird aber dann zur Schwachstelle, die andere Leute nicht haben, und damit folgt aus der Superkraft das Kryptonit. Als würde man Sie blenden, damit Sie ein überempfindliches Gehör entwickeln.

    Deutsche gelten allgemein als unfreundlich und gefühlskalt, sehe ich aber nicht so. Wenn ein Deutscher einen Verwundeten vor seinem Haus findet, rennt er nicht zu ihm und sagt ihm kein gutes Wort – er baut ihm ein Krankenhaus, ruft einen Krankenwagen, und sagt „Rein da, verpiss dich, blute mir den Rasen nicht voll!“ Wenn Sie sich den deutschen Staat anschauen, sehen Sie sehr viel Mitmenschlichkeit, die in Beton gegossen und Paragraphen gemeißelt wurde: Ein Herz aus Eisen und ein Gefängnis zugleich.

    Deutsche sind halt ein ängstliches Völkchen, ganz besonders, was Gefühle angeht, und möchten damit nicht belästigt werden. Es ist nicht so, dass sie sie verteufeln würden. Sie führen sich auf, wie die misshandelten Ehefrauen ihres eigenen Gefühlslebens – verhandeln mit dem Tyrannen, beschwichtigen ihn, versuchen, ihn zu zähmen, tricksen und lügen und laufen auf Zehenspitzen. Gefühle – ja, aber immer nur lauwarm, kontrolliert und mit Polizisten, die aufpassen, dass sie bei dem Knastbesuch nicht durch die Scheibe brechen und einen verschlingen.

    Richtig öffnen können sie sich nur in sehr kleinen, vertrauten Gruppen – Familien und Freundeskreisen. Das macht sie zu Tolkiens Zwergen unterm Berge (vielleicht waren die Deutschen seine Inspiration?): Sie sind super bei vielem, was Individuen und kleine Teams erledigen können: Tüftler, Denker, Philosophen, kleine, mittelständische Firmen, Fußballteams. Super klappt’s auch, wenn ein kleines Team etwas austüftelt, und sehr viele Individuen oder kleine Teams zu einer Maschine verschraubt werden, die deren Willen sklavisch umsetzt, indem alle pflichtbewusst ihre Jobs tun und nicht mit ihren eigenen Emotionen oder Ideen dazwischen funken.

    Sie sind super bei allem, das aus zuverlässigen Materialien gebaut werden kann, wo Unsicherheiten nicht viele Emotionen aufkochen lassen. Handwerk, Maschinenbau, Architektur, Straßennetze. Leider sind Menschen keine zuverlässigen Materialien, sondern höchst emotional, deswegen sind Deutsche grottenschlechte Politiker, kriegen seit 200 Jahren keinen Staat zustande, der nicht innerhalb weniger Jahrzehnte einstürzt (bis auf die BRD, bei der die Alliierten sie mit vorgehaltener Pershing daran hinderten, sich selbst zu regieren, aber jetzt dürfen wir ja wieder und – na?) und haben beträchtlichen Anteil am Ausbruch dreier Weltkriege (der dritte ist noch in Arbeit, aber ich sehe nirgendwo eine Notbremse – die Deutschen sind ja nicht allein auf dem Planeten, Schuld ist, wo Macht ist, und so viel Macht haben sie nun auch wieder nicht).

    Nicht mal ihre eigenen haben sie unter Kontrolle. Wie das oft so ist, wenn man die Existenz einer Kraft einfach verleugnet, gewinnt sie erst dadurch absolute Macht über einen – das Monster verschwindet nicht aus dem Zimmer, wenn sich das Kind die Decke übern Kopf zieht und sich einredet, dass es keine Monster gibt, das Kind wird nur blind, untätig und kann sich gar nicht mehr wehren. Dementsprechend ist deutsche Vernunft bloß eine Burka für unkontrollierte Gefühlswallungen. Wenn andere sich anbrüllen, hält der Deutsche eine Predigt oder einen Vortrag im Bundestag mit rational klingenden Argumenten – die aber der logischen Prüfung nicht unbedingt standhalten, sondern die gleiche Wut kanalisieren, wie bei Anderen eben brüllen. Hier erfüllen Sprache und Verstand die gleiche Rolle, wie das Krankenhaus oben, im Grunde ein freudsches Traumsymbol für verdrängte Gefühle.

    Der Deutsche ist ein etwas ungelenker Roboter, der durch die Welt stapft und stets das Richtige tun will, aber nicht weiß, was es ist. So gern er auch frei, erwachsen, autark wäre, so sehr ist er jedem ausgeliefert, der ihm die Mami spielt, weil seine emotionale Reife halt nicht ausreicht, mit der Welt fertig zu werden. Seine Weltsicht ist kindisch, naiv, sein Staat funktioniert nur, solange die Welt um ihn herum was Besseres zu tun hat, als seine Überzeugungen auf die Probe zu stellen. Und – ein System, der auf eine Zentralsteuerung angewiesen ist, ohne diese durch Selbstregulation zu ergänzen, kollabiert, wenn die Zentralsteuerung mit der Komplexität des Systems überfordert ist. Sobald die Welt aus den Fugen gerät, sobald Dinge sich auch nur ein wenig verkomplizieren, ist Deutschland überfordert und kann allenfalls in viele kleinere, übersichtlichere Länder zerfallen, oder die Politik ganz aus der Hand geben und sich dem Handwerk widmen, als Komponente eines größeren Systems.

    Der Westen Europas versklavte und plünderte die Welt, der Osten kloppte sich mit Russen, Türken, Tataren, die Deutschen konnten einerseits nirgendwohin expandieren außer ins All, per Kirchturm und mehr Stockwerke im Haus, andererseits brauchten sie auch keinen großen Staat, da alle anderen Besseres zu tun hatten, als sie anzugreifen. Also zerfielen sie in Zwergfürstentümer und Städte und wurden jedermanns Hinterland, das Werkzeuge herstellt, die Andere brauchen, um ihre Ambitionen zu verfolgen. Und wenn man seine Emotionen so wenig unter Kontrolle hat, dass sie gleich in Hexenwahn, Religionskriege und Holocaust eskalieren, sobald man sie rauslässt, unterdrückt man sie halt und kanalisiert seine Energie lieber in sachliche, praktische, kontrollierbare Dinge – was dann wiederum dazu führt, dass man nie lernt, seine Emotionen wirklich zu kontrollieren, sondern sie nur krampfhaft auf Lauwarm runter kocht, ihnen hübsch die Pantoffeln bringt, das Mittagessen kocht und heimlich betet, dass der Tyrann nie ausrastet. Während man selbst dieser Tyrann ist, der Teufel, der stets im Hinterkopf lauert, trickst und droht und tobt und lügt, damit man ihn endlich frei lässt.

    So verschmelzen der Teufel und der liebende Vati zu einer Person, dem Kern der autoritären Erziehung. Die eben auf emotionaler Vernachlässigung beruht, Angst vor Nähe, der Sehnsucht nach einer Stärke, die man nie haben kann, weil man stets Dämon ist und der Gefangene des Dämons, und der Dämon, der Gefangene eines Schwächlings ist, und der Dämon, der der Gefangene eines Dämons ist, und der Schwächling, der der Gefangene eines Dämons ist. Das Gehirn ist ein echt, echt, echt wirres Organ.

    Klein Kevin schreit. Mami: „Kevin, wir müssen mal reden“. Als würde man das Kind gegen eine Betonmauer reden lassen. Macht ist kalt, Macht ist lauwarm. Wenn du so mächtig sein willst wie Mami, wenn du erwachsen sein willst wie sie, musst auch du abkühlen. Und damit werden Gefühle zur Bedrohung, die dich klein und schwach hält. Also muss dein Verstand mächtig sein und sie klein und schwach halten. Aber das sind sie nicht. Das können sie nie sein. Also musst du immer Angst haben, den Dämon unter Tonnen von Beton begraben, wie Tschernobyl unter dem Sarkophag.

    Ist nicht so direkt Vernachlässigung, nicht mal pathologisch, der Schaden hält sich ja in Grenzen – nicht wirklich die große Tragödie, die emotionelle Misshandlung im Extremfall sein kann. Aber als Eltern kann man eben nix wirklich richtig machen. Weil jede Kultur erfordert, dass man seine Kinder emotional verkrüppelt, und die Kinder das Potenzial zu so viel Entwicklung haben, dass sie gar nicht funktionieren können, wenn man sie nicht irgendwie verkrüppelt. Das Leben ist halt scheiße, und zwar durch und durch, angefangen bei den Spielregeln der Physik und Biologie.

    Natürlich kann ich nur schwer sagen, inwiefern ich meinen eigenen kaputten Charakter auf alle projiziere, und inwiefern mein kaputter Charakter von allen geprägt wurde, sodass ich mich einfach irgendwo ins Spektrum der Grautöne einfüge. Wäre vielleicht eine Überprüfung wert.

    Ist eine Geisteskrankheit auch dann eine Geisteskrankheit, wenn alle sie haben? Oder entsteht der Schmerz, der einen Persönlichkeitstyp zur Krankheit macht, dadurch, dass er nicht zu seiner Umgebung passt? Könnte jeder Wahnsinnige sich gesund und glücklich fühlen in einer Gesellschaft aus kompatiblen Wahnsinnigen? Offensichtlich ja, aber wo ist die Grenze zu „echter“ Pathologie – was das auch immer sein mag?

  2. @Paul S.: “Ist eine Geisteskrankheit auch dann eine Geisteskrankheit, wenn alle sie haben?”

    Die gleichermaßen unverarbeitet-instinktive Bewusstseinsschwäche in Angst, Gewalt und egozentriertem “Individualbewusstsein”, die seit Mensch erstem und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung (“Vertreibung aus dem Paradies”) die wettbewerbsbedingt-konfuse Suppenkaspermentalität bildet/spaltet, anstatt das ganzheitlich-ebenbildliche Wesen Mensch entsprechend befriedend OHNE … zu gestalten, ist symptomatisch für die daraus resultierende Hierarchie in systemrationaler Bewusstseinsbetäubung.

    “In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist” – Der des “gesunden” Konkurrenzdenkens für den nun “freiheitlichen” Wettbewerb um die stumpf-, blöd- und immer wieder auch wahnsinnige Deutungshoheit!?
    👋😇

  3. Die emotionale “Nichtverfügbarkeit”, zeigt sich besonders bei der Frage nach der Veränderung der “Ökonomie” von Symptomatik in “Wer soll das bezahlen?” und unternehmerischen Abwägungen von/zu “Arbeit macht frei”, in Form des “Tanzes um den heißen Brei”, wo “explizit” der “Tanz um das goldene Kalb” DIE Wirkung …!?👋😇

  4. Völlig richtig, Frau Heckl. All das was sie da auflisten kann man von der Bindungstheorie ableiten. Interessant wäre ja auch der Fakt dass solche “Verhaltensgestörte” in ihrem Leben späterhin diese Defizite auch durch übermäßige Kompensierung (aufgeblähtes Ego) überspielen wollen . Liest man zum Bsp. die Lebensgeschichten von Stalin, Hitler , Napoleon etc. so könnte man zu solchen Schlußfolgerungen kommen. Menschen die sich in ihrer Kindheit aus diesen Gründen nicht geliebt fühlen wollen dann durch solche Überbetonungen ihrer Leistungen geliebt werden oder sind eben immer voller Mißtrauen und Hass auf andere. Es ist also weniger eine emotionale Vernachlässigung sondern fehlendes Vertrauen in ein Leben in dem man laufend verletzt wird. Und eine Kinderseele merkt sich das.

  5. Frau Heckl schreibt

    Ich beziehe mich auf Menschen, die buchstäblich „alles“ tun, um die Menschen in ihrem Umfeld glücklich zu machen, indem sie diese stets an erste Stelle setzen.

    Und Skeptiker

    Liest man zum Bsp. die Lebensgeschichten von Stalin, Hitler , Napoleon

    Passt Frau Heckl’s Aussage wirklich zu diesen drei Personen?

    hto
    29.02.2024, 08:35 Uhr

    “Tanzes um den heißen Brei”

    Wie wäre es, wenn du deine Postings mal in allgemein verständlichem Deutsch präsentieren würdest, anstatt uns ständig mit nichtssagenden Eiertänzen zu belästigen.

  6. @Apostata: “Passt Frau Heckl’s Aussage wirklich zu diesen drei Personen?”

    Aber sowas von SICHER ist der Wahnsinn keine Umleitung der Ableitung. 👋😇

  7. Vom Glück und Unglück eines Menschen
    Die deutsche Sprache ist grobmaschig, wenn es um den Begriff Glück geht.
    Das Gegenteil ist das Unglück , dass den Menschen treffen kann in der Form eines Unfalles, einer Krankheit in der Form unzureichender Lebensbedingungen.

    Gleichzeitig kann dem Menschen das Glück begegnen in der Form einer Liebe , die alles Leid, Not überstrahlt. Bei Kindern kann das Glück in ihr Leben treten in der Form einer Kinderfreundschaft, einer Sandkastenliebe.

    Und solche Ereignisse können den Mangel an Liebe zum Teil kompensieren, an dem das Kind bis dahin litt.
    Wir sind also nur zum Teil geprägt durch fehlende Zuwendung oder Überbehütung.

    Zum Teil können wir uns selber prägen durch Einsicht und Verständnis für die Fehler Anderer und auch uns selbst.
    Und darum geht es, scheint mir.

    • @Nicker: “Wir sind also nur zum Teil geprägt durch fehlende Zuwendung oder Überbehütung.”

      😃Die “freiheitlich”-wettbewerbsbedingte Hierarchie in mehr und/oder weniger systemrational-gebildeter Suppenkaspermentalität von “Wer soll das bezahlen?”, “Ökonomie” in unternehmerischen Abwägungen zu “Arbeit macht frei” und heuchlerisch-verlogener Schuld- und Sündenbocksuche, glaubt an eine von Bewusstseinsschwäche unabhängige Normalität!?👋🤣👍
      🖖😇

  8. Die Beschreibungen in dem Artikel könnten auch Charakterisierungen von hochsensiblen Menschen sein, vielleicht sogar auch von introvertierten.

    Das muss doch nicht alles so negativ sein. Es gibt Menschen, die fühlen gut mit den beschriebenen Eigenschaften. Ist die Ursache wirklich immer eine Kindheit, die “weit entfernt von ideal war”? Muss man das wirklich therapieren, “heilen”?

    Es ist sicherlich nicht gut, Menschen mit diesen Eigenschaften gleich als defizitär anzusehen. Du schreibst ja selbst, dass die “neun Anzeichen darauf hinweisen können (ABER NICHT MÜSSEN), dass jemand als Kind emotional vernachlässigt wurde”.

    Menschen sind nun mal unterschiedlich. Es gibt eben auch solche mit den neun Anzeichen, für die die Kindheit so war, wie sie war. Sie sind vielleicht etwas anders und entsprechen in ihrem Charakter den neun Anzeichen. Warum sie nicht so akzeptieren, wie sie sind?

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