Fragen zur Marssimulation: Zwischenmenschliche Beziehungen

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Wissenschaft unter extraterrestrischen Bedingungen
Leben auf dem Mars

Wie haben sich die Beziehungen zwischen den einzelnen Crewmitgliedern in der Marsstation entwickelt? Das ist die Frage, die hinterher wohl am häufigsten gestellt wurde. Und die Neugier ist nachvollziehbar, denn es ging in der Simulation ja gerade um die Gruppendynamik.

Gleich vorweg: Auch wenn es durch die umfangreiche Berichterstattung manchmal nicht so wirkt, so haben die Teilnehmer natürlich ein Recht auf Privatsphäre. Ich verzichte daher in diesem Post bewusst auf die namentliche Nennung der jeweils Beteiligten, auch wenn aufmerksame Leser mittlerweile zumindest einige Personen oder Personengruppen identifizieren können dürften.

Die Beziehungen-Frage umfasst drei Facetten:

  • Freundschaften
  • Feindschaften
  • romantische Beziehungen

Die wichtigste Form zwischenmenschlicher Beziehungen im Habitat waren Freundschaften. In unserem Fall haben sich zwei voneinander recht unabhängige Freundeskreise entwickelt, einer bestehend aus zwei Crewmitgliedern und einer aus vier. Innerhalb der Freundeskreise haben wir gemeinsame Projekte bearbeitet, Geschenke ausgetauscht, füreinander gekocht und gebacken (zusätzlich zum Küchenplan), uns gegenseitig beieinander ausgeheult, Geheimnisse ausgetauscht, usw., während sich die Interaktion zwischen den Freundeskreisen vor allem auf die „normale“ Arbeit und unsere regelmäßigen gemeinsamen Aktivitäten wie Abendessen oder Filmabende beschränkte. – Übrigens bestehen beide Freundeskreise noch nach Ende der Mission: Skype und Emails machen‘s möglich. In mindestens einem Fall werden zwei Crewmitglieder sogar zu einer weiteren gemeinsamen Expedition aufbrechen (über die ich zu gegebener Zeit an dieser Stelle berichten werde 🙂 ).

Die Zweiergruppe bestand aus einem Mann und einer Frau; aber auch die Vierergruppe bestand aus zwei „Pärchen“ – wobei die beiden Frauen einander ähnlich nahe standen wie den Männern. Waren sie deshalb beste Freundinnen, wie ein Kommentator fragte? Bei einer Gruppe von nur sechs Menschen könnte jede der beiden die jeweils andere genauso gut als einzige Freundin beschreiben. Fakt ist jedenfalls, dass die beiden Männer der Vierergruppe nicht annähernd soviel Zeit miteinander verbrachten wie die beiden Frauen.

Und da das Wort „Pärchen“ nun eben schon einmal gefallen ist, hier auch die (kurze) Antwort auf die Frage, ob es romantische Beziehung(en) gab: Ja.

Der starke Zusammenhalt innerhalb der Gruppen hatte jedoch seinen Preis: die Zweier- und die Vierergruppe betrachteten sich als mehr oder weniger separate Teile der Crew. Verstärkt oder vielleicht sogar hervorgerufen wurde diese Spaltung durch unterschiedliche große Abenteuerlust. Während die einen versuchten, unnötige Risiken zu vermeiden, wollten die anderen den „Mars“ erkunden. In Zeiten erhöhten Stresses bezeichneten wir diese Einstellungen auch weniger diplomatisch als „ängstlich zu Hause bleiben” und „halsbrecherische Manöver durchführen” – da es bei solchen Diskussion natürlich kein Richtig oder Falsch gibt, haben wir uns mit Kompromissen arrangiert und weiter zusammen gearbeitet (insofern ist das oben verwendete Wort „Feindschaft“ vielleicht etwas übertrieben). Aber wo immer es ging, haben eben Freunde miteinander gearbeitet, während „die andere“ Gruppe vermieden wurde.

Zum Glück war für uns alle eine „erfolgreiche“ Mission das oberste Ziel; und auch, wenn man sich darüber streiten kann, was „erfolgreich“ eigentlich heißt, war uns allen klar: Dazu gehört, unsere Studienaufgaben weiterhin gemeinsam zu erledigen und am Ende der Simulation zu sechst das Habitat zu verlassen (statt zu fünft…). Beides haben wir geschafft, nur Freunde geworden sind „die vier“ und „die zwei“ dabei eben nicht. Heute besteht zwischen den beiden Gruppen nicht einmal mehr Kontakt.

Wenn ich diese Aufspaltung beschreibe, liegt die Frage nahe, ob ich die andere Gruppe hasse. Die Antwort ist ein klares Nein. Um dieses „Nein“ aber richtig zu verstehen, möchte ich an dieser Stelle die (englische) Kurzgeschichte „The Weight of Obligation“ empfehlen, in der sich zwei Freunde zur Zeit des Goldrausches in Alaska durch die Wildnis schlagen: Zu Beginn würden jeder der beiden sein Leben opfern um das des anderen zu retten, doch während der einsamen Monate unterwegs verschlechtert sich ihre Beziehung zusehends. Das Ende verrate ich hier nicht, aber ich kann versichern, dass es mehrere Parallelen zum Verlauf unserer Mission gibt…

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Veröffentlicht von

Christiane Heinicke bloggt als Wissenschaftlerin und Versuchskaninchen aus der HI-SEAS-Forschungsstation auf Hawaii. Zuvor studierte sie Physik in Ilmenau und Uppsala und promovierte anschließend zu einem kontaktlosen Strömungsmessgerät. Zuletzt arbeitete sie in Helsinki an brechendem Meereis. Vor ihrer Zeit auf Hawaii verbrachte sie zwei Wochen auf der Mars Desert Research Station in Utah. Ständig umgeben von Wänden oder Raumanzug, wird sie während des Jahres am meisten das Gefühl von Sonnenstrahlen auf der Haut vermissen, dicht gefolgt vom Geschmack frisch gepflückter Himbeeren.

22 Kommentare

  1. Ich hab die Kurzgeschichte gelesen – kein einfaches Englisch. Z.B. das Wort bit in

    **Gee! You fellers bit good.** .. oder .. **Why did you tell him I bit?** .. oder .. **Hunh! Didn’t you bite? Two thousand miles afoot; three months of hell; for nothing. That’s biting some.** .. oder .. **Yes! Stony River, he repeated, grinning broadly. I bit!**

    hab ich nicht wirklich verstanden. In **Better take dog-fish from Bethel—it’s four bits a pound** scheint es eine Art Währung zu sein.

    Versteh aber auch nicht so ganz wie das (die “Moral der Geschichte“) nun genauer i.V.m. der Marssimulation gemeint ist. Sicher: Man ist aufeinander angewiesen; muss miteinander auskommen. Zu- und Abneigungen ergeben sich da halt (ziemlich natürlich bzw.) den (ganz persönlichen sowie sachlich-extremen) Um- und Zuständen entsprechend. Und offenbar eben auch i.V.m. sexuellem (romantischem) Trieb/Bedürfnis/Gefühl. So what? Das (schwere) Gewicht der Pflicht/Disziplin – letztlich die Verpflichtung einander zu helfen (sich nicht von Rache-/Hassgefühlen überwältigen zu lassen)? — Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust — Bzw. am Ende siegt das Bessere im Menschen … Oder was waren die Parallelen zu der Mission? Starke Aversionen? Starke Gefühlsaufwallungen?

    Um Missverständnisse zu vermeiden: Ein interessantes Thema. Zwischenmenschliche Beziehungen auf hohem (akademischen, intellektuellen) Niveau …

    • Am ehesten kann man es in diesem Zusammenhang wohl mit “reingefallen” übersetzen. Wenn man dann statt “good” oder “some” jeweils “tief” einsetzt, ergibt auch das Ganze wieder Sinn. Bei “four bits” bezieht sich “bit” auf die Anzahl der Geldstücke, also vermutlich Dollarmünzen oder -scheine.

      Die Parallelen sind im Verlauf der Gefühle zu suchen, insbesondere im Aufstauen der negativen Gefühle über Wochen und Monate hinweg. Und dann natürlich im Auflösen 😉 “Gefühlswallungen” würde ich das nicht nennen, das klingt nach sehr kurzfristigem Aufflammen der Gefühle, während es sowohl bei uns als auch in der Geschichte um den langfristigen Verlauf geht.

  2. Hört sich tatsächlich nach einem Erfolg an. Aufgesetzte Harmonie wäre womöglich tödlich- im Wortsinne – für so eine Mission. Es muß unterschiedliche Typen geben, die sich dann zusammenraufen, anders gehts nicht.
    Wenn alle dieselben Temperamente, Mentalitäten und damit auch Herangehensweisen haben, geht es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schief. Gerade bei einer solchen Mission ist es die Vielfalt und nicht die Gleichmacherei, die weiterbringt.

    • Definitiv, Abwechslung schützt vor Langeweile. Wobei Harmonie nicht schlecht ist – solange sie echt ist und nicht aufgesetzt.

  3. Mich würde ein ähnlich angelegter Ein-Personen-Test interessieren.
    Ich glaube, bei einem Ein-Personen-Test würde ich mich wohler fühlen.
    Ein Mann, ein Schiff, und der Ozean, so ähnlich wie Thomas Coville.

      • Man sollte die Raumfahrt-Experten fragen, was billiger ist: Zehn Ein-Personen-Raumschiffe, oder ein Zehn-Personen-Raumschiff?
        Sicherer gegen Ausfälle sind vermutlich die zehn Ein-Personen-Raumschiffe, besonders dann, wenn sie im Problemfall an einander andocken können, um einander zu helfen.

        • Wenn man zehn Personen schickt, ist es ja keine Ein-Person-Mission mehr, und man hat die gleichen Probleme wie bei einer Gruppe, die nicht räumlich getrennt ist – mit erschwerter Kommunikation.

          Was eine echte Allein-Reise angeht: psychisch mag es – vielleicht – für manchen einfacher sein, allein zu reisen. Problematisch wird es spätestens, wenn irgendetwas nicht nach Plan läuft. Ein technisches Versagen, für das man mehr als zwei Hände braucht, um es zu beheben, oder auch nur ein gebrochener Arm… Es hat schon seinen Grund, warum etwa Taucher oder Bergsteiger nie allein unterwegs sind bzw. sein sollten.

        • Mein Hintergedanke dabei war, dass sich die Menschen in den räumlich getrennten Kapseln viel weniger gegenseitig auf die Nerven gehen, optisch, akustisch, und olfaktorisch, aber dass sie einander im Notfall gegenseitig helfen können.

          • Man könnte in das Zehn-Personen-Raumschiff auch zehn kleine Einzelkabinen einbauen, die gut von einander isoliert sind.
            Nur in den Fällen, wo eine körperliche Zusammenarbeit erforderlich ist, werden diese Einzelkabinen verlassen.
            Die Ein-Personen-Raumschiffe hätten allerdings den Vorteil, dass sie an die Hitzeschilde und an die Fallschirme viel geringere Anforderungen stellen, als das Zehn-Personen-Raumschiff.

          • Interessanter Ansatz. Nur, für die mehrmonatige Reise zum Mars kann das Ein-Personen-Raumschiff eben nicht aus nur einer einzelnen Kabine bestehen. Schlafen, essen, Sport, ggfs. wissenschaftliche Experimente – all das muss ermöglicht werden. Da lieber ein einzelnes Raumschiff mit einem umfangreichen “Fitnessstudio” für alle statt einem einsamen Laufband für jeden einzelnen. Und guter Schallisolierung um die Quartiere, dann wird es auch mit dem “akustisch auf die Nerven gehen” schwieriger. So oder so würde man wohl kaum mit den Quartieren, in denen man auf der Reise zum Mars schläft, zur Oberfläche fliegen.

  4. Die Idee der einzelnen Kapseln wäre nur eine Verschlechterung, wie von Christiane geschrieben, allein schon wegen der Kommunikation. Können wir nicht besser hassen wenn wir den anderen (noch) nicht kennen gelernt haben? Sobald sich 2 etwas besser kennen, ist das gefühlte Potential der Gewalt und des Hasses geringer weil sich die Parteien weniger leicht zu Feindbildern instrumentalisieren lassen. Was die Mission angeht: Erreichung dessen ist die positive Kraft, bei einer Konstellation der Ungewissheit glaube ich hätte der Stress vielleicht sogar die Zahl der Aussteiger am Ziel vielleicht reduziert…..

  5. The Weight of Obligation‘ – leider hat der Schreiber dieser Zeilen auf die Schnelle keine Inhaltszusammenfassung im Web gefunden, kann also nur stochern…

    Sehr bemerkenswertes Experiment, vielen Dank für Ihre Arbeit und Ihre Berichterstattung, Frau Heinicke.
    Sehr nett auch dieser WebLog-Eintrag zum Sozialen.

    Es müssen sich im geschilderten Zusammenhang Gegnerschaften (das Fachwort, der Feind ist jemand, der gehasst wird, so die Etymologie) ergeben, denn die einen wollen dies und die anderen jenes und insofern prallen u.a. auch konservative und progressive Ansätze aufeinander. – In einem Mars-Kontext würde der Schreiber dieser Zeilen eindeutig konservative Ansätze bevorzugen. Zudem ist er auch faul. >:->

    Dieses langanhaltende “Zusammenhocken” von sechs Personen auf engem Raum ist problematisch wie interessant, sicherlich hat sich auch hier Wertvolles für die Forschungsarbeit ergeben.

    MFG
    Dr. Webbaer (der jetzt abär doch ein wenig gespannt ist auf die angedeuteten ‘Parallelen’; der sich nun noch ein wenig umlesen wird, auch im hiesigen Kommentariat diesbezüglich)

  6. Bonuskommentar :

    Es würde Sinn machen derartige Expeditionen mit nicht homosexuellem männlichen Personal auszustatten, um bestimmte soziale Problematik, die im Artikel nicht nur angedeutet worden ist, rauszukriegen.
    U-Bootbesatzungen im länger währenden (und womöglich vergleichbarem) Einsatz sind in diesem Sinne, zumindest der Legende nach, Brom verabreicht worden.
    Auf Frauen darf in diesem Zusammenhang verzichtet werden.

    Diese Anmerkung ist sozusagen das Gegenteil von “politisch korrekt”, allerdings sind Mars-Expeditionen teuer und das Ausfallrisiko, das auch mögliche Minderleistung von Personal zu meinen hat, ist zu minimieren.

    • Warum denn Männer? Frauen sind leichter, essen weniger, es braucht also weniger Nahrung mitgeführt werden, und die fehlende Muskelkraft würde in der geringeren Schwerkraft des Mars’ ohnehin nicht gebraucht. Wenn überhaupt, sollte eine reingeschlechtliche Marscrew also weiblich sein.
      Allerdings ist es purer Aberglaube, dass in einer reingeschlechtlichen Crew keine Liebschaften entstehen würden. Schon so mancher Gefängnisinsasse/so manche Insassin ist schon “drinnen” eine homosexuelle Beziehung eingegangen, obwohl er oder sie “draußen” strikt heterosexuell ist. Dazu kommt, dass man seit Apollo schon längst gelernt hat, dass bei einem vermiedenen Problem zehn andere Probleme schon Schlange stehen, um die Crew zu beschäftigen. Dann doch lieber gemischte Crews, die sind nämlich effektiver als rein männliche oder rein weibliche Crews.

      • Liebe Frau Heinicke,

        knastschwul, sie meinen ‘knastschwul’ womöglich. Kann passieren, nach zehn Jahren Männerknast bspw. würde selbst der Schreiber dieser Zeilen womöglich in einem neuen, jungen Zelleninsassen sozusagen Miss Piggy erkennen. – Er hat’s allerdings (noch) nicht ausprobiert.
        Sofern der ins Auge gefasste Vorgang aber sorgfältig festgehalten wird, einer sozialen Kontrolle unterliegt, bei Mars-Expeditionen ist davon auszugehen, Board-Cameras und so, ist davon nicht auszugehen.
        Darüber rein weibliches Personal diesbezüglich auszusenden, darf nachgedacht werden.

        Das mit der rein geschlechts-einheitlichen Ausstattung dieser Crews ist verstanden worden, auch um so die Sexualität bestmöglich herauszukriegen?!


        An sich, biologistisch betrachtet, müsste hier eine typische Anforderung für männliches Personal vorliegen, wir beachten hier die Möglichkeit, dass (auch) gebärendes Personal zu Hause gelassen, oder derart in seiner diesbezüglichen Möglichkeit geschützt wird.
        Es müsste cool sein, hier (wieder einmal) die Männchen vorzuschicken. (Die sind für Derartiges sozusagen gemacht.)

        LG
        Dr. Webbaer

        • Wieso sollte hier eine “typische Anforderung für männliches Personal” vorliegen? Ich bin sicher, dass Menschen wie Ann Bancroft, Laura Dekker oder Gerlinde Kaltenbrunner lautstark widersprechen würden. Ich selbst sehe ehrlich gesagt nur Nachteile, (ausschließlich) Männer auf eine solche Reise zu schicken. Warum, hatte ich ja schon geschrieben.

  7. @ Frau Dr. Heinicke :

    Ich selbst sehe ehrlich gesagt nur Nachteile, (ausschließlich) Männer auf eine solche Reise zu schicken. Warum, hatte ich ja schon geschrieben.

    Ist hier verpasst worden, wird nun im Web gesucht.

    Zu Ihrer Frage, gemeint war’s im ‘biologistischen’ Sinne, was weiter oben stand; ‘biologistisch’ zu argumentieren bleibt gewagt.
    (Auch wenn einige bspw. im Militär Kampftruppen eher nicht mit Frauen bestücken würden, Dr. Webbaer auch nicht.)

    Macht den Braten nicht fett, auch wenn womöglich zentral, bei dieser kleinen Auseinandersetzung, Sie sind auch medial recht präsent, vergleiche bspw. :

    -> http://www.ardmediathek.de/tv/Bettina-und-Bommes/Geophysikerin-Christiane-Heinicke/NDR-Fernsehen/Video?bcastId=26460566&documentId=41579556

    -> http://www.ardmediathek.de/tv/THADEUSZ/Christiane-Heinicke-Wissenschaftlerin/rbb-Fernsehen/Video?bcastId=3822098&documentId=41426882

    Vielen Dank noch mal, gute Arbeit, sehr nett Ihr Re-Feedback + weiterhin viel Erfolg,
    Dr. Webbaer

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