Zwei Nobelpreisträger, die Buchmesse und 33 gerettete Bergleute

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Das Labyrinth "ist immer und überall", kann man dieser Tage mehr als sonst feststellen. Selbst bei der sensationellen Rettung der 33 Kumpel in der Atacama-Wüste…
…  war einmal die Rede von dem "unterirdischen Labyrinth der Stollengänge" im Kupferbergwerk von San José (die Quelle für dieses Zitat kann ich leider nicht mehr finden).
Von einem anderen Kupfermine hieß es in der Rettungsnacht beim TV-Sender N24, dass die unterirdischen Straßen in dem Gewirr von Schächten und und Stollen 2600 km lang sind! Wenn das kein Labyrinth resp. Yrrinthos ist…

Aber zurück zum eigentlichen Thema dieses Beitrags: der Buchmesse und dem diesjährigen Nobelpreisträger für Literatur Mario Vargas Llosa sowie dem chinesischen Friedensnobel-Laureaten Liu Xiaobo. Ich mache es mir einfach und bringe nur die Zitate, in denen Labyrinthisches auftauchte. Zuerst die Buchmesse:

Auf der Avenida Corrientes, dem pulsierenden, im Geflimmer seiner Leuchtreklamen auch nachts beinahe taghellen Times Square dieser lesehungrigen.Metropole [Buenos Aires], in der man auf Parkbänken, in der Metro und in Omnibussen selten jemand ohne ein Buch in der Hand antrifft, schließen die meisten Buchhandlungen auch heute nicht vor Mitternacht. Dort, beim Herumstöbern in einem Antiquariat, war Umberto Eco auf eine entlegene Quelle gestoßen, die für die Konstruktion seines Romans Der Name der Rose schlüsselhaft wurde. So absorbiert und verwahrt die Stadt am südlichen Ende der Welt in ihren Magazinen und Gedächtnissen alles, was aus europäischen Beständen  ausgesondert wurde, und setzt es wieder in Zirkulation. (Breidecker 3. Okt 2010) 

Der eigentliche Witz in der Anspielung auf Borges in Ecos Name der Rose geht hier im zitierten Artikel allerdings unter: Dass sich in Ecos Klosterbibliothek ein Labyrinth befindet, das im Roman eine zentrale Rolle spielt. Der greise blinde Bibliothekar darin ist kein anderer als eine Variante von Jorge Luis Borges – der ja sowohl Bibliothekar wie gegen Ende seines Lebens blind war.

Weiter geht es mit Vargas Llosa: 

Dem Terror und der Gewalt in Südamerika ist Vargas Llosa nie ausgewichen. Zu seinen labyrinthischen Anfängen ist er aber nie zurückgekehrt. Er gehört zu den Autoren, die die Wege, die sie beschildern, dann doch nicht gehen. Er hat in Die ewige Orgie (1975) eine Hommage auf Gustave Flaubert geschrieben, sich dann aber von dessen asketischem Prosa-Ideal verabschiedet. Er hat Juan Carlos Onetti gelobt, ohne ihm in die Regionen der Bitterkeit und Finsternis allzu weit zu folgen. Und sein Beitrag zum Genre des Diktatorenromans Das Fest des Ziegenbocks (2000) über den General Trujillo und die Dominikanische Republik von 1961 verzichtet auf die formalen Kühnheiten, mit denen Gabriel Garcia Marquez im Satzbau von Der Herbst des Patriarchen und Augusto Roa Bastos in der halluzinatorischen Prosa von Ich, der Allmächtige (1974) der Figur des lateinamerikanischen Diktators zu Leibe rückten.
Der Literaturnobelpreis hat mit der Wahl von Mario Vargas Llosa einen Weltautor aus Südamerika ausgezeichnet, der auf das Wappen der alten Ritterromane verzichten kann. Er ist längst sein eigenes Markenzeichen geworden.
(Müller 2010)

Die Buchmesse war überhaupt eine ergiebige Quelle für das Thema dieses Blogs (mal ganz abgesehen davon, dass sie selbst ein einziger gigantischer Irrgarten ist). "Die neuen Labyrinthe" titelte die Südd. Zeitung am 6. Oktober über einem Beitrag von Sebastian Schoepp zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 2010. Im Text taucht natürlich (das Gastland ist schließlich Argentinien) der legendäre argentische Autor Borges auf (mit dessen Werk ich mich ein andermal ausführlicher befassen werde):

Borges ist vom Sockel gestoßen, und das hat nicht nur mit seiner Unzugänglichkeit zu tun, sondern auch mit seiner Parteinahme für den Militärputsch von 1976. Borges hatte sich damit nicht groß unterschieden vom Großteil seiner Landsleute,vor allem der Mittel- und Oberschicht. Dass das Militär eine linke Guerilla zum Schweigen brachte, empfanden viele als nötige Absicherung ihres Wohlstandsmodells. Der Putsch sei richtig gewesen, nur die Diktatur habe sich danach ein wenig arg wild aufgeführt, war die Haltung in Bürgerkreisen. Die Auseinandersetzung ähnelt der deutschen Nachkriegsdebatte. 1976 bis 1982, es war die ,,Wasserscheide" der argentinischen Geschichte […] (Schoepp 2010)

Ein weiteres Zitat zur Messe (deren Besuch ich mir dieses Jahre erspart habe):

Ob (dagegen, wie Boos allzu kühn behauptete,] die „Minnesänger" bereits unter Gutenbergs Revolution für immer „ihren Job verloren" hatten, daran lässt zumindest der Pavillon des argentinischen Gastlandes zweifeln: Hinter mehreren Reihen filigraner weißer Stoffbahnen öffnet sich ein Labyrinth von borgesker Inspiration, an dessen Eingang wie sonst ins Straßenpflaster – als Hommage an Julio Cortázar und dessen großen Epochenroman „Rayuela" – die Kästen des „Himmel-und-Hölle"-Spiels in den Fußboden eingezeichnet sind. Auch hier herrscht „kreatives Chaos", und der Besucher ist eingeladen, entlang von 45 Stationen Bekanntschaft mit den Hauptvertretern einer großen Literaturtradition zu machen und in Wort, Bild und Ton deren niemals endenden Minnegesängen auf das Buch und die papierne Buchkultur zu folgen. (Breidecker 2010-10-06)

Und nun der gedankliche Sprung zum Nobelpreisträger für den Frieden:

Auch im Gefängnis von Jinzho schreibt der diesjährige Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo täglich. Im Westen sind die Texte des Dissidenten bisher weitgehend unbekannt. [. . .] Wir drucken hier erstmals Kurzfassungen seiNEr Essays ab. Wie ein roter Faden zieht sich der Kanon seiner Grundwerte durch seine Schriften: Ehrlichkeit und Würde des Individuums, Meinungs- und Publikationsfreiheit und die Gewaltlosigkeit des Widerstands. Im Sommer 2011 wird eine Sammlunng seiner Texte auf Deutsch im S. Fischer Verlag erscheinen. (anon 2010)

Quellen:
anon.: "Die Texte zum Friedensnobelpreis". In: Süddeutsche Zeitung vom 11. Okt 2010 (Feuilleton)
Breidecker, Volker: "Wir wollen Himmel und Hölle spielen. Die 62. Frankfurter Buchmesse ist eröffnet". In Süddeutsche Zeitung vom 6. Okt 2010 (Feuilleton)
ders.: "Buenos Babylon". In Süddeutsche Zeitung vom 3. Okt 2010 (Feuilleton)
Müller, Lothar: "Nobelpreis für zwei Klaviere" (Mario Vargas Llosa). In: Süddeutsche Zeitung vom 8. Okt 2010, S. 11 (Feuilleton)
Schoepp , Sebastian: "Die neuen Labyrinthe". In: Süddeutsche Zeitung vom 6. Okt 2010 (Feuilleton)

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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