Zufälle am roten Bändchen
BLOG: Labyrinth des Schreibens
Das ist mal eine schöne Entdeckung – buchstäblich: Als das "Magazin mit dem roten Faden" bezeichnet sich ein soeben gestartetes Leseabenteuer.
Es passt bestens in einen Labyrinth-Blog, der den Untertitel trägt: "Die Suche nach dem roten Faden". Die neue Zeitschrift trägt den sehr sperrigen Titel Humanglobaler Zufall. Drei Anläufe habe ich machen müssen, um das der Verkäuferin im Zeitungskiosk richtig zu vermitteln, obwohl ich den Titel zuhause auswendig gelernt hatte. Erst als ich ihr den Ausriß mit der Besprechung in der welt kompakt zeigte, wo das Titelblatt abgebildet ist, und betonte: "Da muss ein rotes Bändchen dranhängen" – verstand sie mich und brachte das Gewünschte. Für fünf €uro war ich dabei.
Bei solchen Kommunikationsschwierigkeiten beschleicht mich kein gutes Gefühl, was die Zukunft dieser für vierteljährliches Erscheinen geplanten Publikation angeht. Aber das Konzept ist ganz große Klasse und die textliche wie optische Umsetzung finde ich sehr gelungen!
Abb.: Werbung für die neue Zeitschrift am Münchner S-Bahnhof "Hackerbrücke" – zufällig entdeckt (Foto: JvS)
Worum geht es in Humanglobaler Zufall? Mit den Worten der Werbeleute:
Humanglobaler Zufall erzählt Geschichten entlang dem roten Faden, der die Menschen in aller Welt miteinander verbindet. Wir sind dem roten Faden gefolgt und zeigen, wie er ganz zufällig von einem Kontinent zum nächsten, von einer tollen Geschichte zur nächsten führt.
Dennis Buchmann, der sich diese Zeitschrift ausgedacht hat, schreibt in seinem Editorial:
… kein Magazin über Globalisierung an sich. Berichte über Börsenverstrickungen oder Handelsströme kommen nicht vor*. Doch dadurch, dass der rote Faden die Menschen quer über den Globus verbindet, scheint dieser abstrakte Begriff Globalisierung trotzdem durch: auf menschlicher Ebene. Und am Ende fasziniert es hoffentlich, dass der Zufall die Autoren und Fotografen immer recht spontan auf weite Reisen geschickt und dass dieser Zufall zu einem roten Faden der Geschichten geführt hat.
* JvS: Das stimmt nicht ganz: Schon in diesem Heft kommt auf S. 132/133 eine gut recherchierte Doppelseite, auf der die "wichtigsten Ströme und Transportrouten des internationalen Menschenhandels" dargestellt werden.
Faszinierendes Phänomen der "sechs Entfernungsgrade"
Hinter Dennis Buchmanns Konzept steckt eine faszinierende sozial- und kommunikationspsychologische Beobachtung: Es bedarf offenbar nur sechs Zwischenschritte (Entfernungsgrade), um zwei beliebige Menschen dieses Planeten miteinander in Kontakt zu bringen. Deshalb nennt man das Phänomen small world oder six degrees of separation. Der amerikanische Psychologe Stanley Milgram hat dieses Experiment nicht erfunden, aber 1967 professionell durchgeführt, und zwar erfolgreich.
Die deutsche Wochenzeitschrift Zeit hat 1999 in der Beilage "Leben" versucht, den Besitzer eines Falafel-Kiosks in Berlin über fünf andere Menschen in Kontakt mit dem (ihm persönlich fremden, aber sehr geschätzten) Schauspieler Marlon Brando zu kommen. Das Unternnehmen scheiterte allerdings trotz mehrmaliger Anläufe daran, dass Brando, der damals schon sehr krank war, sich der Kontaktaufnahme verweigerte. Immerhin: Bis zu Brandos Agenten – und das ist wirklich enorm nah am Ziel – war man damals gelangt.
Dennis Buchmann, der die Idee zu der neuen Zeitschrift hat, ist bescheidener. Er will nur, wie bei einem Stafettenlauf, die zufälligen Kontakte von zunächst sehr weit von einander entfernten Menschen sichtbar machen, deren Leben und Schicksal als Reportage skizziert wird. Eigentlich ist das Thema also die Zufallsbegegnung – nur eben über mehrere Etappen weiterverfolgt. Die sechs Staffettenträger sind im ersten Heft von HGZ:
° Malte Fähnders, der als Entwicklungshelfer in Ecuador mit seiner Frau Meike bedürftige Kinder unterstützt.
° Malte kennt aus Deutschland den in Berlin heimisch gewordenen Inder Pramod Mondhe.
° Von Pramod in Berlin geht es zu Sven Oertel in New Orleans, der dort die Folgen des Sturms Katrina beseitigen hilft.
° Sven gibt den roten Faden weiter an Alejandro Ponciano, der in Liberia City auf Puerto Rico eine Zuckerrohrplantage leitet.
° Nr. 6 ist Victor Salguero, den es in eine kanadische Brauerei verschlagen hat und den Alejandro aus Guatemala kennt.
Jetzt wäre es natürlich spannend zu lesen, an wen Victor das rote Bändchen weiterreicht. Noch aufregender wäre es sicher gewesen, wenn man sich am Anfang eine Zielperson ausgesucht hätte (meinetwegen Prinz Charles oderden Dalai Lama), bei der das alles enden könnte. Aber das ist für ein periodisch erscheinendes Magazin wohl keine so gute Idee, eher für einen Roman. Mir gefällt das Ganze so gut, dass ich das erste Heft schon fünfmal verschenkt habe – und hoffe, dass ihm ein langes Leben als Periodical beschert ist.
Ich selbst hatte in meinem Leben schon etliche solcher extrem unwahrscheinlicher Zufälle, darunter die Begegnung mit einem Inder, den ich seit vielen Jahren in München kannte. Wir waren zwar im Dezember 1975 mit derselben Maschine nach New Delhi geflogen; aber dort hatten sich unsere Wege getrennt. Dass ich ihn zwei Wochen später, ohne jede diesbezügliche Verabredung, vor dem indischen Nationalmuseum in der von Menschen wimmelnden Millionenstadt Kalkutta wieder traf – das war wirklich ein extrem unwahrscheinlicher Zufall.
Die nächste Ausgabe des Magazins erscheint am 7. Juli. Und hier die Website zur Zeitschrift mit weiteren Hintergrund-Infos: humanglobalerzufall.de
Klasse!
Der Artikel stachelt geradezu meine Neugier an.
Vielen Dank!
Auf jeden Fall
ein interessantes Konzept.