Phädra (Phorts.)

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Das Gewitter (s. meinen vorangehenden Beitrag vom 21. Juni)  ist längst weitergezogen und der Sommerurlaub im Wallis schon wieder Geschichte. Dazu hat die Verlegung von Parkett in unserer Wohnung anschließend so viel Aus- und Einräumarbeiten versurachte (über zweitausend Bücher in der Bibliothek mussten ausgelagert und wieder einsortiert werden) und – buchstäblich – jede Menge Staub aufgewirbelt, dass ich erst jetzt wieder zum Bloggen komme. Als erstes will ich den abgebrochenen Beitrag über “Phädra – Stiefmutter im Liebeswahn” fortsetzen (phortsetzen – bot sich als Kalauer an – man sehe mir das nach).  

Phädra ist eine Frauenfigur der griechischen Mythologie, die – wie Medea – einen festen Platz in der Dramen-Literatur hat. Immer wieder wird vor allem die Fassung der Phèdre von Jean Racine aufgeführt. Der französische Dramatiker ließ diese seine bedeutendste Tragödie (geschrieben nach einer Vorlage von Euripides) 1677 in Paris aufführen. Dieser Tage wurde die Titelfigur dieses Dauererfolgs von Helen Mirren in London verkörpert (die im Kino zuletzt als Königin Elizabeth II glänzte und einen Oscar dafür abräumte).

Dass diese Phädra auch zum Personal der Labyrinthiade zählt, ist weniger bekannt. Sie ist eine Tochter des Königs Minos (und die Schwester der Ariadne), welche Theseus irgendwann nach dem Labyrinth-Abenteuer ehelicht*.
* Eine interessante familiäre Kontruktion: Theseus als Schwiegersohn seines größten politischen Rivalen im Mittelmeer, dem er zuvor nicht nur im Labyrinth die athenischen Geiseln entführte, sondern dem er auch noch die Tochter Ariadne wegnahm und anschließend gleich – auf Naxos – schmählich sitzenließ UND dem er dazu noch den Stiefsohn Minotauros tötete! Offenbar kannte man schon in der Antike das später von Österreich so erfolgreich praktizierte System der politischen Vernunftehen (“Tu, felix Austria, nube” – so haben wir es in der Schule gelernt.)

Fatalerweise verliebt sich Phädra in Hippolytos, den Stiefsohn des Theseus (den dieser antike Don Juan zuvor mit der Amazonenkönigin Hippolite gezeugt hatte). Sie wirft sich ihm an den Hals mit dem Ausruf: “Ich bin verkommen. Bestrafe mich, befrei die Welt von diesem Monster!” Der Jüngling weist ihre Avancen zurück. Die erboste Stiefmutter schwärzt ihn beim Vater als Bösewicht an, der sie, die arme Stiefmutter, sexuell bedrängt habe. Der Vater tötet den unschuldigen Sohn. Tragödie pur.

Gewiss, dies ist nur ein Nebenstrang der komplexen Labyrinthiade. Aber wie der große Erfolg von Helen Mirren in dieser Paraderolle (“Venus hat sich in mir verkrallt wie ein Tiger”) noch in unseren Tagen zeigt, ist es nach wie vor ein beliebter Stoff – ähnlich wie die Geschichte der Ariadne, die schon in mehr als 40 Opern verewigt wurde.

 

Der Stammbaum der Labyrinthiade 

Zeus _ Europa (Prinzessin)     Sonnengott Helios _ Perseis        
         |                                                                    | 
   Minos                               _       _               Pasiphae _ Stier (Poseidon?)
                                           |        |                               |
                      (Theseus _ Ariadne) |                  Minotauros
                                                    |
Hippolyte     _   Theseus _  Phädra
(Amazonen- |                     |
königin)     Hippolytos     _/

Eigentlich müsste man diesen Stammbaum um das Labyrinth-Symbol herum anordnen. Dann könnte man den Daidalos und seinen Sohn Ikaros auch noch unterbringen, die ja beide für diesen Sagen-Komplex mindestens so wichtig sind wie der Theseus mit seinen Abenteuern und Frauengeschichten. Aber dann wird es schwierig mit den Verbindungen, die ja auch König Minos einbeziehen müsste, den Auftraggeber für das Labyrinth (in dem seine Schande, der Bankert Minotauros weggeschlossen wird und später auch Daidalos samt Sohn, der ja die küsntliche Kuh baute, in der Pasiphae den Stier empfing.)

Quellen
Euripides (ca. 485 bis 406 v.Chr.): Phädra (ca. 400 ? geschrieben)
Menden, Alexander: “Das Monster in der eigenen Familie”. IN: Südd. Zeitung vom 17. Juni 2009
Racine, Jean (1639-1699): Phedre (1677, nach Euripides)

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

  • Veröffentlicht in: Zeus

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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