Die Kugelbahn des Eddie Boes in der BMW-Welt

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Die neue Event-Bühne der BMW-Welt im Münchner Norden ist ein atemberaubendes Beispiel modernster Verkaufspsychologie. Das fängt mit dem funkelnden Yrrinthos in Gestalt einer tollen Kugelbahn an, die nicht nur für kindliche Gemüter und Spielmäuse wie mich ein Blickfang ist.

Und das geht weiter damit, dass diese gigantische Halle selbst im tiefen Winter (außerhalb hatte es gestern zwei Grad unter Null) so hoch geheizt wird, dass ich problemlos nur mit Hemd und aufgekrempelten Ärmeln herumlaufen konnte. Der potenzielle Kunde soll sich wohlfühlen, suggeriert das.

Abb. 1: Die große Halle der BMW-Welt im Münchner Norden (Foto: JvS)

Ich kaufe mir trotzdem keinen BMW oder sonst was in der automobilen Richtung; ich komme seit dreißig Jahren bestens ohne Auto aus. Aber diese BMW-Welt fasziniert mich dennoch so, dass ich schon das vierte Mal hinging – gestern, um mit einem guten Freund dort zu essen und unser monatliches Gespräch über "Gott und die Welt" zu führen. Das vorletzte Mal war ich dort am Sonntagvormittag zu einem recht guten Jazz-Konzert im Forum des Doppelkegels; sogar draußen in der Haupthalle war die Akustik brillant.

Wirklich super ist die große Kugelbahn des amerikanischen Künstlers und Tüftlers Eddie Boes (s. Abb. 2), der nirgendwo genannt wird, außer man fragt danach. Man findet die Bahn in der Haupthalle (Abb. 1), gleich neben der Rampe, auf der die Kunden ihr neu erstandenes Prestige-Gefährt besteigen und, vor aller Augen, wie auf einer Theaterbühne, in die freie Welt der deutschen Strassen aufbrechen. Auch die Kugelbahn gehört natürlich in das verkaufspsychologische Gesamtkonzept: Sie ist Teil der speziell für Kinder entwickelten Workshop-Abteilung, wo die Kleinen selbst unter Anleitung Autos basteln dürfen und auf diese Weise zu potenziellen Kunden von BMW werden – wenn der Geldbeutel später dafür genug Überflüssiges enthält. (Als Angestellte von BMW dürfte das allerdings nicht leicht sein – denn gerade ist man dabei, 5000 davon zu entlassen, vor allem Leiharbeiter oder solche auf auf Projekt-Basis – und andere gibt es bei BMW immer weniger . . .)

Mein Freund wusste übrigens sofort, welchen BMW er sich kaufen würde, wenn ihm seine Augen das noch gestatteten. "Von mir steckt in diesem Bau gut eine Million, die ich in den vergangenen dreißig Jahren, also eines Gutteils meines Berufslebens, für einen BMW nach dem anderen ausgegeben habe", meinte er trocken. Wir bewunderten den Proto-Typ eines wasserstoffgetriebenen Autos (ja, das Erdöl wird mächtig knapp werden – meint nicht nur mein Freund, der Jahrzehnte in der Ölbranche gearbeitet hat). Und dann genossen wir das wirklich gute Essen in dem Lokal, das fast freischwebend in der zweithöchsten Etage der Halle eingerichtet wurde (noch eine Etage höher befindet sich ein Club-Casino, das nur den BMW-Kunden bei ihrer VIP-Einkaufstour zugänglich ist).

Abb. 2: Kugelbahn von Eddie Boes in der BMW-Welt (Foto: JvS)

Rückblick zur ersten Begegnung (22. Okt 2007), oder: Antipode BMW Welt

Gibt es zum Labyrinth-Symbol und zu real existierenden Begehbaren Labyrinthen als LandArt so etwas wie einen Antipoden – ein absolutes Gegenteil? Ich habe heute eines erlebt. Es war der Renner des vergangenen Wochenendes: 100.000 drängten sich danach, den neu eröffneten Superbau der BMW Welt zu bestaunen. Wir machten das heute am Montag, wo man nicht eine Stunde auf den Einlass warten musste, sondern gleich ´rein konnte – und zusätzlich in den Genuss einer fast leeren Halle kam. Was sofort zeigte, worum es eigentlich geht bei diesem Tempel der Autoindustrie: Vergleichsweise wenigen Menschen Autos anzubieten, von denen bei einem der kostspieligsten Exemplare alleine die Mehrwertsteuer so viel beträgt, wie die Jahresmiete für eine schöne Wohnung in München: 28.000 €uro. Aber die Mehrwertsteuer von 19 % ist bei den Leuten, die sich so eine Nobelkarosse leisten können, ohnehin nur der durchlaufende Posten für einen Geschäftswagen (außer beim Kabriolett, versteht sich).

Sollte jetzt ein Leser dieser Zeilen meinen, dass der Schreiber dieser Zeilen neidisch ist – oh no! Ich war als Student und etliche Jahre danach ein ziemlicher Auto-Freak. Aber heute bin ich mit meinem Fahrrad und dem Öffentlichen Nahverkehr in München bestens bedient. Ich komme nur ins Grübeln, wenn ich mir vorstelle, dass solche Autos ja wirklich nur einem dienen
a) der Status-Aufplusterung und Prestige-Hebung von Menschen, die sich im Innersten ein wenig minderwertig fühlen oder (viele Neureiche gehören hierzu),
b) mit solchen Boliden ihre Stellung in der Gesellschaft (ob über Generationen erfolgreicher Vorfahren angestammt oder frisch erworben) mit Machtsymbolen nochmals unterstreichen wollen,
c) einen schnellen Schlitten brauchen, um mit ihren Bodyguards etwaigen Entführern zu entkommen.

Das Gebäude ist toll gestaltet, gar keine Frage; und die Fachwelt ist sich auch einig wie selten in ihrem überschwänglichen Lob. Ich frage mich nur, was man mit diesem futuristischen Sakralbau anfangen könnte, wenn BMW mal pleite geht (das war ja fast schon mal so weit, bevor die Familie Quandt mit ihren aus dem Dritten Reich gewonnenen und geretteten Millionen hilfreich in die Firma einstieg – und Mercedes kam unter der egomanischen Herrschaft von Herrn Schrempp und seines Vorgängers Reutter schon mal mächtig ins Schleudern, vom aktuellen Niedergang der einstigen Giganten Ford und General Motors in den USA völlig zu schweigen).

Womit ich zu meiner eingangs erwähnten Antipoden-Idee komme. So wie ich dieses Gebäude heute erlebt haben – nämlich mit sehr wenigen Besuchern – ist es eine gigantische Hohlform aus Stahl und Glas und Kunstoff – genau wie die Autos, die es dem staunenden und rasch auch begehrlichen Betrachter präsentiert. Inhalt: sinnfreies Nichts. Ein Begehbares Labyrinth hingegen, ausgelegt in der freien Natur aus irgendwelchen Steinen, ist offen nach allen Seiten und nach oben, LandArt also im wahrsten Sinne des Wortes. Und es ist ebenso sinnfrei – lässt sich jedoch, im meditativen Begehen, mit Sinn füllen. Man nimmt einen Stein mit hinein, meditiert über eine Frage, die einen gerade beschäftigt, legt den Problem-Stein irgendwo in der Struktur am Boden ab und geht (wenn es gut verläuft) reich beschenkt mit einer Problemlösung oder einer weiterführenden Idee, wieder hinaus. Machen Sie das mal mit bzw. in einem Auto . . .

Mehrwertsteuer Labyrinth: null Prozent. Status-Aufplusterung und Prestige-Hebung: keine.

PS: Ein wunderschönes Spielzeug ist übrigens auch – genau wie die BMW-Dreier und BMW-Fünfer und die Motorräder und die Fahrräder (ja auch das bietet die wunderbare Welt von BMW an) rund herum – die riesige Kugelbahn von einem ungenannten Künstler/Konstrukteur. Allein sie lohnt schon den Besuch der phantastischen futuristischen BMW Welt. Wenn ich mir einen dreidimensionalen Irrgarten vorstellen sollte: so könnte er aussehen.

  • Veröffentlicht in: Musik

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

1 Kommentar

Schreibe einen Kommentar