Bloomsday: 16. Juni 1904 in Dublin (and a little bit sex again)

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Vergangenes Jahr habe ich den Bloomsday um genau einen Tag verpasst. Das soll dieses Jahr nicht passieren. Um was geht es?

Fans und Kenner von James Joyce´s Werk wissen, das der 16. Juni (1904) der Tag war, an dem der jüdische Annoncenaquisiteur  Leopold Bloom sich auf seinen langen Tag durch das irisch-kathoische Dublin machte – als Held des rätselhaftesten Romans, der sich gerade noch lesen lässt: Ulysses. Letzteres kann man von seinem Nachfolger, Finnegans Wake, nicht gerade sagen kann.

Nicht nur dieser Roman ist gespickt mit Hinweisen auf das Labyrinth und sein Personal. Schon Joyces wunderbarer erster Roman, Portrait of the Artist as a Young Man, verwies mit seiner Hauptfigur, Stephen Dedalus, auf  eine der zentralen Gestalten der LABYRINTHIADE. Es ist längst bekannt, dass Joyce sich in dieser Figur autobiographisch selbst verewigt hat. Dieser Stephen Dedalus alias James Joyce ist allerding von seinem Lebenslauf her eher ein Ikaros, dem der Aufschwung im Leben nicht recht gelingen will.

Joyces Werk ist überschaubar – und unglaublich vielfältig zugleich. Es beginnt mit den 1906 veröffentlichten The Dubliners – einer Reihe von wunderbaren Novellen, die ebenso wie das Portrait of the Artist as a Young Man (1917 veröffentlicht) wichtige Vorarbeiten zum Ulysses (begonnen 1914, erschienen 1922) darstellen. 1907 erscheint Chambermusic, mit ganz großartigen Gedichten. Ich hatte während meines Psychologiestudiums das Vergnügen, 1962 in einem kleinen Seminar durch einen ausgezeicheten britischen Dozenten in die skurille und hochartifizielle Welt von James Joyce und speziell des Ulysses eingeführt zu werden; dies geschah auf eine Weise, die mich dazu verführte, dieses Monstrum von einem Buch parallel in der Originalsprache und in der deutschen Übersetzung zu lesen. Solche Vergnügen sind in den Zeiten von Bologna wohl kaum mehr möglich (dies mein erster und hoffentlich letzter kritischer Beitrag zum aktuellen SciLogs-Blog-Gewitter).

Nach der Publikation des Ulysses (der wegen seiner "pornographischen", heute völlig harmlos wirkendenen, Szenen für Skandale und Verbote sorgte, insbesondere in den prüden USA) stürzte Joyce sich in die Arbeit an Finnegans Wake, diesem Monster von Buch, das ich nur noch angelesen habe – fasziniert und abgestoßen zugleich von der wuchernden Gelehrsamkeit und überbordenden Phantasie, die für Nicht-Joyce-Fans kaum bis gar nicht nachvollziehbar und entsprechend genießbar ist – selbst mit Hilfe voluminöser Sekundärliteratur wie Richard Ellmans James Joyce und Stuart Gilberts Das Rätsel Ulysses.

Alle diese Werke von Joyce sind durchzogen von Anklängen an oder direkten Bezügen auf das Labyrinth-Motiv und seine Figuren, insbesondere den Daidalos (Stephen Hero heißt er im PortraitStephen Dedalos heißt er im Ulysses, ist aber eigentlich ein abstürzender Ikaros).

Stuart Gilbert gibt mit seiner Studie Das Rätsel Ulysses dem Leser einen Ariadne-Faden durch das Labyrinth des Ulysses in die Hand. 

– so heißt es bereits in der Ankündigung des Verlags auf dem Rücktitel des Buches. Gleich zu Beginn der Inhaltsangabe schreibt Gilbert:

Die drei Episoden diesen ersten Hauptteils handeln von Stephen Daedalus, dem Helden des Portrait des Künstlers als junger Mann [ . . .] ´Ahn, alter Künstler, steh mir bei, jetzt und immerdar.´ In der Zeit, die zwischen dieser Anrufung des ersten Künstlers der hellenischen Welt, des Schöpfers des Labyrinths von Knossos und der goldenene Honigwabe . . .

Auf S. 22 des gleichen Buches wird "Ikarus, der sonnwärts steigt" beschworen, auf S. 27 das Labyrinth benannt, auf S. 30 das 

labyrinthartige Netzwerk […] der Nerven und Adern, die den lebendigen Organismus durchziehen. 

So geht es weiter, bis im Kap 10 vom Ulysses, "Die Irrfelsen", das L-Motiv zum Hauptthema wird. Labyrinth wird hier sogar von Gilbert als erzählerische Technik von Joyce vorgestellt.

In einem ausführlichen, liebevoll gemachten Artikel der Wikipedia findet man viele Details zum Bloomsday.

 

Joyce ein Hochbegabter?

Für mich ist das keine Frage. Wenn der IQ und die ganze Intelligenz-Testerei irgendeine Berechtigung hat, dann nur die, dass sie mit einer gewissen Sicherheit Erfolg im Leben voraussagen lässt. Hochbegabte haben allerdings eher selten hohen Erfolg. Joyce blieb er zu Lebzeiten weitgehend versagt; zeitweilig ging es ihm existenziell ausgesprochen schlecht. In der Literatur der Moderne nimmt er einen Spitzenrang für das 20. Jahrhundert ein, vor allem wegen dem als Meisterwerk eingestuften Ulysses – auch wenn den kaum jemand wirklich (ganz) gelesen haben dürfte. 

Später Erfolg des erfolglosen Dichters (gemeldet in der Südd. Zeitung vom 8. Juni 2009):

"Eine seltene, handschriftlich signierte Kopie des Ulysses von James Joyce ist auf einer Antiquitäten-Buchmesse in London für 275.000 Pfund (knapp 315.000 €uro) versteigert worden. Es war der höchste Preis, der je für eine Erstausgabe eines Romans aus dem 20. Jahrhundert gezahlt wurde. […] Das Exemplar blieb weitgehend ungelesen – bis auf das berühmte letzte Kapitel, das die erotischen Erinnerungen der Molly Bloom enthält.

Wenn Joyce kein Hochbegabter unter den Schriftstellern und Künstlern ist – wer ist es dann? So viel Brainspotting muss erlaubt sein.

 

Apropos Twitter

Ganz schön beknackt, wie kurz so ein Tweet wird, wenn schon der Link HIERHER in den L-Blog 34 Zeichen beansprucht:

It´s Bloomsday – with labyrinth: [Link]

Angeblich sind schon 21 SciLogs-Autoren meine Follower bei Twitter – wo sind sie denn? Vielleicht auf den missglückten ersten drei Versuchen? Dort komm ich nicht mehr rein, weil die Pass-Wörter irgendwie nicht "passen". Die aktuelle Site heißt "j_vom_scheidt".

Quellen:
Gilbert, Stuart: Das Rätsel Ulysses. (London 1958 ca._Faber & Faber) Zürich 1960 (Rhein Verlag)
Ellman, Richard: James Joyce. (1930/1952)
Joyce, James: Ein Portrait des Künstlers als junger Mann (1916) München 2004 (SZ Bibliothek)
ders.: Joyce, James: Ulysses (Paris 1922) London 1960 (The Bodley Head). Dt. Übersetzung: Wollschläger, Hans. Frankfurter Joyce-Ausgabe Bd. 3.1+2. Frankfurt am Main 1975 (Suhrkamp)
ders.: Finnegan´s Wake (1939)
Paris, Jean: Joyce. Reinbek März 1960 (Rowohlts Monographien)

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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