Neue Studie legt nahe, dass die atlantische Umwälzzirkulation AMOC „auf Kippkurs ist“

Heute wurde in Science Advances eine neue Studie veröffentlicht. Der Titel sagt schon, worum es geht: „Physics-based early warning signal shows that AMOC is on tipping course.“ Die Studie folgt einer Studie dänischer Kollegen, die im vergangenen Juli für Schlagzeilen sorgte und ebenfalls nach Frühwarnsignalen für die Annäherung an einen AMOC-Kipppunkt suchte (ich haben sie hier besprochen), allerdings mit ganz anderen Daten und Methoden.

Die neue Studie von van Westen et al. ist ein wichtiger Fortschritt in der AMOC-Stabilitätsforschung und kommt von dem meiner Meinung nach weltweit führenden Forschungszentrum für AMOC-Stabilitätsstudien in Utrecht/Holland. (Einige ihrer Beiträge aus den letzten 20 Jahren sind in der Literaturliste der Studie aufgeführt, darunter die Autoren Henk Dijkstra, René van Westen, Nanne Weber, Sybren Drijfhout und mehr.)

Das Papier ist das Ergebnis eines großen Rechenaufwands: es basiert auf einer Klimasimulation mit einem state-of-the-art Klimamodell (dem CESM-Modell mit einer horizontalen Auflösung von 1° für die Ozean-/Meereis-Komponente und 2° für die Atmosphäre-/Landkomponente) für 4.400 Modelljahre. Die Rechnung dauerte sechs Monate auf 1.024 Rechnerkernen in der niederländischen nationalen Supercomputing-Einrichtung, dem größten System der Niederlande für Hochleistungsrechnen.

Es ist der erste systematische Versuch, den AMOC-Kipppunkt in einem gekoppelten globalen Ozean-Atmosphäre-Klimamodell mit guter räumlicher Auflösung zu bestimmen, wobei der Quasi-Gleichgewichtsansatz verwendet wird, den ich 1995 mit einem reinen Ozeanmodell mit relativ geringer Auflösung entwickelt habe, da vor 30 Jahren die Computerleistung noch arg begrenzt war.

Für alle, die mit der Problematik des Risikos abrupter Änderungen der Ozeanzirkulation nicht vertraut sind, habe ich letztes Jahr in diesem Blogbeitrag zehn wichtige Fakten dazu kurz zusammengefasst.

Abb. 1 . Schematische Darstellung der AMOC, wobei warmes Wasser nach Norden fließt, in nördlichen Breiten absinkt und dann als kalte Tiefenströmung nach Süden zurückkehrt. Die Hintergrundkarte zeigt die Veränderung der Meeresoberflächentemperatur seit 1870 basierend auf Meeresbeobachtungen, einschließlich des Fingerabdrucks einer AMOC-Abschwächung: der „Kälteblase“ im subpolaren Nordatlantik und der übermäßigen Erwärmung nördlich des Golfstroms. Abbildung nach Caesar et al., Nature 2018.

Kommen wir gleich zu den wichtigsten Erkenntnissen der neuen Studie:

1. Sie bestätigt, dass die AMOC einen Kipppunkt hat, ab dem sie versiegt, wenn der Nordatlantik mit Süßwasser verdünnt wird (durch zunehmende Niederschläge, Flussabfluss und Schmelzwasser), wodurch sich sein Salzgehalt und seine Dichte verringern. Dies wurde durch einfache konzeptionelle Modelle seit Stommel 1961 nahegelegt , für ein 3D-Ozeanzirkulationsmodell in meinem Nature-Artikel von 1995 bestätigt und später unter anderem in einem ersten Modellvergleichsprojekt im Jahr 2005. Jetzt wurde dieser Kipppunkt zum ersten Mal in einem modernen global gekoppelten Klimamodell nachgewiesen, was die Hoffnung zunichte macht, dass mit mehr Modelldetails und Auflösung irgendeine in einfachen Modellen nicht erfasste Rückkopplung einen AMOC-Kollaps verhindern könnten. (Diese Hoffnung war nie sehr überzeugend, da Paläoklimadaten eindeutig abrupte AMOC-Veränderungen in der Erdgeschichte zeigen, einschließlich AMOC-Zusammenbrüche, die durch Schmelzwassereintrag ausgelöst wurden (Heinrich-Ereignisse). Der letzte AMOC-Zusammenbruch ereignete sich vor etwa 12.000 Jahren und löste in der Nordatlantikregion das Kälteereignis der jüngeren Dryas aus.)

2. Sie bestätigt anhand von Beobachtungsdaten, dass sich der Atlantik „auf Kippkurs“ befindet, sich also auf diesen Kipppunkt zubewegt. Die Milliarden-Dollar-Frage lautet: Wie weit ist dieser Kipppunkt entfernt?

3. Drei aktuelle Studien (weitere Informationen dazu in diesem Blogbeitrag), die unterschiedliche Daten und Methoden verwenden, haben argumentiert, dass wir uns dem Kipppunkt nähern und dass er möglicherweise viel näher als früher gedacht ist, und dass sogar die Gefahr besteht, dass wir ihn im Laufe der nächsten Jahrzehnte überschreiten. Allerdings wurde die Zuverlässigkeit der verwendeten Methoden in Frage gestellt (wie hier bei der KlimaLounge diskutiert). Basierend auf ihrer epischen Computersimulation schlug die niederländische Gruppe einen neuen, physikbasierten und beobachtbaren Typ eines Frühwarnsignals vor. Es nutzt eine Diagnostik – den Süßwassertransport durch die AMOC am Eingang des Südatlantiks über den Breitengrad an der Südspitze Afrikas – die ich 1996 in einer Studie vorgeschlagen habe. Sie benennen keine konkrete Zeitspanne für das Erreichen des Kipppunkts, da hierfür weitere Beobachtungen der Ozeanzirkulation auf diesem Breitengrad erforderlich sind. Sie verweisen jedoch auf die letztjährige Ditlevsen-Studie mit der Aussage, dass „ihre Schätzung des Kipppunkts (2025 bis 2095, 95% Konfidenzintervall) akkurat sein könnte.“

4. Die neue Studie bestätigt frühere Bedenken, dass Klimamodelle die Stabilität der AMOC systematisch überschätzen. Bezüglich des entscheidenden AMOC-Süßwassertransports in Modellen weisen sie darauf hin, dass die meisten Modelle ihn nicht korrekt wiedergeben: „Dies stimmt nicht mit den Beobachtungsdaten überein, was ein bekannter Fehler in den Modellen der CMIP-Phase 3, Phase 5 und Phase 6 ist.“ Die meisten Modelle haben sogar das falsche Vorzeichen dieser wichtigen Diagnostik, die bestimmt, ob die Strömung den atlantischen Salzgehalt stabilisiert oder destabilisiert, und dieser Modellfehler ist meiner Ansicht nach ein Hauptgrund dafür, dass der IPCC das Risiko eines AMOC-Kollapses bisher unterschätzt hat.

5. Die Studie liefert auch detailliertere und höher aufgelöste Simulationen der Auswirkungen eines AMOC-Kollapses auf das Klima, allerdings isoliert betrachtet und nicht mit den Auswirkungen der CO2-induzierten globalen Erwärmung kombiniert (Abb. 2). Sie zeigt, wie insbesondere Nordeuropa von Großbritannien bis Skandinavien verheerende Auswirkungen erleiden würde, wie beispielsweise eine Abkühlung der Wintertemperaturen um 10 °C bis 30 °C innerhalb eines Jahrhunderts, die innerhalb von ein oder zwei Jahrzehnten zu einem völlig anderen Klima führen würde. Dies ist im Einklang mit paläoklimatischen Daten für abrupte Änderungen der Ozeanzirkulation. Darüber hinaus zeigen sie erhebliche Verschiebungen der tropischen Niederschlagsgürtel. Diese (und viele weitere) Auswirkungen eines AMOC-Kollapses sind seit langem bekannt, wurden jedoch bisher nicht in einem Klimamodell von so hoher Qualität aufgezeigt.

Abb. 2 Temperaturänderung infolge des AMOC-Kollapses (während der Modelljahre – nicht Kalenderjahre! – 1750–1850) in der neuen Modellsimulation von van Westen et al. 2024. Das sind besonders schlechte Nachrichten für Großbritannien und Skandinavien .

Angesichts der Auswirkungen muss das Risiko eines AMOC-Zusammenbruchs unbedingt vermieden werden. Wie ich schon früher sagte: Die Frage ist nicht, ob wir sicher sind, dass dies passieren wird. Es geht darum, dass wir dies mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 % ausschließen müssen. Sobald wir ein eindeutiges Warnsignal haben, wird es angesichts der Trägheit des Systems zu spät sein, etwas dagegen zu unternehmen.

Insgesamt trägt die neue Studie erheblich zur wachsenden Besorgnis über einen AMOC-Zusammenbruch in nicht allzu ferner Zukunft bei. Damit verleiht es den jüngsten Berichten noch mehr Gewicht, die starke Warnungen formuliert haben, wie der OECD Climate Tipping Points Report vom Dezember 2022 und der im Dezember 2023 veröffentlichte Global Tipping Points Report. Dieses Risiko weiterhin zu ignorieren kann uns sehr teuer zu stehen kommen.

Update 10. Februar: In den Reaktionen auf die Studie sehe ich, dass einige sie als ein unrealistisches Modellszenario für die Zukunft missverstehen. Das ist sie aber nicht. Bei dieser Art von Experiment handelt es sich keineswegs um eine Zukunftsprojektion, sondern vielmehr um die Bestimmung der Gleichgewichts-Stabilitätskurve des Klimamodells (das ist der oben erwähnte Quasi-Gleichgewichtsansatz). Um nahe am Gleichgewicht zu bleiben, muss der Süßwassereintrag extrem langsam gesteigert werden, weshalb dieses Experiment so viel Computerzeit in Anspruch nimmt. Nachdem der Kipppunkt des Modells auf diese Weise gefunden worden war, wurde er zur Suche von Vorwarnzeichen verwendet, die uns schon vor dem Erreichen des Kipppunkts warnen könnten, so genannte “Frühwarnsignale”. Dann schauten sich die Wissenschaftler Reanalysedaten an (das sind auf Beobachtungsdaten basierende Produkte, siehe Abb. 6 der Studie), um dort nach einem Frühwarnsignal zu suchen. Die Schlussfolgerung, dass sich die AMOC “auf Kippkurs” befindet, basiert auf diesen Daten.

Mit anderen Worten: Es sind Beobachtungsdaten aus dem Südatlantik, die darauf hindeuten, dass die AMOC auf Kippkurs ist. Nicht die Modellsimulation, die nur dazu diente, ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, welche Frühwarnsignale funktionieren und warum.

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

2 Kommentare

  1. Vielen Dank dafür! Aber was heißt das für die täglichen Aufgaben im Bereich Klimaanpassung und Mitigation. Doch nur, weiterhin alle Anstrengungen im Bereich Mitigation zu maximinieren, und sich weiterhin erstmal gegen Extremereignisse, Hitzewellen und Dürren zu schützen, auch um das Eintreten dieses Kipppunktes zu verhindern?

  2. Wettlauf zwischen der anthropogenen Temperaturerhöhung und dem ebenfalls anthropogenen AMOC-Abbruch?

    Wenn ich richtig verstanden habe, berücksichtigt das Modell nicht die derzeitig ablaufende Erwärmung, die von dem ständigen CO₂-Eintrag in die Atmosphäre erzeugt wird. Wenn man diesen Effekt mit einschließt, findet man dann, dass er die krassen Auswirkungen des AMOC-Abbruchs abmildert, und wie stark? Immerhin erhöht sich ja auch in der arktischen Polarregion die Durchschnittstemperatur, und gerade dort besonders stark.