Widerstand ist zwecklos – Medikamentenresistenz effizient verhindern

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2022 in der Kategorie Biologie veranschaulichte Florian Leidner, was er in seiner Promotion erforscht hat.


Medikamentenresistenz ist eine der großen Herausforderungen der Wirkstoffentwicklung. Kleinste Änderungen im Erbgut von Viren, Bakterien und Krebszellen können dazu führen, dass Medikamente über Nacht ihre Wirkung verlieren. Aber Medikamentenresistenz ist vermeidbar. Mit Wissen über die zugrunde liegenden Resistenzmechanismen können wir Wirkstoffe entwickeln, welche nicht umgangen werden können und eine effektive Behandlung erkrankter Patienten ermöglichen.

Die meisten von uns haben schon einmal von Medikamentenresistenz gehört. Ein Antibiotikum verliert scheinbar über Nacht seine Wirksamkeit gegenüber einem Bakterium, ein Krebspatient spricht nicht mehr auf seine Behandlung an, ein Virus mutiert und kann nicht mehr mit etablierten Methoden behandelt werden. Medikamentenresistenz macht nicht nur die Ergebnisse jahrelanger Forschung und Investitionen in Milliardenhöhe zunichte, für Patienten bedeutet es oftmals, dass sie auf weniger wirksame Behandlungen umsteigen müssen.

Es erscheint paradox: Obwohl in der medizinischen Forschung immer neue Behandlungsmethoden entwickelt werden, gelingt es uns nicht Medikamentenresistenz zu vermeiden. Warum ist das so? Um das zu verstehen, müssen wir uns zuerst mit den Ursachen für Resistenzen befassen. Bakterien und Viren sind die Auslöser einer Vielzahl von Krankheiten. Diese mikroskopisch kleinen Organismen infizieren den Körper mit einem einzigen Ziel: Sich so schnell wie möglich zu vermehren. Mit Medikamenten verhindern wir, dass sich diese Mikroorganismen im Körper ausbreiten. Aber wir erzeugen auch erheblichen Druck auf die Krankheitserreger, sich an die Behandlung genetisch anzupassen.

Diese Adaption ist allgemein als Evolution bekannt. In der makroskopischen Welt ist Evolution ein langsamer Prozess, der meistens über tausende von Jahren stattfindet. In der mikroskopischen Welt sieht das etwas anders aus: Ein einziges Bakterium kann in wenigen Stunden tausende Nachfahren erzeugen. Wenn nur ein Nachkomme weniger anfällig für einen Wirkstoff ist, kann sich dieser besser verbreiten und diesen Selektionsvorteil wiederum an seine Nachfahren weitergeben.

Aber Resistenzen sind deswegen noch lange nicht unvermeidbar. Genetische Veränderungen, die es Mikroorganismen ermöglichen sich der Behandlung durch Medikamente zu entziehen, sind selten. Darüber hinaus sind Resistenzmutationen oft mit erheblichen Nachteilen verbunden. Deshalb können wir davon ausgehen, dass es nur wenige Wege gibt, Resistenzen zu entwickeln. Wenn wir diese Mechanismen verstehen, können wir sie bei der Wirkstoffentwicklung berücksichtigen und somit Medikamentenresistenz vorbeugen. Aber wie können wir diese Mechanismen identifizieren und Wirkstoffe entwickeln, die uns lange Zeit erhalten bleiben?

Genau dieser Frage bin ich in meiner Doktorarbeit auf den Grund gegangen. Konzentriert habe ich mich dabei auf die Protease des Humanen Immundefizienz-Virus-1 (HIV-1). Dieses Enzym ist eine von dutzenden mikroskopisch kleinen Maschinen, welche es HIV-1 ermöglichen, sich im Wirtsorganismus auszubreiten. Die reibungslose Funktion der Protease ist für die Verbreitung des Virus unabdingbar. Deshalb sind Proteaseinhibitoren, also Wirkstoffe, welche die Funktion der Protease hemmen, ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von HIV/AIDS. Allerdings gibt es inzwischen viele Varianten von HIV-1, die resistent gegen die Behandlung mit Proteaseinhibitoren sind.

In den meisten Fällen sind Mutationen, also Änderungen in der genetischen Zusammensetzung der Protease die Ursachen dafür, dass diese Viren nicht mehr anfällig für die Behandlung mit Proteaseinhibitoren sind. Diese Mutationen können sowohl die Struktur als auch die Dynamik des Enzyms ändern. Das Problem ist aber, dass nicht alle Änderungen ausschlaggebend für Resistenzen sind. Die Veränderungen zu identifizieren, die zu Resistenzen führen, ist manchmal wie die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen.

Struktur und Dynamik von Proteinen sind ausschlaggebend für ihre Funktion. Mit Computersimulationen können wir diese besser zu verstehen und bessere Wirkstoffe gegen Krankheitserreger entwickeln. Die Simulation im Video: https://youtu.be/9H5v-iLD3C4

Um herauszufinden, wie sich Resistenzen entwickeln, machte ich mir die genetische Vielfalt des HI-Virus zunutze. Für HIV-1 Protease sind hunderte verschiedene Varianten und dutzende Mutationen beschrieben. Einige Varianten sind gegen fast alle bekannten Wirkstoffe resistent. Weil es jedoch nur eine begrenzte Anzahl an Wegen gibt, Resistenzen zu entwickeln sollte man immer wieder auf dieselben Muster stoßen. Abhängig davon, wie resistent ein Enzym gegen einen Wirkstoff ist, sollten diese Muster auch mehr oder weniger stark ausgeprägt sein.

Um diese Annahme zu prüfen, habe ich die 3D-Strukturen von hunderten von HIV-1 Proteasen gesammelt. Anhand der Struktur der Enzyme berechnete ich eine Vielzahl von Indikatoren, welche die Wechselwirkung mit dem gebundenen Wirkstoff beschreiben. Mit diesem Datensatz brachte ich dann einem Algorithmus des maschinellen Lernens bei, Resistenzen zu erkennen. Computeralgorithmen sind besonders gut darin Muster in einer Unmenge von Datenpunkten zu erkennen. Deshalb werden diese Algorithmen in vielen datenintensiven Anwendungen, wie etwa der computergestützten Bild- und Spracherkennung eingesetzt. Meinen Algorithmus trainierte ich darin, anhand der 3D Struktur zu erkennen, ob eine Protease resistent gegen einen bestimmten Wirkstoff ist. Darüber hinaus erklärte der Algorithmus, warum er eine Struktur als resistent oder anfällig bewertete. Damit war es mir möglich, die genauen Mechanismen zu identifizieren, die ausschlaggebend für Resistenzen sind.

Allerdings konnte ich mit diesem Algorithmus nicht alle Mutationen einem bestimmten Mechanismus zuordnen. Ich vermutete, dass dies daran lag, dass der Algorithmus nur anhand von 3D-Strukturen trainiert wurde. Das ist ungefähr so, als wollte man, die Funktion einer Maschine nur anhand der Anordnung ihrer Komponenten ableiten. Das ist prinzipiell zwar möglich, aber für ein tiefgreifendes Verständnis muss man wissen, wie die einzelnen Komponenten dynamisch miteinander interagieren. Einsicht in die Dynamik der Protease konnte ich mit Hilfe von Molekulardynamik-Simulationen gewinnen. Das sind Computersimulationen, in welchen die Bewegungen von Molekülen anhand von physikalischen, messbaren Größen über sehr kurze Zeiträume berechnet werden. Die diesen Simulationen zugrunde liegenden Berechnungen sind zwar extrem komplex, aufgrund des technischen Fortschritts in der Computerindustrie heutzutage jedoch kein Problem mehr.

Mit Computergestützten Methoden können wir Resistenzmechanismen und die Wirkung von Medikamenten besser verstehen. Hochleistungsrechner, wie hier im Bild gezeigt, sind für die oft komplexen Berechnungen unabdingbar. Dabei handelt es sich um viele, miteinander vernetzte Rechner, die Berechnungen untereinander aufteilen.

Mir war es also möglich die Dynamik von dutzenden Proteasevarianten zu simulieren. Viele dieser Varianten hatten etliche Mutationen und gegen einige waren selbst die besten verfügbaren Proteaseinhibitoren fast wirkungslos. Anschließend trainierte ich anhand der beobachteten Interaktionen einen neuen Algorithmus und untersuchte, welche Interaktionen den beobachteten Resistenzen zugrunde liegen. Das Ergebnis war bemerkenswert: Obwohl die Simulationen tausende von Interaktionen umfassten, waren nur vier Interaktionen notwendig, um Resistenzen mit hoher Genauigkeit vorherzusagen. Ich hatte sie also tatsächlich gefunden, die Nadel im Heuhaufen!

Dass diese Methode nicht nur für HIV-1 angewendet werden kann, konnte ich im Anschluss an meine Doktorarbeit am Beispiel des mikrobiellen Erregers Pneumocystis jirovecii zeigen. Dieser Einzeller kann in Menschen mit geschwächtem Immunsystem zu schweren Lungenentzündungen führen und hat erhebliche Resistenzen gegen die Behandlung mit Antibiotika entwickelt.

Insgesamt konnte ich mit meiner Forschung einen kleinen Teil dazu beigetragen, die Mechanismen, denen Medikamentenresistenzen zugrunde liegen, besser zu verstehen. Um Resistenzen zu vermeiden, bedarf es jedoch eines radikalen Umdenkens in der Art und Weise, wie wir neue Wirkstoffe entwickeln. Biologie ist im steten Wandel, weshalb die Wirksamkeit eines Wirkstoffes gegen einen Krankheitserreger zwar ein ausschlaggebendes, aber kein ausreichendes Kriterium bei der Wirkstoffentwicklung sein darf. Um Medikamente zu entwickeln, die uns auf lange Zeit erhalten bleiben, müssen wir diese so gestalten, dass sie dort wirken, wo es keine Möglichkeiten gibt, Resistenzen zu entwickeln. Das erfordert umfassendes Wissen um die Biologie der Krankheitserreger und ist deshalb kosten- und zeitintensiver, führt aber zu effizienteren Wirkstoffen, die auf lange Sicht gesehen einen größeren gesellschaftlichen Nutzen haben.


Florian Leidner hat an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg Zell und Molekularbiologie studiert. Sein Interesse galt dabei vor allem dem Aufbau und der Funktion von Proteinen. Seine Arbeit an den molekularen Ursachen für Medikamentenresistenz begann er während eines Forschungsaufenthaltes an der University of Massachusetts Medical School. Diese Forschung setzte er nach Abschluss seines Masters im Rahmen seiner Doktorarbeit fort. Seit 2021 arbeitet er als PostDoc am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften an multifunktionellen Enzymkomplexen.

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