Die chemische Sprache der Pilze

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2022 in der Kategorie Biologie veranschaulichte Wolfgang Hinterdobler, was er in seiner Promotion erforscht hat.


Um die gesunde Ernährung einer wachsenden Bevölkerung auch in Zukunft sicherzustellen, benötigen wir eine innovative und resiliente Landwirtschaft. Die Erforschung, wie Pilze auf chemischer Ebene miteinander kommunizieren, wird entscheidend dazu beitragen, Pilzschädlingen und deren Toxine auf dem Feld effektiv entgegenzuwirken.

Foto: Manuel Vlasic

Obwohl wir sie oft nur als unscheinbare Gestalten mit Hut und Stiel im Wald oder als farbenfroher Schimmelrasen auf verdorbenen Nahrungsmitteln wahrnehmen, ist unser tägliches Leben ohne sie
kaum vorstellbar. Wir nutzen ihre Inhaltsstoffe als Medikamente wie Antibiotika, verwenden Enzyme von holzabbauenden Arten zur Herstellung von Papier und modernen Treibstoffen und auf unseren Tellern schätzen wir sie als Delikatesse. Pilze erfüllen unzählige Funktionen in stabilen Ökosystemen und fördern die Gesundheit unserer Böden.

Während viele Pilze wegen ihrer positiven Eigenschaften geschätzt werden, gibt es auch jene, die gefährliche Giftstoffe, sogenannte Mykotoxine, produzieren. Diese können sich in Lebensmitteln anreichern und stellen sowohl für Menschen als auch für Nutztiere ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. Bereits auf dem Feld befallen diese Pilze Getreidepflanzen und setzen eine Vielzahl von hochwirksamen, teils giftigen Substanzen frei, um sich gegen andere Mikroorganismen zu verteidigen. Dadurch werden jedes Jahr Tausende von Tonnen Getreide mit Mykotoxinen kontaminiert, was die globale Nahrungssicherheit erheblich gefährdet. Der Klimawandel verstärkt diese Problematik weiter, da er Kulturpflanzen schwächt und die Ausbreitung von Pilzschädlingen begünstigt.

Um diese Schadpilze und ihre Toxine zu bekämpfen, wurde bisher hauptsächlich auf drei Strategien gesetzt: den Einsatz von Pestiziden, die Detoxifizierung der produzierten Giftstoffe und die Ausbringung von biologischen Schädlingsbekämpfern. Ein Problem bei der Verwendung von Pestiziden ist nicht nur die Entwicklung von Resistenzen, sondern auch, dass die Pestizide selbst in unsere Nahrungsmittel gelangen können. Bei der Detoxifizierung werden die Giftstoffe im geernteten Getreide abgebaut, bevor es weiterverarbeitet wird. Das ist zwar besser als das Getreide zu entsorgen, allerdings aufwändig und kostspielig. Eine weitere Strategie ist der Einsatz von biologischen Schädlingsbekämpfern. Dazu werden Pilze, die sich von anderen Pilzen ernähren, auf dem Feld ausgebracht, um die Verbreitung der Schädlinge einzudämmen. Inwiefern diese oftmals gebietsfremden Organismen lokale Ökosysteme beeinträchtigen, ist mit dem aktuellen Stand der Forschung nicht abzuschätzen.

Eine neue und vielversprechende vierte Strategie, die wir in unserem Projekt untersuchten, ist die Nutzung der chemischen Sprache der Pilze, um die Produktion dieser Giftstoffe bereits im Vorfeld zu unterbinden.

Pilze, die weder zu den Pflanzen noch zu den Tieren gehören und ein eigenes Organismenreich bilden, nutzen eine Reihe von Signalen und Rezeptoren, um mit ihrer Umgebung zu kommunizieren und auf sie zu reagieren. Im Labor erlaubt uns die Erforschung von sogenannten Modellorganismen, die in der künstlichen Umgebung einer Petrischale schnell wachsen, einen genauen Blick auf ihr Verhalten.

Ein Trichoderma-Pilz wächst in einer Petrischale. Schon seit Langem ein bewährter Nützling in der Landwirtschaft, hilft er nun auch, die chemische Sprache der Pilze zu entschlüsseln. Foto: Wolfgang Hinterdobler

Das Leben eines Pilzes beginnt als mikroskopisch kleine Spore. Von dort aus entwickelt er ein weitverzweigtes Netzwerk aus feinen Fäden, den sogenannten Hyphen, die zusammen den eigentlichen Pilzkörper, das Myzelium, bilden. Durch stetiges Erkunden der Umgebung treffen die Hyphen in der Natur auf unterschiedliche Nahrungsquellen, potenzielle Fressfeinde, aber auch auf Artgenossen. Die Produktion von Enzymen zum Abbau von Nahrung, von Giftstoffen für die Verteidigung oder von Pheromonen zur Anlockung von Artgenossen unterliegt einem fein regulierten, genetischen Programm. Pilze nehmen ihre Umgebung wahr und reagieren dabei gezielt auf Veränderungen. Diese stete Interpretation von Signalen anderer Lebewesen und der Umgebung, und die daraus resultierende Produktion von chemischen Verbindungen wird als chemische Sprache der Pilze bezeichnet. Um diese Sprache zu entschlüsseln, erforschten wir in unserem Projekt mit dem Titel „Talk-Out-Toxins“ mit unterschiedlichen Experimenten die zugrundeliegenden Abläufe auf zellulärer Ebene.

Das Alphabet dieser Sprache bilden Signalmoleküle, die an Oberflächenrezeptoren binden und Botenstoffen im Inneren der Zelle freisetzen. Die Interpretation dieser Signale führt anschließend zur Produktion der benötigten Substanzen.

Um Signale und deren zugehörige Rezeptoren zu finden, analysierten wir in einem groß angelegten Experiment die Wachstumsrichtung von frisch gekeimten Sporen. Beispielsweise untersuchten wir die Reaktion von Pilzsporen auf Signalmoleküle von Pflanzen. Das gleiche Experiment wurde auch mit Pilzen wiederholt, welche wir so veränderten, dass ihnen einzelne Rezeptoren fehlten. Sie bekamen zwar dasselbe chemische Signal, konnten es jedoch nicht mehr erkennen. Das war der Beweis, dass der fehlende Rezeptor für das Erkennen dieses speziellen Signals verantwortlich ist. Auf diese Weise analysierten wir das Wachstum von bis zu einer halben Million Sporen und stießen dabei auf neue Mechanismen. So fanden wir heraus, dass erst das Zusammenspiel der Signale von unterschiedlichen Rezeptoren dem Pilz die notwendige Information gibt, um auf seine Umgebung zu reagieren und dabei die Menge der Signale eine erhebliche Rolle spielt. An diesem Punkt der Forschung wussten wir, welche Signale von welchen Rezeptoren aufgenommen werden.

In einem weiteren Versuch untersuchten wir die Produktion von chemischen Verbindungen als Reaktion auf die verwendeten Signalstoffe des ersten Versuchs. Dadurch fanden wir heraus, welche Signale die Produktion von bestimmten Substanzen beeinflussen.

Unter dem Mikroskop: Aus Sporen wachsen die ersten Pilzhyphen und beginnen bald ein weit verzweigtes Netzwerk zu bilden. Foto: Wolfgang Hinterdobler

Durch das Erforschen und Verstehen der Sprache der Pilze erhalten wir ein neuartiges Werkzeug für die moderne Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Durch die richtige Wortwahl in Form von chemischen Signalen können wir die Pilze zukünftig „überreden“, auf die Produktion schadhafter Mykotoxine zu verzichten. Dadurch verringern wir den Einsatz von großen Mengen an Pestiziden. Das ist nicht nur für unsere Gesundheit, sondern auch für die Gesundheit unserer Ökosysteme auf und um unsere Felder herum von großer Bedeutung.

Ein für die spätere Anwendung interessantes Ergebnis ist, dass Signale von Artgenossen einen erheblichen Einfluss auf die Produktion von chemischen Verbindungen haben. Es scheint für Pilze sinnvoll, weniger giftig zu sein, wenn mögliche Partner in der Nähe sind und für Nachwuchs gesorgt werden soll. Unsere Experimente zeigten auch, dass die chemische Kommunikation nicht nur zwischen Pilzen stattfindet, sondern auch die Kommunikation mit Pflanzen eine wichtige Rolle spielt.
Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend für zukünftige Anwendungen. Auf Grundlage dieser Daten können in nachfolgenden Projekten konkrete Anwendungen für den Anbau und die Lagerung von Lebensmitteln entwickelt werden.

Neben der Bekämpfung von Pilzgiften wird uns die Erforschung der Sprache der Pilze auch in der Entwicklung neuer Medikamente weiterhelfen, indem wir die Produktion von relevanten Substanzen direkt anregen und verstärken. Und zu guter Letzt unterstreichen diese Erkenntnisse abermals die beeindruckende Komplexität und Wichtigkeit der Pilze für uns und die Ökosysteme, in denen wir leben.


Wolfgang Hinterdobler ist begeisterter Naturwissenschaftler und Biotechnologe. Das Studium der Botanik an der Universität Wien ermöglichte ihm einen Forschungsaufenthalt in der Tropenstation La Gamba in Costa Rica. Hierbei untersuchte er Inhaltsstoffe von tropischen Pilzen, die mit Pflanzen in Symbiose leben. Fasziniert von den komplexen Interaktionen zwischen Pilzen und Pflanzen setze er seine Arbeit am AIT Austrian Institute of Technology in der Gruppe von Monika Schmoll fort und promovierte zum Thema „Chemische Kommunikation von Pilzen“ an der Technischen Universität Wien. Im Jahr 2022 gründete er zusammen mit René Lux das Unternehmen MyPilz, um nachhaltige und zukunftsweisende Projekte mit den fortschrittlichsten Methoden der Pilzforschung zu unterstützen.

3 Kommentare

  1. Schön geschrieben – und sicher “KlarText”, ja. Kürzlich las ich eine Pressemitteilung vom “Sozialleben des Weizens”. Wäre auch ein schöner Titel für einen Pilzartikel.

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