Brücken bauen mit Stift und Papier: Sketch-Maps machen lokales Wissen sichtbar

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2021 in der Kategorie Geowissenschaften veranschaulichte Carolin Klonner, was sie in ihrer Promotion erforscht hat.


In vielen Regionen gibt es wenig technische und finanzielle Möglich keiten, um den nötigen Hochwasserschutz zu leisten. Bewohner*innen haben jedoch meist Hochwassererfahrungen, die sie zur Hochwasservorsorge beitragen können. Sketch-Maps ermöglichen dieses Wissen sichtbar und nutzbar zu machen.

Seit Tagen regnet es und die Pegel steigen. Höchste Zeit für mich, in mein Studiengebiet nach Eberbach am Neckar zu fahren, das nicht weit weg von meinem Arbeitsplatz am Geographischen Institut der Universität Heidelberg liegt. Beeindruckt stehe ich auf der Neckarbrücke vor Ort und blicke auf die braunen Wassermassen (Bild 1). Vereinzelt ragen ein paar Verkehrsschilder hervor wie Bojen. Ich bin fasziniert – denn genau diese überschwemmten Bereiche haben viele Eberbacher*innen in meiner Studie zur Risikowahrnehmung von Hochwasserereignissen markiert. Aber ich greife vor. Wie bin ich eigentlich zur Hochwasserforschung gekommen und was haben die Bewohner*innen von Hochwasserregionen damit zu tun?

Hochwasser in Eberbach am Neckar 2019

Wir kennen sie alle – die Bilder aus den Nachrichten mit Menschen, die mit Booten durch die Städte fahren. Weltweit häufen sich die Folgen von Hochwasserkatastrophen. In vielen Regionen der Welt gibt es aber nur wenig technische und finanzielle Möglichkeiten, um den nötigen Hochwasserschutz zu leisten, da beispielsweise Hochwasserkarten fehlen. Was kann man hier tun?

Meine Antwort: Eine Methode entwickeln, die es ermöglicht, die Bevölkerung in die Gefahrenanalyse einzubeziehen. Denn die Bewohner*innen dieser Gebiete haben meist schon Hochwassererfahrungen. Bisher wird diese Informationsquelle aber noch kaum genutzt. Wie mache ich dieses lokale Wissen am Computer sichtbar und für künftige Analysen und Interventionen nutzbar? Die Antwort waren Sketch-Maps: Bewohner*innen zeichnen in Papierkarten ein, wo ihrer Erfahrung nach Hochwassergefahr besteht (Bild 2). Grundlage für diese Karten sind sogenannte Field-Papers, die auf geographischen Informationen basieren, die von Freiwilligen zur Verfügung gestellt werden (OpenStreetMap, OSM). Somit haben die Markierungen einen räumlichen Bezug. Die Sketch-Maps werden durch einen Fragebogen ergänzt, der weitere Informationen über die Teilnehmer*innen und ihre Hochwassererfahrung erfasst. Die Bewohner*innen sind aktiv beteiligt und die Sketch-Maps stellen eine Informationsbrücke zwischen Wissenschaftler*innen, Bewohner*innen und örtlichen Behörden dar, durch die ein Austausch von lokalem Wissen möglich ist.

Diese Brücke dient aber nicht nur zum Informationsaustausch: Durch die Arbeit auf Augenhöhe wird Vertrauen aufgebaut und werden Netzwerke kreiert. Was bringen die Warnmeldungen der Behörde, wenn die Bewohner*innen sich nicht daran halten? Dies hat bereits bei vergangenen Hochwasserereignissen zu katastrophalen Folgen geführt.

Sketch Map auf Basis der Field Papers (http://fieldpapers.org/). Eberbach am Neckar mit Markierungen eines Teilnehmenden in Pink.

Eine weitere Besonderheit der Sketch-Maps besteht in der Integration eines QR-Codes, mit dem man ein Foto oder einen Scan der markierten Karte auf die Field-Paper-Homepage hochladen kann, wo sie automatisch georeferenziert wird. Das bedeutet, dass die Markierungen am Computer genau dort in einer Karte zu sehen sind, wo sie sich auch in der realen Welt befinden. Dadurch wird viel Zeit gespart, da diese Georeferenzierung nicht händisch durchgeführt werden muss. Das lokale Wissen kann so mit anderen räumlichen Daten aus der Katastrophenvorsorge kombiniert werden, beispielsweise in einem Geoinformationssystem (GIS). Die Karte mit der Risikowahrnehmung der Bewohner*innen kann zusammen mit einer Karte, die die kritische Infrastruktur wie beispielsweise Krankenhäuser darstellt, kombiniert werden, um zu zeigen welche dieser Gebäude in den gefährdeten Bereichen liegen. Sketch-Maps ermöglichen somit, lokales Wissen über Hochwasser einfach, schnell und partizipativ zunächst auf Papier sichtbar und dann am Computer nutzbar zu machen.

Sketch-Maps on Tour: Von Chile über Deutschland nach Brasilien

Um die Sketch-Map-Methode zu testen, ging es zunächst nach Santiago de Chile, um hier durch Regen bedingtes Hochwasser im städtischen Raum (Sturzfluten) zu untersuchen. Basierend auf den Ergebnissen dieser Studie passte ich den Sketch-Map-Ansatz an und testete ihn in einem anderen Kontext, und zwar im Bereich Flusshochwasser, in Eberbach am Neckar. Danach ging es wieder nach Südamerika, diesmal nach Brasilien. Hier nutzte ich die Sketch-Map-Methode für Sturzfluten in der Favela M’Boi Mirim in São Paulo und für Flusshochwasser in Rio Branco in Acre. Meine Studie umfasste sowohl individuelle Befragungen mit DIN-A4-Sketch-Maps als auch Gruppendiskussionen mit DIN-A0-Karten (Bild 3).

Gruppendiskussion in Rio Branco, Brasilien mit DIN-A0-Karte. Teilnehmende berichten über ihre Erfahrungen mit Hochwasser und markieren entsprechende Bereiche in den Karten.

Die Analysen machen deutlich, dass Bewohner*innen mit Eigentum eine höhere Risikowahrnehmung haben als Mieter*innen, und dass Anwohner*innen eine höhere Risikowahrnehmung als Passanten haben. Die Studien zeigen, dass der Kontext wie zum Beispiel die Art des Hochwassers für die Gestaltung der Basiskarten und des Fragebogens sehr wichtig ist. Der Maßstab der Basiskarten wirkt sich auf die Details aus, die von Teilnehmer*innen markiert werden. Bei Sturzfluten ist beispielsweise die Identifikation von einzelnen betroffenen Straßen im Fokus, sodass sich hier eine Detailkarte als Basiskarte anbietet. Wenn hingegen eine schnelle Rückmeldung über mögliche betroffene Straßen in einem großen Bereich benötigt wird, eignen sich Übersichtskarten, die ein größeres Gebiet abdecken.

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Bewohner*innen selbst mitmachen und dadurch ihr Bewusstsein für die Hochwassergefahr gesteigert wird und sie eher bereit sind, selbst Schutzmaßnahmen vorzunehmen. Bei einem Vergleich der Risikowahrnehmungskarten mit offiziellen Hochwasserkarten lässt sich herausfinden, wo sich Bewohner*innen der Gefahr nicht bewusst und dadurch noch stärker gefährdet sind oder wo mögliche Fehler in der Hochwassermodellierung der offiziellen Karten liegen. In Gebieten, in denen es keine Hochwasserkarten gibt, sind die Risikowahrnehmungskarten ein besonders wichtiger Beitrag zur Hochwasservorsorge.

Weiterentwicklung der Sketch-Map-Methode

Um die Sketch-Map-Methode nachhaltig zu gestalten, sind weitere Funktionen nötig. Bisher entschied ich als Wissenschaftlerin, ob die OSM-Daten gut für die Anwendung als Basis für die Sketch-Maps geeignet sind. Zukünftig sollen aber ja die lokalen Behörden diese Methode auch selbst nutzen können. Leider wird die Field-Paper-Homepage nicht mehr unterhalten und daher haben wir darauf aufbauend das Sketch Map Tool entwickelt. Es ermöglicht die Qualität der OSM-Daten zu bewerten. Ist beispielsweise der große Supermarkt dabei? Diese sogenannten Landmarks dienen dazu, dass sich die Teilnehmer*innen auf der Karte orientieren und die Markierungen richtig einzeichnen können. Der große Vorteil der Basiskarten ist, dass man sie selbst verändern kann. In unserem Projekt gab es zum Beispiel in Rio Branco nur ein paar Straßen in OSM. In „Mapathons“ mit örtlichen Schulen erklärten wir Schüler*innen, wie sie Häuser selbst digitalisieren und in OSM ergänzen können. Im Gegensatz zur zuvor genutzten Field-Paper-Homepage können beim Sketch Map Tool weitere Druckformate gewählt werden, um eine gute Lesbarkeit der Karten auch im DIN-A0-Format zu ermöglichen. Ein weiterer Schritt Richtung Nachhaltigkeit ist, dass das Sketch Map Tool ohne Gebühren genutzt werden kann.

Sketch-Maps im Einsatz: Wärmeinseln und Seuchenausbrüche

Das Sketch Map Tool ist nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in Projekten lokaler Behörden und Organisationen im Katastrophenmanagement weltweit einsetzbar. In Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz werden wir die Sketch-Maps für die Hochwasservorsorge in Madagaskar nutzen. Die Sketch-Map-Methode eignet sich für alle Bereiche, in denen es darum geht, eine Beteiligung von Bürger*innen oder unterschiedlichen Entscheidungsträger*innen zu erreichen. So kann die Stadtplanung von einer Untersuchung zu städtischen Wärmeinseln profitieren. In der medizinischen Forschung können Studien zur Ausbreitung von Krankheiten durchgeführt werden, indem die Sketch-Maps genutzt werden, um kleinste Wasserstellen ausfindig zu machen, die zur Vermehrung von Stechmücken beitragen. Meine Forschung zur Sketch-Map-Methode hat somit eine große Bedeutung für die gesamte Gesellschaft, da sie für zahlreiche aktuelle Fragestellungen sowohl in Deutschland als auch weltweit eingesetzt werden kann.

Die Sketch-Map-Methode lässt sich auch digital umsetzen, aber gerade der Ansatz mit Stift und Papier macht es möglich, Personen zu erreichen, die nicht über die entsprechenden technischen Geräte wie beispielsweise ein Smartphone verfügen oder kein Internet haben. In der Studie in Brasilien konnten einige Teilnehmer*innen nicht lesen und schreiben. Gruppendiskussionen mit einer gemeinsamen großen Karte konnten auch ihnen eine Stimme geben.

Die Innovation der Sketch-Map-Methode liegt in ihrer Anwenderfreundlichkeit und darin, dass lokales Wissen schnell für weitere Analysen in der Hochwasservorsorge zur Verfügung gestellt werden kann. Anhand der Sketch-Maps werden nicht nur Brücken zwischen Wissenschaftler*innen, Bürger*innen und lokalen Behörden geschaffen (Transdisziplinarität), sondern auch zwischen den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften (Interdisziplinarität). Nur dadurch lässt sich eine ganzheitliche Hochwasservorsorge meistern, die nicht nur das Hochwasser selbst und technische Details der Methoden, sondern auch die Menschen in ihrem sozialen Umfeld im Blick hat.


Carolin Klonner ist Postdoktorandin am Lehrstuhl für GIScience der Universität Heidelberg. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Erfassung und Visualisierung von partizipativen geographischen Informationen für das Katastrophenrisikomanagement. In ihrer Doktorarbeit hat sie Sketch Maps als partizipative Methode gewählt, um die Hochwasserrisikowahrnehmung von Bewohner*innen aus Santiago de Chile und Eberbach zu visualisieren. Basierend auf dieser Forschung wurde das Sketch Map Tool im Rahmen des „Waterproofing Data“ Projekts entwickelt; es verbessert den Informationsaustausch zwischen Bürger*innen, lokalen Behörden und Wissenschaftler*innen und wird inzwischen in verschiedenen internationalen Projekten genutzt. Derzeit ist Carolin Klonner Teil des „LOKI“ Projekts (Airborne Observation of Critical Infrastructures), in dem sie partizipative Methoden evaluiert, die es ermöglichen, Informationen über Gebäudeschäden nach einem Erdbeben zu erhalten.

Weiterführende Publikationen:

Klonner, C., Hartmann, M., Dischl, R., Djami, L., Anderson, L., Raifer, M., Lima-Silva, F., Degrossi, L. C., Zipf, A., de Albuquerque, J. P. (2021): The Sketch Map Tool Facilitates the Assessment of OpenStreetMap Data for Participatory Mapping. ISPRS International Journal of Geo-Information. 10:130. https://doi.org/10.3390/ijgi10030130.

Klonner, C., Usón, T.J., Aeschbach, N., Höfle, B. (2021): Participatory Mapping and Visualization of Local Knowledge: An Example from Eberbach, Germany. International Journal of Disaster Risk Science. Vol. 12 (1), pp. 56-71. https://doi.org/10.1007/s13753-020-00312-8.

Klonner, C., Usón, T.J., Marx, S., Mocnik, F.-B., Höfle, B. (2018): Capturing Flood Risk Perception via Sketch Maps. ISPRS International Journal of Geo-Information. Volume 7, pp. 359; doi:10.3390/ijgi7090359.

1 Kommentar

  1. Eine sehr gute Idee das Wissen der Bevölkerung in Stadtplänen einfließen zu lassen. Früher hat man die Hochwassermarken an allen Häusern direkt an die Hauswand gemalt.
    Wünschenswert wäre, dass man die Nähe zu den Anwohnern auch in der Sprache berücksichtigt. Wir wohnen in Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern . Das Wort Sketch-Map, dafür sollte man eine deutsche Bezeichnung finden.

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