Adventskalender: Das siebzehnte Türchen

BLOG: Hochbegabung

Intelligenz, Sonntagskinder und Schulversager
Hochbegabung

Hallo! Auch heute gibt es wieder ein Türchen unseres vollkommen kalorienfreien Adventskalenders zu öffnen – schön, dass Sie dabei sind! Was haben wir denn heute … ?

History does not remember persons who merely scored well on IQ tests or those who learned their lessons well. (Joseph Renzulli)

(Übersetzung: Die Geschichte erinnert sich nicht an Personen, die lediglich bei Intelligenztests gut abgeschnitten oder ihre Lektionen gut gelernt haben.)

Vielleicht kurz ein paar Hintergrundinformationen zu diesem Herrn: Joe Renzulli konzipiert Hochbegabung als die Schnittstelle zwischen Intelligenz, Kreativität und Aufgabenmotivation, insofern als “entwickeltes Potenzial”. Gemeinsam mit seiner Frau Sally Reis, die ebenfalls zu Hochbegabung forscht, hat er deshalb das Schoolwide Enrichment Model entwickelt, das genau diese Potenzialentwicklung zum Ziel hat. Ausgewählt werden entsprechend nicht nur die 2-3% intelligentesten Kinder, sondern auch sehr motivierte und/oder kreative Kinder, die dann ihre Fähigkeiten in den anderen Bereichen durch entsprechende Förderung ausbauen können.

Renzulli und Reis haben außerdem Vorschläge erarbeitet, wie sich dieses Modell auch in den allgemeinen Unterricht integrieren lässt – indem man Schüler beispielsweise an eigenen Projekten arbeiten lässt, die dann in Abhängigkeit von der Begabung in unterschiedlicher Tiefe bearbeitet werden können. Die Begabung des Kindes bestimmt also die Erwartungshaltung der Lehrkraft. Der Vorteil dieser Binnendifferenzierung liegt darin, dass jedes Kind sich anstrengen muss, das Ziel aber mit Anstrengung erreichen kann. Ich halte das für einen, wenn nicht den zentralen Aspekt der Hochbegabtenförderung – denn nur so kann ein Kind erkennen, dass Anstrengung und Erfolg miteinander verknüpft sind, es also nicht ausschließlich an einer unveränderlichen Fähigkeit oder Glück liegt, wenn etwas gelingt.

Um zum Zitat zurückzukommen: Intelligenz und Fleiß allein sind gute Voraussetzungen dafür, Herausragendes zu leisten, aber noch keine Garantie dafür. Insofern sollte es in der Begabtenförderung zum einen darum gehen, Talente auch in anderen als in schulnahen und/oder intellektuellen Bereichen zu erkennen (z.B. Kreativität) und dann zu versuchen, die vorhandenen hohen Begabungen weiter zu entwickeln, während man die übrigen Fähigkeiten (wie beispielsweise Motivation, die ja oft ein ganz wichtiger Problemaspekt in der Hochbegabtenberatung ist) durch hinreichend anspruchsvolle Aufgaben fördert. Und von dieser Philosophie profitieren alle Kinder.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Dr. rer. nat. Tanja Gabriele Baudson ist Diplom-Psychologin und Literaturwissenschaftlerin. Seit Oktober 2017 vertritt sie die Professur für Entwicklungspsychologie an der Universität Luxemburg und ist als freie Wissenschaftlerin mit dem Institute for Globally Distributed Open Research and Education (IGDORE) assoziiert. Ihre Forschung befasst sich mit der Identifikation von Begabung und der Frage, warum das gar nicht so einfach ist. Vorurteile gegenüber Hochbegabten spielen hierbei eine besondere Rolle - nicht zuletzt deshalb, weil sie sich auf das Selbstbild Hochbegabter auswirken. Zu diesen Themen hat sie eine Reihe von Studien in internationalen Fachzeitschriften publiziert. Sie ist außerdem Entwicklerin zweier Intelligenztests. Als Initiatorin und Koordinatorin der deutschen „Marches for Science“ wurde sie vom Deutschen Hochschulverband als Hochschullehrerin des Jahres ausgezeichnet. Im April 2016 erhielt sie außerdem den SciLogs-Preis "Wissenschaftsblog des Jahres".

Schreibe einen Kommentar