Andreas Bartels: Strategien der Problemlösung aus anderen Disziplinen

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Andreas Bartels in der Guten StubeKönnen Forscher von ihren Kollegen anderer Fächer für die eigene Arbeit profitieren? Ich meine, ja! Daher lautet meine zweite These für mehr Interdisziplinarität, die ich heute näher erläutern möchte, auch: Wissenschaftler können sich Strategien der Problemlösung bei Wissenschaftlern anderer Disziplinen abschauen.

Ein Beispiel, in dem die Einwanderung von Methoden aus anderen Fächern einer Disziplin neuen Schub verleihen kann, ist die Ökonomie. Als befruchtende Nachbardisziplinen sind hier v.a. die Mathematik und die Physik zu nennen. Häufig erweisen sich mathematische und physikalische Methoden und Konzepte, die fernab von ökonomischen Fragen entwickelt wurden, auch zur Beschreibung ökonomischer Phänomene als hilfreich. So führte z.B. Benoit Mandelbrot in den 1960er Jahren in die Ökonomie stabile nicht-Gaußsche Wahrscheinlichkeitsverteilungen ein, die zunächst ohne jeden Bezug auf die Ökonomie durch den Mathematiker Levy entdeckt worden waren.

Solche Wahrscheinlichkeitsverteilungen haben sich u.a. als geeignetes Mittel zur Beschreibung der Entwicklung von Finanzmärkten herausgestellt. Resultate der statistischen Wissenschaftsforschung belegen, dass es in nicht zufälliger Weise häufig zu Sprüngen in der Entwicklung einer Disziplin kommt, wenn Wissenschaftler fremder Disziplinen einwandern, die ihre an ganz anderen Gegenständen erprobten Methoden mitbringen. In manchen neuen Feldern der Forschung, v.a. der Komplexitätsforschung, spielen mathematische Konzepte eine Rolle, die geradezu universell, unabhängig vom jeweiligen Gegenstand, zur Beschreibung komplexen Verhaltens eines System verwendet werden können. Ein Beispiel ist der Begriff des „Phasenübergangs“.
   
Der Austausch von Methoden zwischen Disziplinen, sei es durch „über die Schulter schauen“, sei es durch regelrechte Einwanderung von Wissenschaftlern in eine fremde Disziplin, kann zu Innovationsschüben führen. Methodische Verknöcherungen werden aufgelöst, das Angebot an Lösungswegen verbreitert und nicht zuletzt kann die in einer Disziplin entstandene Dynamik auf andere Disziplinen übergehen. Solche Phasen hat es auch in der Philosophie gegeben, man denke an die Einwanderung formaler Methoden in die Philosophie durch die rasante Entwicklung der mathematischen Logik im 19. und 20. Jahrhundert, die neue Resultate in der Philosophie befördert und auch einen neuen Typus des Universalgelehrten hervorgerufen hat, der eigentlich seit Leibniz’ Zeiten ausgestorben schien.

Damit ist aber auch impliziert, dass Interdisziplinarität nicht zwangsläufig immer und überall funktionieren muss. Voraussetzung dafür, dass sie funktioniert, ist eine inhaltliche oder auch nur formale Passung der in den Disziplinen behandelten Phänomene und Fragestellungen. Der „gute Wille“, doch künftig etwas enger zusammenzuarbeiten, z.B. weil dies politisch gewünscht ist, um die Forschungseinheit der an der Universität vorhandenen Disziplinen zu demonstrieren, ist keine geeignete Motivation für innovative Interdisziplinarität, sondern schafft nur Unmengen von Sitzungen und Projektskizzen.

 


Die erste These von Prof. Bartels lautete: Wissenschaftliche Probleme halten sich nicht an Fachgrenzen.


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Veröffentlicht von

Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

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