Zwerg mischt Sonnensystem auf

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Es war eine der üblichen Spät-spätabends-Diskussionen nach erfolgreichem Spechtelabend. Eigentlich so spät, dass es schon wieder früh war.

Fragt sie: “Was wäre, wenn … ein weißer Zwerg durchs Sonnensystem zöge? Nur ganz flüchtig und ohne zu verweilen …”

Sag’ ich: “Dann würde das Sonnensystem komplett aufgemischt”.

Erwidert sie: “Wie, aufgemischt?”

Ich: “Ich denke mal, es wär’ außer der Sonne nix übrig. Selbst bei der bin ich mir nicht sicher.”

Sie: “Na, das sollte man doch mal nachrechnen.”

Ich: “Genau, das sollte man.”

Sie: “Genau.”

Pause.

Dann wieder sie: “Ja, und?”

Ich: “Ja, und was?”

Sie: “Na, nun rechne mal.”

Ich: “Ich?! Wieso ich?”

Sie: “Na, du bist doch hier der Himmelsmechaniker. Oder sowas ähnliches.”

Das stimmt. Ich bin sowas ähnliches wie ein Himmelsmechaniker. Also habe ich es nachgerechnet, und hier kommt mein Ergebnis. Auch andere haben das schon berechnet, und viel gründlicher als ich. Eigentlich wäre eine parametrische Studie fällig, bei der die Masse des kreuzenden Körpers, die Mindestentfernung und seine Bahnneigung variiert werden, damit man eine Aussage darüber treffen kann, welcher Parameter sich wie auswirkt.

Verlauf der gestörten Planetenbahnen bei Durchflug eines weissen Zwergs, Quelle: Michael Khan
Verlauf der gestörten Planetenbahnen bei Durchflug eines weissen Zwergs, Quelle: Michael Khan

Aber dazu bin ich gerade zu faul. Ich habe einfach einen Körper etwa von einem Drittel der Sonnenmasse angenommen, der in der Bahnebene der Erde (der Ekliptik) prograd (gegen den Uhrzeigersinn, also im selben Umlaufsinn wie die Planeten) sich der Sonne bis auf etwas über 1 AU nähert. Der Körper kommt logischerweise auf einer hyperbolischen Bahn an, und auch seine Bahn wird stark gestört. Interessant ist aber, was mit den Planeten passiert, denn deren Bahnen werden durch die Anziehungskraft des fremden Körpers massiv verändert.Die Berechnung umfasst einen Zeitraum von über 40 Jahren.

Das Ergebnis der numerischen Integration sehen Sie in der ersten Grafik (Anklicken führt zur vergrößerten Ansicht). Ich bin von einem Anfangszustand ausgegangen, zu dem der fremde Körper noch weit draußen ist. Von diesem Moment an wird die Anziehungskraft jedes der zehn beteiligten Körper auf die jeweils neun anderen berücksichtigt. Heraus kommt ein dramatisches Szenario.

Verlauf der gestörten Bahnen der inneren Planeten bei Durchflug eines weissen Zwergs, Quelle: Michael Khan
Verlauf der gestörten Bahnen der inneren Planeten bei Durchflug eines weissen Zwergs, Quelle: Michael Khan

Alle Planeten haut es ‘raus. Gerade die äußeren verabschieden sich fast schon sang- und klanglos. Kannste mal sehen: Diese Gasriesen: Immer so dick tun, aber dann sind’s die ersten, die kneifen. Die inneren, tellurischen Planeten dagegen scheinen sich noch ein paar Jahre verzweifelt an Mutter Sonnes Schürzenzipfel zu klammern, wie man an der Grafik rechts sieht, die nur das innere Sonnensystem bis hinaus zum Mars zeigt. Das Ende ist aber unausweichlich, denn je näher der weiße Zwerg rückt, desto unerbittlicher ist seine Anziehungskraft.

Am Ende würde die Sonne, falls sie diese Begegnung übersteht, allein ihre Bahn im Orion-Arm der Michstraße ziehen, ihre Planeten hätten sich in alle Winde zerstreut. Als ultimative Kränkung scheint der unheimliche Gast in diesem Fall auch noch Mars und Uranus eingefangen zu haben, er verlässt das Sonnensystem nicht nur mit mehr Bahnenergie als zuvor, sondern hat sich auch noch um zwei Planeten bereichert. Ob die beiden treulosen Tomaten langfristig bei ihm bleiben, habe ich nicht verfolgt – es ist ja auch egal, denn der berechnete Fall ist nur eins von vielen möglichen Szenarien, wenn der Körper eine andere Masse hat und etwas anders vorbeifliegt, dann ist das Ergebnis zwar qualitativ dasselbe, im Detail könnte es aber ganz anders aussehen.

Falls es jemanden in den Fingern juckt, eine traurige Science-Fiction-Geschichte dazu zu schreiben, wie die Menschen nach einem solchen Ereignis auf der Erde hilflos zusehen müssen, wie die Sonne sich entfernt und ihr Heimatplanet rapide erkaltet, wobei allenfalls noch der Ausblick auf den nun plötzlich sehr nahen Jupiter tröstet … nice try, aber das wäre wenig plausibel.

Erstens würden allein schon die Gezeitenkräfte dafür sorgen, dass auf der Erde massiver Vulkanismus ausbricht und das Zusammenwirken der diversen Faktoren, die die fragile Blase der Biosphäre schützen, zusammenbricht. Hinzu kommt, dass natürlich nicht nur die Bahnen der Planeten so massiv gestört werden, sondern auch die der Asteroiden und Kometen. (Dass die Asteroidengürtel in den obigen Grafiken noch intakt erscheinen, liegt allein daran, dass der, der die verwendete Plot-Software gestrickt hat, nicht an ein solches Szenario gedacht hat.) Und dann kommen alle inneren Planeten kurz vor dem Rausschmiss auch noch der Sonne fatal nahe.

Wir würden also allesamt verbrannt, erschlagen, verglüht und dann gefroren. Das nenne ich gründlich.

Auch wenn im gegenen Fall zufällig keine Planeten zusammengestoßen sind (was bei einem solchen Szenario durchaus sein könnte), viele große und kleine Asteroiden dürften die Erde und die anderen Planeten so massiv bombardieren wie zuletzt vor knapp vier Milliarden Jahren.

Aber das wäre dann auch schon egal. Uns gäbe es dann nicht mehr und wahrscheinlich auch kein anderes Leben auf der Erde. Das Phänomen Leben wäre nur eine Episode, es wäre gekommen, es hätte sich ausgebreitet, die Oberfläche seines Planeten über die Jahrmilliarden hinweg komplett verändert … und dann wäre es auf einen Schlag verschwunden, und keine Spur bliebe zurück.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

7 Kommentare

  1. Stabilität des Sonnensystems

    4 1/2 Milliarden Jahre umkreist die Erde schon die Sonne und immer in der habitablen Zone. Wäre dies der Normalfall und viele Sternsysteme ähnlich aufgebaut wie unseres, könnte man mit vielen Millionen erdähnlichen Planeten allein in unserer Galaxie rechnen. Auch intelligentes Leben wäre bei solcher Stabilität und Konstanz der Bedingungen dann wohl häufig.

    Spontan erwarten wohl die meisten, dass wir Erdlinge und unsere Schicksal guter Durschnitt sind, ganz im Sinne des Umdenkens im Rahmen der kopernikanischen Revolution.

    Was aber, wenn wir unsere Existenz nur einer Reihe von günstigen Zufällen verdanken, angefangen von der Position und Entstehungsgeschichte unseres Sonnensystems innerhalb der Galaxie über die richtige Grössenabstufung unserer Geschwisterplaneten bis hin zum Grössenverhältnis von Erdmond zu Erde.

    Tatsächlich ist es überhaupt nicht selbstverständlich, dass die 8 Planeten über Milliarden von Jahren ungestört aneinander vorbeiziehen. Wie Computersimulationen zeigen, können Planeten durchaus aus einem System hinausbugsiert werden – nicht weil ein weisser Zwerg vorbeizieht, sondern allein wegen der gegenseitigen gravitativen Beeinflussung.

    Bald werden wir mehr wissen, dafür sorgen die immer grösseren Teleskope, mit denen wohl bald extrasolare Systeme direkt beobachtet werden können.

    Ich tippe darauf, dass unser Sonnensystem und unsere Erde mit ihrer Position, Zusammensetzung und Stabilität eine grosse Ausnahme ist – aber sogar solche Ausnahmen sollte es noch tausende geben in unserer Galaxie.

  2. Braun statt Weiß

    Faszinierendes Gedankenspiel. Ein weißer Zwerg käme aber kaum überraschend an, und gäbe der Menschheit lange im Voraus Gelegenheit, mal richtige Fortschritte in der Raumfahrt zu machen (oder die Lösung des Problems einfach mal – wie wir es so gerne machen – souverän etliche Generationen in die Zukunft zu verschieben). Ein richtig nettes Science-Fiction Katastrophenszenario wäre es vielleicht, statt eines weißen Zwergs einen unauffälligen und sehr dunklen Braunen Zwerg von – sagen wir mal – 50 Jupitermassen zu nehmen und der Menschheit nur 150 oder 200 Jahre zu geben. Da käme Stimmung auf und die Bildzeitung hätte ein Dauerthema für die sensationsärmere Zeiten zwischen den Fouls von Ribery und der Präsentation der aktuellen Boxenluder an den Formel 1-Rennstrecken.

  3. Schwarz

    Noch exotischer wäre die Passage eines stellaren schwarzen Lochs von einigen Sonnenmassen – schwierig vor den Hintergrundsternen zu entdecken und schon in hundert AE´s Entfernung das unvermeidliche Ende des Lebens auf der Erde.

  4. Martin Holzherr:
    Wer sagt denn, dass unser Sonnensystem auf mysteriöse Weise in der aktuellen, stabilen Variante entstanden ist? Sonnensysteme und Planeten entstehen und dann geht es solange drunter und drüber bis ein stabiler Zustand erreicht ist. Wie in unserem System. Aus einem solchen stabilen Zustand folgt also nicht, dass es zuvor keinen instabilen gab.
    Im Gegenteil. Allgemein wird doch die Theorie bevorzugt, der Mond sei durch einen Zusammenstoß der Erde mit einem etwa marsgroßen Himmelskörper entstanden. Dazu kommen noch Venus und Uranus mit ihren “auf den Kopf gekippten” Rotationssinn. Alles Indizien für eine sehr wilde Jugend unseres Sonnensystems.

    Brauner Zwerg, schwarzes Loch:
    Sollten sich diese Objekte nicht schon von großer Entfernung durch ihre Gravitationswirkung bemerkbar machen?

  5. Science Fiction ? Interessant (ich möchte es aber nur im Kino,bei Chips und Cola, wenn möglich in 3D, erleben) wären die Auswirkungen eines sonnensystemkreuzenden Körpers, der nicht eine derart grosse Masse hätte und die Erdbahnellipse lediglich etwas exzentrischer werden liesse, so dass sich etwa die Exzentrizität der Marsbahn ergäbe.

    Schon dieser im Vergleich zum beschriebenen Szenario “harmlose Eindringling” hätte wahrscheinlich gewaltige Auswirkungen, auch wenn der Weiterbestand der Menschheit als Möglichkeit plausibel erscheint.

    Das liesse ein Happy End zu, und das mag ich 🙂

  6. Besuch von Xena

    Wenn schon, dann ein Besuch von Xena und Gabrielle, die von den Astronomen fälschlich als Eris 136199 oder 2003 UB313 und als Dysnomia bezeichnet werden.

    Bild:

    http://de.wikipedia.org/…imestamp=20080919142705

    Wenn man die 8 grössten TNOs und die 8 offiziellen Planeten einheitlich als Planeten bezeichnen würde, dann hätten wir bereits 16 Planeten.

    Text:

    http://de.wikipedia.org/…ransneptunisches_Objekt

    Bild von den Namenspatinnen Xena (rechts) und Gabrielle (links, wo sonst?):

    http://members.chello.at/karl.bednarik/XENA-1.JPG

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