Widerstand gegenüber der Kontinentalverschiebung

Alfred Lothar Wegener und seine Theorie der Kontinentalverschiebung

Am 6. Januar 1912 hielt Alfred Wegener auf der Jahrestagung der Deutschen Geologischen Vereinigung in Frankfurt am Main einen Vortrag mit dem Titel “Die Herausbildung der Großformen der Erdrinde (Kontinente und Ozeane), auf geophysikalischer Grundlage,” wo er zum ersten Mal seine Theorie der Kontinentalverschiebung öffentlich vorstellte. Die unmittelbare Reaktion der Zuhörer ist leider nicht überliefert.

Bekanntermaßen wurde Alfred Wegeners Kontinentalverschiebung, die Idee eines ehemaligen Superkontinents, dessen langsam durch die Erdkruste driftende Bruchstücke die modernen Kontinente bilden, von der Wissenschaftsgemeinde mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen. Die passenden Küstenlinien von Afrika und Amerika waren schon lange bekannt, aber ein Zufall konnte nicht völlig ausgeschlossen werden. Wegener war aber einer der Ersten, der auch biologische und geologische Daten nutze, um die Kontinente zusammenzufügen.

Zoologen und Botaniker waren der Theorie gegenüber durchaus aufgeschlossen. Wegener konnte die Verteilung von fossilen Pflanzen und Tiere erkläre, die auf modernen Karten chaotisch scheint, auf einem Superkontinent aber Klimazonen folgt.

Wegener nutze auch ähnliche geologische Formationen, die in Südamerika und Afrika gefunden werden können, um die beiden Kontinente zusammenzufügen. Südamerikanische und afrikanische Geologen erkannten den Vorteil dieser paläogeografische Rekonstruktion, erklärte sie doch, wie Flussablagerungen, ohne anscheinende Quelle, tatsächlich von Gebirgszügen, die nun auf der anderen Seite des Ozeans lagen, stammen.

Amerikanische und europäische Geologen waren sich dagegen nicht so sicher. „Der Traum eines großen Poeten,“ war die freundlichste aller ablehnenden Stellungnahmen. Sie wiesen auf verschiedene Fehler in Wegeners Theorie hin. So waren rote Sandstein-Formationen in Nordamerika und Europa, die Wegener nutze, um die beiden Kontinente zusammenzufügen, nicht unbedingt zeitgleich abgelagert worden. Wegner nutze auch Fundstellen des Pflanzenfossil Glossopteris, um Südamerika, Afrika, Indien, Australien und die Antarktis zusammenzufügen. Der englische Geologe Philip Lake, der in 1923 eine Buchrezension von Wegners “Die Entstehung der Kontinente und Ozeane” für das Geological Magazine veröffentlichte, kritisierte aber, dass Wegener Fundstellen in Russland, China und Nordamerika anscheinend ignoriert hatte. (Diese Fundstellen machen erst Sinn, wenn man annimmt, dass die Pflanzen auf kleinere Krustenfragmente, die später mit Asien und Nordamerika kollidierten, nach Norden transportiert wurden. Lake konnte von diesen sogenannten Terrane noch nichts wissen).

Verteilung der fossilen Pflanzengattung Glossopteris.

Wegener schlug als möglichen Antriebsmechanismus der Kontinentaldrift Zentrifugalkräfte und Gezeitenkräfte vor. Unglücklicherweise übernahm er Daten, nach denen sich Grönland und Skandinavien um bis zu 30 Metern pro Jahr voneinander entfernt hatten. Tatsächlich war der angenommene Betrag um das Tausendfache zu hoch.

Vielleicht der größte Widerstand gegen Wegener kam von den Geophysikern. Der britische Astronom und Geophysiker Harold Jeffrey eine Abhandlung mit dem Titel „The Earth, Its Origins, History and Physical Constitution“, wo er Wegeners Theorie an ihren schwächsten Punkt angriff. Mit ein paar einfachen Berechnungen demonstriert er, dass die Erdkruste viel zu massiv und schwer ist, um von den vorgeschlagenen Kräften beeinflusst zu werden. Eine äußere Kraft, die stark genug wäre, um Kontinente zu verschieben, würde auch unweigerlich die Erdrotation in weniger als einem Jahr zum Stillstand bringen.

Neben der wissenschaftlichen Kritik an Wegener gab es auch persönliche Attacken. Inwieweit eine deutschfeindliche Haltung in Angesicht steigender politischer Spannung vor dem Ausbruch des I. Weltkriegs eine Rolle spielten, wie einige Historiker vorgeschlagen haben, ist umstritten. Wegener wurde in die Vereinige Staaten eingeladen, und sein Buch ins Englische übersetzt und bei Tagungen britischer Geologen besprochen. Wegener wurde aber von den Geologen als fachfremd angesehen, der keine Daten aus dem Feld oder selbst dokumentierten Aufschlüssen präsentieren konnte. Vor allem amerikanische Forscher hatten ein Problem mit seiner Vorgehensweise. Sie kritisierten, dass Wegener seine Theorie zunächst aufstellte und erst dann passende Daten heraussuchte.

Doch Wegeners Arbeit war nicht ganz umsonst. „Die Herren sind wie Kontinentalschollen, sie lassen sich nur durch ungeheure, durch geologische Zeiträume wirkende Kräfte bewegen.” So der Däne Johan Peter Koch – der Wegener auf zwei Grönlandexpeditionen begleitete – zu seinem Freund. Er sollte Recht behalten. Als Wegener 38 Jahre später in Grönland umkommt, hatte er bereits eine Reihe von Anhängern, die seine Arbeit fortsetzten sollten.

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David Bressan ist freiberuflicher Geologe hauptsächlich in oder, wenn wieder mal ein Tunnel gegraben wird unter den Alpen unterwegs. Während des Studiums der Erdwissenschaften in Innsbruck, bei dem es auch um Gletscherschwankungen in den vergangen Jahrhunderten ging, kam das Interesse für Geschichte dazu. Hobbymäßig begann er daher über die Geschichte der Geologie zu bloggen.

4 Kommentare

  1. Alfred Wegener hat es immerhin geschafft, den ersten Satz seines 2012 publizierten Aufsatzes so zu formulieren, dass er noch heute ohne Abstriche gültig ist, nämlich so: „Im folgenden soll ein erster Versuch gemacht werden, die Großformen der Erde, d.h. die Kontinentaltafeln und die ozeanischen Becken, durch ein einziges, umfassendes Prinzip genetisch zu deuten, nämlich die horizontale Beweglichkeit der Kontinentalschollen.“

    Im Prinzip war Wegeners Herangehensweise die eines Physikers und tatsächlich hatte ja Isaac Newton bereits eine physikalisch motivierte Theorie ausgearbeitet wie die Bergzüge der Erde entstanden, nämlich als Rückbleibsel der Kontraktion der Erde als sie sich immer mehr abkühlte und dabei schrumpfte. Newton nahm also an, dass auf die frühe Erde ähnliche Kräfte wirkten wie auf sich abkühlendes Material/Metall. Diese Erklärung Newtons war zwar falsch, aber durchaus plausibel für seine Zeit, da ja Newton noch nicht wusste, dass das Erdinnere ab einer bestimmten Tiefe auch heute noch heiss und flüssig ist. Auch Wegeners physikalische Vorstellungen wie die Kontinentaldrift zustande kommt, war falsch. Er nahm nämlich an, es wären äussere Kräfte etwa in Form von Zentrifugalkräften. Zum Glück hat er diese Erklärung nicht schon im ersten Satz seines Aufsatzes aufgetischt.

    • Korrektur: Es müsste heissen: Alfred Wegener hat es immerhin geschafft, den ersten Satz seines 1912 publizierten Aufsatzes so zu formulieren, dass er noch heute ohne Abstriche gültig ist
      Ich schrieb 2012, was 100 Jahre später ist. 2012 wissen wir unendlich viel mehr als 1912. Auch die Technologie hat ein paar bemerkenswerte Fortschritte gemacht in 100 Jahren. Aber weit weniger als die Wissenschaft.

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