Klimaforschung in der Pflicht – Interview mit Stefan Rahmstorf
“Ich war frustriert über die Grenzen der klassischen Printmedien”, erzählt der Klimaforscher Stefan Rahmstorf über seine Erfahrung, als er 2002 in der ZEIT einen Artikel über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und der Sonnenaktivität schreiben wollte. Er konnte dort keine Grafiken und Quellenangaben benutzen, die ihm aber als „Gegenmittel zur postfaktischen Welt“ enorm wichtig waren. Also begann er, seine Texte selbst zu veröffentlichten, wurde Autor beim 2004 gegründeten RealClimate-Blog und schreibt heute bei den SciLogs in der „KlimaLounge“.
Was hat dich motiviert, ein Blog zu verfassen?
Generell fühle ich mich als Forscher gegenüber der Öffentlichkeit in der Pflicht. Schließlich habe ich das große Privileg, vom Steuerzahler dafür bezahlt zu werden, Forschung zu betreiben. In meinem Beitrag zum Start der KlimaLounge habe ich diese Bringschuld der Klimaforscher ausführlicher dargestellt.
Schon bevor ich mit dem Bloggen anfing fand ich problematisch, in der öffentlichen Diskussion immer wieder Dinge zu lesen, die einfach fachlich falsch sind. Zum Beispiel brachte der Spiegel im Juni 2001 einen großen Artikel „Die Launen der Sonne“, in dem als zentrales Beweisstück für die große Klimawirkung der Sonne eine zehn Jahre alte Grafik gezeigt war, nach der die globale Temperatur und die Sonnenaktivität in den vorangegangenen hundert Jahren erstaunlich parallel verlaufen sein sollten. In der Fachwelt wusste jeder, dass die Sonnenkurve falsch und längst in der Fachliteratur zurückgezogen worden war. Damals dachte ich mir: statt nur in der Kaffeepause unter Kollegen den Kopf über solche Medienartikel zu schütteln, sollte man sich mit seinem Fachwissen vielleicht besser an den Debatten beteiligen.
Wo siehst du die großen Vorteile des Bloggens?
Man schreibt es so, wie man es selbst möchte. Und wenn man fertig ist drückt man einfach auf den Knopf und es ist veröffentlicht. Nachteil ist natürlich die geringere Reichweite. Obwohl wir mit RealClimate inzwischen auch bei rund 40 Millionen Pageviews angelangt sind.
Wer soll mit den Texten in deinem Blog erreicht werden?
Mein Anspruch ist, ein möglichst breites Publikum zu erreichen, dass am Thema interessiert ist. Ich wende mich nicht primär an Fachkollegen, obwohl auch die zu den Lesern gehören – ich lese ja auch Blogartikel von Kollegen. Nach den Rückmeldungen, die ich bekomme, lesen viele Menschen den Blog, die sich außerhalb der Wissenschaft mit Klimawandel beschäftigen, z.B. in Behörden oder Firmen.
Gibt es Themen, über die du nicht bloggen würdest?
Ich blogge nicht über Resultate, die noch nicht in der Fachliteratur erschienen sind. Die kann keiner nachprüfen. Es gibt beim Klima einige Negativbeispiele, wo Leute mit Resultaten an die Öffentlichkeit gingen, die wegen methodischer Fehler dann den Peer Review nicht überlebt haben. (Darüber kann man dann natürlich bloggen.)
Wissenschaft ist generell relevant für die Gesellschaft aber bei kaum einem Thema äußerst sich die Öffentlichkeit auch selbst so intensiv wie beim Klimawandel. Und kaum ein Thema ist so kontrovers. Wie sollte die Wissenschaft darauf reagieren: Durch die Bereitstellung von reiner und sachliche Information? Oder soll sie direkt auf die Aussagen und Vorwürfe der Klimawandelleugner eingehen?
Wer meinen Blog kennt der weiß, dass ich der Meinung bin, man sollte deren Argumente ernst nehmen. Und das heißt: sie inhaltlich diskutieren. Sonst heißt es, die Wissenschaft verweigere die Auseinandersetzung. So wenig mir das gefällt, aber gerade die Blogartikel, die sich mit Skeptikerthesen befassen, werden am meisten gelesen. Ich bekomme dazu auch Dank und Ermunterung von vielen Seiten. Zum Beispiel von Menschen, die beruflich mit Klimaschutz zu tun haben und dann mit diversen Skeptikerthesen konfrontiert werden, die sie nicht beantworten können, weil sie nicht so tief in der Materie drin sind. Sie wollen wissen: was ist dran?
Übrigens bin ich überzeugt, dass auch Galilei heute Wissenschaftsblogger wäre. Er hat sich im 17. Jahrhundert mit den damals verfügbaren Mitteln sehr engagiert an die Öffentlichkeit gewandt, z.B. durch Pamphlete und nicht zuletzt sein berühmtes Buch “Dialog”. Dort zerlegt er die Argumente der Gegner des heliozentrischen Weltbildes, das damals für Viele eine weltanschauliche Zumutung war. Gerade dass er sich damit an eine breite Öffentlichkeit wandte, rief ja die Inquisition auf den Plan.
Klimawandel ist im Gegensatz zu vielen anderen wissenschaftlichen Themen auch ein Gebiet, auf dem immer wieder wichtige politische Entscheidungen getroffen werden. Sollten Wissenschaftler sich auch aktiv am politischen Diskurs beteiligen oder dabei neutral bleiben?
Sollten Lungenexperten sich am politischen Diskurs über Nichtraucherschutz beteiligen? Deren Standesorganisation hat das so beantwortet, dass sie selbstverständlich vor den Gefahren des Rauchens warnt und sich z.B. vor dem Volksentscheid zum Nichtraucherschutz in Bayern im Juli 2010 aktiv im Wahlkampf engagiert hat. Natürlich sollten Experten ihre Kompetenz in öffentliche Debatten einbringen.
Gibt es Versuche von Lobbyisten/politischen Gruppen, deine Arbeit als Wissenschaftler/Blogger zu beeinflussen?
Nein.
Wie schwer ist es, wenn man als Wissenschaftler wegen seiner wissenschaftlichen Arbeit so oft in der Öffentlichkeit direkt angegriffen wird? Kann man das einfach an sich abprallen lassen oder hast du bestimmte Strategien, um mit den negativen Äußerungen umzugehen?
Als jüngerer Wissenschaftler hat mich das schon manchmal belastet, aber man gewöhnt sich im Laufe der Zeit daran und weiß auch, aus welcher Ecke die Polemik kommt. Ein paar Verunglimpfungen sind nichts gegen das, was z.B. mein Kollege Michael Mann von der Pennsylvania State University in den USA für sein öffentliches Eintreten für die Wissenschaft erleiden musste! Rufmord, juristische Klagen und Drohungen gegen sich und – schlimmer noch – seine Familie. Es ging bis zu einem Brief mit weißem Pulver, der Mike Mann auf dem Höhepunkt des Anthrax-Alarms per Post zugeschickt wurde und der zur Evakuierung des Uni-Gebäudes durch die Polizei führte. Und in Australien, wo ich im letzten Winter eine Gastprofessur hatte, arbeiten die Kollegen nach anonymen Drohungen in einem verschlossenen Sicherheitsbereich.
Welche Rolle spielt die wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit (und speziell die Arbeit als Wissenschaftsblogger) bei der Bewältigung der Folgen/Ursachen des Klimawandels?
Ich denke ein ganz zentrale. Wenn die Wissenschaft sich in der öffentlichen Debatte nicht klar äußert, überlässt man Scharlatanen und Lobbyisten das Feld. Die Wissenschaftler, die jahrelang an einem Thema arbeiten und etwas davon verstehen, sollten sich nicht im Elfenbeinturm verstecken.
Dem kann und will ich in keinster Weise widersprechen! Vielen Dank für das Interview.
@anton reutlinger
Ich kann nicht nachvollziehen, wenn sie schreiben:
“Ob es auf die politische Agenda kommt, das entscheiden nicht Politiker, sondern die Realität und die Vernunft.”
Politik wird von Menschen getrieben. Ich erkenne keine höhere Macht, die Politikern ihre Agenda diktiert. Vielmehr erscheint mir das als Versuch, selbst die Deutungshoheit über die Realität und die Vernunft zu beanspruchen. Das ist einem Diskurs wohl kaum angemessen.
“Der Klimawandel wird an den Grenzen der USA nicht umkehren, sondern wird gerade dort spürbar und erlebbar.”
Klimawandel beschreibt einen Trend über mindestens 30 Jahre. Der ist mangels des menschlichen Unvermögens der Erinnerung eben nicht erlebbar. Sie meinen wohl eher, dass Extremwetterereignisse auftreten, die Sie als unmittelbare Folge des Klimawandels spürbar sind. Damit aber wollen sie wohl mehr wissen als das IPCC. Im AR5 steht, dass keine Korrelation zwischen Extremwetter und Klimawandel erkennbar ist.
“Klimawandel beschreibt einen Trend über mindestens 30 Jahre. Der ist mangels des menschlichen Unvermögens der Erinnerung eben nicht erlebbar.”
Sie meinen also, der Mensch ist dem Frosch gleich, der im kochenden Wassertopf nicht merkt, dass die Temperatur immer mehr unerträglich wird? Damit wir uns hier nicht missverstehen (was ja gerne passiert), ich sage damit nicht, dass der Mensch in der Atmosphäre gekocht wird. Aber natürlich sind wir Menschen in der Lage (sogar objektiv) zu bewerten, wie es vor 30 Jahren war. Dazu wurden Aufzeichnungen gemacht. Eine Kulturleistung der Wissenschaft. Und sie unterschätzen zudem das menschliche Erinnerungsvermögen. Fragen Sie mal ihre Elterngeneration, die können sich gut an die Winter und Sommer von vor 50 Jahren erinnern, wie viele Hitzetage und Schneeräumtage damals und heute gab. Die Änderungen sind selbst in unseren Breiten spürbar. Wer zudem mit der Landwirtschaft verbunden ist, der weiß auch, dass die natürlichen Bedingungen hierzulande nicht besser geworden sind. Wir konnten das aber zum Glück durch effizientere Methoden in der Landwirtschaft ausgleichen.
Herr Rahmstorf,
darf ich sie mal zitieren ?
In einer Antwort von Ihnen an Dr. Sebastian Lüning, Hier:
Sie treten, und das ist Ihr gutes Recht, für Ihre Sichtweise ein, Wissenschaftler der “anderen Seite” haben eine andere begründete Sichtweise und treten dafür ein, ebenso überzeugt wie Sie.
Folglich ist diese Ihre Antwort in der Sache und in der Form unangemessen, da sie einen persönlichen Angriff beinhaltet, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Zumal niemand, auch Sie nicht den Anspruch erheben können recht zu haben.
Lieber Karl Mayer,
ihr Kommentar findet sich wortwörtlich im Skeptikerblog Science-Skeptical, dort geschrieben von einem Krishna Gans:
http://www.science-skeptical.de/klimawandel/das-golfstromsystem-rahmstorf-vs-krueger-und-er-versiegt-doch/0015622/#comment-1934075
Da Sie bei Primaklima versichert haben, nicht identisch mit Herrn Gans zu sein, sollte an dieser Stelle dann doch auf ihr Plagiat und den wahren Eigentümer dieser Gedanken verwiesen werden.
In diesem Blog findet man auch die übrigen Kritiker Rahmstorf, die sich hier zu Wort gemeldet haben. Schön, dass demonstriert wurde, aus welchen Reihen die Angriffe auf Rahmstorf kommen. Und ja: das kann man wirklich einfach abprallen lassen.
@Marc Hofmann;
Selbstverständlich wird weiter geforscht. Das Wissen über das Klima ist lebenswichtig für die Menschheit. Ob es auf die politische Agenda kommt, das entscheiden nicht Politiker, sondern die Realität und die Vernunft. Der Klimawandel wird an den Grenzen der USA nicht umkehren, sondern wird gerade dort spürbar und erlebbar. Die Hurricanes werden sich nach Norden verlagern und künftig auch Washington und New York treffen können. Trump ist nach vier Jahren wieder vergessen, der Klimawandel nicht, er kommt erst noch richtig in Fahrt.
Dann forscht mal mit dem Klima weiter. In den USA ist das Thema jedenfalls von der politischen Agenda verschwunden.
Trump weis, wie wichtig das CO2 für die Volkswirtschaft, für die Menschen und das Leben auf der Erde ist.
Wir brauchen nicht weniger CO2 sondern MEHR CO2. So schaut´s aus!