Die H-Mode, ein Hoffnungsschimmer

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Plasmen im Mittelpunkt
Formbar

"Das Wesentliche an jeder Erfindung tut der Zufall…" Mit diesem Nietzsche-Zitat beschreibt Friedrich ("Fritz") Wagner seine Entdeckung der so genannten H-Mode in einem Übersichtsartikel über selbige. Warum ich das erwähne? Weil in diesem Jahr die Stern-Gerlach-Medaille an Friedrich Wagner verliehen wurde. Und da es schließlich nicht alle Tage vorkommt, dass ein Plasmaphysiker mit der bedeutendsten deutschen Auszeichnung auf dem Gebiet der experimentellen Physik geehrt wird, schreit das doch geradezu nach einem blog-Beitrag.

Als Grund für die Verleihung des Preises zitiere ich an dieser Stelle die entsprechende Pressemitteilung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft: „Damit sollen seine Arbeiten in der Hochtemperaturplasmaphysik und Fusionsforschung, vor allem die Entdeckung selbstorganisierender Transportbarrieren (H-Mode) gewürdigt werden, die wegweisend für die Beherrschung von Fusionsplasmen sind.“ Weshalb die H-Mode so wichtig ist, warum sie so heißt und wieso sie immer noch hohe Aufmerksamkeit unter Fusionsforschern genießt, werde ich hier versuchen zu klären.

Zunächst einmal zur Tragweite bzw. Bedeutung der H-Mode in der Plasmaphysik und damit auch zur Rechtfertigung des Preises. Ende der 70er Jahre hat die stetige Weiterentwicklung der Heizquellen von Fusionsplasmen dazu geführt, dass man glaubte, sehr nahe an den Parameterbereich heranzukommen, bei denen das Plasma "zündet", also eine fortlaufende Kette von Kernfusionsprozessen gestartet wird. Es stellte sich heraus, dass zwar die Dichte und die Temperatur des Plasmas gesteigert werden konnte, die Einschlusszeiten des Plasmas aber verringert wurde. Die Teilchen im Plasma, und damit letztendlich auch die Energie, gingen innerhalb kürzerer Zeiten verloren. Ursache hierfür war der gestiegene Turbulenzgrad. Es schien zunächst keine Lösung für dieses Problem zu geben.

Bis zu jenem wichtigen Tag in der Fusionsforschung, dem 4.2.1982: Wagner beobachtet während einer Messung am ASDEX Tokamak am IPP in Garching einen plötzlichen, sehr ausgeprägten Sprung in beinahe allen Plasmaparametern. Dieser Sprung wurde von den erfahrenen Wissenschaftlern zunächst als eine Instabilität fehlinterpretiert. Wagner glaubte dieses jedoch nicht, er war zu dem Zeitpunkt noch ein Neuling in der Fusionsforschung. Er verbrachte einige Tage damit, die Daten gründlichst zu analysieren und kam schließlich zu dem Schluss, dass das Plasma plötzlich in einen anderen Zustand gesprungen war. Dieser Zustand war durch einen verbesserten Einschluss gekennzeichnet, daher der Name H-Mode für high confinement.

Wagner machte das, was jeder Wissenschaftler nun gemacht hätte, er präsentierte seine Ergebnisse auf Konferenzen, auf denen er sich nach eigener Aussage mehrstündigen "Verhören" seiner Kollegen unterziehen musste, die seine Ergebnisse auf ihre Belastbarkeit hin testeten. Mittlerweile handelt es sich bei der Veröffentlichung, in der Wagner dieses verbesserte Einschluss-Szenario erstmals beschreibt, um die am häufigsten zitierten Arbeit in der Plasmaphysik. Nach und nach wurde die H-Mode auch an anderen großen Fusionsexperimenten erreicht und der Forschungsreaktor ITER, der gerade in Frankreich gebaut wird, würde ohne den Betrieb in der H-Mode keine fusionsrelevanten Beiträge liefert.

Was aber sorgt nun dafür, dass der Einschluss des Plasmas verbessert wird, dass also weniger Energie und Teilchen an die Wand des Experimentes verloren gehen? Was genau ist der Schalter für die H-Mode? Die einfache Antwort: Im Detail weiß man es noch nicht, daher ist die Untersuchung des Übergangs in die H-Mode ein wichtiger aktueller Forschungsschwerpunkt in der Fusionsforschung. Es ist so, als würde man versuchen, einen Kuchen nachzubacken, dessen Zutaten man aber nicht kennt. Man kennt nur das Ausgangsprodukt und weiß, dass es echt lecker ist. Man glaubt mittlerweile die meisten Zutaten herausgeschmeckt zu haben, sogar die Wirkungen der verschiedenen Zutaten miteinander hat man teilweise verstanden.

Zunächst einmal muss man eine kritische Menge an Heizleistung überschreiten, die man dem Plasma zuführt. Dabei kommt es nicht auf die Art der Heizung an, entscheidend ist die Menge. Außerdem muss das Plasma bereits eine gewisse Dichte besitzen, es gibt also auch eine kritische Dichte unterhalb deren es keine H-Mode gibt. Während der H-Mode selber sorgt eine Art Barriere am Randbereich des Plasmas dafür, dass die Energie im Plasma bleibt. In diesem Bereich hat man eine starke Abnahme des Turbulenzgrades beobachtet. Es handelt sich hier also um eine Art Fels in der Brandung, der das Wasser im Meer hält. Diese Barriere am Rand führt zu extrem steilen Profilen der Plasmadichte.

Es gibt keine "halbe H-Mode" oder ähnliches, der Übergang in die H-Mode stellt immer eine sehr plötzliche Änderung dar, bei der sich einige Plasmaparameter sprunghaft ändern. Experimentell wurde weiterhin ein sehr stark negatives elektrisches Feld in der Schicht der angesprochenen Barriere nachgewiesen. Diese elektrischen Felder sorgen für eine Strömung, die unter bestimmten Umständen dazu in der Lage ist, die Turbulenz zu unterdrücken. Experimentell wurde bestätigt, dass sich zunächst das elektrische Feld bildet und anschließend die Verbesserung des Einschlusses auftritt. Die Ursache des elektrischen Feldes hingegen ist noch unklar.

Bei der H-Mode handelt es sich also um einen selbstorganisierten Prozess, den man nur anschubsen muss, damit er losläuft. Die Details dieses Prozesses sind noch nicht alle verstanden, klar ist aber, dass man ohne ihn vermutlich nicht über einen Fusionsreaktor basierend auf dem Prinzip des magnetischen Einschlusses nachdenken müsste.

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Veröffentlicht von

Alf Köhn-Seemann hat in Kiel Physik studiert und in Stuttgart über Mikrowellenheizung von Plasmen promoviert. Von 2010 bis 2015 war er dort als Post-Doc tätig. Nach mehreren Forschungsaufenthalten im englisch-sprachigen Raum, arbeitet er von 2015 bis Ende 2017 am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Seit Ende 2017 forscht und lehrt Alf Köhn-Seemann wieder an der Uni Stuttgart.

3 Kommentare

  1. H-Mode

    Eine Entdeckung, deren Bedeutung den Insidern sofort einleuchtete, dem Rest von uns aber erst allmählich klar werden wird!

  2. Kernfusion, H-mode

    Dieser Artikel über Friedrich Wagner, den Entdecker des ‘H-mode’ bei den Plasmaexperimenten mit dem Tokamak ASDEX am IPP in Garching ist tatsächlich sehr informativ. Es wäre den interessierten Laien noch viel mehr geholfen, wenn Wagners Veröffentlichung darüber auch in Deutsch zu lesen ist.

  3. deutsch

    Lieber Ehlert Puvogel,
    in der Plasmaphysik gibt es bereits seit einiger Zeit fast keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen mehr auf deutsch, es spielt sich alles auf englisch ab. Dazu ist die “community” einfach viel zu international. Auch auf der jährlichen stattfindenden Frühjahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft wird dem teilweise Rechnung getragen und ein Teil der Präsentationen in englisch vorgetragen. An englisch kommt heute in den Naturwissenschaften niemand vorbei.

    Ich habe mich ganz bewusst für ein deutsch-sprachiges Blog entschieden, um den Versuch zu unternehmen eben auch im deutsch-sprachigen Raum über Plasmaphysik zu informieren, schön wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat 🙂

    Sie sprechen aber einen anderen, sehr wichtigen Punkt an: der interessierte Laie sollte überhaupt Zugriff haben auf publizierte Forschungsergebnisse. Dieses ist leider in vielen Fällen immer noch den Abogebühren-zahlenden Universitäten vorbehalten. Stichwort open-access. Glücklicherweise gibt es aber in letzter Zeit vermehrt Bestrebungen in die Richtung, veröffentlichte Forschungsergebnisse, die ja oft durch den Steuerzahler finanziert sind, diesem auch frei zugängig zu machen.

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