Der Zusammenhang zwischen Nikotin, Tumorwachstum und Metastasen bei Krebs

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Zwar sind es andere Stoffe im Zigarettenrauch, die Tumore erst entstehen lassen, doch es wird immer deutlicher, dass das Nikotin der Zigarette für Krebs dennoch eine bedeutende Rolle spielt. Relevant ist das vor allem deswegen, weil erfahrungsgemäß ein beträchtlicher Teil aller Krebspatienten weiter Zigaretten raucht. Außerdem setzen Rauchentwöhnungstherapien meist auf Nikotinpflaster. Das dürfte bei Krebskranken keine uneingeschränkt gute Idee sein.

 


Bild: tommyS/Pixelio.de

Neben seiner Wirkungen auf den Neurotransmitterhaushalt induziert Nikotin nämlich auch die Vermehrung verschiedener Zelltypen, unter anderem Lungenkarzinomzellen. Zusätzlich macht es Lungenkrebszellen widerstandsfähiger gegen Chemotherapeutika.

 

Das gilt nicht nur unter kontrollierten Laborbedingungen, sondern auch im lebenden Organismus, wie aktuelle Tests u.a. mit handelsüblichen Nikotinpflastern zeigen. Für diese Versuche verwendeten die Forscher krebskranke Mäuse mit funktionierendem Immunsystem[1], die sie zwei Wochen lang mit Nikotin behandelten. Die Ergebnisse scheinen ziemlich eindeutig: Nikotin lässt Tumore schneller wachsen und begünstigt die Bildung von Metastasen.

 

Dafür spielt es keine Rolle, wie die Mäuse zu ihren Tumoren kamen. Das Verfahren funktionierte mit injizierten Zuchttumoren genauso gut wie solche, die mit dem Karzinogen NNK ( 4- (methylnitrosamino)-1-(3-pyridyl)-1-butanon)[2] in den Mäusen selbst erzeugt wurden.

Interessant ist die verwendete Nikotindosis. Die Forscher schnitten die Nikotinpatches so zurecht, dass die Mäuse auf eine Tagesdosis von 25 mg/kg Körpergewicht pro Tag kamen, etwa das 3-5fache der Dosis für einen Menschen, der Nikotinpflaster einsetzt. Eine andere Gruppe Mäuse bekam 1 mg/ kg Körpergewicht Nikotin drei Mal pro Woche direkt injiziert. Hier habe ich keine Vergleichsgröße, aber ich vermute, dass die effektive Dosis hier vergleichbar ist.

Zusätzlich haben die Forscher die Menge des Nikotin-Abbauprodukts Cotinin im Urin der Mäuse bestimmt, und die lag im Schnitt bei 5000 ng/ml, was größenordnungsmäßig auch bei menschlichen Rauchern gemessen wird. Die Autoren verweisen allerdings auf sehr starke Schwankungen aufgrund von Problemen bei der Probensammlung, so dass ich vermuten würde, dass die Mäuse, analog zu den höheren Tagesdosen, tatsächlich deutlich mehr Nikotin abgekriegt haben als der durchschnittliche Raucher.

Relevant sind die Ergebnisse natürlich trotzdem. Im Vergleich zur Kontrolle hatte sich das Volumen der Mäusetumore mit Nikotinpflaster verdoppelt, beim injizierten Nikotin verfünffacht. Nachdem die Tumore rausoperiert wurden, tauchten in den Nikotin-Mäusen etwa vier mal so viele Metastasen auf. Wegen der geringen Fallzahlen (etwa ein Dutzend Mäuse pro Gruppe) sollte man mit den Zahlen vorsichtig umgehen, die Tendenz ist allerdings klar: Nikotin fördert das Tumorwachstum ganz beträchtlich.

Erfreulicherweise wird auch gleich ein Mechanismus mitgeliefert. Verantwortlich für das gesteigerte Wachstum scheint die Interaktion des Nikotins mit einer Untereinheit der nicotinischen Acetylcholin-Rezeptoren zu sein. Diese Transmembranproteine sind an der Regulation des Zellwachstums beteiligt, unter anderem bei der Neubildung von Blutgefäßen. Deswegen gelten sie unter anderem als aussichtsreiche Zielproteine für neuartige Krebsmedikamente.

Die Ergebnisse der Untersuchung scheinen mir zuerst einmal plausibel zu sein. Es ist bekannt, dass rauchende Krebspatienten eine schlechtere Prognose haben als andere. Trotzdem ist mir bei der ganzen Sache nicht so hundertprozentig wohl, denn die Autoren schreiben am Schluss:

Further, such agents that modulate the function of nAChRs such as varenidine [sic!], an agonist of α4β2 nAChRs, might be better alternatives for smoking cessation than nicotine itself.

Gemeint ist hier wohl das Anti-Rauch-Medikament Vareniclin, das unter dem Handelsnamen Champix vertrieben wird und in der Vergangenheit durch viele unschöne Nebenwirkungen aufgefallen ist. Der Hersteller Pfizer plant dem Vernehmen nach derzeit, das Produkt wieder aggressiv zu vermarkten, insofern ist eine gewisse Vorsicht geboten.

Andererseits: Wenn hier verdecktes Marketing im Spiel wäre, hätten sie den Namen wahrscheinlich richtig geschrieben, oder?
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[1] Frühere Versuche dieser Art verwendeten Immununterdrückte Mäuse, was realistisch betrachtet eher in-vitro-Bedingungen ähnelt.

[2] Die Abkürzung NNK steht für Nikotin-Nitrosamin-Keton, ein wichtiger krebserregender Stoff in Tabakrauch

Davis, R., Rizwani, W., Banerjee, S., Kovacs, M., Haura, E., Coppola, D., & Chellappan, S. (2009). Nicotine Promotes Tumor Growth and Metastasis in Mouse Models of Lung Cancer PLoS ONE, 4 (10) DOI: 10.1371/journal.pone.0007524

5 Kommentare

  1. Eine Frage an die Experten

    Ich habe zehn Jahre lang, im Alter von 20 bis 30 Jahren
    (jetzt bin ich 63 Jahre alt), geraucht,
    vorwiegend mit Lungeninhalation, und häufig filterlos.

    Danach habe ich im Zeitraum von einigen Monaten
    einfach darauf vergessen, weiter zu rauchen.

    Ohne Entzugserscheinungen, ohne jede Absicht, ohne
    Willensanstrengungen, ohne Ersatzhandlungen, ohne
    Schlaganfall, und ohne jede Veränderung meiner Lebensumstände.

    Warum hat mir das Nikotin nicht gefehlt?

  2. Nur mal so spekuliert…

    …möglicherweise sind Sie in der Zeit einfach nicht in Versuchung gekommen, weil Ihr Umfeld nicht geraucht hat und Sie viel anderes um die Ohren hatten.

    Kann natürlich auch sein, dass Sie aus genetischen Gründen weniger anfällig sind, z.B. durch eine Mutation in der Rezeptor-Untereinheit. Ich halte ersteres für wahrscheinlicher.

  3. Danke für Ihre Antwort

    Danke für Ihre Antwort.

    Leider treffen die ersten Erklärungsversuche nicht zu.

    Eine Versuchung gab es für mich nie.
    Das Umfeld rauchte ständig.
    Ich hatte nicht mehr um die Ohren, als sonst.

    Ich frage mich, ob meine biologischen oder psychologischen Eigenschaften die Ursache für meinen Mangel an Nikotinsucht waren.

    Wenn ich Zigarettenrauch rieche oder gerochen habe, löst/löste das keinerlei Empfindungen bei mir aus.

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