Das Jahr der Super-Erdbeben

…soll 2018 werden, und schuld ist die Erdrotation. Etwa zwei Dutzend schwere Beben stärker als Magnitude 7, vier mal so viel wie 2017 und ein Drittel mehr als im Durchschnitt, sind im nächsten Jahr zu erwarten. Seit fünf Jahren nämlich dreht sich die Erde etwas langsamer um ihre Achse als im Zeitraum zuvor – dadurch verändern sich die Spannungen in der Erdkruste, besonders in den Tropen, und das löst eine Welle von Starkbeben aus.

Das stand so dieses Wochenende im Guardian, und es klingt ein bisschen wild. Die Wissenschaft dahinter ist aber spannend, und vor allem von realen Daten gestützt. Hintergrund ist eine alte und umstrittene Frage: Treten starke Erdbeben unter bestimmten Umständen häufiger auf als sonst, und kann man das eventuell zur Vorhersage nutzen?

Theorien zum Thema gibt’s viele, zum Beispiel dass ein starkes Erdbeben eine ganze Serie von weiteren Mega-Beben an der gleichen Plattengrenze auslösen kann. Handfeste Belege dafür sind mir allerdings nicht bekannt. Auch die letzte in den Raum gestellte Prophezeihung – dass auf die drei Mega-Beben der Magnitude 9 zwischen 2004 und 2011 binnen weniger Jahre weitere folgen würden – scheint sich nicht zu bewahrheiten.

Ein geheimer Bebenzyklus

Dagegen sind die statistischen Zusammenhänge, die Rebecca Bendick und Roger Bilham in einer Veröffentlichung in GRL und auf einer Konferenz vorgestellt haben, auf jeden Fall einen zweiten Blick wert. Demnach lassen sich Zeitpunkte großer Erdbeben zwar nicht von einer Zufallsverteilung unterscheiden, sie treten jedoch etwas häufiger in bestimmten zeitlichen Abständen auf. Es gibt also eine Art versteckten Erdbebenzyklus mit einer Periode von etwa 32 Jahren.

Wohlgemerkt, das bezieht sich nicht auf zwei Erdbeben am gleichen Ort, sondern alle Beben der Magnitude 7 und größer weltweit: Bendick und Bilham haben einfach die Zeitspannen zwischen allen solchen Beben seit 1900 ausgerechnet und deren Verteilung mit zufällig erzeugten Zeitreihen verglichen. Dabei tauchen Zeiträume um die 30 Jahre ein ganzes Stückchen häufiger auf, als man erwarten würde.

Laut Veröffentlichung kommt der Zyklus dadurch zustande, dass die einzelnen Verwerfungen samt Erdbeben im Prinzip Oszillatoren sind: Sie durchlaufen Zyklen von Spannungsaufbau und ruckartiger Entlastung. B & B argumentieren, dass all diese Verwerfungen sich untereinander im Laufe der Zeit durch gegenseitige Beeinflussung synchronisieren, wie es Oszillatoren in einem gemeinsamen System ja tun: Etwa wie zwei Schaukeln am gleichen Gestell.

Erdbeben kommen doch in Gruppen

Wegen der vielen verschiedenen Einflussfaktoren bei Erdbeben werden die Verwerfungen des Planeten natürlich nicht irgendwann im Gleichtakt schwingen. Dafür ergibt sich eine andere interessante Möglichkeit: Zyklen von außen, zum Beispiel eben die Veränderungen in der Erdrotation, können  mit denen der Erdbeben interagieren.

Indizien dafür liefert eine Auswertung der Erdbeben mit einem topologischen Verfahren (TDA), mit denen Bendick und Bilham verborgene komplexere Strukturen in den Daten aufspüren. Ich kann die Methode nicht beurteilen, aber das Resultat ähnelt dem Ergebnis von Clusteranalysen: insgesamt sechs Gruppen von Erdbeben mit ähnlichen Eigenschaften identifizieren die beiden. Eine dieser gemeinsamen Eigenschaften ist ihr Zeitpunkt, eine andere ihr Wiederholungsintervall.

Das würde bedeuten, dass es tatsächlich sowas wie Erdbebenserien gibt: Gruppen von relativ starken Beben, die irgendwie zusammenhängen und gemeinsam auftreten – allerdings verteilt über den ganzen Globus. Die Erklärung, die in der Veröffentlichung vom August nur angerissen und jetzt beim GSA Annual Meeting wohl gründlicher statistisch unterfüttert wurde, sind demnach wohl tatsächlich die Schwankungen in der Erdrotation. Die Tageslänge auf der Erde schwankt unregelmäßig im Millisekundenbereich, weil Ozeane, Atmosphäre, Kruste, Mantel und Erdkern Drehimpuls austauschen.

Synchrone Zyklen

Und anscheinend überlagern sich auch bei diesen Schwankungen verschiedene Zyklen, in dieser Studie zum Beispiel sind es insgesamt 5, andere Untersuchungen sagen anderes. Auf jeden Fall gibt es Phasen, in denen sich die Erde binnen kurzer Zeit plötzlich etwas langsamer um ihre Achse dreht. In den letzten etwa 150 Jahren fallen solche Phasen, so Bendick und Bilham, mit fünf der sechs von ihnen identifizierten Bebencluster zusammen, mit einem zeitlichen Versatz von ungefähr 5 Jahren. Das ist schon ganz spannend, wenn’s stimmt.

Zumal im Jahr 2011 eine solche Entschleunigungsphase der Erdrotation begann. Aus diesem Umstand leitet sich also auch die Vorhersage aus dem Guardian-Artikel ab: Wenn das Muster hält, sollte die Zahl der Beben der Magnitude 7 oder höher demnächst um ein Viertel bis ein Drittel über den Durchschnitt ansteigen. Besonders in der Karibik, wenn man dem Konferenzabstract glaubt.

Die Vorhersage ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen ist es eine überprüfbare Vorhersage auf der Basis realer Daten, und die sind im Erdbebengeschäft einigermaßen dünn gesät. Zum anderen prognostiziert sie, entgegen der Tonlage einiger zum Thema erschienener Artikel, eben keine seismische Apokalypse, sondern vor allem einen klar definierten statistischen Effekt. Ob es Katastrophen mit tausenden Toten gibt, hängt nicht von der Erdrotation ab: Nur bei drei der letzten zehn Erdbeben mit Magnituden über 7 starben überhaupt mehr als fünf Menschen – wichtig ist, wo die Erde bebt, nicht wie oft.

4 Kommentare

  1. Zu wünschen wäre es, wenn man die Erdbebengefahr berechnen könnte.
    Und die Erdrotation hängt garantiert damit zusammen. Wenn du mal Teig rührst und nur für eine sekunde unterbrichst, schwappt der Teig über.

  2. Mich würde ja interessieren, was für Auswirkungen so ein Erdbeben für das Ökosystem der Fische hat. Vielleicht kann mich ja jemand aufklären.

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