Die Rolle der Schleimhäute für Covid-Impfstoffe

Die meisten bisherigen Impfstoffe schützen, indem sie neutralisierende Antikörper im Blut erzeugen. Aber hilft dieses Wirkprinzip auch gegen Sars-CoV-2? Die offenen Fragen zur Immunität gegen Covid-19 und auch die Erfahrungen mit existierenden Coronavirus-Impfungen legen nahe, dass es nicht so einfach ist. Tatsächlich gibt es Indizien dafür, dass möglicherweise die Mehrzahl der Impfstoffkandidaten buchstäblich am Ziel vorbeischießt.

Zu diesem Schluss bin ich bei der Recherche für diesen Artikel bei spektrum.de gekommen. In dem geht es um Coronavirus-Impfungen für Haus- und Nutztiere, die seit Jahrzehnten genutzt werden und deswegen auch schon recht gut erforscht sind. Zum Beispiel weiß man dort schon ganz gut, welche Art Immunreaktion ein Impfstoff hervorrufen muss, um zu schützen.

Die Erfahrung mit solchen Corona-Impfungen deuten darauf hin, dass eine allgemeine Antikörperantwort als Schutz vor Sars-CoV-2 nicht ausreichen könnte. Coronavirus-Impfungen müssen eine Immunreaktion genau am richtigen Ort erzeugen, und zwar in der Schleimhaut der Atemwege.

Sars-CoV-2 gelangt von außen an die Zellen der Schleimhäute, und da helfen Antikörper im Blut nur bedingt. Außerdem unterdrückt Sars-CoV-2 die angeborene Immunantwort in der Schleimhaut[2]. Die ungehemmte Vermehrung des Virus dort steckt vermutlich hinter der Fehlregulation der Immunantwort bei schweren Verläufen.[3]

Entscheiden IgA über Immunität?

Antikörper zirkulieren aber eben nicht nur im Blut. Sie sitzen auch in anderen Körperflüssigkeiten wie dem Schleim, den die Schleimhäute der Atemwege, aber auch zum Beispiel des Darms abgeben. Diese bremsen die Verbreitung von Viren in Nase und Rachen wesentlich besser als jene im Blut. Bei den veterinärmedizinischen Impfstoffen zumindest sind die auch der entscheidende Parameter für den Impfschutz, und es gibt ein paar Hinweise, dass sie auch bei Sars-CoV-2 eine wichtige Rolle spielen.

Das würde zuerst einmal bedeuten, dass die Mehrzahl der Antikörpertests nur die weniger relevanten Antikörper detektieren. Die nämlich sprechen meistens auf die Isotypen IgG und IgM an. Erstere sind die Y-förmigen Dingerchen, die in klassischen Darstellungen im Blut zirkulieren, letztere große Komplexe aus fünf dieser Y-Komplexe, die sehr früh während der Immunreaktion entstehen.

In den Schleimhäuten dagegen dominiert der Antikörper-Isotyp IgA (ein Paar aus zwei verbundenen Y-Strukturen), während IgG und IgM kleinere Rollen spielen, die erst langsam erforscht werden. Vor allem aber entsteht dieser als mukosale Immunität bezeichnete Schutz nicht einfach dadurch, dass irgendwo im Körper ein Antigen auftaucht. Sollte dieser Schutz tatsächlich das gesuchte Korrelat der Immunität sein, hätte dann natürlich weitreichende Konsequenzen für mögliche Impfstoffe gegen Sars-CoV-2.

Dabei gibt es gute und schlechte Nachrichten. Man weiß von den Veterinärimpfstoffen, dass Vakzinen aus abgeschwächten Viren die IgA der Schleimhäute am zuverlässigsten erzeugen. Gerade dieser Typ von Impfstoffen spielt bei der Suche nach Sars-CoV-2-Impfstoffen praktisch keine Rolle. Das ist aber ohnehin nicht tragisch, weil gerade Menschen mit geschwächtem Immunsystem ohnehin keine Lebendimpfstoffe kriegen sollten. Damit könnte ein erheblicher Teil der Risikogruppen eine solche Vakzine gar nicht kriegen.

Eine gute Nachricht ist, dass Impfstoffe auf der Basis genetisch veränderter Adenoviren ebenfalls eine gute Chance haben, die mukosale Immunantwort zu stimulieren. Etwa ein Viertel der Impfstoffkandidaten funktionieren nach diesem Prinzip. Sie sind ebenfalls Lebendimpfstoffe, allerdings mit einem harmlosen Virus. Um IgA in der Schleimhaut zu stimulieren, muss anscheinend die komplette Virusantwort oder zumindest ein Teil von ihr ausgelöst werden, und zwar direkt am gewünschten Ort.

Brauchen wir ein Nasenspray?

Übrigens – vergesst Fußnote 1 – gelten diese Überlegungen nicht bloß für Antikörper, sondern auch für T-Zellen und die von ihnen vermittelte Immunität. Auch bei denen gibt es nicht nur solche, die im Blut rumschwirren, sondern in den von der Infektion betroffenen Geweben bleiben (resident memory T-Cells). Diese “stationären” T-Zellen tauchten 2016 in Experimenten mit Coronavirus-Vakzinen  als schützende Faktoren auf, aber nur, wenn sie in die Nase getropft wurden.

Das alles macht es eher unwahrscheinlich, dass diese Art von Immunität durch einen Impfstoff entsteht, der in den Muskel gespritzt wird. Die Erfahrung scheint das zu bestätigen. Dieser Review listet drei Impfstoffe, die eine IgA-Antwort in der Schleimhaut auslösen. Von denen sind zwei Schluckimpfungen (Polio und Rotaviren), dazu kommt ein Nasenspray gegen Grippe.

Die schlechte Nachricht ist, dass die Mehrzahl der Impfstoffkandidaten gegen Sars-CoV-2 in den Muskel gespritzt werden sollen. Darunter auch alle, die derzeit in klinischen Tests oder kurz davor sind. Es gibt ein paar Gruppen, die an der intranasalen Route arbeiten – aber die werden noch ne Weile brauchen.

Andererseits ist aber auch nicht gesagt, dass eine Immunität nur mit Schleimhautbeteiligung möglich ist. In einem aktuellen Review über die vorhandenen Impfstoffkandidaten schreibt eine Arbeitsgruppe, sie sei zuversichtlich, dass auch injizierte Impfstoffe einen nennenswerten Schutz bieten können. Zumindest sofern eine robuste Antikörper- und T-Zell-Antwort auftritt.

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[1] Es liegt auch an der Geschichte mit den T-Zellen, aber das führt hier zu weit.
[2] Sars-CoV-2 hemmt die Produktion von Typ-1-Interferonen, die intrazelluläre Immunantwort auf die Präsenz von Viren und die Entstehung des “antiviral state” bei anderen Zellen.
[3] Das könnte auch die anscheinend große Bedeutung der Virendosis für die Schwere der Krankheit erklären.

5 Kommentare

  1. Es wäre interessant, zu wissen ob Leute denen die Mandeln entfernt wurden – weniger mit Covid-19 erkranken. (Durch die Entfernung der Mandeln hat man weniger Schleimhäute im Rachenraum)

    • Man geht heutzutage zunehmend dazu über, die Mandeln nur zu entfernen, bei wiederholten Entzündungen bzw. wenn die Verläufe zu schwerwiegend sind. Eine “prophylaktische” Entfernung wie früher nach der ersten Entzündung sollte nicht mehr vorgenommen werden. Da liegt daran, dass man weiss, dass sie ein wichtiger Teil des Immunssystems darstellen, ein Ort an dem das Immunsystem die Außenwelt überprüft.

      Könnte mir vorstellen, dass Mitmenschen ohne Mandeln zu schwereren Verläufen neigen, da der Erstkontakt nicht so stark registriert wird. In den Anfängen der Pandemie war davon zu lesen, dass Patienten mit starken Beschwerden des Halses, später weniger starke Lungenverläufe hatten. Die Vermutung dahinter ist, dass sich das Immunsystem bereits im Hals/Rachen auf den Feind einstellen konnte.

      Würde auch zum Artikel passen – der Erstkontakt findet nicht auf der Oberfläche der Lunge statt, sondern auf der Schleimhaut Nasen-Rachen-Bereichs.

  2. ‚Damit könnte ein erheblicher Teil der Risikogruppen eine solche Vakzine gar nicht kriegen.‘
    Das ist ja auch nicht unbedingt notwendig, wenn der Impfstoff zu einer sterilisierenden Immunität führt und genügend geimpft werden, um eine Herdenimmunität zu erreichen.

  3. Hallo Herr Fischer,

    das ist eine sehr interessante Darstellung der Problematik. Leider haben Sie keine Literaturhinweise zum Nachlesen angegeben. Könnten Sie das noch nachholen?

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