Das Problem mit dem Menschen-Zeitalter
Neulich ging ja durch die Medien, dass 1950 das neue menschengemachte Erdzeitalter, Anthropozän genannt, begonnen haben soll. Das ist aber noch keineswegs beschlossen, und die neue Epoche ist tatsächlich ziemlich umstritten. Nun ist das Anthropozän aber nicht das einzige Problem dabei, wie man schnell feststellt. In der FAZ hat Petra Ahne einen ganz interessanten Satz geschrieben, der das ganz gut illustriert: “Das Anthropozän hat sich ins Bild geschlichen, posiert, als gehöre es fraglos in eine Reihe mit Pleistozän, Pliozän, Miozän, Holozän.” Tatsächlich aber gehört eine dieser etablierten Epochen selbst nicht so richtig in diese Reihe: das Holozän.
Das Holozän ist bisher die Jetztzeit, genauer gesagt, die Warmphase nach dem Ende der letzten Vereisungsperiode. Aber eigentlich gibt es keinen wirklichen Grund, diesen Zeitabschnitt zur eigenen Epoche zu erklären. Diese letzten 10 700 Jahre wurden allein deswegen als eigener geologischer Zeitabschnitt geadelt, weil sie “unsere” Zeit sind.
Das ist aber streng genommen kein tragfähiges Argument, und deswegen ist die aktuelle Diskussion pro und contra Anthropozän eigentlich ein bisschen zu kurz gegriffen.[1] Wenn wir darüber reden, ob die Menschenzeit tatsächlich eine geologische Epoche sein soll, dann muss man eigentlich auch noch mal über das Holozän nachdenken.
Anthropozän vs. Holozän
Denn das Anthropozän ist zweifellos etwas Neues. Neuer Klimatrend, haufenweise menschengemachte Materialien, massiv veränderte Ökosysteme und geochemische Zyklen. Egal wie es jetzt weitergeht, man kann mit Sicherheit noch in 50 Millionen Jahren die paar Millimeter Menschheitsgeschichte im Gestein entdecken und erkennen, dass da etwas sehr ungewöhnliches passiert ist.
Das Holozän dagegen, die aktuelle, seit etwa 10 000 Jahren anhaltende Warmzeit, ist lediglich eine von Dutzenden solcher warmer Epochen im Verlauf des Eiszeitalters. Tatsächlich ist es ein ganz zentrales Merkmal der zugehörigen Erdepoche Pleistozän, dass sich Warm- und Kaltzeiten in einem mit Erdbahnparametern zusammenhängenden Rhythmus abwechseln. Zuerst alle etwa 40 000 Jahre, seit einer Million Jahre alle etwa 100 000 Jahre.
Die aktuelle Warmzeit unterscheidet sich auch erst einmal nicht nennenswert von den vorherigen Warmzeiten der letzten Million Jahre, die alle – natürlich – nicht als eigene Epochen gelten. Das Auf und Ab ist alles Pleistozän. Der einzige Unterschied ist, dass im Holozän jetzt überall komische Nacktaffen rumlaufen und geologische Zeitalter benennen. Nur, unsere bloße Existenz reicht eben nicht für ein neues Erdzeitalter.
Das wird auch sehr klar, wenn man ein paar Argumente gegen das Anthropozän mal versuchsweise auf das Holozän anwendet. Zum Beispiel steht die Frage im Raum, ob das, was wir da grad anzetteln, überhaupt umfassend genug für eine Epoche ist. Man darf ja nicht vergessen, dass die vielleicht ein, zweihunderttausend Jahre, die unsere Hinterlassenschaften die Erde prägen werden, eine sehr kurze Zeitspanne sind.
Nur ein “Event”?
Das Paläozän-Eozän-Temperaturmaximum, eine intensive Treibhausepisode vor etwa 56 Millionen Jahren, dauerte auch ungefähr so lange, und da hat es für eine eigene Epoche nicht gereicht. Das ist ein gutes Argument, beim Anthropozän erstmal noch abzuwarten, es verdeutlicht aber auch, dass das Holozän nicht einmal in dieser Liga mitspielt. Das Holozän ist nach diesem Maßstab, hart gesagt, gar nix.
Beim Anthropozän kritisieren Fachleute vor allem aus den Kulturwissenschaften außerdem, dass wir uns als Menschheit quasi eine ganze Epoche ans Revers heften. Aber immerhin gibt es global messbare geologische Veränderungen, die eben nachweislich mit uns zu tun haben. Das Holozän dagegen existiert primär deshalb, weil man die Gegenwart gern konzeptionell von der Vergangenheit trennt. Stratigrafisch ist das nicht einfach zu rechtfertigen. Über den Großteil der 11 700 Jahre hinterließ die Menschheit aber eigentlich keine weltweiten Spuren in den Gesteinen, die unsere Warmzeit von den anderen abheben.
Das ist natürlich nicht völlig richtig. Schon am Ende der letzten Eiszeit sind ja haufenweise Großsäugetiere ausgestorben, und das unterscheidet den Beginn des Holozäns von den anderen Erdzeitaltern. Es ist nicht ganz klar, welche Rolle der Mensch dabei spielte, aber zumindest eine Teilschuld unserer Art ist gemeinhin akzeptiert. Und mit der Einführung des Ackerbaus veränderte der Mensch die Vegetation weltweit im großen Stil. Man kann also durchaus argumentieren, dass menschliche Einflüsse schon damals die Welt zu prägen begannen.
Nur ist dann die Frage, wie sinnvoll es ist, den Beginn des Holozäns an der jüngeren Dryas – einem zweifellos natürlichen Ereignis – anzusetzen. Wenn man die Menschenzeit zur geologischen Epoche macht, dann muss man das aus meiner Sicht an datierbaren menschlichen Einflüssen festmachen. Und während man dank Atombombentests und “great acceleration” diverse brauchbare Marker im 20. Jahrhundert hat, dürfte ein früherer Startpunkt deutlich schwieriger festzunageln sein.
Wenn man umgekehrt der Ansicht ist, das die Argumente nicht ausreichen, um das Anthropozän zum erdgeschichtlichen Zeitabschnitt zu machen, dann lässt sich eigentlich auch das Holozän nicht mehr rechtfertigen. Dann sind wir immer noch im Pleistozän, das wir gerade mit einem PETM-ähnlichen Event kurz unterbrechen.
Ein anderer Name könnte helfen
Aus meiner Sicht wäre erdgeschichtlich argumentiert eine andere Variante am plausibelsten: Anthropozän ab 1950 und das Holozän konsequenterweise ganz abschaffen. Schließlich war die Warmzeit bis dahin ein normaler Teil der Eiszeitzyklen und mithin des Pleistozäns. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts tritt dann etwas komplett Neues auf, das die Muster der letzten zweieinhalb Millionen Jahre durchbricht.
Es ist aber, das darf man dabei nicht vergessen, nicht allein menschliche Hybris, die die aktuelle Warmzeit besonders macht. Erdgeschichtlich unterscheidet sich die aktuelle Warmzeit zwar nicht von früheren, aber ganz praktisch betrachtet sind die letzten paar tausend Jahre natürlich mit weit höherer Auflösung bekannt als jeder andere Zeitabschnitt. Entsprechend macht eine feinere Unterteilung – also das Holozän mit seinen drei Stufen – hier durchaus Sinn.
Und so kann man natürlich auch ganz praktisch-anthropozentrisch auf das Anthropozän blicken. Mag ja sein, dass man in ner Million Jahre auf Atombomben, Klimawandel und zubetonierte Landschaften zurückblickt und denkt: oh, war nur ein kurzer Ausreißer. Aber jetzt sind diese Veränderungen erstmal das Ende der Welt, wie wir sie kennen, und das heißt eben: der erdgeschichtlichen Epoche davor. Schon aus der reinen Logik der Epochenzählung heraus muss man dem, was jetzt ist, auch irgendnen Namen geben.
Und vielleicht wäre es da gar keine schlechte Idee, das Fass mit dem Namen noch mal aufzumachen. Der Begriff Anthropozän stammt von Paul J. Crutzen und bezeichnet ja eben keine klar umrissene stratigrafische Einteilung, sondern eine qualitative Beschreibung der globalen Auswirkungen der technischen Entwicklung der Menschheit. Insofern ist keineswegs zwangsläufig, dass man die neue Epoche auch so nennt.
Tatsächlich gibt es eine Reihe von alternativen Namensvorschlägen wie Kapitalozän, Technozän oder Urbanozän. Einige davon verweisen auch auf positive Zukunftsvisionen wie Symbiozän oder das – kein Witz – Chthuluzän, dessen Name angeblich von chthonos (griechisch für irdisch) abgeleitet ist und für globale Harmonie stehen soll. Wobei wir da eigentlich zwangsläufig beim Cthulhuzän landen: das Zeitalter, in dem wir alle wirres Zeug reden, während die neueste Super-KI unsere Seelen frisst.
Schön und menschenwürdig wäre es, wenn wir, gegen die Konfusion seit Mensch erstem und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung (“Vertreibung aus dem Paradies”), das Fusiozän gestalten könnten, dann würde wirklich-wahrhaftig das Anthropozän beginnen, mit dem ganzheitlich-nachhaltigem Wesen Mensch und zweifelfreier Eindeutigkeit in Vernunft und Verantwortungsbewusstsein OHNE wettbewerbsbedingte Überproduktion von systemrationalen Kommunikationsmüll.
Das Anthropozän, so man es wirklich definieren wollte, ausgerechnet 1950 beginnen zu lassen, ist schon recht seltsam. Der Mensch bzw. die Menschheit hat schließlich schon ein “klein wenig früher” beginnen ihre deutlichen Fußabdrücke auf der Erde zu hinterlassen: ob das nun die Pyramiden in Ägypten sind, ob es Stonehenge oder Baalbek, das Grab des ersten Kaisers in China, die massiven Abholzungen der Wälder in Italien und Spanien durch die Römer usw., das sind doch alles starke Eingriffe in die Natur.
Hätte ich die Aufgabe ein Anthropozän zu definieren würde ich mich an den Funden großer Bauwerke und an den lange bleibenden Eingriffen in die Natur orientieren.
Das hält ja nicht lange genug. Alles was auf der Erdoberfläche rumliegt ist in 50 000 Jahren wieder weg.
Stimmt, rein unter geologischen Gesichtspunkten gibt’s nichts was von Menschen offensichtlich gemacht oder beeinflusst lange “hält” und später mal in einer Schicht nachweisbar sein wird. Da macht es wohl wirklich keinen Sinn ein Anthropozän zu definieren, das dann gar nicht nachweisbar sein wird.
@Hauptartikel
„Wobei wir da eigentlich zwangsläufig beim Cthulhuzän landen: das Zeitalter, in dem wir alle wirres Zeug reden, während die neueste Super-KI unsere Seelen frisst.“
Uns sozusagen seelenfressend so interessant beschäftigt, dass wir kein Problem mehr damit haben, nur noch die paar Sachen zu arbeiten, die KI und Roboter nicht selber können.
Ich selber habe mir mal ausgemalt, wie eine intergalaktische Gemeinschaft wohl praktischerweise einen Kontakt mit uns anstellen würde. Und kam auf die Idee, dass wir einfach von einem Tag auf den anderen an das intergalaktische Fernseh- und Internetprogramm angeschlossen werden, indem unseren Kommunikationsnetzen ein riesiges Angebot von Inhalten so zur Verfügung gestellt werden, dass man das nicht mehr einschränken oder blockieren kann.
Das wäre vermutlich sowas von interessant für fast alle Menschen, würde uns dermaßen fesseln, dass wir große Probleme hätten, dass überhaupt noch einer vom Bildschirm weg kommt, um arbeiten zu gehen.
Zeiten der Leistungsgesellschaft wären komplett vorbei, Arbeiten gegenüber sich intergalaktisch informieren zu können vollkommen uninteressant.
Inzwischen sieht es so aus, als könne unsere eigene KI uns in ein paar Jahrzehnten ähnlich fesseln können, und uns gleichzeitig die meiste Arbeit wegnehmen. Zusammengenommen wäre das anscheinend nicht mal ein Problem.
Genau genommen war es der 12.04.1950, 12.49 Uhr. Aber Scherz beiseite denn die Erdzeitalter sind wohl das Ergebnis globaler Veränderungen in tektonischer wie klimatischer Sicht. Letzteres scheint die Evolution geformt zu haben denn das LEBEN sucht sich seinen Weg . Diese Entwicklung ist permanent da jede Spezies sich anpassen muss oder untergeht und das ist wohl die eigentliche “Höherentwicklung “der Evolution die uns immer wider zeigt das Leben was sich nicht anpassen kann aussterben muss. Menschengemachte Evolution scheint auch ein Zweig der eigentlichen EVOLUTION zu sein da diese Spezies nach diesen Gesetzen handelt und sich Bedingungen schafft die diese Art zerstören kann. HIer sind nicht das Klima, tektonische Veränderungen, oder Kometen, dafür verantwortlich , sondern die menschliche Gier und Habsucht ,dieser ewige Tanz ums goldene Kalb . Diese Zeitalter beginnt dann mit den Affen wo der eine Affe dem anderen Affen die letzte Banane nicht gönnt obwohl er sich schon kiloweise daran sattgefressen hat.
Interessanter View zum Anthropozän; und der Take zum Holozän ist richtig spannend 😉 Nein, ich würde das Holozän nicht ins Pleistozän eingliedern wollen (also das Pleistozän hochziehen), da gibt’s schon gute Gründe, dies als eigene Epoche laufen zu lassen, aber ja, die generellen Unterschiede zu den Zwischeneiszeiten im Pleistozän sind nicht wirklich vorhanden. Aber Holozän als Epoche unterstreicht auch, dass wir im Holozän eben eine bessere Zeitauflösungslupe haben, die gibt’s dann im Anthropozän erst recht. Um das “Buch der Erdgeschichte” so genau wie möglich entschlüsseln und damit lesen zu können, braucht es eben eine möglichst hohe isochrone Zeitauflösung und dies klappt nun im Holozän – endlich auch mit dessen formalen Untereinheiten – schon recht gut. Im Anthropozän ist dann die isochrone Zeitauflösung durch die ganzen anthropogenen Geosignale dann noch viel besser. Aber ja, ich sehe das Holozän als weiteres Argument fürs Anthropozän, gute Anregung, danke. Zum einen ist natürlich nun das extrem anthropogen beeinflusste Erdsystem durch die Große Beschleunigung ein völlig anderes. Zum anderen ist das häufig gehörte Argument, das Holozän wäre doch bewusst gemacht worden, um das Heute mit einzuschließen, wirklich nichtig (und auch von der ICS so nicht vorgesehen, da geht es immer um die Untergrenzendefinition). Das Heute ist auch in 100.000 oder 100 Millionen Jahren noch das Heute, das wäre also dann immer noch das Holozän?? 😉
Und zur Fußnote 1: da würde ich nicht mitgehen. Ja, es ist früher nicht möglich gewesen, absolute Altersdatierungen zu machen, aber auch heute geht dies nicht für x-beliebige Sedimente, sondern nur für spezielle (z.B. Aschelagen, biogene Sedimente, einige authigene Minerale in Sedimenten etc.), der Rest muss aus Lagerungsbeziehungen erschlossen werden. Und ich ärgere mich bis heute, dass ich quasi in meiner gesamten Laufbahn, ja sogar seit Studienzeiten in den 1970ern quasi immer dazu sagen musste und muss: ich meine Kimmeridgium sensu gallico bzw. Kimmeridgian sensu anglico. Seit kurzer Zeit gibt’s einen GSSP/Golden Spike (also eine formale Untergrenzendefinition fürs Kimmeridge), aber immer noch keine für das darüberliegende Tithonium, also muss ich das sensu dit oder dat immer noch dazu sagen. Auch das Oxfordium und damit die Jura/Kreide-Grenze hat noch keinen “Nagel”) (Oxfordium, Kimmeridgium, Tithonium sind Untereinheiten des Oberen Jura). Und innerhalb der Geologie muss auch beim Anthropozän die Kollegin in Brasilien und der Kollege in China dasselbe darunter verstehen, wie ich und alle anderen Kolleg*innen. Aber auch für die anderen Wissenschaften macht es m.E. Sinn, den Begriff nicht wie etwa Neolithikum, Renaissance etc (überall unterschiedlich beginnend und teilweise damit auch missverständlich) zu verwenden, gerade wenn zeit-und regionalbasierte Prozesse möglichst gut verstanden und zeitlich/räumlich aufgelöst werden sollen.
Zum Kommentar von Wolfgang Richter: bei den erdgeschichtlichen Einheiten geht es um Chronostratigraphie, es geht also um Abschnitte mit isochron, möglichst weltweit definierbarer Untergrenze (sozusagen die Kapitel/Unterkapitel des Buchs der Erdgeschichte). Natürlich geht die Geschichte der menschlichen Einflüsse auf die Umwelt viel früher los, aber das war sehr lange diachron und regional, man könnte sagen, der Mensch wurde vom biologischen Faktor (erst wie auch jeder Organismus, dann durch Jagd mit Werkzeugen verstärkt) zum geographischen Faktor (im Neolithikum), und erst so ab Mitte des 20. Jahrhunderts zum geologischen und erdsystemaren Faktor. Es geht also darum, den Prozess (seit Pleistozän) und das Produkt (Anthropozäne Sedimente) auseinanderzuhalten. Wir sprechen auch von der Anthropogenen Modifikationsepisode (AME), der dann mit der Anthropozän-Epoche gipfelt.
Für die Leser*innen und Kommentator*innen hier verweise ich auf auf meinen Anthropozäniker-Blog hier auf Scilogs, aber ich werde hier vermutlich auch noch nen erweiterten Kommentar posten (klappt aber leider nicht vor nächster Woche). Für Anthropozän-Interessierte gibt’s ansonsten hier auf den Scilogs ja auch noch meinen Anthropozäniker-Blog: https://scilogs.spektrum.de/der-anthropozaeniker/ (Werbeblock Ende)