Mehr als bloß Hallo

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Feuerwerk der Neuronen

– Kleiner Essay zur schwäbischen Alltagskommunikation

Sag‘ mir Grüß Gott! und ich sag‘ Dir, wer Du bist

Am Grüß Gott! einer Rentnerin erkenne ich sofort, wie sie mir gegenüber eingestellt ist. Die künstlichen Zähne zusammengebissen, sodass die Wörter kaum ihrem Mund entweichen können, klingt die typisch schwäbische Grußformel eher wie skott; das S dabei zischend wie eine Schlange und trotzdem kurz wie ein Schuss: Sssskott! Die faltenumsäumten Augen scannen blitzschnell meinen Körper, von oben bis unten und wieder nach oben. Dort treffen sich unsere Blicke kurz, um sich dann wie zwei verschieden-polige Magneten sofort wieder abzustoßen. Skott, murmle ich zurück und gehe schnell weiter. SkottSkott. Ein Wort-Schuss-Wechsel. Der Gruß im Wort zum Abschuss mutiert: Skott! Tot. Die Frau hat mich in sekundenschnelle in ein Bild eingefroren, ohne mich zu kennen. Ein Blick, ein Urteil: Skott. Das einfache Wort also viel mehr als ein bloßes Hallo.

Ganz anders wirkt da das lang gezogene Grüüüß Gott!. In manchen Gegenden auch als Griaß Gott! artikuliert. Grüüüß Gott ist verbindend, einladend, freundlich. Erst hoch auf die Brücke, dann ein langer Bogen üüüüü, angekommen, beim Gegenüber. Ah, was haben wir denn da? Vom Kommunikationspartner wird zumindest ein freundlicher Blick erwartet, manchmal auch mehr, ein paar Worte small talk vielleicht. Zumal, wenn die andere Person bekannt ist. Ja griaß Gott H‘rr Nägele! Griaß ist dann der Auftakt und mit Gott setzt die Gesprächsmelodie ein. GrüüüßGott, ba, ba, ba, ba. Bei sich Unbekannten kann die Einladung zur Verbindung auch nonverbal passieren. Grüüüß Gott wie ah, Sie sind auch hier.

Schwäbisches Murmelspiel

Den Schwaben wird im Vergleich zu Bürgern anderer Bundesländer ja eine chronische Kommunikations-un-Freude zugeschrieben. Zu Recht? Es gibt zumindest Beispiele, die zeigen, dass Schwaben nicht unbedingt weniger offen kommunizieren, aber anders. Eine typisch schwäbische Eigenart ist zum Beispiel das Murmelspiel: Jeder murmelt vor sich hin, was ihn gerade beschäftigt, aber so, dass es für andere gut verständlich ist. Eine direkt-indirekte Kommunikationsform. Die tatsächliche Kommunikationsbereitschaft differiert dabei. Beim morgendlichen Einkauf im Supermarkt verbirgt sich hinter den gemurmelten Worten in der Regel tatsächliche Kontaktfreude, wenn die Frau neben mir vor dem Kühlregal, während sie sich mir ins Gesichtsfeld streckt, etwas von vegetarischen Maultaschen erzählt. Das Besondere (und für manche Menschen, die mit der schwäbischen Kommunikationsweise nicht vertraut sind, zuweilen Verwirrende): Sie spricht mich nicht direkt an, redet aber in meine Richtung. Worte und Gesten kommunizieren Interesse, der Blick, der sich nicht an mich richtet, hingegen nicht. Für Menschen, die in erster Linie an Kommunikation via Blickkontakt gewöhnt sind, kann jene Methode sehr befremdlich wirken. Wie Ziehen und Drücken zugleich. Kann sogar ein bisschen weh tun. Ganz offenbar ist solches Verhalten aber nicht nur eine Einladung, sondern sogar eine vehemente Aufforderung zur Unterhaltung, was der kleine ad-hoc-Kommunikationstest vor Ort bestätigt. Spreche ich die Frau vor der Kühltheke auf vegetarische Maultaschen an – und hier reicht schon ein winziger Tropfen eines Stichworts – sprudelt sie los: Ihr Schwiegersohn, also eigentlich ist es ja nur der Freund, ihrer Tochter, der vegetarisch lebt und jetzt muss sie für das gemeinsame Abendessen auch etwas Vegetarisches zubereiten, das habe es ja früher nicht gegeben, solche Marotten, ihre Tochter überlege sich jetzt auch schon, Vegetarierin zu werden, das würde sie aber nicht zulassen, die habe nämlich eh Eisenmangel und da müsse man ja besonders vorsichtig sein, denn Vitamin C, ne, B, ach, wie heißt das noch gleich?, ach, egal, also das gebe es ja nur in Fleisch und überhaupt sei das jetzt schon der dritte Freund innerhalb von vier Monaten, das könne ja nicht gut gehen.

Ein weiteres Beispiel: Eine Frau spricht mich auf die Erdbeeren an, die ich gerade aus einem Karton nehme. Ach, die sehen ja besonders schön aus!, sagt sie in einem Tonfall als hätte ich die Erdbeeren selbst gezogen, so schön dick und rot! Ich stimme ihr kurz zu und konzentriere mich dann wieder auf die Früchte. Ohne Blickkontakt zu haben und bei klar (wenngleich nonverbal) signalisiertem Desinteresse meinerseits an einem Gespräch, fährt sie fort: Wissen Sie, ich mag Erdbeeren ja sehr gern. Aber ich kann die nicht mehr essen. Ich bekomme da immer Ausschlag am ganzen Körper, wahrscheinlich kommt das von der Säure. Aber Tomaten kann ich gut essen, da passiert komischer Weise gar nichts. Ich stecke die Tüte in den Einkaufskorb und gehe zum Gemüse. Das kommt bestimmt von der ganzen Spritzerei und den vielen Pestiziden!, ruft sie mir noch hinterher.

Dies ist die Kehrseite der (sicherlich nicht nur schwäbischen) Kommunikationsfreude – wenn sie einseitig ist. Manche Menschen scheinen einen so großen Redebedarf zu haben, dass sie nicht darauf achten, ob das Gegenüber überhaupt mit ihnen sprechen möchte oder nicht. Als schwache Form verbaler Gewalt kann man dies bezeichnen, wobei die Menschen in den genannten Beispielen vermutlich keine bösen Absichten hatten. Noch schwieriger wird die einseitige Kommunikationsbereitschaft dann, wenn man selbst etwas kommunizieren möchte, das Gegenüber aber nicht. Denn das schwäbische Murmelspiel funktioniert natürlich in beide Richtungen. Im Aufzug am Bahnhof steht ein Mann der raucht. Entschuldigen Sie mal, im Aufzug ist rauchen nicht gestattet. Das ist ganz schön asozial! Der Mann dreht sich weg, versteckt die Zigarette in seiner Hand, murmelt etwas vor sich hin. Hallo?

Gelungene Kommunikation – keine Selbstverständlichkeit!

Gemäß Paul Watzlawick kann man nicht nicht kommunizieren. Manche Leute versuchen es doch, wenn ihnen direkte Ansprache unangenehm ist. Manchmal wird man inform harmlos erscheinenden small talks zur Kommunikation gezwungen. Manchmal sagen Worte andere Dinge als Mimik und Gestik. Und eigentlich immer ist es erstaunlich, dass Menschen sich doch ganz gut verstehen. Meistens zumindest.

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Bachelor-Studium "Philosophie, Neurowissenschaften und Kognition" in Magdeburg. Master-Studium "Philosophie" und "Ethik der Textkulturen" in Erlangen. Freie Kultur- und Wissenschaftsjournalistin: Hörfunk, Print, Online. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilung Philosophie, Fachbereich Medienethik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

12 Kommentare

  1. “Die Frau hat mich in sekundenschnelle in ein Bild eingefroren, ohne mich zu kennen…”
    Machen wir das nicht alle ? Wir bewerten in sekundenschnelle den uns fremden Menschen auf der Basis unserer Vorurteile und Erfahrungen(Lebenserfahrungen). Sie müssen dieser alten Frau, die sie so fixiert hat, zugestehen, dass Sie wesentlich mehr Lebenserfahrung hat als Sie. Höhen und Tiefen des Lebens(Schicksalschläge) haben sie und ihren Charakter geprägt. Vielleicht fühlte Sie sich oft falsch verstanden, vernachlässigt, belogen,ausgenutzt etc . Freundliche Blicke können auch gespielt,berechnend und oberflächlich sein. Viele laufen mit einer vorgespielten FASSADE(Maske) durchs Leben weil sie sich dadurch berufliche Vorteile versprechen.Interessant ist eigentlich der Mensch hinter der gespielten Fassade.Vielleicht haben Sie gar nicht bemerkt, dass diese alte Frau Sie auch unter diesem Aspekt bewertet hat…

    • Zum einen: Ja es stimmt natürlich, dass Menschen kategorisieren und das recht schnell. Dabei hat man ja aber im besten Fall eine Veto-Möglichkeit und kann Vor-Urteile bewusst überarbeiten, ändern anpassen.
      Dem Argument, dass Alter auch Weisheit bzw. Menschenkenntnis mit sich bringt, würde ich nicht zwangsläufig zustimmen. Das kann so sein, muss aber nicht.
      Und schließlich ist meine Darstellung natürlich verkürzt. Ich wollte ja nicht über das Leben der Frau berichten, sondern über etwas anderes. 🙂

  2. “sicherlich nicht nur schwäbischen”

    Kann man laut sagen. Kenne das auch aus meiner Region, und nicht zu selten, ist vielleicht doch etwas deutsches?
    Schön beschrieben, die deformierten Varianten, diejenigen, die einen nur benutzen und zutexten wollen, und die auffällig häufig schon nach Sekunden über ihre Krankheiten reden oder auch vulgär werden.
    Und die vielleicht nicht nur meinem Eindruck nach deutlich häufiger vorkommen als früher.
    Und diejenigen, die sich anfangs genauso verhalten, aber eigentlich nur etwas ungeschickt sind bei der Kontaktaufnahme und insgesamt ganz o.k., auch Grenzen beachtend. Nicht einfach, das immer auseinander zu halten, manchmal fährt man dann auch dem/r Falschen über den Mund.

  3. Leonie Seng,
    sehr gute Einleitung zu einem Thema, zu dem jeder etwas beitragen kann.
    Da ich auch fast jeden anquatsche, der mir begegnet, kann ich sagen, dass 90% aller Menschen offen für ein Gespräch sind. Vielleicht sind sie auch dankbar dafür. Es ist ja nicht nur das Gesagte, sondern der Blick, der Gesichtsausdruck und die Körpersprache, die Lebensfreude und Zuneigung signalisieren.
    Wenn ich ganz offensiv bin, sage ich laut “Hallo”, dann wundern sich zuerst die meisten über soviel Distanzlosigkeit, macht aber trotzdem nichts, die können meiner direkten “Ansprache” nicht ausweichen.
    Also Super, super, super Thema.

  4. Also den Unterschied zwischen einen verbindlichen freundlichen Gruß, insbesondere wenn man jemanden kennt, und einen mehr oder weniger rein formalen Gruß, der eventuell auch etwas knapp ausfallen kann, das gibt es wohl überall.

  5. Mei, die Brötchen. Eigentlich stinken sie. Warum die Zeitung Zeitung heißt, hat mit den Brötchen nichts zu tun. Gestern war wieder Stau und naja, wenn’s früh schon regnet, könnte auch mal die Sonne scheinen. Grüß Gott zusammen.

  6. Grüß Gott Herr Kuhn,
    Sie haben einen neuen Rekord geschafft. Die Informationsdichte, die Informationsvielfalt und noch eine gefühlsmäßige Standortbestimmung in 2 1/2 Zeilen, bewundernswert. (keine Ironie)
    Für jeden ist etwas dabei.

  7. …”und ich sag dir wer du bist am Grüß Gott..!
    Zunächst einmal stimme ich ihnen zu,dass Lebenserfahrung nicht gleich bedeutend mit Weisheit ist. (Wenn ich meine Erfahrung täglich aus der BILD beziehe,werde ich eine andere “Weisheit” haben, als jemand der mit offenen und kritischen Augen durch Leben geht). Zum anderen klingt es sehr selbstbewusst,wenn sie Menschen am “Grüß Gott” charakterisieren bzw. typisieren wollen.Ich selbst würde versuchen zu hinterfragern ob diese “Typen” das genetisch mitbekommen haben oder ob die Gesellschaft und das Leben sie so erzogen (manipuliert) haben.Meiner Ansicht nach wird der Mensch nicht per se als böse und schlecht geboren ,sondern bekommt diese Zustände erst im Rahmen seiner gesellschaftlichen Sozialisierung bzw. wie man mit ihm im Leben umgegangen ist. Oft habe ich hinter solchen hier klischeehaft geschilderten “Typen” doch auch Schicksale festgestellt, die jedes menschliches Verhalten verschüttet haben…

    • Vielleicht hätte ich den Ironie-Button stärker markieren sollen. Sprich: Natürlich meinte ich nicht, alle Menschen an der Art ihrer Begrüßung “erkennen” und daran differenzieren bzw. in bestimmte Typen einteilen zu wollen. Diese Bemerkung ist viel mehr ein bisschen ironisch, die Überlegungen als eben solche, nicht als Naturgesetze zu verstehen. In diesem Sinn sollte der Text nicht ganz ernst genommen, sondern auch mit einem zwinkernden Auge gelesen werden.

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