Tanz der Moleküle

Die älteren unter uns werden dieses Lied der Elektropop-Band MiA. noch kennen, das im Jahr 2006 im Radio rauf und runter lief. Die Naturwissenschaftler*innen unter uns waren damals zunächst ein wenig enttäuscht, dass hierbei nicht wirklich Molekularbewegung thematisiert wurden, sondern der Ausdruck nur als Metapher für Verliebtheit genutzt wurde. Doch hier zeigt sich nun wieder, dass der Teufel – bzw. in unserem Fall die Chemie – im Detail steckt: Denn natürlich spielt die Chemie auch bei Gefühlen wie Verliebtheit eine Rolle.

Lieblingsmoleküle

In diesem Beitrag soll es nun aber nicht um die biochemische Prozesse gehen, die dafür sorgen, dass wir jemanden „gut riechen können“ und oder „rosaroten Brille“ sehen, sondern um einen anderen „Tanz der Moleküle“: Im Jahr 2017, in dem die Gesellschaft Deutscher Chemiker das 150-jährige Bestehen ihrer ersten Vorgängergesellschaft feierte, haben wir unsere Mitglieder dazu aufgerufen, uns ihre Lieblingsmoleküle zu nennen und zu begründen, was diese Moleküle für sie so besonders macht.

Von den Ergebnissen waren wir begeistert: Es wurde poetisch, philosophisch und nicht zuletzt natürlich auch wissenschaftlich. Einen Teil der Lieblingsmoleküle und der Begründungen für ihre Wahl möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.

2,4,6-Trinitrotoluol

So wählte ein Mitglied das 2,4,6-Trinitrotoluol, kurz TNT. Seine Begründung lautete:

„Mein Lieblingsmolekül ist das 2,4,6-Trinitrotoluol. Zum einen liegt das an seiner schlichten symmetrischen Schönheit, zum anderen daran, dass ich mich während meiner Promotionszeit intensiv damit beschäftigt habe. Seit dieser Zeit trage ich auch einen Ring, der das Molekül symbolisieren soll, allerdings nicht ganz chemisch korrekt, da der Goldschmied sich geweigert hat, die Nitrogruppen korrekt abzubilden. Darüber hinaus verkörpert TNT für mich Energie und ist gleichzeitig eine Mahnung an die Verantwortung der Naturwissenschaftler, dass jede hilfreiche Erfindung in den falschen Händen auch verheerende Wirkung haben kann. Zu guter Letzt gibt es auch noch eine Verbindung zu meiner zweiten Leidenschaft, der Musik: TNT ist eines der wenigen Moleküle, das mehrmals vertont wurde. Nicht nur in der recht bekannten AC-DC Version, sondern u.a. auch schon 1925 von Fletcher Henderson und seinem Orchester. Der hatte übrigens, und da schließt sich der Kreis wieder, vor seiner Karriere als Bandleader einen Bachelortitel in Chemie erworben.“

Buckminsterfulleren

Gleich zwei Mitglieder schwärmten für das Buckminsterfulleren, Buckyball oder C60.

Eine Begründung dafür war:

„Es bietet eine faszinierende Schönheit für Laien und Experten gleichermaßen. Eine zufällige Auffindungsgeschichte und Charakterisierung mit krönendem Nobelpreis, perfekte Harmonie/Symmetrie, den Bezug zu einem Massen-Hobby (eher Männer) und Aspiration für unter Hochdruck entstehenden Luxus-Buckydiamond (eher Frauen). Es bietet unglaublich vielseitige Inspiration in praktisch jedes potentielle Forschungsgebiet. Aber den Abschluss bildet für mich, dass es praktisch mit jedem normalen Ruß z.B. an der Weihnachtskerze entstehen kann.
Ich wünsche mir daher, dass Buckminsterfulleren Heerscharen aufgeweckter Menschen zur Naturwissenschaft inspiriert und damit die Welt runder macht.“

Die zweite Begründung lautete:

„Zum einen besticht es durch seine Ästhetik: seine Geometrie, seine strukturelle Anmut wie auch die Farbe seiner Lösungen. Zum anderen symbolisiert es für mich eine Brücke zur Nanotechnologie mit zahlreichen – zumindest denkbaren – Anwendungen. Nicht zuletzt hatte ich das große Glück, nach seiner ‘erneuten’ Entdeckung und Strukturaufklärung am MPI für Kernphysik in Heidelberg als einer der ersten Chemiker im Rahmen meines Chemiestudiums damit zu arbeiten.“

Magnesium

Ein weiteres Mitglied entschied sich für das Magnesium und begründetet seine Wahl in Gedichtform:

„12 Elektronen hat mein Lieblingselement,
das steht im PSE so fest wie im Zement
Viele Funktionen erfüllt es im Körper.
So rennen zum Beispiel alle beim Marathon noch gestörter.
Auch im königlichen Schach
spielen alle Großmeister ohne dich sehr schwach.
Magnesium ist mein Lieblingselement
und daher mag ich es nicht nur im Advent.“

Tetrodotoxin (TTX)

Ein anderer zeigte sich vom Kugelfischgift fasziniert:

„Mein Lieblingsmolekül ist Tetrodotoxin (TTX), das tödliche Gift (= Neurotoxin) des chinesischen/japanischen Kugelfisches “Fugu”. Nur ausgewählte Köche mit einer besonderen Lizenz und jahrelanger Erfahrung dürfen diesen Fisch in speziellen Restaurants zubereiten und anbieten. Ich hatte einmal in China und zweimal in Japan das Privileg, zu einem Fugu-Essen (ein Ritual) eingeladen zu werden. Bei TTX handelt es sich um ein Alkaloid aus der Imidazolin- und Pyrimidingruppe. Es blockiert spannungsgeladene Natriumkanäle, was zu Muskellähmungen führt. Es ist eines der stärksten Gifte überhaupt – die tödliche Dosis ist 10 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht.“

Koffein

Auch mein persönliches Lieblingsmolekül fand in die Sammlung Einzug: Koffein.

Unser Mitglied begründete seine Wahl wie folgt:

„Mein Lieblingsmolekül ist das Koffein. Ohne unser ganz legales Aufputschmittel wären viele von uns Tag und Nacht verloren! Ohne Koffein gäbe es viel weniger kreative Ideen, keine sinnvollen Projektbesprechungen und keine effizienten Nachtschichten an Forschungsgroßgeräten. Koffein hilft Bachelor- und Masterarbeiten, Dissertationen, Drittmittelanträge und Berichte termingerecht und besser abzuschließen.
Was will man mehr von einem Molekül?“

Wer nun schon ganz beschwingt von unserem „Tanz der Moleküle“ ist und noch lange nicht genug von diesen besonderen Molekülen hat, kann auf unserer Jubiläumsseite alle 61 eingereichten Lieblingsmoleküle nachlesen.

Und wer sich genauso wie ich besonders für Koffein interessiert, der sollte unbedingt unseren Beitrag „Was ist eigentlich Koffein?“ lesen.

Ein Frage habe ich zum Abschluss noch an Sie – ganz egal, ob Sie mit Chemie zu tun haben oder nicht: Haben auch Sie ein Lieblingsmolekül? Vielleicht ein ganz lapidares wie Wasser oder Sauerstoff, die unser Leben erst möglich machen? Oder vielleicht ein extrem komplexes, dem Sie zufällig begegnet sind und es sich gemerkt haben, weil Sie es so faszinierend fanden? Ich freue mich auf Ihre Kommentare!

Veröffentlicht von

Maren Mielck ist Wissenschaftskommunikatorin aus Überzeugung. Sie begeistert sich für die Naturwissenschaften und insbesondere die Chemie. Selbst nicht vom Fach, sondern mit klassischer Kommunikations- und Journalismusausbildung, möchte sie im Namen der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) auch anderen ihre Faszination für Chemie näherbringen.

11 Kommentare

  1. Psilocybin

    In meiner Jugend hat mich dies zu meiner AKE geführt und einiges über das Leben klar werden lassen.

    Mit Freude habe ich heute gelesen, daß es seit 2018 eine vielversprechende Studie in Bezug auf resistente Depressionen gibt. Allerdings hoffe ich, daß es sich nicht systemrational zähmen läßt.

  2. Das ist leicht: C2H5OH, bekannt als Ethanol. Es gibt Anthropologen, die der Ansicht sind, dass es die Freude am Alkoholgenuss war, die die Menschen überhaupt erst zur Sesshaftwerdung und damit zur Kulturentwicklung gebracht hat (etwas aus der Zeit, Spektrum hat vor ein paar Jahren einen ähnlichen Artikel gebracht).
    Damit ist Alkohol mindestens indirekt die Voraussetzung für Beethoven-Sinfonien: mehr kann man von einem Molekül nicht verlangen.

  3. Meine Lieblingsmoleküle sind die DNA-Basen und alles was mit DNA zusammenhängt (inklusive DNA-Origami).
    Warum? Weil DNA die Verbindung zwischen Chemie, Leben und Computer Science herstellt.
    Folgendes lässt sich über das Leben, den Menschen und den Computer aussagen: Es sind Programme, die in allem Lebendigen und in allem Informatischen ablaufen. Und der Sinn der Programme ist das Laufenlassen von Programmen.
    Oder verkürzt zur Formel: The meaning of life is executing life.

  4. off topic – @hto @Mielck

    Versuche mit der Gabe von psychedelischen Substanzen bei der Behandlung von Depressionen zeigen deutliche positive Effekte – allerdings meist nur(!) bei Personen, bei den auch die übliche psychiatrische Behandlung anspricht.
    Sind Kranke einer psychiatrischen Behandlung aber nicht zugänglich, dann wirken Psychedelics nicht positiv sondern oft negativ – es können schwere Psychosen ausgelöst und/oder verstärkt werden.
    D.h. von den aktuell laufenden Studien zur Behandlung von Depressionen mit Psilocybin wird nur eine begrenzte Gruppe von Patienten profitieren: ausgerechnet nur diejenigen, bei denen auch die bisher übliche Behandlung schon positiv anspricht.

    Nach der Einnahme von psychedelischen Substanzen werden vergleichbare Erlebnisse berichtet, wie sie auch von Leuten berichtet werden, welche eine sogenannte ´Nahtod-Erfahrung´(NTE) hatten. (Diese Leute haben üblicherweise keine psychedelischen Drogen genommen.)
    NTEs lassen sich komplett als Ergebnis eines einfachen strukturierten Erinnerungsvorgangs erklären. Dies bedeutet, dass psychedelische Substanzen nur Erinnerungsvorgänge beeinflussen/stimulieren – mehr nicht.
    Vergleicht man die Inhalte von Erlebnissen wie sie nach der Einnahme von psychedelischen Drogen erlebt werden – mit den Inhalten von NTEs – dann lassen sich viele dieser Erlebnisse dem Zeitraum der frühen Kindheit zuordnen.
    D.h. die positive Wirkung von psychedelischen Drogen beruht möglicherweise darauf, dass damit Gehirnzustände/ Erlebnisse RE-AKTIVIERT werden, welche aus einem Zeitraum stammen, wo die erlebende Person noch völlig gesund war (und noch keine Depressionen hatte).
    Diese Erlebnisse sind extrem positiv weil sie in der zeitlichen Gegenwartsform erlebt werden (= ein Wiedererleben) – d.h. kranke Patienten erleben sich dabei wieder als völlig gesunde Menschen. Dies ist natürlich eine sehr positive Erfahrung!

    DOI: 10.1371/journal.pone.0214377 [Survey of subjective ´God encounter experiences´: Comparisons among naturally occurring experiences and those occasioned by the classic psychedelics psilocybin, LSD, Ayahuasca or DMT]
    http://www.sciencedaily.com/releases/2019/04/190423145511.htm [Experiences of ´ultimate reality´ or ´god´ confer lasting benefits to mental health]

    Leider ist es so, dass NTEs von der Wissenschaft zur Zeit grundlos ignoriert werden. Damit vergibt man eine große Chance: Erinnerungsvorgänge zu verstehen, welche einen deutlichen Hilfseffekt gegen Depressionen haben könnten.
    Man vergibt die Chance, das REAKTIVIEREN von gesunden Gehirnfunktionen zu erzeugen (= Gehirnzustände wie sie VOR der Erkrankung an Depression vorhanden waren).

    • Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Ich bitte nun im weiteren Verlauf aber (auch die anderen Kommentatoren) darum, kein völlig neues Thema in der Kommentarspalte aufzumachen.

  5. @Mielck
    jetzt mein Beitrag zum Thema

    Ich entscheide mich für das H-H -Molekül

    Weil – aus dem Baustein Wasserstoff alle Materie entstanden ist, die es im Universum gibt.

  6. @KRichard: sie entscheiden sich für das Ha-Ha-Molekül, weil daraus alle Materie entstanden ist???
    Da kann ich nur sagen: HaHa😆.
    Denn das stimmt nicht. Die Atome mit höheren Ordnungszahlen sind nicht aus Wasserstoff entstanden, sondern sie sind in Prozessen entstanden, die in Sternen ablaufen, in nuklearen und nicht chemischen Prozessen.
    Nun, ganz falsch liegen sie nicht, denn Ausgangsstoffe der nuklearen Prozesse sind oft wieder direkt oder indirekt Wasserstoff – aber eben nicht immer.
    In der primordialen Nukleosynthese kurz nach dem Urknall entstanden zunächst folgende Nicht-Wasserstoff-Atome:

    Deuterium, Helium sowie Spuren von Lithium. Die heute zu beobachtenden schwereren Elemente stammen aus Fusions- und anderen Kernreaktionen in Sternen und damit aus viel späterer Zeit.
    Die innerhalb der ersten drei Minuten nach dem Urknall entstehenden Elemente verteilen sich zu ca. 75 % auf Wasserstoff 1H und ca. 25 % Helium 4He. Die geringen Anteile von D=2H, 3He, 3H und freien Neutronen (jeweils 10−4 bis 10−7), sowie deutlich seltenere Beryllium- und Lithiumisotope fallen dabei nicht ins Gewicht.

  7. @Holzherr
    Mich fasziniert, dass nur ein einziger Baustein nötig ist um daraus die gesamte Materie zusammen zu stellen. Eine modulare Bauweise.

    Prozesse wie Kernverschmelzung bzw. radioaktiver Zerfall ändern nichts daran.

    Dass innerhalb der ersten drei Minuten nach dem Urknall auch andere Elemente vorhanden waren, ist kein Widerspruch. Denn diese drei Minuten reichten aus, dass z.B. Kernverschmelzung erfolgen konnte.